Die Berliner Hardcoreband Schwach ist mir bis zur Besprechungsanfrage zu ihrem neuen Album tatsächlich vorher noch nie unter die Ohren gekommen, obwohl die Jungs wohl auch schon wieder fast zehn Bandjahre auf dem Buckel haben. Nun gut, veröffentlichungstechnisch ist der Output der Berliner auch nicht gerade üppig (ein Album, eine Handvoll EPs und eine Split), zudem war aus bekannten Gründen die letzten drei Jahre nicht viel mit schwitzigen Hardcore-Moshpits geboten. Mit Kälter legt das Quintett jetzt also Album Nr. zwei vor. Das Release ermöglicht haben die Labels Refuse Records und Upstartz Records, und nach kurzer Interessensbekundung an einer Besprechung des Albums kam auch schon ein paar Tage später ein liebevoll geschnürtes Paket mit dem guten Stück im 12inch-Format aus dem Hause Upstartz Records ins Haus geflattert.
Für das Albumcover wurde eine schwarz-weiß-Fotografie eines warm eingepackten Kindes gewählt. Wie man in den ausführlichen Linernotes des beigefügten und beidseitig bedruckten DIN A3-Sheets erfährt, handelt es sich bei der Fotografie um ein während der Nordirland-Unruhen aufgenommenes Foto aus dem Bildband „West Belfast 1985-1988“ von Mike Abrahams. Die angstvolle und skeptische Mimik des Kinds über die damalige Situation und den Zustand der Gesellschaft spricht Bände, übertragen in unsere derzeitige Lage rund um die Erde steht der Kummer und die Sorgen dieses Kindes stellvertretend dafür, was ja durch den Albumtitel noch verstärkt wird. Zusätzlich zu den Linernotes sind auf der Innenhülle die deutschsprachigen Texte (mit teils anderssprachigen Parts bzw. Guest-Vocals) abgedruckt. Und natürlich gibt es einen Downloadcode und ein Aufkleber mit dem Slogan Youth Crew Punk ist auch noch mit dabei. Das ist heutzutage bei den Papier- und Druckkosten nicht mehr selbstverständlich und unterstreicht deshalb nur nochmals die Wichtigkeit des Inhalts und das Herzblut der am Release beteiligten Menschen. Hardcore heißt wieder kämpfen, politische Inhalte, Gesellschaftskritik und eine optimistische Stimme gegen die Gesamtscheiße schienen in den letzten Jahren im Hardcorebereich leider immer unwichtiger zu werden und Schwach liefern durchaus reichlich klischeefreies Gedankenfutter und Kritik in diese Richtung.
Und sobald die Nadel aufsetzt, ist man dazu verdammt, den Lautstärkeregler der Anlage enorm zu erhöhen, denn das Geballer des Openers braucht Volumen! Geil, das Gebretter erinnert aufgrund der deutschen Texte mit Inhalt und natürlich aufgrund des derben Geschreis an Bands wie Hammerhead, Empowerment (bzw. Sidekick), Growing Movement oder Bombers From Burundi, die Youth Crew-Polit-Inspiration kommt dann von Bands wie Miozän, Nations On Fire oder Seein‘ Red. Energiegeladene Power, wütend und roh, super abgemischt (Tonmeisterei mal wieder), knackig und auf den Punkt! Obwohl das Ganze schön fett klingt (Gitarre, Bass, Drums und Gesang sind absolut gleichwertig abgemischt), merkt man den deutlichen Punk-Background der Berliner. Und das liegt nicht nur am Text zum Song Gedankenpalast, in dem einschlägige Bands wie Highscore, Schleim-Keim und Muff Potter Erwähnung finden, sondern durchaus auch am hardcorepunkigen Sound des Quintetts, den man im Verlauf des Albums zu hören bekommt. Außerdem wird nach dem Geknüppel des Openers gleich klar, dass die Jungs auch groovig können, zudem gefällt mir im Verlauf des Albums die Vielseitigkeit und die Fülle an Ideen, die aber nicht wild durcheinander Chaos erzeugen, sondern ausgeklügelt zusammengeschnürt ein komplexes Ganzes geben! Verdammt geil find ich z.B. das bei einigen Songs eingesetzte Saxophongedudel, das kommt ziemlich genial rum! Insgesamt sind zwölf Songs zu hören, die mit jedem Durchlauf weiter wachsen und dann auch irgendwann richtig gut ins Ohr gehen, so dass dem nächsten Circlepit mit Massenansturm auf’s Mikro eigentlich nichts mehr im Wege stehen dürfte. Und nach einem anstrengenden Tag mit viel menschlichem Müll läst es sich hierzu richtig gut abreagieren!
8/10
Facebook / Bandcamp / Upstartz Records