Liotta Seoul – „Worse“ (Krod Records)

Es macht echt Laune, wenn man nach ’nem miesen Tag heim kommt und ein Plattenpaket vor der Tür auf einen wartet. Klar, damit war zu rechnen, da ich ein paar Tage zuvor völlig geschockt ’ne Anfragemail von vor etlichen Monaten checkte und vom Inhalt sofort Blut geleckt hatte. Konnte kaum glauben, dass aufgrund meiner verzögerten Antwort wirklich noch physische Bemusterungsexemplare vorhanden waren und ich direkt sogar die 12inch-Version dieses mittlerweile dritten Albums der Band Liotta Seoul aus Koblenz zugeschickt bekam. Wahnsinn! Und dann auch noch so ein optisch schöner Hingucker! Luftsprung! Das Albumartwork kommt im Comic/Graphic Novel-Stil daher, ein schön gestaltetes Textblatt ist ebenso mit von der Partie und das rosafarbene Vinyl mit Marmorstruktur erhellt sofort meine eingangs beschriebene düstere Laune. Und natürlich zaubert mir der Sound der Koblenzer ab dem ersten Ton ein unvorteilhaftes und entrücktes Grinsen ins Gesicht! Yeah!

Ja, so muss das sein! Zuckersweete Melodien treffen auf catchy Parts und dabei darf die Melancholie und auch der Humor nicht zu kurz kommen! Hier dürften sich alle zuhause fühlen, die in den Neunzigern mit abgerissenen Klamotten und wilden Zottelhaaren unterwegs waren und ein wenig später die schweren bordeauxfarbenen Stahlkappen-Docs und den zu mainstream gewordenen Grunge gegen abgelatschte Sneakers, myspace und hymnenhaften Emo-Rock auswechselten. So in etwa klingen Liotta Seoul dann auch, sie kombinieren Grunge und Emo-Rock, addieren noch ’ne gewisse Slacker-Attitude und schielen darüber hinaus auch immer mal wieder noch in Richtung Pop, Indie-Rock und sogar Nu-Metal.

Während der musikalischen Reise durch das acht Songs starke Album kommen Bands wie Nirvana, Thursday, 30 Seconds To Mars, Weezer, frühe Foo Fighters, Smashing Pumpkins in ihrer Hochphase oder MightyMacFluff (harr harr) in den Sinn. Abwechslungsreich und absolut ausgetüftelt hört sich das im Gesamten an, die Songs funktionieren zusammen sehr gut! Und dabei handelt es sich bei dem Album um insgesamt acht Singles, die die Band in den letzten sechs Monaten vor dem Release des Albums veröffentlicht hat. Und bereits beim zweiten Durchlauf merkt man, dass diese acht Songs richtige Ohrwürmer sind. Darüber hinaus klingt der Sound fett und klar, da kann man auch mal über einen Vocoder-Effekt hinwegsehen. Für mich persönlich – wie eingangs erwähnt – ist Worse eine absolute gute-Laune-Platte!

9/10

Facebook / Bandcamp / KROD Records


Bandsalat: Ernte 77, Franz Fuexe, Freedumb, Hot Mass, Pembe, Team Tyson

Ernte 77 – „Das rote Album“ (Rookie Records) [Stream]
Deutschpunk ist ja jetzt mittlerweile nicht mehr so mein Thema, aber das vierte Album der Kölner Band Ernte 77 macht mir ganz schön viel Freude. Das liegt am melodischen Vibe, der sich durch die vierzehn Songs zieht und sehr an die 90’s-Cali-Punk-Zeit erinnert, dazu wissen die humorvollen und auch sozialkritischen Lyrics zu gefallen. Gerade der Humor scheint ein ständiger Begleiter des Trios zu sein, wie man bereits am Albumtitel und Artwork sehen kann, vorausgesetzt man hat keine rot-grün-Schwäche! Aber Vorsicht, das Label Fun-Punk ist hier unangebracht, dazu sind die Texte viel zu intelligent. Übrigens kann man diese im liebevoll gestalteten DIY-Textheftchen nachlesen, da stöbert es sich doch gerne! Dazu schleichen sich immer wieder nette Zitate aus der popkulturellen Geschichte zwischen die Zeilen. Musikalisch ist die Abwechslung zu begrüßen, denn auch wenn die Hooklines so catchy in die Hörgänge kriechen, freut man sich an den Referenzen zum Indie-Rock, Garage-Punk, NDW, Elektro und Alternative. Ich find’s irgendwie geil!


Franz Fuexe – „Selftitled“ (Honigdachs) [Stream]
Ach Du Scheiße, wir müssen reden! Und zwar über die Band Franz Fuexe, die mir aufgrund einer Besprechungsanfrage direkt ins Auge/Ohr gestochen ist! Wahnsinn, warum gibt’s Algorhythmen, wenn mir das hier nicht schon zuvor automatisch vorgeschlagen wurde? Franz Fuexe kommen irgendwie aus Österreich, genauer gesagt aus Wien. Wer jetzt Cafe-Haus-Chill-Out erwartet und völlig ausgehungert von ’ner Melange träumt, kann direkt kacken gehen (groß und richtig heftig). Und bitte richtig derb und ohne danach das Fenster zu öffnen! Denn die Band orientiert sich an Hardcoreknüppelsounds aus den frühen Achtzigern bis hin in die Neunziger, scheut aber auch den Kontakt zur modernen Zeit und ihren vielfältigen Möglichkeiten nicht. Habt ihr’s in der Nase, diesen Geruch von altem und verschimmeltem Proberaumteppich? Ich schon! Und dann ist da noch Dank der mundartlichen Lyrics dieser spezielle Özi-Humor, den ich so sehr liebe! Kottan ermittelt, der Aufschneider, Der Knochenmann, Ein Haus am Wörthersee, (fast) alles so gut [finde den Fehler]! Aber wieder zur Mucke! Kennt ihr noch Discharge, die Dead Kennedys oder Anthrax? Stellt euch die mal mit österreichischen Mundarttexten vor, Wiener Schmäh inklusive! Geil, oder? Aber hallo! Müsst ihr euch echt mal reinwürgen!


Freedumb – „Social Hangover“ (Fucking North Pole Records) [Stream]
Die norwegische Hardcore-Punk-Band Freedumb treibt auch schon seit 2003 ihr Unwesen, nach diversen Line-Up-Wechseln und dem Tod des Drummers im Aufnahmeprozess zum Album Post-Modern Dark Age war erstmal eine Auszeit angesagt. Noch vor Ausbruch der Covid-Pandemie suchte die Band einen neuen Drummer und nahm den Aufnahmeprozess wieder auf, so dass das Album Post-Modern Dark Age erscheinen konnte. Mit Social Hangover ist jetzt das vierte Album erschienen. Zu hören sind zehn oldschoolig angehauchte Hardcore-Punk-Granaten, die neben melodiösem Punkrock auch eine emotionale Kante aufweisen.


Hot Mass – „Happy, Smiling And Living The Dream“ (This Charming Man u.a.) [Stream]
Der Band aus Swansea/UK ist mit ihrem zweiten Album ein richtig fluffiges Ding gelungen. Schön gitarrenlastig ist der erste Eindruck, die Mischung aus Emo, Grunge, Indie und Punk erinnert mich das ein und andere Mal an die großartigen Brand New Unit, neuere Bands wie The Copyrights oder Iron Chick kommen auch in den Sinn. Ich mag die melodische Art und die stimmigen Songarrangements, die melancholischen Untertöne sind ebenfalls klasse. Ein richtig gutes Album, zwölf Songs für die Ewigkeit!


Pembe – „Hepimizin Evi“ (Dingleberry Records u.a.) [Stream]
In der DIY-Hardcore/Screamo-Szene der Türkei gibt es auch immer wieder cooles Zeug zu entdecken, aktuell hat die bereits in einer älteren Bandsalat-Runde vorgestellte Istanbuler Band Pembe ihr zweites Album am Start. Und bereits an der Mitwirkung der zahlreichen Labels merkt man, dass das hier eine Herzensangelegenheit ist. Die Labels Dingleberry Records, Kolo Records, Nasty Cut Records, Mevzu Records, Entes Anomicos, New Knee Records, Khya Records, Salto Mortale Music, Seitan’s Hell Bike Punks, Fresh Outbreak Records, Abraxas Distro, Friendly Otter DIY, Nothing to Harvest Records und Callous Records sind am Release beteiligt. Musikalisch präsentiert das Quartett ein Gefühlschaos aus 90’s Emocore und impulsivem Screamo, die Lyrics werden in türkischer Sprache und äußerst leidend präsentiert. Cool auch, dass neben den gängigen Instrumenten auch vereinzelt Streicher zu hören sind. Zum Reinfinden würd ich mal den Song Gözlerim Kısık vorschlagen!


Team Tyson – „Soll das jetzt alles sein?“ (Rookie Records) [Stream]
Auf dem vierten Album der Berliner Band Team Tyson gibt es schön schrammeligen und nach vorne gehenden Deutschpunk zu hören, der auf der Gitarrenseite von älterem US-Hardcore á la Circle Jerks oder Off! inspiriert ist. Das tritt dann ordentlich Arsch, so dass die Jungs ihre dreizehn Songs in zwanzig Minuten runterrasseln und dabei auch noch Zeit für die ein oder andere melodische Hook bleibt. Läuft mir gut rein, zumal die Spielfreude nicht zu überhören ist und auch die sozialkritischen Texte alles andere als platt sind. Und wenn man dann denkt, schneller kann’s nicht werden, zaubern die Jungs ganz zum Schluss noch ’nen kurzen D-Beat-Hammer aus dem Ärmel! Sorgt live sicher für schwitzige Pogo-Attacken!


Flittern – „Album 2022“ (Unter Schafen Records u.a.)

Wenn alle um Dich herum irgendeinen seelischen Knacks und Kummer haben und sich deshalb in ihrer persönlichen Krise in Therapie begeben, dann wird es Zeit, etwas gegen die eigene Verzweiflung zu unternehmen. Was wäre besser, als sich mit Musik passiv zu berieseln lassen? Ja, genau: selbst eine Band auf die Beine stellen, kreativ werden, sich den Kummer von der Seele schreiben. Genau das hat die während der Pandemie in Köln gegründete Band Flittern unternommen. Und das Resultat klingt äußerst angenehm und ausgereift, was natürlich Fragen zur Vorgeschichte der Bandmitglieder aufwirft. Und siehe da, hier sind Leute am Werk, deren bisherige Bands natürlich auch bereits reichlich Beachtung bekamen. Das Trio setzt sich aus Seb (Gesang, Gitarre, Synthie) und Ernie (Bass, Gesang) -beide ehemals Hey Ruin – und Jan (Schlagzeug, Percussion) von KMPFSPRT zusammen. Das erklärt die Stimmigkeit dieses vielseitigen Debutalbums, das mit elf Songs und etlichen popkulturellen Zitaten keinerlei Ausfälle zu verbuchen hat.

Okay, beim Anblick des Fotos des Acrylgemäldes mit den aufgeschürften Knien schaudert man schon etwas, fühlt kurz den Schmerz vom Sturz mit dem Skateboard und der unfreiwilligen Knie-Bremse auf dem Asphalt. Dieses ungute Bauchgefühl kann aber erstmal schnell verdrängt werden, denn aus dem Inneren kommt eine mit den Texten bedruckte Innenhülle zum Vorschein, aus dieser leuchtet auch schon die durchsichtige und grellgelbe Vinylscheibe heraus. Und beim Aufsetzen der Nadel wird man direkt mit melodischem Emopunk umgarnt, so dass es problemlos gelingt, in dieses Werk mit Haut und Haaren einzudringen. Im Verlauf des Albums merkt man, wie abwechslungsreich und stimmig das Ding aufgebaut ist. Da sind diese melancholischen Gitarren, das mal treibende und groovende Zusammenspiel von Bass und Gitarre und diese zuckersweeten Synthies, die mich desöfteren an Bands wie die Get Up Kids oder The Anniversary denken lassen. Hört mal die beiden Songs Willst Du mit mir aussterben gehen und Alman Angst, das sind doch richtige Emo-Hymnen, die sich sofort im Ohr einnisten! Ach ja, und einfühlsamen und verletzlich klingenden Gesang gibt’s ja auch noch! Und Hits am laufenden Band! Aufgrund der deutschen Texte könnte man auch Bands wie Captain Planet und Love A als Referenz-Bands anbringen, was v.a. in Bezug auf die lyrische Qualität passt.

Denn nicht nur musikalisch ist ein Feuerwerk an 90’s Emo, Pop-Punk, Indie, Grunge und Post-Punk geboten. Auch mit den intelligenten Lyrics ist den Jungs genau die richtige Mischung aus Witz, Satire, Gefühl und jeder Menge Tiefgang gelungen, meilenweit entfernt von jeglichen Klischees. Hier ist oftmals auch 90er-Nostalgie und die Punk-Sozialisation in der deutschen Provinz zu spüren, womit ich ja selbst schon mitten drin im Thema stecke und mich mit solchen Gedankengängen absolut identifizieren kann. Hier bekommt ihr ein richtig gelungenes und authentisches Debutalbum zu hören, das voller Spielfreude, Herzblut und Kreativität steckt. Ich feier das Ding ab!

8/10

Facebook / Stream / Unter Schafen Records


Bandsalat: Counterparts, Frank From Blue Velvet, Rong Kong Koma, Spite House, Stray From The Path, Thinner

Counterparts – „A Eulogy For Those Still Here“ (Pure Noise Records) [Stream]
Kleiner Spoiler vorweg: die Kanadier bleiben ihrem Sound auch auf ihrem mittlerweile siebten Studioalbum absolut treu, bieten also genau das Futter, das Fans der Band so zu lieben gelernt haben. Produktionstechnisch und vom satten Sound her könnte man gerade meinen, dass diese Songs zusammen mit dem Material der Nothing Left To Love aufgenommen wurde. Die Einflüsse der Band sind auch hier wieder deutlich zu hören: mich erinnert das von der Stimmung her an Zeugs wie frühe Stretch Arm Strong, Strongarm, More Than Life, Saving Throw und Boy Sets Fire zur After The Eulogy-Phase. Nun denn, ein instrumentales Intro und zehn Songs in etwas über einer halben Stunde Spielzeit bringen das Melodic Hardcore-Herz zum Glühen, es ist eine wahre Freude, gerade auch weil in jedem Ton leidenschaftliche Spielfreude und Herzblut steckt! Das düstere und an den Albumtitel angepasste Artwork hat apokalyptische Schwingungen. Im Digipack findet sich übrigens ein Textblatt, was bei den hohen Druck- und Papierpreisen heutzutage viel zu selten vorkommt, vielen Dank dafür. Denn dass die Texte bei Counterparts von großer Bedeutung sind, müsste mittlerweile bekannt sein. Die dramatischen, schonungslos ehrlichen und emotionsgeladenen Lyrics erzeugen wie so oft ein mulmiges Gefühl, Abschied, schwindende Freundschaften, tiefe Abgründe und Trauer sind die Themen, immer ganz nah am Ende! Und dazu kommt die wie ein Feuerwerk explodierende Musik der Jungs. Schön wuchtig und brachial kommt das intensive Gebräu aus Melodic Hardcore und Post-Hardcore daher, dort ein Breakdown, hier ein Moshpart, hymnische Passagen, unterschwellige Melodien und sauber abgestimmte Songarrangements sorgen hier für dieses kurzweilige Vergnügen, das ruhig auch mal in Heavy Rotation abgespielt werden kann, ohne zu langweilen. Spannungsgeladen, abwechslungsreich und intensiv, ein durchaus klasse Album, ich liebe es jedenfalls!


Frank From Blue Velvet – „Selftitled“ (Property Of The Lost) [Stream]
Mit Country und Americana hab ich persönlich außer mit einigen Johnny Cash-Alben keine Berührungspunkte, daher war ich über den Erhalt des Digipacks der mir gänzlich unbekannten Band Frank From Blue Velvet zuerst skeptisch. Zu Unrecht, wie sich sogar bereits bei der ersten Hörrunde herausgestellt hat. Denn die Band aus Hastings/UK bringt in ihrem Sound auch noch andere Elemente mit ein (Blues, Punk, Rockabilly, Roots-Rock, Gospel und düstere Lounge-Bar-Sounds z.B.) und schafft so einen schön eigenständigen und alles andere als angestaubten Sound. Besonders gefallen mir die weiblichen Chorbegleitungen, die glasklaren Gitarren und der verspielte und eigensinnige Bass. Hört doch mal das ruhigere Each Night an, bezaubernd! Außerdem ist das Artwork des Digipacks und des „Textheftchens“ im Tarotkartenstil äußerst gelungen. Zwar sind die Texte zugunsten des Artworks nicht abgedruckt, aber im groben und ganzen geht es schön düster zur Sache, was bereits anhand der Songtitel (The Apocalypse Nears z.B.) erahnt werden kann. Riskiert also ruhig mal ein Ohr, wenn ihr euch eine düstere Mischung aus neueren Cash-Songs und Edwyn Collins vorstellen könnt, oder euch die Gospelpassagen von Zeal & Ardor sowie das Dead Kennedys-Cover von Faith No More (Let’s Lynch The Landlord) gefallen. Die Dead Kennedys werden übrigens von der Band auch live gecovert (Police Truck).


Rong Kong Koma – „Delfine der Weide“ (Rookie Records) [Stream]
Hach, die scheiß Berliner haben ihr’n Traum gelebt und pfeffern ’n zweites Album raus, während sie mal eben kurz unsere Mütter gefickt haben? Verdammt, ganz schön umtriebig! Und sie kommen dabei ’ne ganze Ecke poppiger rum als auf dem Debut. Steht den Jungs aber ganz schön gut! Die Gitarren schrammeln zwar immer noch eher indie-mäßig, der Bass knödelt auch superschön verballert, allerdings ist alles ein bisschen gediegener geworden. Gefällt aber trotzdem, v.a. weil die Stimme von Sebastian immer noch so tief, authentisch und berührend klingt. Pop-rotzig geht das hier zur Sache, Rio Reiser schwirrt dabei immer im Hinterkopf rum. Und beim vierten Song werde ich das erste Mal überraschend hellhörig! Das ist doch Apokalypse Vega (Acht Eimer Hühnerherzen), die da Gastsängerin ist! Sehr geiles Feature! Und dann kommt ein wenig später ein Hit namens 180 Sachen mit 80 Sachen um die Ecke. Und genau das ist es, was das Album ausmacht! Entschleunigung, Rhythmus und Melancholie, dazu Bass und gechillte Drums, die aber trotzdem ordentlich wumms haben. Und natürlich diese Gitarren, die auch schon bei Sonic Youth und Dinosaur Jr. funktionierten. Ach ja, und die Stimme in Kombination mit den philosophischen Lyrics (leider kein Textblatt bei der Promo-CD), das sind eigentlich die Hauptmerkmale dieser Band! Ganz schön geile Band, Reinhard Mey wäre hingerissen, v.a. beim letzten Song!


Spite House – „Selftitled“ (New Morality Zine) [Stream]
Das New Morality Zine hat mich schon länger am Wickel, da gibt es massig Zeug, das mich total in den Bann zieht! So auch die Anfang des Jahres erschienene 3-Song-Promo der kanadischen Band Spite House (damals angepriesen), die ein paar Monate später vor kurzem ihr Debutalbum am Start hatte. Und das ist verdammt geil geworden, 90’s Emocore und Post-Hardcore gepaart mit modernerem Sound und grungigen Parts, so könnte das ungefähr umschrieben werden. Die zehn Songs sind wahnsinnig mitreißend und intensiv! Ich liebe das Ding, das Album hat das Zeug zum Meilenstein! Hört da bitte rein, falls noch nicht geschehen! Und ja, mehr muss zu diesem Album eigentlich nicht gesagt werden. Rumhüpfen und Wohlfühlen!


Stray From The Path – “ „Euthanasia“ (UNFD) [Stream]
Die Band Stray From The Path lernte ich eigentlich erst durch ihr sagenhaftes Album Internal Atomics kennen, jetzt folgt seit ihrem Bestehen im Jahr 2001 mit Euthanasia ihr mittlerweile elftes Studioalbum. Und das toppt das 2019-er Album nochmals in puncto Wucht und Intensität, das Ding tritt während der Laufzeit von knapp 39 Minuten und zehn Songs ordentlich Arsch, Verschnaufpausen braucht es da nicht! Einzig das etwas grungig angehauchte Bread & Roses hat ein paar ruhigere Töne im Gepäck, zudem ist auch hier ein Gastbeitrag von Jesse Barnett zu hören (Stick To Your Guns). Ziemlich groovend und noch einen Ticken aggressiver als auf dem Vorgänger Internal Atomics kommen die vier Jungs mit ihrem Mischmasch aus metallischem Hardcore und Hip-Hop um die Ecke, dabei helfen wuchtige Gitarrenriffs, fiese Breakdowns, mächtige Moshparts und eine dampfmachende Rhythmusmaschine, die fette Produktion bläst auch ordentlich. Dazu passt natürlich das wutschnaubende Geschrei von Sänger Drew Dijorio, der stimmlich irgendwo zwischen einem extrem wütenden Zach De La Rocha und Jason Butler (Fever 333) liegt. Musikalisch kommen mir Bands wie eben Fever 333 – aber ohne deren melodischen Mitsing-Refrains -, Converge, moshige Boy Sets Fire, RATM oder Downset in den Sinn. Jedenfalls prognostizieren Albumartwork und Albumtitel eine gewisse finstere Stimmung, das Schaubild im Textheftchen und die Lyrics unterstützen dabei die musikalische Wucht von Euthanasia, die sicher auch durch die Frustration in der Pandemie angekurbelt wurde. Diese Pandemie brachte aber auch Möglichkeiten mit sich, so hatten Fans bei Twitch das Vergnügen, beim Entstehungsprozeß der Songs zuzusehen und kreative Tipps zu geben. Werdet härter war sicher ein Tipp. Kotzt euch über die gierige und schmierige Politik aus, das muss man den Jungs sicher nicht empfehlen. Denn Stray From The Path behandeln auch auf diesem Album vorwiegend gesellschaftspolitische Themen und regen dadurch hoffentlich ein bisschen zum Nachdenken an.


Thinner – „You Don’t Want Me“ (Midsummer Records) [Stream]
Festplattenputz zum Jahresende hin gehört ja schon zu meinen weniger geliebten Gepflogenheiten, aber hin und wieder stößt man dabei auf Sachen, die eigentlich schon längst vorgestellt hätten werden müssen. So auch das mittlerweile dritte Album der Berliner Band Thinner, das bereits im Juli erschienen ist. Für neun Songs brauchen die Jungs gerade mal eine Spielzeit von knapp 17 Minuten, ihr wisst also, wie der Hase läuft! Genau, er ist rasant, schlägt Haken, wirbelt ’ne Menge Staub auf und ist kaum einzufangen! Thinner machen ihre Sache wieder mal richtig gut, die knackige Mischung aus oldschoolig und amerikanisch geprägtem Hardcore und rotzigem Hardcore-Punk geht schön nach vorne und zaubert dabei die ein und andere Melodie aus dem Hut und mir damit ein breites Grinsen ins Gesicht. Die Jungs haben ihr Handwerk ja auch schon von jung auf gelernt! Die Einflüsse von Bands wie Dag Nasty, Grey Area, Spermbirds und Minor Threat sind deutlich zu hören! Die fette und saubere Produktion klingt auch geil, Gangvocals und spannungsgeladene Songarrangements runden das Ganze ab. Habt ihr übrigens neulich mitbekommen, dass irgendwo im Norden Chinas ’ne größere Schafherde zwölf Tage lang Circle-Pit-artig im Kreis gelaufen ist? Das ganze Netz rätselte über das Phänomen, es war die Rede von Teufelsbeschwörung und Aliens. Dabei hat wohl niemand daran gedacht, dass irgendjemand Thinners You Don’t Want Me in Dauerschleife gepackt hat und die Viecher dadurch angestachelt wurden. Hier stimmt die Balance aus energiegeladenem Hardcore, Melodie und rotzigem Hardcorepunk! Check, falls nicht eh schon geschehen!


Bandsalat: Buried Lights, Futbolín, Get The Shot, Plein De Vie, Pabst, RXPTRS

Buried Lights – „Modern Ruins“ (DIY) [Stream]
Schön roh und räudig, dabei aber tief emotionsgeladen kommt der Sound der Band Buried Lights aus Detroit/Michigan daher. Neulich bei Bandcamp drauf gestoßen und direkt hängen geblieben. So in etwa könnte ich mir die Promo der Band vorstellen: Der große Bruder ist ein blödes Arschloch und spielt bei einer geilen Punk/Emo-Band, die bei allen schon etabliert und beliebt ist? Scheiß drauf, wir sind viel authentischer! Und damit auch viel geiler! Und das nur mit drei Songs! Ich geb zwar nix auf Promotexte, aber das hier würde mich echt überzeugen!


Futbolín – „Moped Xperience“ (Konglomerat Kollektiv) [Name Your Price Download]
Aufmerksame Menschen kennen die Band aus Italien bereits aus einer früheren Bandsalatrunde. Was die Jungs jetzt mit ihrer dritten EP vom Zaun brechen, ist eigentlich der absolute Wahnsinn! Rumflippen! Durchdrehen! Der absolute Oberhammer! ADHS meets Melancholie & Emo. Was soll man da noch groß schreiben, hört euch das selbst an! Ich jedenfalls feier die Band und auch die Konglomerat Kollektiv-Leutz kräftig ab!


Get The Shot – „Merciless Destruction“ (Useless Pride Records) [Stream]
Die erste EP der kanadischen Band Get The Shot erschien im Jahr 2009 noch in Eigenregie, bis heute sind auf verschiedenen Labels drei Alben gefolgt, Merciless Destruction ist nun Streich Nr.4. Da mir der bisherige Output der Band gänzlich unbekannt war, hab ich mal die verschiedenen Alben kurz angetestet. Anfangs klang die Band noch nicht so metallisch und ging eher in die Youth-Crew-Ecke mit schnellerem angepissten Hardcore-Punk, dann schlichen sich immer mehr Thrash- und Metalcore-Elemente in den Sound. Was jedoch immer vorhanden war und auch ist, ist die pure Energie und die aufschäumende Wut, die man auch dem Sound des aktuellen Albums entnehmen kann. Auf Merciless Destruction gibt’s dann deftigen Walzensound auf die Ohren, massig brachiale Beatdowns, quietschende Gitarren, fette Mosh-Parts, groovende Passagen, Death-Metal-mäßige Shouts und tonnenschwere Riffs sind auch mit von der Partie. Da wird es etliche Bands geben, die den Sound beeinflusst haben, beispielsweise Earth Crisis, Machine Head, Exhorder, Morning Again oder Integrity. Die Metal-Vorliebe ist auch im blutrünstigen Artwork deutlich zu sehen. Jedenfalls sind die Jungs schön abwechslungsreich unterwegs und wagen auch das ein oder andere nicht vorhersehbare Experiment. Gastbeiträge sind dann auch noch dabei, u.a. Matthi von Nasty. Fettes Ding, gnadenlose Zerstörung! Und jetzt schnell die Bude kurz und klein hauen!


Plein De Vie – „Koltuk De​ğ​neklerinden Kanatlar Yapmak“ (I.Corrupt Records) [Name Your Price Downoad]
Es war ein paar Wochen vor 9/11 als ich das erste und bisher einzige Mal in ein Flugzeug einstieg. Der Grund war die Hochzeit meines Bruders, welche in Ankara stattfand. Warum mir das ausgerechnet jetzt in den Sinn kommt? Nun, Ankara ist die Stadt, in der sich die Band Plein De Vie gegründet hat. Und jetzt kommt mein damaliger Eindruck dazu: die Stadt war ziemlich abgefuckt, auf Punk-oder Hardcore-Venues bin ich während meines Aufenthalts und vorheriger Recherche leider nicht gestoßen, beeindruckend blieben unfallrisikoreiche Taxifahrten, teure Minibar-Hotelrechnungen und Flohmärkte mit reichlich Hehlerware. Vielleicht ist das mit der Punkszene heutzutage ja anders, denn Plein De Vie hauen ordentlich auf den Putz und klingen dabei so, als ob sie schon jahrelang der Undergroundszene angehören würden.


Pabst – „Crushed By The Weight Of The World“ (Ketchup Tracks) [Stream]
Die Fotografie, die das Albumcover ziert, strotzt vor Spannung und Energie und bereitet euch schon mal darauf vor, was ihr in den folgenden 36 Minuten und den zwölf Songs zu erwarten habt! Und das ist eine ziemlich energiegeladene Achterbahnfahrt, die Dich schwindelig und nassgeschwitzt mit vom Wind zerzausten Haaren, abgekauten Fingernägeln und klingelnden Ohrgeräuschen am Ende der Bahn wieder ausspuckt. Und obwohl es so rasant zuging und der Adrenalinkick einige Zeit ausreichen würde, stellst Du Dich gleich wieder für eine neue Runde an! Wahnsinn, wie perfekt und satt dieses Album klingt! Bereits der Opener drückt Dich mit dreckigem Sound gegen die Wand, dabei darf es aber keinesfalls an Eingängigkeit fehlen. Auf ihrer ersten Tour hatte ich mal das Vergnügen, die Band live zu erleben. War total beeindruckend, was die drei Typen da für einen Mördersound und ’ne bombastische Show abgeliefert haben! Und ja, diese Live-Energie ist auch in den Songs dieses Albums zu spüren! Natürlich ist der Sound der Jungs tief im Alternative-Universum der Neunziger verankert, dennoch klingt das hier alles andere als angestaubt. Die Gitarren hüpfen, das hier ist frisch und voller Spielfreude, Leidenschaft und Energie! Im Digipack findet sich dann auch noch ein hübsch illustriertes Textheftchen im schwarzweißen und Schere+Klebestift angefertigten Copystyle, das hätte man in dieser Form auch gut in Kultalben der Neunziger finden können. Popkultur scheint der Band also nicht nur musikalisch auf den Leib geschneidert zu sein! Ein rundum gelungenes Album, ich bitte um Beachtung und Hingebung!


RXPTRS – „Living Without Death’s Permission“ (Metal Blade Records) [Stream]
Bei den ersten Klängen dieses Debutalbums der Band RXPTRS aus Bristol/UK wurde ich direkt an einen im Gedächtnis eingebrannten Abend irgendwann kurz nach der Jahrtausendwende gebeamt. Irgendwie ging es auf irgendein Hardcorekonzert. Normalerweise fiel der Kutscherjob zu dieser Zeit entweder auf meine Liebste oder mich, daher waren wir höchst über den Fahrdienst eines Kumpels erfreut und konnten dementsprechend dem Alkohol zusprechen. SLSK sei Dank, lernten wir in dieser Zeit auch irgendwann die Band BXLLY TLNT kennen und rockten zum partybedingten Vorglühen zu den Songs des selbstbetitelten Albums so dermaßen ab, dass ich gar nicht mehr weiß, welches Konzert wir im Anschluss besuchten. Warum nimmt diese eben erzählte Story mehr als ein Drittel des Textes dieses Reviews ein? Keine Ahnung! Aber RXPTRS machen einen genauso mitreißenden Sound, wie wir das damals bei Songs wie Try Honesty oder Living In The Shadows gefühlt haben. Geile, fette Gitarrenriffs paaren sich mit kraftvoll geprügelten und groovenden Drums, tolle Melodien und catchy Refrains sind ebenfalls am Start. Und dann ist da diese Stimme und diese Melancholie, die man im Sound der Band ab dem ersten Ton wahr nimmt. Absolut erfrischend!


Tape-Duo: Feale & Letterbombs + Portrëit

Feale – „Cryaletti“ (Seven Oaks Records) [Stream]
Kennt ihr das Gefühl, wenn der Endless Summer plötzlich und ohne Vorwarnung abrupt endet und das Thermometer von heute auf morgen um ganze 25 Grad weniger anzeigt? Für zwei Wochen herrscht herbstlich-winterliches Wetter und plötzlich lässt sich doch noch mal der Spätsommer blicken! Genauso ein Gefühl schleicht sich bei den Klängen der Cryaletti-EP der Dresdner Band Feale ein. Mir war die Band vor dem Erhalt des bunt aufgemachten Tapes noch nicht bekannt, zuvor erschien eine erste EP. Das Tape ist der 12. Streich des DIY-Labels Seven Oaks Records. Auch das Artwork bringt mit der Orange und dem Coffee-Maker eine gewisse Urlaubs-und Sommerromantik mit. Im Tapecover finden sich alle Texte und ein handschriftlich eingetragener Downloadcode, sympathisch! Und auch ganz praktisch, wenn der Walkman mal wieder den Geist aufgegeben hat. Mit dem Opener Sun Benedetto geht zugleich auch die Sonne auf. Nach einem kleinen, etwas grungig angehauchten Intro geht es auch schon mit verträumten Gitarren und treibenden Drums melodisch nach vorne, die female Vocals gefallen mir dabei ganz besonders. Da ist insgesamt sehr viel Melancholie zu spüren, die textlich noch unterstrichen wird. Die Mischung aus Midwest-Emo und Punk lässt trotz der schmerzlichen Lyrics die Sonne scheinen, das nennt sich dann wohl bittersweet! Insgesamt fünf Songs gibt es zu hören. Neben Bands wie Tigers Jaw oder Turnover dürften auch Bands wie die Misfits oder Algernon Cadwallader große Einflüsse des Quartetts sein. Bin jedenfalls auf weiteres Material der Band sehr gespannt, das Tape solltet ihr unbedingt mal abchecken!


Letterbombs & Portrëit – „Split“ (Dingleberry Records u.a.) [Name Your Price Download]
Auf diesem Co-Release der Labels Dingleberry Records & Zegema Beach Records gibt’s gleich zwei geile Bands zu hören, die euch mit ihrem Sound ruckzuck den Kopf verdrehen, vorausgesetzt ihr mögt es etwas ruppiger Richtung Screamo & Emoviolence. Letterbombs aus Finnland sind mit vier Songs am Start. Die Gitarren drehen frei, manchmal aber auch schön melodisch, der Sänger kreischt intensiv, die Drums klingen ebenso verrückt zwischen Stop’N’Go und Highspeed-Geknüppel, der Bass knarzt wie Hölle. Gescreamt wird teils in englischer und auch in finnischer Sprache. Portrëit aus Giessen wurden ja bereits mit ihrem tollen 2017er-Demo angepriesen, jetzt gibt es endlich neuen Stoff der Band, die sich übrigens aus Leuten der Bands Faltre und Knife Trade zusammensetzt. Aus den vier eigenen Songs und einer Comadre-Coverversion hört man die langjährige Banderfahrung deutlich raus. Geboten wird intensiver emotive Screamo, der immer wieder mit stürmischen Ausbrüchen für Chaos und Gänsehaut sorgt. Diese höllisch geilen Gitarren und das leidende Geschrei in Kombination mit den unvorhersehbaren Richtungswechseln und einem Drummer, der mit Haut und Haaren mit seinem Drumkit verschmilzt, zaubern mir ein fettes Grinsen ins Gesicht. Hier spürt man die Leidenschaft und das Herzblut!


Bandsalat: …And Then I Feel Nothing, Easy Prey, Fenris Fuzz, Hippie Trim, Meißel, Shooting Daggers

…And Then I Feel Nothing – „5 Songs“ (DIY) [Name Your Price Download]
Ein ziemlich geiles Brett irgendwo zwischen düsterem und dissonantem Screamo, Emoviolence, Post-Hardcore, Hardcore, Post-Punk, Metal und Noise liefert das Trio …And Then I Feel Nothing auf seiner aktuellen und fünf Songs starken EP ab! Rotzig, wütend, roh! Und verdammt fett und basslastig gemischt, wieder mal die Tonmeisterei! Da zittern die Wände, wenn man die Anlage voll aufdreht. Und live bringt das sicher die ein oder andere Baseballcap zum vibrieren, eure H&M-Fischerhüte werden euch bereits beim Auftakt sowas von der Rübe geblasen! Geil kommen auch die recht unterschwelligen Melodien, die kaum aus dem ganzen Noisegewitter auszumachen sind! Checkt das mal zum Frühstück aus, da werden die Müsli-Körner wie von selbst im Gebiss zu Brei gemahlen!


Easy Prey – „Unrest“ (Hell Minded Records) [Stream]
Wenn ihr mal wieder ein richtig fettes Post-Hardcore-Brett mit mehr Nähe zum Hardcore und Post-Noise hören wollt, dann empfehle ich euch das zweite Album der texanischen Band Easy Prey. Hier bekommt ihr zehn fette und teils groovy Smasher auf die Ohren, die vor Chaos, Brutalität und purer Emotion und einer wuchtigen Produktion nur so strotzen. Stellt euch ’ne wilde Prügelei zwischen Bands wie The Hope Conspiracy, Starkweather, Bloodlet oder Kiss It Goodbye mit Noise-Krawallmachern wie Unwound, Helmet, Unsane oder weirderen Slint vor, addiert noch ’ne Portion glaubwürdige Trueness und pure Leidenschaft, dann kommt das so ungefähr hin. Instensiv, dicht, wahnsinnig emotional, authentisch!


Fenris Fuzz – „Freaky Stories Of Daily Life“ (Eternalis Records) [Stream]
Die französische Band Fenris Fuzz hat sich aus Leuten der Modern-Hardcore-Band Fire At Will im Jahr 2020 zusammengetan. Auf der ersten EP sind insgesamt sechs Songs zu hören, die dem Fuzz im Bandnamen alle Ehre machen, obwohl der Hauptstil der Jungs im Post-Hardcore verortet ist, Nebenschauplätze sind Post-Rock, Sludge, Screamo und Stoner-Elemente. Heavy Gitarrenriffs und fuzziger Bass treffen dabei auf sehr gut ausgetüftelte Songarrangements, wuchtige Drums und emotionale Vocals, die am Rand der Verzweiflung zu stehen scheinen. Und neben den tonnenschweren Gitarren schleichen sich natürlich auch noch hervorragende Melodien in den Sound mit ein. Bittersweet! Klingt ziemlich spannend und eigenständig, was die Jungs da zusammengeschustert haben, müsst ihr unbedingt anchecken!


Hippie Trim – „What Consumes Me“ (Supervillain) [Stream]
Die Band aus Nordrhein-Westfalen konnte bereits mit dem Debutalbum Cult nicht nur bei mir einige Szenepunkte sammeln, mit dem Nachfolger What Consumes Me dürften noch etliche mehr dazukommen, soviel schonmal vorneweg! In der Pandemie scheint die Kreativität ein willkommener Rettungsanker gewesen zu sein, denn What Consumes Me hat elf Songs an Bord, die nur so vor pfiffigem und sprudelnden Ideenreichtum, Leidenschaft, Wut, tiefgreifenden Emotionen und herzzerreißenden Momenten strotzen, Langeweile ist hier Fehlanzeige. Gekonnt wird ein impulsiver Mischmasch aus Post-Hardcore, Emo, Screamo, Indie, Pop, Shoegaze und Grunge gezaubert, eine wahre Freude! Hinter Bands wie Turnstile, Citizen, Turnover & co brauchen sich die fünf Jungs jedenfalls wahrlich nicht verstecken! Einflüsse dieser Bands kann man ebenso raushören wie z.B. Zeugs wie As Friends Rust, Grade, Alexisonfire, Title Fight, Such Gold oder The Story So Far. Auf der einen Seite sticht diese Catchyness hervor, wundervolle Gitarrenriffs treffen auf Doppelgesang und shoegazige Passagen, energiegeladene Ausbrüche sind ebenso mit von der Partie. Textlich lohnt es auch, mal genauer hinzuhören, u.a. geht es um gesellschaftliche und menschliche Dinge. Und die satte Produktion zeigt auch ihre Wirkung, ein rundum gelungenes Album!


Meißel – „Selftitled“ (DIY) [Name Your Price Download]
Bereits vor der Covid19-Geschichte hat sich dieses Duo (Meißel/Meizsel) aus Karlsruhe aus Mitgliedern der Band Lypurá zusammengefunden. Als Duo hatte man es mit den ganzen Auflagen sicher besser, wenn man mal wieder auf eine Face To Face-Probe heiß war, außerdem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass ’ne Duo-Band auch sehr gut online was auf die Reihe bringen kann. Jedenfalls gibt es acht Songs auf die Ohren. Bei einer Spielzeit von knapp zwölf Minuten wisst ihr sicher schon, wo die Reise hingehen könnte. Screamo, Emoviolence, Bremer Schule-Mosh, Hardcore, Skramz und natürlich einiges an Emocore. Selbstverständlich mit viel Wut und Verzweiflung im Bauch, daher sehr intensiv und emotional. Sturm und Drang, erinnert sehr an Emocore/Screamo-Perlen á la Yage, June Paik, Orchid, Indian Summer oder Louise Cyphre. Kurze, aussagekräftige, in deutscher Sprache auf den Punkt gebrachte Texte runden das ganze ab! Geil, oder?


Shooting Daggers – „Athames“ (New Heavy Sounds) [Stream]
Geballte Girl-Power gefällig? Dann solltet ihr die neue EP des Trios aus London anchecken! Die sechs Songs machen ordentlich Wind, hier steckt Radau drin, die Mädels scheinen auf Krawall gebürstet zu sein und spucken dem patriarchalen Machtsystem direkt in die picklige Fresse! Geboten wird wütender und angespisster Hardcore-Punk, das erinnert an die Washington DC-Hardcore-Frühzeit. Roh, wutschnaubend und böse! Und wie es sich gehört, gibt es hier Punk mit Message auf die Ohren, was natürlich auch an die großartige Riot Grrrl-Zeit erinnert! Ich bin jedenfalls schwer begeistert!


Bandsalat: Anchoress, Azzacov, Bellyacher, Leave, NEXØ, Rome Is Not A Town

Anchoress – „Stay Positive“ (Early Onset Records) [Name Your Price Download]
Im Jahr 2016 war das letzte Lebenszeichen der Jungs aus Vancouver in Form eines Albums. Sechs Jahre später also der Nachfolger. Stay Positive hat neun Songs im Gepäck. Und ich muss sagen, dass der Sound der Band mittlerweile richtig gereift ist. Geboten wird eine Mischung aus Post-Hardcore, Punk, Emo, Screamo und etwas Post-Rock und Grunge. Die Songs klingen wütend und intensiv, die melancholische Seite kommt auch nicht zu kurz. Textlich geht es um die psychische Gesundheit, Kapitalismus und auch der politische Wandel beschäftigt die Band sehr. Und ja, der Albumtitel ist Programm, hier lassen sich viele optimistische Soundscapes entdecken, in das Album kann man richtig eintauchen! Könnte Menschen gefallen, die Zeugs wie La Dispute, Pianos Become The Teeth, Touché Amoré, Title Fight oder Comadre mögen. Alle Daumen nach oben!


Azzacov – „Fragmente“ (Middle-Man Records u.a.) [Name Your Price Download]
Man muss schon genauer hinhören, um zu erkennen, dass hier in deutscher Sprache gekeift und gescreamt wird. Das Trio Azzacov kommt aus Nürnberg und fährt voll das Skramz/Emoviolence-Brett auf. Eine wahre Freude ist das! Hier wird gelitten, was das Zeug hält! Die Gitarren rotieren wie blöde, das Getrommel reicht von arhythmisch irre bis dezent plätschernd, ich liebe das! Geht live sicher ordentlich ab! Politische und persönliche und fast schon poetische mit philosophischen Ansätzen gespickte Lyrics runden das Ganze ab. Fans von Bands wie Danse Macabre, June Paik, Jeromes Dream, Manku Kapak oder Suis La Lune sollten hiermit leuchtende Augen bekommen!


Bellyacher – „Selftitled EP“ (DIY) [Stream]
Irgendwann im Januar 2020 mitten in der Pandemie gegründet, haben die vier älteren Hasen plus die Dame am Mikrofon ihre erste EP aufgenommen. Drei Songs gibt’s zu hören. Und wenn ihr auf den guten alten, melodischen Emo/Indie/Punk/Posthardcore-Sound aus den Neunzigern bis zur Jahrtausendwende stehen solltet, dann ist Bellyacher sicher ein Ohr wert! Stellt euch vor, bei Samiam singt eine Frau, dann habt ihr es so grob. Denn an Samiam erinnert mich das Quintett aus Nordrhein-Westfalen am meisten, es kommen aber auch Bands wie Rocking Horse Winner, Ohio’s Favorite, melodischere Boy Sets Fire oder Jets To Brazil in den Sinn.


Leave – „Selftitled“ (Moburec) [Stream]
Irgendwie werden die Zeiten knapper, um bei Bandcamp ausgiebig zu Stöbern, dennoch ist die Ausbeute bei jeder Entdeckungstour enorm hoch. Neulich stieß ich auf die erste EP von Leave aus Mainz. Sofort vom tief in den Neunzigern verwurzelten Indie-Rock gefangen, konnte ich erst gar nicht glauben, dass hier quasi nur zwei Leute dafür verantwortlich sein sollen. Großartige Melodien, gefühlvoll und melancholisch, hier hört man sehr viel Leidenschaft heraus! Und auch die Punkwurzeln sind nicht von der Hand zu weisen, selbst das wiederholt eingesetzte Saxophon fügt sich super in den Sound ein! Irgendwo zwischen Nada Surf, Pavement und Dinosaur Jr. Wenn ihr also auch dem guten alten Gitarren-Sound der 90’s verfallen seid, könnte das hier ein Leckerbissen für euch sein!


NEXØ – „False Flag“ (Kink Records u.a.) [Name Your Price Download]
Beim Intro denkt man sich noch so, wird bestimmt ein Metal-Brett, doch dann wird man von einem nach vorne gehenden und hibbeligen Motorboot überfahren. Ganz schön energiereich und fast schon ein bisschen oldschoolig kommt die Mischung aus Hardcore und Punk daher, schön dichte Gitarren mit unterschwelligen Melodien, treibende Drums und polternde Basstunes werden mit wütendem Geschrei gespickt. Erinnert mich ein bisschen an alte Refused. Das hier ist vertonte Spielfreude und Leidenschaft! Auch textlich steckt hier viel brauchbares drin, es geht um die Realität, in der nichts mehr echt ist, die Verlogenheit machtgeiler Politiker, Fake News in Sozialen Medien usw. NEXØ kommen übrigens aus Kopenhagen/Dänemark, vor False Flag gab es eine EP und ein Album, das muss ich mir nach dem Abfeiern von False Flag jetzt auch noch auf die Festplatte zippen!


Rome Is Not A Town – „Tender Arms Power Heels“ (Startracks) [Stream]
Das zweite Album der aus Göteborg/Schweden stammenden Band Rome Is Not A Town hat mich ab dem ersten Ton am Wickel! Irgendwo zwischen Post-Punk und Emocore würde ich das hier einordnen, jedenfalls ziemlich intensiv, teils düster aber auch mit reichlich Melancholie an Bord. Die female Vocals klingen sehr resigniert und man spürt auch eine gewisse Kälte, während die instrumentale Begleitung roh und kantig klingt. V.a. die groovende Rhythmusmaschine aus Bass und Schlagzeug sticht hier besonder hervor. Das erinnert dann natürlich an großartige Bands wie Fugazi, Sonic Youth, One Last Wish oder auch Rites Of Spring. Das Artwork sieht im 12inch-Format sicher grandios aus! Neun Songs, kein einziger Ausfall!


Spielbergs – „Vestli“ (Big Scary Monsters/Fysikformat)

Irgendwie ist mir da mal wieder was in der Vergangenheit gewaltig durch die Lappen gegangen, denn mit dem Backkatalog der Band Spielbergs aus Oslo/Norwegen bin ich bisher noch nicht in Berührung bekommen, was sich mit dem aktuellen Album Vestli aber in naher Zukunft ganz schnell ändern wird. Bisher sind zwei EPs und das Debutalbum This Is Not The End erschienen, Vestli ist also das zweite Album der Jungs. Mein Besprechungsexemplar kommt in dunkelgrünem Vinyl, es gibt aber auch noch andere Farben. Die mit den Texten und einem ähnlichen Motiv wie beim Albumcover bedruckte Innenhülle gibt das Vinyl sehr schwer frei. Mir graust es bereits jetzt, die Scheibe irgendwann mal wieder da reinzubekommen. Aber für die nächste Zeit wird das noch nicht nötig sein, da man diese Platte locker und ohne Langeweile auf Dauerrotation hören kann! Was das wohl für ein Ding auf dem Albumcover sein soll? Ein Heizstrahler, eine selbstgebastelte Bombe oder eine Zeitmaschine, mit der man sich direkt in die guten alten Neunziger beamen kann? Das Rätsel bleibt offen.

Soundtechnisch klappt das mit den 90’s jedenfalls schonmal hervorragend! Denn die Spielbergs machen traumhaft melancholischen und melodischen Gitarren-Emo mit einer starken Punk- und Indierock-Kante, natürlich gibt’s auch Einflüsse aus Pop-Punk, Shoegaze und Grunge zu entdecken. Insgesamt gibt es zwölf Songs zu hören, die allesamt vor Spielfreude und Leidenschaft nur so strotzen! Die Gitarren klingen schön satt und dicht, manchmal drehen sie auch schon mal in Midwest-Emo-Style frei oder schrammeln was das Zeug hält, zauberhaft! Hinzu kommt gedoppelter Gesang, hymnische Refrains, rasendes Tempo aber auch entschleunigte Sounds mit Piano und Streichern begleitet, beispielsweise im rein instrumentalen Song Goodbye. Und natürlich bittersüße Melodien, die sich ins Ohr einbrennen. Persönlich bin ich ja ein Fan von rohen und ungeschliffenen Aufnahmen, aber bei Spielbergs passt dieses etwas überfrachtete Soundschema wie die Faust aufs Auge! Hört euch nur mal das fast achtminütige You Can Be Yourself With Me an, das gegen Ende in bombastischen Soundspielereien und meterhohen Wänden gipfelt.

Darüber hinaus geht es auch textlich ordentlich zur Sache! Vestli ist ein Vorort von Oslo in welchem zwei Bandmitglieder aufgewachsen sind. Ein Ort, dem man schwer entkommen kann und der schnell zum Gefängnis werden kann, wenn man sich seinem Schicksal ergibt. Wenn ihr Vestli mal in die Internet-Bildersuche eingebt, dann könnt ihr euch das trostlose Gefühl der verschlafenen Gegend ohne kulturelle Möglichkeiten sicher ganz gut vorstellen. Und diese Gefühle der Ausweglosigkeit sind Hauptthema des Albums. Man steckt in einer Situation fest, liegt nachts wach, die Gedanken rasen und man verschließt sich und frisst alles in sich rein. Es gibt keinen Ausweg, man ist gefangen in seinem persönlichen Dilemma. Einmal im Leben falsch abgebogen, und schon sitzt man in der Falle und hat mit mentalen Problemen zu kämpfen. Was bleibt, ist die Flucht in die Musik. Und das, wie man hören kann, scheint bei Spielbergs ein riesiger Rettungsanker zu sein! Ach so, ein paar Referenzbands fallen mir auch noch ein: für Menschen, die sich für Bands wie Cloud Nothings, Meat Wave, Japandroids und Foo Fighters begeistern können und die sich auch gleichzeitig für Tiefgang und Ernsthaftigkeit interessieren, dürfte Vestli ein willkommenes Futter sein!

8/10

Facebook / Bandcamp


Bandsalat: Angora Club, Entropy, How I Left, Puke Wolf, Tvivler, Up For Nothing

Angora Club – „…und außerdem bist Du allein“ (Kidnap Music) [Stream]
Und außerdem bist Du allein. Starker und aussagekräftiger Albumtitel! Angora Club kommen aus Flensburg und machen auf ihrem zweiten Album eine richtig schöne Mischung aus deutschsprachigem Emo und Punk. Treibend, melancholisch und textlich absolut auf Augenhöhe. Ich mag das Zusammenspiel von Gitarre und Bass, die sich eher gegeneinander duellieren. Und dann natürlich das druckvolle Schlagzeug und die heiseren Vocals. Greift hier zu, wenn ihr Zeugs wie Matula, Düsenjäger undsoweiterundsofort mögt.


Entropy – „Death Spell“ (Crazysane Records) [Stream]
Das Debütalbum der Hamburger Band dürfte wohl bei einigen Grunge-Fans einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Ich fand es jedenfalls sehr authentisch und klasse. Jetzt gibt es Nachschlag in Form einer drei Songs starken EP. Und ja, die Gitarren flirren wie einst Schmetterlinge in den Neunzigern, es ist eine wahre Freude, was da für tolle Gitarrenmelodien in den Lüften flattern. Ist das eigentlich ein Schmetterlingsauge auf dem Cover? Eher nicht, da kommen Polypenaugen aus ’ner Wolke. Und der EP-Titel hat mit Schmetterlingen auch nicht so viel zu tun. Oder wie lang war nochmal die Lebensdauer eines Schmetterlings. Ach egal, hört da einfach mal rein, ihr in den 90s verankerten Grunge-Indie-Noise-Rocker.


How I Left – „Birds In The City“ (This Charming Man Records) [Stream]
In der Mailanfrage der Band How I Left wird irgendwas von Indie-Folk gefaselt, hört man sich die zwölf Songs vom Debutalbum des Duos aus Karlsruhe aber dann etwas genauer an, dann entdeckt man zu den oben genannten Musikrichtungen auch eine satte Portion Emo. Die Stücke kommen sehr gefühlvoll um die Ecke, was hauptsächlich der zerbrechlich wirkenden Stimme von Sänger und Gitarrist Julian Bätz zugeschrieben werden kann. Aber auch die Gitarre hat das ein und andere melancholische Riff auf Lager. Dann ist auch noch so ’ne gewisse Slacker-Attitude rauszuhören, Bands wie The Cherryville, Amid The Old Wounds, Bright Eyes, Nada Surf, frühe Youth Group, Weakerthans oder The New Amsterdams kommen mir hauptsächlich in den Sinn. Tolles Album jedenfalls.


Puke Wolf – „Interstice“ (Dingleberry Records u.a.) [Stream]
Die Band Puke Wolf stammt aus Aarhus/Dänemark und bei Interstice handelt es sich um die zweite EP der Jungs, die man auch schon von den Bands LLNN, HIRAKI, Demersal und Halshug kennt. Nun, von der Spielzeit von fast 27 Minuten her könnte das Ding auch als Album durchgehen. Puke Wolf sind im emotionalen Post-Hardcore zu Hause, ein bisschen Screamo und Post-Rock-Ambient ist in den abwechslungsreichen Songarrangements ebenfalls zu finden. Klingt ganz rund, und dann sind da ja auch noch die Lyrics, die sich mit persönlichen Inhalten und globalen sozialen Ungerechtigkeiten in unserer herzlosen Gesellschaft beschäftigen. Da gibt es natürlich viel Wut, Frustration und Verbitterung zu hören und spüren.


Tvivler – „Kilogram“ (Fysisk Format) [Stream]
Der bisherige Backkatalog der Kopenhagener Band Tvivler wurde ja bereits an anderer Stelle hoch gelobt, jetzt folgt also Album Nummer zwei. Und das ist ebenso beeindruckend und wiegt – wie im Albumtitel angedeutet – ziemlich viel! Es scheint, als ob sich die Band mit jedem weiteren Release neu erfindet und experimentelle Wege eingeht und dadurch auch immer sperriger wird. Der über sechsminütige Opener bohrt sich mantramäßig seinen mühsamen Weg durch die Gehörgänge. Dieser polternde Bass und die kraftvoll gespielten Drums entwickeln einen mächtigen Groove, hinzu kommen weirde Noise-Gitarren, Gesang zwischen Geschrei und Spoken Words. Die Gitarren erinnern im Verlauf des Albums oft an Bands wie At The Drive-In, Craving, Trigger Cut oder Buzz Rodeo. Auf diesem Album gibt es viel Avantgarde, angsteinflößende Töne und sperrige Passagen zu entdecken, die Abwechslung und vertrackte Songstrukturen sind ein ständiger Begleiter. Die in dänischer Sprache vorgetragenen Lyrics behandeln Themen wie Ängste, Depressionen und massive Gesellschaftskritik, was man in dem vor Angst-Gefühlen strotzenden Gesang auch sehr gut heraushören kann. Ein Blick auf die Texte lohnt sich jedenfalls. Für das Album sollte man sich genügend Zeit nehmen, es ist definitiv keine leichte Kost!


Up For Nothing – „Escape Route“ (It’s Alive Records) [Stream]
Die alten Recken der New Yorker Band Up For Nothing haben ein neues Album am Start, ihr mittlerweile viertes und auch ausgereiftestes. Geboten wird hymnisch-melodischer Punkrock, der gut nach vorne geht. Mir kommen Bands wie die guten alten Dillinger Four, Kid Dynamite oder Astpai in den Sinn, die Misfits dürften im Sound des Quartetts ebenfalls ihre Spuren hinterlassen haben. Genau der richtige Sound für den Sommer!


Bandsalat – Amalia Bloom, Be Well, NOFNOG, Overo, Thornhill, With The Punches

Amalia Bloom – „Picturesque“ (Engineer Records) [Name Your Price Download]
Die italienische Band Amalia Bloom kommt aus Vicenza, einer malerischen und ruhigen Stadt in der Nähe von Venedig. Auf seinem zweiten Album beschäftigt sich das Quintett mit der Herkunft bzw. der Heimat vieler italienischer Jugendlicher und junger Erwachsener, die sich oftmals als Sackgasse in der beruflichen oder künstlerischen Entwicklung erweist. Musikalisch ist dabei eine intensive Mischung aus Post-Hardcore, Emo und Screamo entstanden. Auf der einen Seite türmen sich fette Gitarren und wuchtige Drums, auf der anderen Seite schleichen sich aber immer wieder diese melodischen Momente ein. Und natürlich dominiert die melancholische Grundstimmung, die bis zur Verzweiflung reichen kann. Wenn ihr Bands wie Thursday, Poison The Well, Touché Amoré oder Pianos Become The Teeth mögt, dann bitte hier entlang!


Be Well – „Hello Sun“ (End Hits Records) [Stream]
Wie gut ist denn bitteschön diese EP der Allstar-Band um Brian McTernan geworden? Boah, das Ding läuft bei mir seit Wochen rauf und runter und endlich kann ich mich mal wieder an melodischem und emotionalen Hardcore an der Schwelle zum Post-Hardcore erfreuen. Zudem ist das ganze textlich – wie auch schon beim Debutalbum – absolut erste Sahne. Bitte unbedingt mehr davon, hier stimmt wirklich alles! Sechs Songs, voll der Burner!


NOFNOG – „Insomnia“ (Sbäm Records) [Stream]
Die Schweizer Band NOFNOG ist ja auch schon nahezu 20 Jahre unterwegs, wenn ich richtig gezählt habe, ist Insomnia das mittlerweile vierte Album. Live sind die Jungs ja immer spaßig anzusehen und sind top aufeinander abgestimmt (es gibt ja selten singende Drummer zu sehen). Was man natürlich auch am spielfreudigen und leidenschaftlichen und durchaus melodiösen Hardcore-Punk-Sound der St. Gallener auf dem aktuellen Album hören kann. Treibend, immer mit schön gegegenspielenden Instrumenten, kommen natürlich unweigerlich Bands wie Good Riddance, Avail, Obtrusive oder Strike Anywhere in den Sinn. Zwölf Songs sind es geworden und sie schlagen in die gleiche Kerbe wie schon der Vorgänger Thieves. Textlich gibt’s typische Hardcore-Themen wie beispielsweise Freundschaften, soziale Ungerechtigkeiten, Gesellschaftskritik oder Politik. Album holen, Singalongs üben und ab in den Pit!


Overo – „Waiting For The End To Begin“ (zilpzalp records) [Stream]
Im Jahr 2018 aus Mitgliedern der Bands Perfect Future, football, etc., und Rose Ette gegründet, hat das Trio ja bereits etliches Material veröffentlicht, darunter einige Splits und das hochgepriesene Debutalbum. Und jetzt folgt der zweite Longplayer, auf dem Overo sehr viel experimenteller wirken. Es kommen u.a. Synthesizer, Akustikgitarre, Trompete und Streicher zum Einsatz, dennoch gibt es den ein oder anderen heftigen Ausbruch mit fetter Gitarre, wildem Getrommel und herzzerreißendem Geschrei. Die melancholische Seite rückt oftmals in den Vordergrund, Gänsehaut ist jedenfalls eine stete Begleiterin. Wenn ihr Zeugs wie Dahlia Seed, Raein, Yaphet Kotto oder Daitro mögt, dann kommt ihr hier dran nicht vorbei!


Thornhill – „Heroine“ (UNFD) [Stream]
Aus Meldbourne/Australien stammt dieses mir bisher unbekannte Quintett, das nach vier EPs und einem Album mit Heroine seinen zweiten Longplayer am Start hat. Und ja, ich war ab dem ersten Ton des elf Songs starken Albums direkt angefixt! Thornhill machen einen druckvollen Mischmasch aus Grunge, Post-Hardcore und 90’s Alternative, der jedem Smashing Pumpkins, Deftones, Circa Survive, Thursday oder Thrice-Fan die Tränen in die Augen treiben wird. Denn wie eine Mischung aus den gerade genannten Bands klingt die Band in etwa, allerdings ist der Klangteppich noch ein bisschen dichter und epischer, der emotionale Gesang mit Hang zur Theatralik passt auch wie die Faust aufs Auge. Müsst ihr unbedingt mal anchecken!


With The Punches – „Discontent“ (Mutant League Records) [Stream]
Irgendwann im Jahr 2008 gegründet hat die Band aus Newburgh, New York nach ihrem letzten Release im Jahr 2013 eine klitzekleine Pause von 9 Jahren eingelegt. Hört man die fünf Songs der Jungs, klingt alles schön frisch, da hat niemand sein Handwerk verlernt. Musikalisch gibt’s wunderbar hymnenhaften Emo-Pop-Punk. Fans von New Found Glory, Neck Deep oder Saves The Day könnten hiermit glücklich werden.


Whimsical – „Melt“ (Through Love Records)

Ohne Through Love Records wäre ich wahrscheinlich niemals von selbst auf die Band Whimsical aus Dyer, Indiana gestoßen, obwohl die Band seit ihrer Gründung im Jahr 1999 und einer klitzekleinen Schaffens-Pause von zehn Jahren mit Melt ihr mittlerweile viertes Album und etliche EPs am Start hat. Und ich werde direkt beim ersten Durchlauf und auch vom ersten Ton an abgeholt! Insgesamt neun Songs nehmen Dich mit auf eine nostalgische Reise durch die Indie-Shoegaze-Epoche der 90’s! Ein Trip voller bittersüßer Träumereien, immer eintauchend in mit Watte ausgestopfte Wolken, schwebend und in absoluter Rotwein-Stimmung. Und trotz des nicht von der Hand zu weisenden 90-er Einschlags klingt der Sound alles andere als angestaubt, was auch der glasklaren Produktion und der zeitgemäßen Verwendung von elektronischen Elementen geschuldet ist. Ach so, Melt ist als Co-Release erschienen, das US-Label Shelflife Records ist auch noch mit von der Partie.

Obwohl der atmosphärische Sound vorwiegend zum Träumen einlädt, sind dennoch viele energiegeladene Passagen mit drin, die fingerschnipsend wohliges Wegdämmern verhindern. Crash And Burn ist beispielsweise so ein Kandidat: lebendiges Bassspiel, grungige, an die Smashing Pumpkins erinnernde Gitarren und knackige Drums. Ach ja, wenn wir gerade bei Referenzen sind: ganz stark erinnert mich der Sound Whimsicals an die frühen Sachen der Band Lush, das liegt natürlich auch an den überirdischen Vocals. Slow Dive und Juliana Theory kommen mir v.a. wegen den Gitarrentönen von Neil Burkdoll in den Sinn. Ganz entfernt schwirrt mir sogar Zeugs von Baby Gopal, Hidalgo, Denali oder Ida im Kopp rum. Die intensive Mischung aus Shoegaze, Indie-Rock und Dream-Pop lebt neben dieser träumerischen Stimme und den melodischen und atmosphärischen Klängen auch von den abwechslungsreichen und stimmigen Songarrangements.

Jetzt noch kurz zum Artwork und den Lyrics: meinem Digi-Pack-Besprechungsexemplar liegt leider kein Textblatt bei, die glockenhelle Stimme von Sängerin Krissy Vanderwoule versteht man jedoch sehr gut, also ist das eigentlich nicht schlimm. Ob die Vinylversion mit einem Textblatt ausgestattet ist, hab ich jetzt leider nicht rausgefunden. Die Lyrics sind – genau wie der Sound vermuten lässt – sehr intim und herzgebunden, Herzschmerz und Hoffnung liegen dabei sehr nah beieinander. Das verschwommene Artwork verschmilzt analog zum Albumtitel mit dem spärlichen UV-Licht langsam aber sicher in der Dunkelheit. Vielleicht ist es aber auch andersrum. Kurz zusammengefasst: reinhören, abtauchen, wunderbar, Begeisterung!

8/10

Facebook / Bandcamp / Through Love Rec.


Bandsalat: El Mariachi, Fine And Great, Kid Dad, Masada, Rauchen, Suntile

El Mariachi – „Crux“ (Sabotage Records) [Stream]
Kurze Pause von irgendwas um die zwölf Jahre und weiter geht’s in voller Frische mit El Mariachi! Und ja, die Jungs haben es immer noch verdammt drauf, hier können sich alle deutschsprachigen Bands ’ne Scheibe von abschneiden! Diese genial verwobenen und freidrehenden Emopunk-Gitarren sind so schön emotional und locker aus dem Ärmel rausgespielt! Und diese tollen Texte, die die ganze momentane Misere mit wenigen intelligenten Worten auf den Punkt bringen! Bin verdammt verliebt. Das hier verbindet deutsche Bands wie Captain Planet oder Düsenjäger mit US-Emocore-Bands wie beispielsweise None Left Standing , Dag Nasty oder frühe Boy Sets Fire. Ich bin mit diesem Release wirklich sehr glücklich!


Fine And Great – „How To Survive By Getting By“ (Midsummer Records) [Stream]
Hey ho! Digi-Pop-Punx aufgepasst. Wenn ihr einen gesunden Hang zu lo-fi-Proberaumaufnahmen habt und den Music-Master-affinen Kumpels eurer Idole vertraut, dann kommt sowas wie hier dabei raus! Bei den fünf Songs der Band Fine And Great aus München hört man, dass das Trio enorm viel Spaß beim Vortragen seiner Musik hat, trotzdem ist die Produktion etwas trashig. Ich mag es gern, wenn mal was nicht ganz so glattgebügelt klingt. Die musikalischen Vorbilder reichen bei Fine And Great von den Get Up Kids über Iron Chick bis hin zu The Anniversary. Die hatten aber irgendwelche genialen Freaks an den Soundreglern sitzen. Egal! Genial kommen z.B. die gemischten female/male-Vocals rüber, das Demo-Proberaum-Mastering gefällt mir wie gesagt ebenso gut wie das emotionale Wechsel-Geschrei, Going Nowhere ist so intensiv, dass es einen Ehrenplatz auf meiner nächsten Friendz-Compilation bekommen wird!


Kid Dad – „Bloom“ (Long Branch Records) [Stream]
Kid Dads Debutalbum In A Box läuft ja bei mir immer noch von Zeit zu Zeit, deshalb freue ich mich natürlich umso mehr über neuen Stoff der Band, diesmal in Form einer fünf Songs starken EP. Auch wenn diese Songs den Post-Hardcore-Neo-Grunge-Faktor zugunsten des hohen Indie-Pop-Anteils zurückschrauben, holen sie mich direkt bei der ersten Hörrunde ab und lassen mich süchtig das Ding in Dauerschleife packen! Was man aus allen fünf Stücken heraus hört, sind von Selbstzweifel zerfressene Gefühlsausbrüche, der Emo-Anteil ist enorm hoch. Locker und leichtfüßig klingende Gitarren werden mit Synths und tollen Basslines untermalt, die Drums sind an den druckvollen Stellen kräftig gebolzt, an den leisen Stellen nehmen sie sich taktvoll zurück. Und dann dieser sehnsüchtig wehleidige Gesang! Ich finde, diese im Vergleich zum Debut etwas softere Grundstimmung steht den Jungs sehr gut zu Gesicht! Bin gespannt, was da noch so alles kommt!


Masada – „II“ (i.corrupt Records) [Name Your Price Download]
Ist das Masada-Debut-Album für mich immer noch präsent? Au Backe, verdammt ja! Und die Band aus Erlangen kann mich auch mit dem zweiten Longplayer abholen, auch wenn ich diesmal nur digital bemustert wurde! Auf Vinyl klingt das sicher um Längen besser, Screamo-Fans werden sich das Ding eh sichern. Oder es steht sowieso schon im Regal! Das Artwork überspring ich jetzt mal, digital kann ich da eher nix fühlen. Dann also zum Sound: Beim ersten Hördurchlauf blieb ich direkt beim Song To Rest stecken: erst erinnerte das emotionale Riff in der Mitte an ’nen Appleseed Cast-Song (Marigold?), dann kamen die Pixies um die Ecke. Appleseed Cast sind auch noch bei anderen Songs ein Thema für mich. Und mit dem Rest der Songs geht es mir gleich! Überall sind Musik-Fetzen aus meinem bisherigen Leben zu hören, das sehr viel im Emo/Post-Hardcore/Screamo verankert ist. Sehr schönes und kurzweiliges Album!


Rauchen – „Nein“ (Zeitstrafe) [Stream]
Ich versuch’s mal in etwa zu erklären: Die Hamburger Band Rauchen hat einige (genau genommen zwölf Songs) aufgenommen, die auf drei EP’s erscheinen und letztlich eigentlich ein ganzes Album sind. Hä? Eigentlich einfach: Zwölf durch vier ergibt halt drei! Trotzdem ungewöhnlich! Noch verstörender und wie ein fieser Drogentraum wirkend sind die Songs an sich. Die ersten vier Songs gehen in Richtung Noise, Post-Punk und etwas New Wave. Übersteuerte, tief gestimmte und grimmige Bassriffs bilden zusammen mit böse dröhnenden Drums das kalte Grundgerüst, dissonante und verloren wirkende Gitarren schwirren wie entweichende Seelen aus gerade sterbenden Junkie-Körpern durch die Lüfte. Um es noch düsterer und frostiger zu gestalten, kommen monoton gesprochene female Vocals zwischen Bands wie den grungigen Hole und den NDW-mässigen Ideal zum Einsatz. Bei den nächsten vier Songs kommt ein kleiner Stilwechsel, hier werden die schnarchnasigen New Wave-Gothics mit ihrem bück-Dich-nach-dem-Pfennigstück-Tanz brutal von der Tanzfläche gepogt! Vier Powerviolence-getränkte Songs smashen Dich mit blutiger Nase und inneren Verletzungen vom Dancefloor! Scheiße, vier Songs in etwas über fünf Minuten! Die vier Songs danach gehen wieder in die wavige Post-Punk-Richtung! Ich liebe diese Band! Diese spooky Sounds bei Schlüsselkind sind echt der Wahnsinn! Da kriegste echt mal Angst! Obendrein sind die in deutscher Sprache vorgetragenen Texte der absolute Hammer, hier wird der Nagel so präzise auf den Kopf getroffen. So geht wohl deutscher Punk anno 2021, würd ich mal so nebenbei anmerken!


Suntile – „In A Dream“ (Know Hope Records) [Stream]
Nach einer EP steht das Debut-Album der Band aus New Jersey, Pennsylvania in den Startlöchern. Geboten wird zehn Mal fetziger Neogrunge/Emo mit ordentlichen Hooks, v.a. die dicken und spacigen Gitarren und die präzise und kraftvoll gespielten Drums und dem vorantreibenden Bass reißen hier einiges! Natürlich geht auch der Gesang gut ins Ohr, es wird an keiner Stelle langweilig! Auch textlich geht es sehr emotional zur Sache, ein Thema ist beispielsweise der Verlust eines geliebten Menschen. Wenn ihr Zeugs wie Citizen, Turnover oder Basement mögt, dann sind Suntile genau das Richtige für euch!


Bandsalat: Comic Sans, Dreamwell, If I Die First, Kill Her First, Onslow, SeeYouSpaceCowboy

Comic Sans – „Jon Lee“ (Azkar Zintak u.a.) [Stream]
Wunderbaren Midwest-Emo mit schrammeligen Gitarren und bittersüßen Melodien gibt es auf dem Debutalbum der Band Comic Sans zu hören. Das Quartett kommt aus der malerisch im Baskenland gelegenen Stadt Donostia-San Sebastián. Mir gefällt hier die raue Aufnahme, die Songs sind live im Proberaum einer befreundeten Band aufgenommen worden. Man spürt hier so richtig die Energie und die Intensität. Die Instrumente spielen schön gegeneinander an und verflechten sich immer wieder in tollen Momenten, dazu gesellt sich leidenschaftlicher und sehnsüchtiger Gesang, größtenteils vorgetragen in der Landessprache. Zum Ende des neun Songs starken Album hatten die Jungs die geniale Idee, ein Cover eines Covers zu covern. Und was böte sich da am Besten dazu an: Take On Me von a-ha, gecovert von Cap’n Jazz. Sehr geil!


Dreamwell – „Modern Grotesque“ (DIY) [Stream]
Auf Dreamwells Album The Distance Grows Fonder wurde ich einst durch einen Tipp aus meiner kleinen aber feinen Leserschaft aufmerksam. Modern Grotesque ist das zweite Album der Band aus Providence, Rhode Island und es ist eigentlich bereits im Frühjahr 2021 erschienen. Durch Trägheit und Schlamperei komme ich aber erst jetzt dazu, endlich mal was zu diesem grandiosen und intensiven Album zu schreiben. Denn hier ist alles mit an Bord, was das Emo/Screamo-Post-Hardcore-Herz zu schätzen weiß: großartige Gitarren, eine ganze Latte an Verzweiflung und Gefühlschaos, wuchtige Drums, absolut stimmige und spannende Songarrangements und poetisch-dramatische Lyrics, dazu ist das Ganze mit einer enormen Intensität vorgetragen. Ein kleines Meisterwerk, das sicher schon einige von euch kennen werden und bereits ins Herz geschlossen haben, aber man weiß ja nie…


If I Die First – „They Drew Blood“ (DIY) [Stream]
Meine Begeisterung über den Sound der Band habe ich ja bereits in den Reviews zur Debut-EP und der hammergeilen Split-EP mit SeeYouSpaceCowboy zum Ausdruck gebracht. Die Jungs scheinen zu brennen, denn seit August diesen Jahres gibt’s wieder neuen Stoff in Form einer sechs Songs starken EP. Und die steht den bisherigen Veröffentlichungen in nichts nach. Wenn ihr 2000er Post-Hardcore/Screamo zwischen Melodie und Härte á la Underoath, Chiodos, Saosin, Strongarm und Life In Your Way verfallen seid, dann kommt mit If I Die First ein neuer Freund ins Haus geflattert!


Kill Her First – „Empty Hands“ (Krod Records) [Stream]
Die Berliner Band Kill Her First wurde ursprünglich im Jahr 2007 als rein weibliches Quartett gegründet. Nach ein paar Lineup-Wechseln ist die Formation auf der aktuellen EP um einen Kopf gewachsen, das Quintett setzt sich jetzt also aus vier Frauen und ’nem Typen zusammen. Und Kill Her First haben auch eine starke Message mit an Bord: sie wollen der stark männerdominierten Post-Hardcore/Metalcore-Szene die Stirn bieten und kämpfen für mehr Vielfalt und Sichtbarkeit von queeren Personen in Bands und in der Szene. Das Ziel ist es, ein Netzwerk aufzubauen. Die vier Songs moshen jedenfalls ordentlich, da hat sich jede Menge Wut und Schmerz angestaut. Die Gitarren kommen fett rüber, dazu passen auch super die von den beiden Sängerinnen wechselseitigen Vocals, mal wütend rausgebrüllt, mal verzweifelt und von Schmerz zerfressen gesungen. Die sehr persönlichen Lyrics setzen noch ’ne Schippe Emotionalität mit drauf. Bei Dead Between The Lines kommen dann teilweise noch in deutscher Sprache vorgetragene Vocals zum Einsatz, was meiner Meinung nach in Zukunft gerne noch etwas mehr ausgebaut werden könnte.


Onslow – „Selftitled EP“ (Greyscale Records) [Stream]
Bei Onslow handelt es sich um ein Duo aus Perth, Australien, das sich aus Sean Harmanis (Make Them Suffer) und Scott Kay (Voyager, Statues) zusammensetzt. Die fünf Songs klingen schön 90’s bis Nuller-lastig. Wuchtige Gitarren zwischen fuzzy Grunge und intensivem Post-Hardcore, Melodie trifft auf Härte, schön eingängig und stimmig aufgebaut. Die Vocals pendeln zwischen clean und verzweifelt gescreamt. Insgesamt lässt sich auch eine deftige Emo-Kante erkennen. Einflüsse dürften Bands wie Deftones, Smashing Pumpkins, By A Thread, Thursday, Hopesfall und Thrice sein. Mir läuft das extrem gut rein und ich bin gespannt, was da noch alles kommen wird!


SeeYouSpaceCowboy – „The Romance Of Affliction“ (Pure Noise Records) [Stream]
Die Split mit If I Die First hat die „neue“ Ausrichtung der Band aus L.A. schon gespoilert, auf dem neuen Album The Romance Of Affliction wird der Pfad noch weiter ausgetreten! Sass-Core bezeichnete man in den Nullern dieses Genre, das als Reaktion auf die ausufernde Maskulinität innerhalb der Screamo/Post-Hardcore/Emoviolence/Grind-Szene entstand. Entsprechend schleudern Dir SeeYouSpaceCowboy eine überdrehte Mixtur aus Screamo, Metalcore, Emoviolence, Grind, Math-Core und Post-Hardcore um die Ohren. Fette, chaotische und manchmal dissonante Gitarren treffen auf spastisches Getrommel mit etlichen Rhythmuswechseln, zwischendurch kommen zu den meist von Transfrau Connie Sgarbossa gekeiften Vocals melodische Momente und Cleangesang zum Einsatz, natürlich mit tiefgehenden und schonungslos persönlichen Texten über die Romantisierung der Dunkelheit und des Negativen in unserem Leben. Wer gern Blood Brothers, Orchid, An Albatros, Daughters, The Locust oder Underoath (bei einem Song gibt’s sogar Guest-Vocals von Aaron Gillespie) mag, ist hiermit voll bedient. Wahnsinns-Album!


Bandsalat: Bleached Cross, Shamewave, Burial Dance, Duchamp, Karloff, Pembe, Wlots

Bleached Cross & Shamewave – „Split“ (No Funeral Records) [Name Your Price Download]
Zwei Bands teilen sich hier ein Tape, beide haben zuvor lediglich Demos veröffentlicht. Will damit ausdrücken, dass wir hier zwei ziemliche Band-Frischlinge haben. Wobei bei Bleached Cross Leute von Frail Body dabei sind. Die Jungs machen düsteren Shoe/Dreamgaze mit Darkwave-Einflüssen, diese treten v.a. durch die kalten Drumbeats und die Synthies in Erscheinung. Ab und zu kommen richtige Hooks ans Tageslicht, Screamo- und Post-Hardcore-Post-Punk-Einflüsse sind auch nicht von der Hand zu weisen. Shamewave gehen in eine ähnliche Richtung, hier kommt noch ein immenser Watte-Filter zum Einsatz. Melodisch, poppig, aber mit einer richtigen Turm-Wand an Gitarren. Auf der einen Seite wird viel mit Lärm und auftürmenden Instrumenten experimentiert, auf der anderen Seite dringen immer wieder diese melodischen Momente mit Bubblegum-Grunge-Hooklines an die Oberfläche, siehe Situation Stun Gun. Bin gespannt, wie sich beide Bands entwickeln, zumindest bei Shamewave dürfen wir auf das im Jahr 2022 geplante Debutalbum freuen. Und jetzt auf, lernt zwei tolle Bands zum Name Your Price Download kennen!


Burial Dance – „Structures“ (Moment Of Collapse) [Stream]
Bei all den verdammt schlechten Nachrichten da draußen gibt es auch hin und wieder Neuigkeiten, die man angesichts der Dichte an Fake News kaum glauben will. Jetzt wirklich? Hinter dem echt mal klischeehaften Bandnamen der Band Burial Dance aus New Jersey kriechen Leute aus dem Sarg bzw. spielen zum finalen Tanz auf, die zuletzt bei Bands wie z.B. The Saddest Landscape, Au Revoir, Capacities und A Film In Color am Leben waren. Irgendwie surreal und krass! Fünf Songs, knapp sechzehn Minuten. Ganz schön dicht und intensiv! Meine Synapsen explodieren!


Duchamp – „Slingshot Anthems“ (End Hits Records) [Stream]
Was kommt wohl dabei raus, wenn sich Leute zusammentun, die bisher bei Bands wie den Donots, Adam Angst, Waterdown, Schrappmesser, Pendikel, Schrottgrenze, One Man And His Droid, Pale, The Robocop Kraus und Station 17 musiziert haben? Tja, wohl das hier! Tatsächlich hab ich die erwähnten Bands alle außer Schrappmesser und Adam Angst schon live erleben dürfen, manche sogar wiederholt. Und ich muss sagen, dass bei all dem Namedropping absolut kein Beigeschmack zu riechen ist! Vom ersten Ton an springt hier der Funke über, und das nicht nur wegen der schmissigen Hits und der perfekten und abwechslungsreichen Songarrangements, sondern v.a. aufgrund der zu jeder Zeit spürbaren Leidenschaft und der unbändigen Spielfreude. Melodischer 90’s-US-Hardcore-Punk á la Lifetime und Kid Dynamite wird hier geboten, energiegeladen und hymnisch bis zum Anschlag. Und durch die jahrelange Vernetzung in der Szene war es wahrscheinlich kein großes Ding, Gäste wie Jason Shevchuck von Kid Dynamite und None More Black, Brian McTernan von Battery und Be Well, Dave Smalley (Dag Nasty, Down By Law) und Stephen Egerton (äh, Descendents) zu gewinnen. Wäre ich berühmt, hätte ich mich jedenfalls auch tierisch gefreut, bei diesen dreizehn Songs als Gast mitzumischen! Hach, ich würd ja gern noch was zum gemeinsamen Zusammenfinden der Band schreiben, aber da ich nicht gern aus irgendwelchen Promotexten zitiere, lest ihr die Geschichte am Besten direkt bei Ingo Donot irgendwo im Netz nach. Geiles Album jedenfalls!


Karloff – „Selftitled“ (I.Corrupt.Records u.a.) [Name Your Price Download]
Das Idyll vom Albumcover trügt etwas, denn Karloff verwüsten innerhalb von 25 Minuten die Gänseblümchen-Wiese mit einem Sturm aus Emoviolence, Screamo, Hardcore, Noise, Post-Rock und etwas Jazz. Ruhige Passagen wie z.B. beim Song Ocean Or Other oder Sun sorgen für zusätzlichen Spannungsaufbau. Zwischen Chaos und aberwitziger bzw. verschachtelter Gitarrenakrobatik mit wildem, arhythmischem Getrommel, sorgt das leidende Geschrei für Gänsehautmomente. Die Band aus Cambridge, Ontario ist jedenfalls ein richtig emotionsgeladenes Energiebündel. Das Album ist in Zusammenarbeit der DIY-Labels I.Corrupt.Records, Zegema Beach Records und No Funeral Records erschienen. Außerdem gefällt die satte und gleichzeitig rauhe Produktion, an den Reglern drehte mal wieder Jack Shirley/Atomic Garden.


Pembe – „Yalnız Hissedersen“ (Mevzu Records u.a.) [Stream]
Wieder mal ’ne Screamo-Band, die mir bis zur e-Mail-Besprechungsanfrage total unbekannt war. Geil, dass die Band bei mir angeklopft hat, danke an dieser Stelle! Denn Pembe aus Istanbul liefern ein ganz schönes Gefühlschaos ab, das irgendwo zwischen melancholischem 90’s Emocore und impulsivem Screamo angesiedelt ist. Diese türkischen Vocals, die man geschlechtsmäßig nirgendwo ganz eindeutig einordnen kann, berühren mich jedenfalls ohne Ende, obwohl ich den Textinhalt nicht verstehen kann. Da wird gelitten, geheult und wütend gekeift! Ein kleiner Blick zur Bandcamp-Seite: da gibt es neben den türkischen Lyrics auch die englische Übersetzung! Und bei Yavaş Yavaş kommt sogar noch ein Streichinstrument zum Einsatz, da jagt es Dir echt ’ne Gänsehaut über die vegane Lederjacke! Krass emotional, auch mit diesem schreienden Chor! Und diese wilden und zügellosen Gitarren! Grandios!


Wlots – „Paperking“ (Deep Elm Records) [Stream]
Nachdem das Debut-Album der Band aus Göteborg/Schweden so geil bei mir einschlug, freute ich mich sehr, als Ende August ’ne nette Besprechungsanfrage des zweiten Albums aus dem Hause Deep Elm Records im digitalen Postfach landete. Und ja, das Quartett punktet erneut auf ganzer Linie. Wahnsinn, was für Emotionen auf Paperking frei werden. Die Band bewegt sich locker und stimmig zwischen mitreißendem Post-Hardcore, Screamo, Emo, Post-Rock und Punk, es ist ein wahrer Genuss. Entstanden sind die dreizehn Songs während der Pandemie in einer einsamen Hütte im Wald. Logischerweise strotzen die Texte ebenso wie die Musik vor Traurigkeit und Verzweiflung. Wütend, in sich gekehrt, mit einem scharfen Blick auf die Umgebung und dem Ekel vor autoritären Machtstrukturen. So geht Punk! Und dann diese wundervollen Gitarren, die Dir das Gehirn verdrehen! Hinzu kommen kraftvoll gespielte Drums, verträumte Passagen, mal mit gesprochenen und mal mit gesungenen Vocals, aber das bis zum Anschlag leidende Geschrei setzt dem Ganzen die Krone auf. Ich bin hellauf begeistert von diesem Album. Bisher gibt es dieses Juwel lediglich digital, bitte bitte Vinyl! Dürfte allen gefallen, die Zeugs wie Thursday, La Dispute, Pianos Become The Teeth, Touché Amore oder Listener abfeiern!


Leoniden – „Complex Happenings Reduced To A Simple Design“ (Two Peace Signs)

Erschreckt durch ein paar gespaltene Albumreviews zum mittlerweile dritten Album der sympathischen und quirrligen Band aus Kiel ging ich das Doppelalbum erstmal skeptisch an, obwohl ich eigentlich doch seit langer Zeit ziemlich leidenschaftlicher Fan bin, vor allem live. Wir kennen alle diese doofen Sprüche: „Corona hat alles verändert!“ Aber hoffentlich nicht die Leoniden? Durchaus denkbar, denn der Band ist mit den fehlenden Liveshows ein wirklich starker Ast weggebrochen.

Aber keine Angst, nach ein paar Durchläufen des Promostreams war ich schon wieder so angetan von den Jungs, dass ich mir das Album direkt noch pünktlich zum Releasedatum auf Doppelvinyl bestellte. Außerdem hab ich die Band aufgrund ihrer positiven Live-Energie eh schon längst ins Herz geschlossen, obwohl mir anhand der stetig wachsenden Fanzahl und ungebetenem Körperkontakt auf vergangenen Festivals (lange vor der Pandemie) so langsam die gute Laune im Publikum abhanden kam. Olle Kamellen, heutzutage würde ich mit aufgezogener Impfspritze für genügend Abstand sorgen! Corona ist eigentlich auch eine Chance! Die liebgewonnenen Bands endlich wieder auf Abstand oder in kleiner Club-Athmosphäre sehen, vorausgesetzt die Spritze ist im Anschlag!

Aber Spaß beiseite, kommen wir endlich mal zum Doppelalbum! Das Ding liegt schön schwer in der Hand. Gatefold-Cover, simples und aussagekräftiges DIY-Design (die Erde brennt, alles on fire), die Lyrics sind schön im Inneren abgedruckt. War ja im Punk immer schon Thema, mittlerweile ist das dank Klimawandel fast schon Realität, das mit der brennenden Erde. Schade, kein Download-Code, vielleicht hab ich das aber auch übersehen. Auf den ersten Blick wirkt das Ding mit seinen 21 Songs ziemlich komplex und fast gar überladen, 52 Minuten muss man dafür einplanen. Nix für Leute, die schnell mal ’ne Playlist brauchen und nur auf der Suche nach Hit-Songs sind, die auf Anhieb alles richtig machen. Obwohl die da sicher in jeder Sekunde enorm fündig werden, denn ohrwurmträchtige Songs sind hier einige zu finden!

Auch wenn viele Songs extrem poppig rüberkommen, ist trotzdem eine große Portion Melancholie und Dramatik zu spüren. Hey, wer hätte gedacht, dass die auf der Bühne stets gutgelaunte Person Jakob Amr mit mentalen Problemen und auswegslosen Tiefs zu kämpfen hat? Nicht nur die Erde brennt lichterloh, auch die Menschen haben an Dingen zu knabbern, die im Freundeskreis als harmlos betrachtet oder heruntergespielt werden. Jeder sieht’s, aber keiner traut sich, aktiv zu werden, zu reden, vielleicht sogar mal den Küchenpsychiater zu mimen. Dabei wäre gerade das vielleicht eine erste Hilfe? Fahrt also eure Antennen aus und achtet auf eure Mitmenschen, mentale Gesundheit darf nicht mehr tabuisiert werden! Wichtiges Thema! Und auch sonst sind die Texte sehr lesenswert!

Manche Songs zünden sofort (Paranoid, L.O.V.E., die ganze A-und B-Seite und vereinzelte Songs auf der C und D-Seite), einige brauchen ein wenig, die muss man sich regelrecht erarbeiten. Aber das ist es, was die Sache ausmacht. So verdammt gut! Ich fühl mich an eine Zeit erinnert, in der man sich ’ne Platte kaufte, und die sich bis zum Erbrechen morgens mittags abends und nachts bis zum Anschlag futterte! Wenn ihr nicht so energisch oldschoolig vorgehen wollt, dann gibt es hier auch nach wenigen Durchläufen ziemlich viel zu entdecken, nicht nur die fünf Complex Happenings-Interludes sind äußerst experimentierfreudig und vielschichtig, auch wenn es so ein bisschen nach Snippets-epischem-Post-Rock-Album klingt. Und auch der Rest hat es ziemlich in sich. Da wurde sicher tage-und nächtelang getüftelt und um jeden einzelnen Ton gestritten und verhandelt. Zwischen tanzbarem 90’s-Indie-Grunge und Indie-Pop-Ohrwürmern dringen enorm dichte Post-Hardcore-Passagen an die Oberfläche, die auch von At The Drive-In stammen könnten. Einflüsse von Michael Jackson, Thrice, Parcels (dieses geniale Bass/Drums-Zusammenspiel), Röyksopp, Rage Against The Machine, Air und Two Door Cinema Club sind auch zu entdecken. Und obendrauf gibt’s einfach noch ganz viel LIEBE! Tolles Album mit Anspruch, alles andere als oberflächlich!

9/10

Leoniden / Video


Nirvana – Das Sonderheft – Rock Classics

Schon länger gibt’s die Reihe Rock Classics des SLAM-Zines, aber irgendwie hab ich trotz der ganzen Promo-Mail-Attacken zu irgendwelchen Bands wie z.B. Metallica, Queen, Guns’N’Roses oder ACDC erst jetzt mal angebissen, einfach weil mich die bisherigen Bands nicht so antörnten. Eine nette Mailkonversation später lag auch schon schwupsdiwups ein Hochglanz-Magazin mit Wendeposter im Briefkasten. Toll! Thema der aktuellen Ausgabe ist Nirvana, eine Band, die eigentlich anno 2021 so ziemlich durchleuchtet sein müsste, dennoch wurde ich neugierig.

Warum mich diese Ausgabe interessierte? Irgendwann in den frühen Neunzigern entschloss ich mich dazu, ein Berufschul-Referat über die Band zu machen. Charles Bukowski wäre damals auch noch eine Option gewesen, weil Charles und Kurt eigentlich im selben Jahr (1994) innerhalb einer Zeitspanne von weniger als einem Monat verstorben waren und mich beide mit ihrer Kunst faszinierten. Klar, der Trubel um die Band aufgrund der Nevermind-Platte führte dazu, dass ich mir nach der Nevermind keine weiteren Tonträger der Band zulegte, In Utero kenn ich bis heute eigentlich gar nicht so richtig, dafür nenn ich die Bleach und die Blew mein eigen. Hab mal ein bisschen gediscoged mit dem Resultat „schwitzige Handflächen“.

Wie dem auch sei, der Trubel um die Band wurde nicht nur mir zuviel, wie wir alle wissen. Irgendwann kam dann mit dem Tod Kurt Cobains das bittere Ende. Naja, bevor ich euch mit ollen Kamellen langweile, komm ich lieber mal zu dieser Rock-Classics-Ausgabe. Ich bin ja so drauf, dass ich ein Magazin von vorn bis hinten lese, es sei denn, das Geschreibsel macht mich nicht an. Beim Anlesen des Prologs schmerzten mir wirklich die Augen, schwarzer Hintergrund und helle Schrift ist nicht optimal. Nach diesen drei Seiten wird es aber sehr viel besser und lesefreundlicher! Und inhaltlich richtig informativ. Es kommen zahlreiche enge Wegbegleiter zu Wort, darüber hinaus gibt’s nette Interviews mit Dave Grohl, Krist Novoselic und sogar mit Courtney Love, die hier sehr sensibel über Kurts Tod und den damit verbundenen Anfeindungen gegenüber ihrer Person spricht.

Darüber hinaus gibt’s tolle Fotos zu sehen, die Veröffentlichungen der Band werden auch bis ins letzte Detail unter die Lupe genommen. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Veröffentlichungsflut an Literatur zur Band und zur Person Kurt Cobain, logischerweise kommen auch Filme und Videos zur Sprache. Ist ganz praktisch, wenn man mit dem Gedanken spielt, irgendwas Vernünftiges über das Thema zu lesen oder anzuschauen. Selbst den Verschwörungstheorien über Kurts Tod wird Platz eingeräumt. Klar, dass die Band immer noch massig Merch-Kohle einfährt, deshalb werden auch ein paar ausgefallene Merch-Artikel vorgestellt. Ich für meinen Teil werde mir jetzt doch noch mal die In Utero genauer anhören und auf ein paar der vorgestellten Literaturtipps bin ich auch neugierig geworden. Mittlerweile dürften die Second Hand deutlich billiger sein.

Facebook / Rock Classics


Bandsalat: Black Ink Stain, Disillusionist, Gynoid, Jornada Del Muerto, Park Walker, Raw Grip, Watching Tides, Yon

Black Ink Stain – „Incidents“ (pogorecords u.a.) [Stream]
Aus Clermont Ferrand/Frankreich erreicht uns ein monströs wuchtiges Noise-Hardcore-Brett in Form des Debutalbums des Trios Black Ink Stain. Die Musik suppt beängstigend aus den Lautsprechern, laut aufgedreht über Kopfhörer erzeugt sie ein klaustrophobisches Gefühl. Fette Gitarren bahnen sich zusammen mit dem groovenden Grundgerüst aus wuchtigen Drums und knackigen Basslines ihren Weg durch die Apokalypse. Dreckig, knarzend und räudig! Auch wenn der Sänger größtenteils brüllt, gibt es immer wieder ein paar melodisch gesungene Stellen. Und immer wieder diese Gitarren, die ein Mörder-Riff nach dem anderen zaubern! Ob der Albumtitel im Hinblick auf die Pandemie doppeldeutig gewählt wurde? Nun denn, wenn ihr euch eine Mischung aus Jesus Lizard, Unsane, Helmet und Breach vorstellen könnt, dann seid ihr bei Black Ink Stain übrigens genau richtig!


Disillusionist – „Love Anxiety“ (Over The Under Records) [Stream]
Beim Bandcamp-Ausflug stach mir natürlich gleich das ungewöhnliche Cover ins Auge. Anhand des Bandnamens vermutete ich die Band aus Kopenhagen/Dänemark irgendwo im D-Beat, daher war ich nach den ersten Tönen direkt doppelt überrascht. Denn die Jungs machen mitreißenden Post-Hardcore mit Screamo-Einflüssen und melodischen Hardcore-Ausflügen. Mir läuft der Sound jedenfalls sehr genehm rein, gerade auch, weil er ein bisschen oldschoolig rüberkommt. Erinnert vom Sound und Feeling her sehr an die Jahrtausendwendenzeit. Ich mag auch die heisere Stimme des Sängers, zudem zwirbeln die Gitarren ein tolles Riff nach dem anderen aus dem Ärmel, auch die Drums kommen schön abwechslungsreich und druckvoll um die Ecke. Schade, dass nach sechs Songs schon wieder Schluss ist.


Gynoid – „The Hunger Artist Show“ (Kontingent Records) [Stream]
Dieses Trio aus Thessaloniki/Griechenland kommt direkt aus der DIY-Undergroundszene mit einem wuchtigen Noise-Monster von Debutalbum aus der Versenkung! Der etwas düstere Noise-Core wird mit punkig-sludge-mäßigen Gitarren und groovenden Drums gefüttert, dazu schreit sich ein manisch wirkender Typ die Seele aus dem Leib. Textlich hat sich die Band von Kafkas Kurzgeschichte „Der Hungerkünstler“ inspirieren lassen. Es geht um fadenscheinige Sensationsmedien, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, patriarchale Machtstrukturen und der Tabuisierung mentaler Krankheit. Das Album-Artwork sieht auch geil aus. Checkt das mal an!


Jornada del Muerto – „One Last Flower“ (Dingleberry Records u.a.) [Stream]
Aus Istanbul stammt die Band Jornada del Muerto, die Ende des Jahres 2020 gegründet wurde und kurze Zeit später schon ein zehn Songs starkes Debutalbum am Start hat. Geboten wird chaotischer Blackened-Screamo, der aufgrund des leidenden Geschreis des Sängers ziemlich emotional rüberkommt. Mal kommen rasend schnelle und unkontrollierte, manchmal dissonante Highspeed-Passagen auf Dich zugerast, dann wird das Tempo aber auch immer wieder mal gedrosselt und unterschwellige Melodien gibt’s obendrauf. Gesungen wird auf Englisch…wie’s mit türkischer Sprache geklungen hätte, hätte mich übrigens auch brennend interessiert. Naja, dafür kann man die langen Songtitel wie z.B. Nirvana (in a Philosophical Way) is Nothing But Bullshit gebührend abfeiern. Die Apocalypse ist nur eine Blume weit entfernt! Die Bandmitglieder kennt man übrigens von Bands wie The Ousted, Burn Her Letters, ria, Noisy Sins Of The Insect, Padme, Pourbon und Among Others. Also, heißer Scheiß jedenfalls!


Park Walker – „Distant Phenomena “ (This Charming Man Records) [Stream]
Ha, bei Park Walker aus Stuttgart/Karlsruhe tummeln sich mal wieder alte Bekannte, deren musikalische Outputs auch heute noch zeitlos schön sind. The Tidal Sleep, Secretos Del Corazon, Costas Cake House, endeoktober, Post War Depression, Cruel Friends und A Thin Red Line z.B. Nun denn, das Debütalbum von Park Walker überzeugt mit 90’s influenced Emocore, der ein paar Indierock-Momente mit an Bord hat. Die unverzerrten Gitarren bringen Sehnsucht und Wehmut ans Ohr, die laid back gespielten Drums und der gegenspielende Bass schlägt zusammen mit der warmen Stimme in die gleiche Kerbe. Im Plattenregal könnte man das Release zwischen Zeugs wie The Van Pelt, The Cherryville, American Football oder The Promise Ring einordnen. Distance Phenomena ist jedenfalls ein schönes Album, in das man mit Haut und Haaren eintauchen kann, schade ist nur, dass das Ding nach sieben Songs viel zu schnell durchgelaufen ist.


Raw Grip – „Kaleidoscope“ (No Funeral Records u.a.) [Stream]
Die aus der Ukraine stammende Band Raw Grip beschert uns mit ihrer neulich erschienenen EP mit fünf Songs, die man zwar unter der Schublade Screamo ablegen könnte, bei der aber auch noch andere Stile wie Math-Core und Emo mit einfließen. Ziemlich ungewöhnlich für die Screamo-Richtung ist die stark verzerrte Bass-Gitarre, die fast schon ein bisschen heavy groovend und Stoner-mäßig klingt. Die Aufnahmen wurden live im Proberaum eingespielt und anschließend gemastert, das alles klingt jedenfalls echt fett und hat eine eigene Note. Müsst ihr unbedingt mal anchecken!


Watching Tides – „We’ve Been So Close, Yet So Alone“ (This Charming Man) [Stream]
Hochlobende Worte gab es von mir zur 2018 erschienenen EP, damals bat ich um Unterstützung für eine „kleinere“ Band, wie das Trio Watching Tides aus Berlin. Mittlerweile sind ein paar Jahre ins Land gezogen, davon eine größere Durststrecke ohne Konzerte und wahrscheinlich auch mit seltenen Bandproben. Und trotzdem haben es die Jungs immer noch drauf, ein solch stimmiges und emotionales Debutalbum wie We’ve Been So Close, Yet So Alone abzuliefern! Der Stein zum Aufstieg der kleineren zu einer etwas größeren Band ist mit diesem Album quasi gelegt. Die Band schafft es mit ihrer Mischung aus Emo, Neo-Grunge, Post-Hardcore und etwas Screamo direkt in den Bann zu ziehen. Die Balance zwischen druckvoll, laut und leise, nach vorne gehend und emotionaler Tiefe macht den Charme dieses Albums aus. Insgesamt gibt es bei einer Spielzeit von knapp einer halben Stunde neun Songs zu hören, die jede Menge Herzblut und Spielfreude an Bord haben. Mit abwechslungsreichem Songwriting und stimmingen Arrangements loten die Jungs den richtigen Weg aus, da geht es auf der einen Seite leise und bedächtig zur Sache, auf der anderen Seite machen die verzerrten Gitarren mitsamt den kraftvoll gespielten Drums und den vereinzelt eingesetzten Screams ordentlich Druck. Das hier dürfte Fans des Jahrtausendwenden-US-Emocores runtergehen wie Öl!


Yon – „Order Of Violence“ (Dingleberry Records u.a) [Name Your Price Download]
Covid19 hat vieles verändert, es kommen längst nicht mehr so viele physische Releases reingeschneit wie früher :(. Das bedeutet u.a. auch, dass man etliches geiles Zeugs verpasst, wenn man nicht aufmerksam durch die einschlägigen Blogs, Zines & Labels scrollt. Mangels Zeit passiert das sicher öfters, mir jedenfalls wiederholt. Eigentlich auch total scheiße, zumal man ja auch keine neuen geilen Bands live entdecken kann. Umso erstaunlicher, wenn man nach längeren Bandcamp-Ausflügen wieder mal eine Band auf den Schirm bekommt, die total flasht! Yon sind aus Deutschland und erinnern aufgrund der vorwiegend deutschen Texte und des Anfangsbuchstabens an Bands wie Yage oder auch Yacopsae. Scheiße, mir gehen aufgrund Covid19 so langsam die Ideen aus. Wenn man dann aber eine Band wie Yon am Start hat, dann bekommt man absolut Bock auf ein illegales Konzert, für das man sich anschließend sicher schämt. Also, Yon kommen wohl aus der Dresdner Ecke, textlich werden deutsche und englische Vocals dargeboten. Soundtechnisch geht es wie bereits angedeutet in Richtung Screamo und Post-Hardcore, es schimmern aber auch immer wieder andere Stilrichtungen durch (Punk, Post-Rock, Hardcore, Metal). Das Geschrei sowie der Sound kommt sehr leidend und melancholisch aus den Lautsprechern. Zwischendurch regiert pure Verzweiflung und hibbeliges Chaos. Das Album bietet auch reichlich Abwechslung, so dass man das Ding lieber am Stück genießen sollte. Deshalb auch keine Playlist-Empfehlung an dieser Stelle! Auf Vinyl sicher noch beeindruckender!