Nevasca – „Collecting Dust“ (lifeisafunnything)

lifeisafunnything-Labelbetreiber Marcus scheint in die Underground-Szene Russlands eine ähnlich gute Pipeline zu haben, wie unser Altkanzler zu dortigen oligarchischen Kreisen. Ein Blick zurück auf die Weltgeschichte zeigt, dass das deutsch-russische Verhältnis, speziell auf die Hafenstadt Murmansk bezogen, nicht immer solch freudige Ergebnisse erzielte, wie die Beziehung zwischen Marcus und der Band Nevasca, die eben in Murmansk beheimatet ist. Auch wenn die Völkerverständigung nicht in allen Bereichen des Miteinanders klappt, erfreuen solch kleine Dinge innerhalb einer vernetzten kleinen Gemeinschaft. Am Release wirken neben lifeisafunnything dann auch noch ein paar andere DIY-Labels mit: Dingleberry Records, Friend of Mine Records, Longrail Records, Not So Happy Records, Personal Data Records, Chuchi Records und Dasein Records. Sehr schön!

Nun, die Metropole Murmansk stelle ich mir anhand der im Netz betrachteten Bilder ziemlich grau und trist vor, dennoch erfährt man auf Wikipedia, dass die Stadt zur Fliederblüte ein besonderes Flair haben soll. Vielleicht steckt eine ähnliche Idee hinter dem farbenfrohen Albumartwork. Hier wurde einer eintönigen Plattenbausiedlung etwas Leben eingehaucht, indem das Drumherum einfach mit warmen Farben coloriert wurde. Das verleiht der Szene einen südländischen, melancholischen Charakter. Wenn man dann im liebevoll gestalteten 8-seitigen Textheftchen blättert, entdeckt man zwischen den Texten verschiedene schwarz-weiß Fotos, vermutlich von Murmansk aus der Zeit nach den Weltkrieg-Bombardements, als sich die Stadt wieder im Aufbau befand und die Plattenbauten aus dem Boden wuchsen. Hier ist u.a. auch die Originalaufnahme des colorierten Fotos auf dem Frontcover zu sehen. Ach ja, natürlich gibt’s einen Download-Code.

Packt man das schöne Stück Vinyl aus, dann setzt ein breites Grinsen ein. Die Platte gibt’s in zwei Ausführungen, einmal mit gelbem Vinyl und in meinem Fall in einem schön schimmernden Blau das fast in schwarzes Lila übergeht und richtig frisch strahlt, wenn man es vor eine Lichtquelle hält. Die farbig im Stil des Covers bedruckten Labels kommen dazu schön kontrastvoll zur Geltung. Optisch ein richtiger Genuss! Ja, und dann setzt die Nadel auf und man gerät ab der ersten Sekunde in einen regelrechten Midwest-Emo-Rausch, dem man bis zum letzten Ton restlos ausgesetzt ist. Die melodisch-melancholischen Gitarren holen mich direkt beim ersten Song ab und spätestens wenn das Schlagzeug und der herzzerreißende Gesang einsetzt, weiß ich, dass dieses Album mal wieder so richtig meinen Geschmack trifft. Stell Dir vor, Du ziehst eine alte Lieblingsscheibe aus dem Plattenregal, die Du schon lange nicht mehr gehört hast. Das Ding hat schon ein wenig Staub angesetzt (kleine Anspielung auf den Albumtitel), aber sobald Du es aufgelegt hast, kannst Du wieder die Energie und die Wärme und die Erinnerungen spüren, die mit dieser Platte verbunden sind. Und genau diese Art Gefühle machen sich bereits bei den ersten Durchläufen von Collecting Dust bemerkbar. Ich habe da v.a. die Intensität und den nostalgischen Hauch von 90’s-Emo-Bands wie Sunny Day Real Estate, Mineral, Christie Front Drive, Gloria Record, Camber oder Joshua im Ohr, aber auch neuere Sachen wie Basement dürften den Jungs keine Unbekannten sein. Warum sind mir Nevasca bisher durch die Lappen gegangen? Das Quartett existiert immerhin seit 2013. Da werde ich nicht umhin kommen, mir auch die bisherigen Veröffentlichungen bei der nächsten Gelegenheit zu Gemüte zu führen.

Jedenfalls bekommt man auf diesem Release insgesamt acht Songs geliefert. Auf der einen Seite gefällt hierbei neben den wirklich wunderbar melancholischen Gitarren mit rauer Emo-Punk-Note auch die zuweilen dichte Aufschichtung mit Shoegazer und Delay-Gitarren, was vom Feeling her ganz nah an diesem Herzschmerz-Emo á la ganz frühe Appleseed Cast ran kommt. Gerade beim Titelstück lassen sich diese vielseitigen Songarrangements sehr gut beobachten. Beginnend mit leisen und verspielten Emo-Gitarren und zerbrechlichem bis sehnsüchtigem Gesang, schleicht sich hier diese dichte Atmosphäre ein, bis eine verdammt geile Bassmelodie begleitet von schmetterlingshaften Gitarrenklängen das Tempo rausnimmt und im letzten Abschnitt alles noch ein wenig schneller wird. Grandios! Auch die sehr persönlichen Texte halten mit der melancholischen Stimmung Händchen. Wahnsinn, wieviele gute Bands aus Russland kommen. Neben Eeva, Факел und zahlreichen anderen Bands mit kyrillischen Buchstaben gehören nun Nevasca ebenfalls zu meinen Lieblingen. Bevor ich hier noch weiter in unendliche Schwärmereien falle: kauft euch das Ding, wenn ihr auch nur eine der im Review erwähnten Bands zu euren Favoriten zählen solltet. Herzschmerz-Emo mit aufrichtiger Spielfreude gekreuzt, ich bin begeistert!

10/10

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You Could Be A Cop – „Selftitled“ (time as a color u.a.)

Kennt ihr das? Ihr hört ein paar Takte einer Band und wisst sofort, dass es um euch sowas von geschehen ist? So erging es mir, als mir Daniel von time as a color einen Download-Link mit Aussicht auf Vinyl von dieser mir noch völlig unbekannten Band aus Trondheim/Norwegen schickte. Und einige Zeit später halte ich auch schon das äußerlich sehr ansprechende 12inch-Exemplar in den Händen, dem ich so sehr entgegenlechzte. Eine richtige Scheibe zum Anschmiegen und Abschmusen: schwarzer Siebdruck auf dickem braunem Pack-Karton, der mit  Schreibmaschine geschriebene Bandschriftzug fällt in seiner unaufdringlichen Größe kaum auf, die Songtitel auf dem Backcover und die am Release beteiligten Labels (time as a color, strictly no capital letters, adiago 830, Worried Songs, Lilla Himmel, How Is Annie Records, Friends Of Mine Records, Siste Sukk, Middle-Man Records, Beth Shalom Records) sind ebenfalls auf Schreibmaschine geschrieben und wirken wie einst schlecht kopierte Flyers aus den Neunzigern, auf denen man Bands, Uhrzeit und Datum nur mit viel Phantasie erkennen konnte. Aus dem Inneren purzelt ein schön besiebdruckter dicker Falt-Karton heraus, auf dem ich eigentlich die Texte vermutete. Aber Fehlanzeige. Das einzige, das ich an diesem Release wirklich vermisse, ist ein Textblatt.

Aber sobald die Nadel aufsetzt und die Musik ertönt, ist dieses Manko schnell vergessen, auch weil man die klare Stimme von Sängerin Natalie Evans so gut verstehen kann, so dass das fehlende Textblatt nicht so sehr ins Gewicht fällt. Bei der Internet-Recherche über den Background von You Could Be A Cop erfährt man übrigens, dass die Band von den zwei norwegischen Brüdern Morten und Marius gestartet wurde. Morten hatte wohl zuvor in ein paar Indie-Punk- und Emobands Schlagzeug gespielt und sich auch ein wenig als Produzent ausgetobt, während Marius das Gitarrespielen über das Internet erlernen wollte und daran aber kläglich scheiterte, gerade auch weil das künstlerische Dasein immer wieder durch sein kleines Kind gestört wurde. Ich kenn das, darum hab ich ja irgendwann das Schreiben angefangen. Meine Kinder kamen -sobald sie mich schrammeln hörten- immer in mein kleines Probezimmerchen und griffen mir mit voller Wucht in die Saiten, so machte das irgendwann keinen Spaß mehr. Und wie man sieht bzw. hört: wenn man sich den Scheiß irgendwie selbst in ein paar schlaflosen Nächten erarbeitet und Melodien finden muss, bevor wieder irgendein Balg die künstlerische Kreativität stört, klingt das ganze viel lebendiger. Nachdem also vier Songs aufgenommen wurden, fehlte zur Vollkommenheit noch der Gesang. Und gerade dieser macht diese vier Songs so unglaublich intensiv. Morton lernte nämlich zufällig Sängerin Natalie Evans kennen, die kurzerhand in ihrem Londoner Schlafzimmer die Lyrics einsang. DIY und Homerecording waren mir schon immer sympathisch.

Oh ja, und das hat sie richtig gut hingekriegt. Schön piepsig, manchmal etwas kindlich verspielt, aber keineswegs nervig. Da denkt man vom Vibe her an Bands wie z.B. Hidalgo, Reno Kid, The Cherryville, 125 Rue Montmartre oder Elektrolochmann. Keine Frage, da sind Leute am musizieren, die mit dem Mid-90’s Emo von Bands wie Mineral, The Anniversary, SDRE oder Boys Life aufgewachsen sind. Absolute Herzplatte!

9/10

Facebook / Stream / time as a color


 

Bandsalat: Anoraque, Bicycle Sunday, Giants, I Heart Sharks, Masha Qrella, Pity Sex, Resolutions, Terrible Love

Anoraque – „Disturbing Grace“ (Radicalis Music Management) [Stream]
Hey, jetzt hatten wir neulich schon die Kölner Band Anorak auf dem Schirm, jetzt folgt mit Anoraque eine weitere Band, die ein Loblied auf die modische und wetterfeste Kapuzen-Jacke abgibt, die mir persönlich auch so sehr ans Herz gewachsen ist. Nun, Anoraque kommen aus dem schönen Basel in der Schweiz und machen eine ziemlich geile Mischung aus zappeligem Post-Punk, Emo, Noise, Shoegaze, Math-Rock und etwas Indie. Die Sängerin hat ’ne ähnliche Stimme wie die Sängerin der Cardigans, dann klingt sie wieder nach Miki Berenyi von Lush oder aber auch nach Betty Mugler von Hidalgo, allerdings kann Sängerin Lorraine neben ihrem Gitarrespiel auch schon mal ins Mikro rotzen, obwohl sie gerade noch verführerische Hauchtöne von sich gegeben hat. Wenn wir schon bei Vergleichen sind, fallen mir auch noch Monochrome und I Might Be Wrong ein. Mir gefallen die verschwurbelten Gitarren und die vertrackten Rhythmen, dazu gesellt sich noch ein eigensinniger Bass und frickelige Störgeräusche, an manchen Stellen kommen sogar Rage Against The Machine in den Sinn. Was für ein Erlebnis! Die Gitarren reichen von verdammt verspielt bis hin zu verdammt eingängig, das findet man aber erst nach einigen Durchläufen heraus. Schade, dass es dieses Release bisher nur auf CD gibt, wie gut würden diese sechs Songs wohl auf Vinyl klingen? Unfassbar gut, denke ich!


Bicycle Sunday – „Pale Marble Movie“ (DIY) [Name Your Price Download]
Am zweiten Album dieser Band aus Michigan dürften alle Gefallen finden, die gerne Midwest-Emo-Bands wie z.B. Mineral, The Gloria Record oder Appleseed Cast hören. Die Jungs selbst nennen neben Mineral auch noch als Einflüsse Death Cab For Cutie und Pedro The Lion, was eigentlich auch gut passt. Die Gitarren klimpern glasklar, dazu kommt der verträumt melancholische, fast weinerliche Gesang, der schon ein wenig von der Tonlage und den langgezogenen Wörtern an Chris Simpson von Mineral erinnert. Mir gefällt’s, eine schöne Platte für einen verregneten Sonntag Nachmittag.


Giants – „Break The Cycle“ (Holy Roar Records/Alive) [Stream]
Nach einigen EP’s und zahlreichen Europa-Tourneen mit ständig wachsender Fanschar steht nun das Debutalbum Break The Cycle an, das mit insgesamt 13 Songs in knapp 40 Minuten sehr lang ausgefallen ist, aber ziemlich frisch und rasant aus den Lautsprechern bröckelt, so dass keine Langeweile aufkommt. Geboten wird eine Mischung aus Modern Hardcore und schnell gespieltem Skatepunk mit melodischen Gitarren und schönen Background-Chören, neben der HC-Schiene gefallen v.a. die rotzigen Punkeinflüsse, von der Produktion her klingt das auch schön fett, die Gitarren rasseln jedenfalls messerscharf. Das klingt dann im Grunde genommen wie eine Kreuzung aus Bands wie More Than Life oder Landscapes auf der einen und Strike Anywhere, Intensity oder mittlere AFI auf der anderen Seite. Hört man am Besten beim Skaten.


I Heart Sharks – „Hey Kid 7inch“ (AdP Records/Alive) [Song-Stream]
Ein kleines Indie-Ohrwurmscheibchen mit zwei Songs drauf gibt’s von den Indie-Dance-Poppern I Heart Sharks zu hören. Nach dem vielseits gelobten Debutalbum Summer und mit dem eher glattpolierten zweiten Majorlabel-Album Anthems erscheint diese EP wieder bei AdP-Records. Back To The Roots sozusagen. Die zwei auf der 7inch enthaltenen Songs gehen soundtechnisch schon wieder in die Richtung der Songs auf Summer, jedenfalls klingen sie sehr frisch und bohren sich mit schön tanzbaren Beats tief in Deine Gehörgänge. Erinnert ein wenig an eine Mischung aus Enemy Of The Sun, Phoenix und den Klaxons. Dem Scheibchen liegt auch noch ein Downloadcode bei, mit dem man weitere zwei Songs bekommt, hier findet sich dann ein Remix vom Titelstück, der etwas mehr wumms hat, zudem ist mit Back Home ein weiterer starker Song vertreten. Schade, dass der nicht noch auf die 7inch gepackt wurde.


Masha Qrella – „Keys“ (Morr Music) [Stream]
Von meiner Vorliebe für Bands wie Contriva oder Mina – bei welchen Masha Qrella ebenfalls mitwirkte – hab ich schon öfters berichtet, nun ist also mit Keys ein neues Album draußen, das ich mir wohl auch demnächst noch auf Vinyl besorgen muss. Die elf Songs sind alle schön ruhig und melancholisch gehalten und eignen sich daher besonders, um nach einer wilden HC/Punk-Show ein wenig runterzukommen, während man fast taub durch die Nacht fährt. Der verträumte Sound wirkt aber auch sehr gut über Kopfhörer, um entspannt auf dem Sofa liegend den genialen Soundideen der Berliner Soundtüftlerin zu lauschen. Schön Lo-Fi und mit tollen Basslines versehen fließen auch immer wieder elektronische Klänge und Pianogeklimper in den Sound ein, dazu passt die sanfte Stimme von Masha Qrella natürlich hervorragend. Super Album, heraus stechen Ohrwürmer wie Pale Days oder Bogota, die ich hiermit als Anspieltipps empfehle.


Pity Sex – „White Hot Moon“ (Run For Cover Records/ADA) [Stream]
Feast of Love war so eine Platte, die mir direkt beim ersten Mal Hören gefallen hat und die seit Erscheinen immer wieder den Weg zu meinem Gehör fand. Bei White Hot Moon dauerte es ein paar Durchläufe, bis es zündete, obwohl das Grundgerüst der Songs ähnlich wie auf Feast Of Love gestrickt ist. Zwischen gefühlvoll gespielten und teils runtergestimmten grungigen Gitarren schieben sich melancholische Gesangsparts, das Wechselspiel zwischen der sanften Stimme von Sängerin Britty Drake und der tiefen Stimmlage von Sänger Sean St. Charles schafft hier einen hohen Wiedererkennungswert. Auch cool kommen die fuzzigen Power-Pop-Melodien, die locker aus dem Ärmel gespielt klingen. Die 12 Songs des Quartetts aus Michigan verstehen es nach wie vor, die besten Elemente aus Indierock, Shoegaze, Grunge und Gitarrenrock zu vereinen und drücken dem ganzen diesen lässigen Lo-Fi-Charakter auf, den man von Bands wie Sonic Youth, frühen Stars oder If They Ask, Tell Them We’re Dead her zu schätzen gelernt hat.


Resolutions – „Weightless“ (Fond Of Life Records) [Stream]
Dass der mit melancholischer Note versehene und schön melodische Punkrock auf zahlreiche offene Ohren stößt, das kann man bereits daran erkennen, dass das in Eigenregie produzierte Video zum Song Flat Landscapes über 1000 Views in einer Woche verbuchen konnte, was vermutlich auch daran liegt, dass die Band seit ihrer Gründung im Jahr 2013 fleißig durch die Gegend tourte und sich eine große Fangemeinde erspielte. Neben einer Demo 7inch und zwei weiteren 7inches folgt nun also das erste Album der Hannoveraner. Mit 11 Songs in 24 Minuten ist das eine ziemlich kurze und aber auch kurzweilige Sache, zudem kann man sich an den tollen Gitarrenmelodien und am melancholisch angehauchten Gesang kaum satt hören. Neben dem schmissig aus dem Ärmel geschüttelten Punkrocksound gefallen auch die durchdachten Texte mit persönlicher Note und tiefgründigem Unterton. Hier stimmt einfach das Gesamtbild, der Frühling kann kommen. Im Presseinfo werden als Vergleiche Bands wie Hüsker Dü, Iron Chick und Leatherface genannt, ich füge noch Samiam, The Gaslight Anthem, Down By Law und Against Me hinzu. Dooferweise hab ich ’nen Auftritt der Jungs bei uns um die Ecke verpasst, weil es mir am Tag nach diesem Event hier etwas blümerant zumute war. Shit.


Terrible Love – „Change Nothing“ (Through Love Rec./Big Scary Monsters) [Name Your Price Download]
Aus der Asche der Bands Goodtime Boys und Bastions And Grappler ist diese Londoner Band enstanden, die euch auf ihrer Debut-EP fünf spannungsgeladene sowie emotionale Songs vor den Latz knallt. Ein Feuerwerk, das knapp 16 Minuten dauert und euch auf eine spannende Reise mitnimmt, die neben Post-Hardcore und Screamo-Elementen auch melodische Gitarrenparts bieten kann und im Modern Hardcore verwurzelt ist. Es kommen aber auch noch Post-Punk-Verweise zum Zug und wenn die dichten Gitarrenwände zurückgefahren werden und es etwas midtempo-lastiger oder auch mal leiser wird, dann gibt es beim anschließenden energiegeladenen Ausbruch kein Halten mehr. Auch geil fahren die schmerzerfüllten herausgeschrienen Vocals rein, die bei den leiseren Parts fast schon Spoken Words-Charakter besitzen. Dazu passen auch die teils persönlichen aber auch gesellschaftskritischen Lyrics, die zwischen Schmerz und Frustration pendeln. Insgesamt also eine schön abwechslungsreiche EP, der man anmerkt, dass hier Leute mit einer Menge Spielfreude am Start sind. Hört doch mal rein, wenn ihr euch eine Mischung aus Bands wie Svalbard, Heart On My Sleeve und More Than Life vorstellen könnt. Saustarke EP!


 

Bandsalat: Free, Ghost Of A Dead Hummingbird, The Giving, Hände, Lost Cities, Molde, Pocket, What’s Left Of The Sun

Free – „Demo 2015“ (DIY) [Name Your Price Download]
Auf was man nicht alles stößt, wenn man aufgrund fehlender Groschen nach kostenloser Hardcore-Mucke im Netz sucht…Wunderte mich noch, warum ’ne Band mit so ’nem sackdoofen Namen und ’ner eher durchschnittlichen Strife/Chain Of Strength-Ripoff-4-Song-Demo bereits so viele Bandcamp-Buddies hat. Bis ich entdeckte, dass bei Free vier Leute von Have Heart mitwirken. Na dann sieht die Sache natürlich schon wieder ganz anders aus, haha…Live besteht sicher die Möglichkeit, die Chose mit ein paar Have Heart-Covern aufzupeppen. Für Have Heart-Fans ist die Sache bestimmt ein willkommenes Fressen, ich find’s allerdings ein wenig lahm, aber warten wir’s mal ab, was da noch folgt.


Ghost Of A Dead Hummingbird – „Sin Forma“ (Butterfly Puke Records) [Name Your Price Download]
Neue Band aus Chicago, die ihren Sound unter der Sparte Dreamo einordnet, was eigentlich ganz gut passt. Während ein Großteil der Songs im Screamo verankert ist, kommen immer wieder extrem geile Wave-Gitarren um die Ecke, da hat irgendwer in der Band ziemlich viel The Cure gehört. Gefällt mir richtig gut, da sich die Band durch diesen kleinen aber einfallsreichen Kniff aus der Masse an Bands, die alle nach La Dispute oder Touché Amore klingen wollen, hervorhebt.


The Giving – „Letters Of An Untold Story“ (Berrymore & Flare Records) [Stream]
Das bonzige Kurörtchen Davos in der Schweiz ist nicht nur für frische Luft, saftige Almen und hohe Berge bekannt, sondern auch für seine jährlich wiederkehrenden Kongresse im Rahmen des Weltwirtschaftsforums. Lustig, dass es da auch eine Szene gibt, die sich andere Werte auf die Fahne geschrieben hat. Und damit sind wir bei der neuen Band The Giving, deren Mitglieder zuvor bereits bei anderen Schweizer HC-Bands gezockt haben, was man anhand der gut durchdachten und spielerisch nicht zu bemängelnden Mucke absolut hören kann. Musikalisch bekommt ihr schön melodischen Hardcore auf die Ohren, mir taugen hier v.a. die Gitarren, auch wenn man bereits bekannte und oft gehörte Wege geht. Die fette Produktion haut auch ordentlich rein, Melodic Hardcore-Fans sollten mal reinhören.


Hände – „Demo“ (DIY) [Name Your Price Download]
Verträumten New Wave mit ein paar post-punkigen Gitarren und dunklen Basslines bekommt man von diesem Trio aus Warschau zu hören. Die Band klingt zwar aufgrund des keyboardlastigen Songwritings nicht so gitarrenorientiert, erinnert mich aber aufgrund der weiblichen Vocals desöfteren an so Kapellen wie Infinite Void oder Arctic Flowers, zudem scheinen The Cure und die Sisters Of Mercy ihre Spuren hinterlassen zu haben. Mir würde es noch besser reinlaufen, wenn weniger Keyboards dabei wären.


Lost Cities – „Still“ (DIY) [Stream]
Kaum ist ’ne Platte draußen, löst man sich auch schon wieder auf. So lautet die garantierte Erfolgsformel, mit der man als Band in den Rock-Olymp aufsteigt, soviel ist sicher. Aber Spaß beiseite, die Band hat sich kurz nach Erscheinen des Albums aufgelöst, da sich der Drummer nach Kalifornien verpisst hat und die Jungs ohne ihren Freund bzw. mit Drummer-Ersatz unter dem Namen Lost Cities sich nicht mehr als Lost Cities fühlten. Das nenn ich mal eine bewundernswerte Freundschaft. Ich bin irgendwie neidisch. Schon komisch, mit welchen Ohren man die Musik einer Band wahrnimmt, wenn man nach einer kleinen Recherche im Netz auf solche Infos stößt. Lost Cities machen grob umschrieben eine Mischung aus Emotional/Melodic Hardcore und Post-Hardcore. Und aufgrund oben beschriebener Geschichte würde ich mal behaupten, dass diese Musik voller Inbrunst und aus tiefstem Herzen kommt.


Molde – „Brom“ (Mikrokleinstgarten) [Stream]
Bei Molde handelt es sich um eine Zwei-Mann-Band aus Berlin, trotzdem wird man beim Hören der neun Songs das Gefühl nicht los, dass hier mindestens drei Leute musizieren würden, aber nein, es sind wirklich nur zwei, ich hab mich anhand eines Videos davon überzeugt. Brom. Nun, in Chemie war ich richtig schlecht, außer dass es sich bei Brom um ein chemisches Element handelt, kann ich euch zu dem Stoff absolut nichts sagen, deshalb bleiben wir lieber beim musikalischen Inhalt des Albums. Hier wird nämlich noisiger Post-Punk mit etwas Indierock gemischt, was eine explosive Wirkung ergibt, da zuckt das Beinchen nervös mit. Meist wird in deutscher Sprache performt. AmRep-Noise trifft auf NoMeansNo und verschwägert sich mit anderen Berliner Indie-Szenegrößen wie z.B. Contriva oder Jersey. Farbsehen ist zudem echt ein kleiner Post-Punk-Hit.


Pocket – „Full Bloom“ (Broken World Media) [Name Your Price Download]
Gitarrenorientierten Midwest-Emo mit leichtem Indie-Touch, etwas College-Rock und vereinzelten Post-Rock-Passagen bekommt ihr auf dem Debut dieses Trios aus Philadelphia geboten. Das Albumartwork finde ich persönlich jetzt nicht so aussagekräftig, aber dafür konzentrieren sich die Jungs darauf, in ihrer Musik alles richtig zu machen. Insgesamt zehn Songs, die auf den ersten Blick sehr nach Retro-90’s Midwest-Emo klingen, beim genaueren Hinhören bemerkt man aber doch recht schnell, dass der Sound klammheimlich mit ein paar moderneren Einflüssen aufgepeppt wurde. Gefällt mir recht gut, zudem gibts das Teil zum Name Your Price Download.


What’s Left Of The Sun – „The Flickering of Day and Night“ (DIY) [Name Your Price Download]
Na klar, mal wieder Schweden, dachte ich mir bei den ersten Klängen dieser fünf Songs starken EP. Das Quintett kommt aus Göteborg und spielt melodischen und emotionalen Post-Hardcore mit kreischend herausgebrüllten Vocals…und natürlich gibt es auch Parts mit melodisch gebrüllter Stimme und gesungenen Passagen. Keine Ahnung, ob den Jungs eine Band wie By A Thread etwas sagt, von La Dispute werden sie aber sicherlich schon mal was mitbekommen haben. Es gab neben etlichen ähnlich klingenden anderen schwedischen Bands auch mal Landsleute namens summerdyingfast, an die ich mich zumindest beim ersten Song erinnert fühle.