lifeisafunnything-Labelbetreiber Marcus scheint in die Underground-Szene Russlands eine ähnlich gute Pipeline zu haben, wie unser Altkanzler zu dortigen oligarchischen Kreisen. Ein Blick zurück auf die Weltgeschichte zeigt, dass das deutsch-russische Verhältnis, speziell auf die Hafenstadt Murmansk bezogen, nicht immer solch freudige Ergebnisse erzielte, wie die Beziehung zwischen Marcus und der Band Nevasca, die eben in Murmansk beheimatet ist. Auch wenn die Völkerverständigung nicht in allen Bereichen des Miteinanders klappt, erfreuen solch kleine Dinge innerhalb einer vernetzten kleinen Gemeinschaft. Am Release wirken neben lifeisafunnything dann auch noch ein paar andere DIY-Labels mit: Dingleberry Records, Friend of Mine Records, Longrail Records, Not So Happy Records, Personal Data Records, Chuchi Records und Dasein Records. Sehr schön!
Nun, die Metropole Murmansk stelle ich mir anhand der im Netz betrachteten Bilder ziemlich grau und trist vor, dennoch erfährt man auf Wikipedia, dass die Stadt zur Fliederblüte ein besonderes Flair haben soll. Vielleicht steckt eine ähnliche Idee hinter dem farbenfrohen Albumartwork. Hier wurde einer eintönigen Plattenbausiedlung etwas Leben eingehaucht, indem das Drumherum einfach mit warmen Farben coloriert wurde. Das verleiht der Szene einen südländischen, melancholischen Charakter. Wenn man dann im liebevoll gestalteten 8-seitigen Textheftchen blättert, entdeckt man zwischen den Texten verschiedene schwarz-weiß Fotos, vermutlich von Murmansk aus der Zeit nach den Weltkrieg-Bombardements, als sich die Stadt wieder im Aufbau befand und die Plattenbauten aus dem Boden wuchsen. Hier ist u.a. auch die Originalaufnahme des colorierten Fotos auf dem Frontcover zu sehen. Ach ja, natürlich gibt’s einen Download-Code.
Packt man das schöne Stück Vinyl aus, dann setzt ein breites Grinsen ein. Die Platte gibt’s in zwei Ausführungen, einmal mit gelbem Vinyl und in meinem Fall in einem schön schimmernden Blau das fast in schwarzes Lila übergeht und richtig frisch strahlt, wenn man es vor eine Lichtquelle hält. Die farbig im Stil des Covers bedruckten Labels kommen dazu schön kontrastvoll zur Geltung. Optisch ein richtiger Genuss! Ja, und dann setzt die Nadel auf und man gerät ab der ersten Sekunde in einen regelrechten Midwest-Emo-Rausch, dem man bis zum letzten Ton restlos ausgesetzt ist. Die melodisch-melancholischen Gitarren holen mich direkt beim ersten Song ab und spätestens wenn das Schlagzeug und der herzzerreißende Gesang einsetzt, weiß ich, dass dieses Album mal wieder so richtig meinen Geschmack trifft. Stell Dir vor, Du ziehst eine alte Lieblingsscheibe aus dem Plattenregal, die Du schon lange nicht mehr gehört hast. Das Ding hat schon ein wenig Staub angesetzt (kleine Anspielung auf den Albumtitel), aber sobald Du es aufgelegt hast, kannst Du wieder die Energie und die Wärme und die Erinnerungen spüren, die mit dieser Platte verbunden sind. Und genau diese Art Gefühle machen sich bereits bei den ersten Durchläufen von Collecting Dust bemerkbar. Ich habe da v.a. die Intensität und den nostalgischen Hauch von 90’s-Emo-Bands wie Sunny Day Real Estate, Mineral, Christie Front Drive, Gloria Record, Camber oder Joshua im Ohr, aber auch neuere Sachen wie Basement dürften den Jungs keine Unbekannten sein. Warum sind mir Nevasca bisher durch die Lappen gegangen? Das Quartett existiert immerhin seit 2013. Da werde ich nicht umhin kommen, mir auch die bisherigen Veröffentlichungen bei der nächsten Gelegenheit zu Gemüte zu führen.
Jedenfalls bekommt man auf diesem Release insgesamt acht Songs geliefert. Auf der einen Seite gefällt hierbei neben den wirklich wunderbar melancholischen Gitarren mit rauer Emo-Punk-Note auch die zuweilen dichte Aufschichtung mit Shoegazer und Delay-Gitarren, was vom Feeling her ganz nah an diesem Herzschmerz-Emo á la ganz frühe Appleseed Cast ran kommt. Gerade beim Titelstück lassen sich diese vielseitigen Songarrangements sehr gut beobachten. Beginnend mit leisen und verspielten Emo-Gitarren und zerbrechlichem bis sehnsüchtigem Gesang, schleicht sich hier diese dichte Atmosphäre ein, bis eine verdammt geile Bassmelodie begleitet von schmetterlingshaften Gitarrenklängen das Tempo rausnimmt und im letzten Abschnitt alles noch ein wenig schneller wird. Grandios! Auch die sehr persönlichen Texte halten mit der melancholischen Stimmung Händchen. Wahnsinn, wieviele gute Bands aus Russland kommen. Neben Eeva, Факел und zahlreichen anderen Bands mit kyrillischen Buchstaben gehören nun Nevasca ebenfalls zu meinen Lieblingen. Bevor ich hier noch weiter in unendliche Schwärmereien falle: kauft euch das Ding, wenn ihr auch nur eine der im Review erwähnten Bands zu euren Favoriten zählen solltet. Herzschmerz-Emo mit aufrichtiger Spielfreude gekreuzt, ich bin begeistert!
10/10
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