
Wenn alle um Dich herum irgendeinen seelischen Knacks und Kummer haben und sich deshalb in ihrer persönlichen Krise in Therapie begeben, dann wird es Zeit, etwas gegen die eigene Verzweiflung zu unternehmen. Was wäre besser, als sich mit Musik passiv zu berieseln lassen? Ja, genau: selbst eine Band auf die Beine stellen, kreativ werden, sich den Kummer von der Seele schreiben. Genau das hat die während der Pandemie in Köln gegründete Band Flittern unternommen. Und das Resultat klingt äußerst angenehm und ausgereift, was natürlich Fragen zur Vorgeschichte der Bandmitglieder aufwirft. Und siehe da, hier sind Leute am Werk, deren bisherige Bands natürlich auch bereits reichlich Beachtung bekamen. Das Trio setzt sich aus Seb (Gesang, Gitarre, Synthie) und Ernie (Bass, Gesang) -beide ehemals Hey Ruin – und Jan (Schlagzeug, Percussion) von KMPFSPRT zusammen. Das erklärt die Stimmigkeit dieses vielseitigen Debutalbums, das mit elf Songs und etlichen popkulturellen Zitaten keinerlei Ausfälle zu verbuchen hat.
Okay, beim Anblick des Fotos des Acrylgemäldes mit den aufgeschürften Knien schaudert man schon etwas, fühlt kurz den Schmerz vom Sturz mit dem Skateboard und der unfreiwilligen Knie-Bremse auf dem Asphalt. Dieses ungute Bauchgefühl kann aber erstmal schnell verdrängt werden, denn aus dem Inneren kommt eine mit den Texten bedruckte Innenhülle zum Vorschein, aus dieser leuchtet auch schon die durchsichtige und grellgelbe Vinylscheibe heraus. Und beim Aufsetzen der Nadel wird man direkt mit melodischem Emopunk umgarnt, so dass es problemlos gelingt, in dieses Werk mit Haut und Haaren einzudringen. Im Verlauf des Albums merkt man, wie abwechslungsreich und stimmig das Ding aufgebaut ist. Da sind diese melancholischen Gitarren, das mal treibende und groovende Zusammenspiel von Bass und Gitarre und diese zuckersweeten Synthies, die mich desöfteren an Bands wie die Get Up Kids oder The Anniversary denken lassen. Hört mal die beiden Songs Willst Du mit mir aussterben gehen und Alman Angst, das sind doch richtige Emo-Hymnen, die sich sofort im Ohr einnisten! Ach ja, und einfühlsamen und verletzlich klingenden Gesang gibt’s ja auch noch! Und Hits am laufenden Band! Aufgrund der deutschen Texte könnte man auch Bands wie Captain Planet und Love A als Referenz-Bands anbringen, was v.a. in Bezug auf die lyrische Qualität passt.
Denn nicht nur musikalisch ist ein Feuerwerk an 90’s Emo, Pop-Punk, Indie, Grunge und Post-Punk geboten. Auch mit den intelligenten Lyrics ist den Jungs genau die richtige Mischung aus Witz, Satire, Gefühl und jeder Menge Tiefgang gelungen, meilenweit entfernt von jeglichen Klischees. Hier ist oftmals auch 90er-Nostalgie und die Punk-Sozialisation in der deutschen Provinz zu spüren, womit ich ja selbst schon mitten drin im Thema stecke und mich mit solchen Gedankengängen absolut identifizieren kann. Hier bekommt ihr ein richtig gelungenes und authentisches Debutalbum zu hören, das voller Spielfreude, Herzblut und Kreativität steckt. Ich feier das Ding ab!
8/10
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