fjørt – “ [nıçts] “ (Grand Hotel van Cleef)

Da war ganz schön Gewusel in der fjørt-Fankurve, als die Band im April letzten Jahres ankündigte, an zwei Tagen im August in Köln und in Hamburg an je einem Tag in vier verschiedenen Clubs ihre komplette Discographie live zu präsentieren. Immerhin war es nach ein paar Festivalshows im Jahr 2019 ziemlich ruhig um die Band, auch während der Covid19-Pandemie gab es keinerlei Lebenszeichen auf den Social Media-Plattformen. Und dann, plötzlich – quasi aus dem Nichts – diese ohne viel begleitende Worte erfolgte Ankündigung der Diskographie-Konzerte: da kann man als Fan schon mal nervös werden und befürchten, dass die Pandemie der Band vielleicht ein Ende gesetzt hat, zumal seit dem Couleur-Album seit 2017 auch keine Veröffentlichung des Trios mehr zu verbuchen war. Ohne neues Material im Rücken live zu spielen, ist ja eigentlich auch eher die Ausnahme. Dennoch – oder auch gerade deshalb – waren die Konzerte innerhalb kürzester Zeit restlos ausverkauft. Ein gutes Zeichen für eine treue Fangemeinde! Alle, die sich einen Platz ergattern konnten, waren nach diesem Show-Erlebnis sicher mehrere Wochen im Glückstaumel, zumal die Band als „Zugabe“ mit den Songs lod, bonheur und fernost drei neue Kompositionen zum Besten gab und damit schon mal einen Vorgeschmack auf das für den 11.November angekündigte neue Album gab (übrigens gibt es von dieser Szene ein Live-Video zu sehen).

[nıçts] ist in vier verschiedenen Versionen erschienen, u.a. gibt es eine Gatefold-LP mit farbigem Vinyl, eine 7inch-Vinylsingle-Abo-Box, eine Standard LP-Version und natürlich eine CD. Hoch erfreut bin ich über mein erhaltenes Bemusterungsexemplar, in meinem Fall die Standard LP. Einfach nur Liebe! Das minimalistische aber dennoch prägnante Albumartwork ist jedenfalls ein echter Hingucker, auch die verschiedenen Fotos der symbolhaften Draht/Lötzinn/Kabel-Kunstwerke im edlen Textheftchen wären Motive, die man sich ohne weiteres als Kunstdruck-Reihe in die Wohnung hängen könnte. Gestaltet hat übrigens wie auch bereits auf früheren fjørt-Veröffentlichungen Freya Paul. Sehr schön in Szene gesetzt und gewaltiges Kopfkino in Sachen Merchandise-Ideen! Wie wär’s z.B. mit veganer Lakritze?

fjørt ist jedenfalls eine Band, die mit Herzblut, Leidenschaft, unbändiger Spielfreude und mit sehr viel Verstand und Tiefgründigkeit bei der Sache ist. Das spürt man spätestens beim Besuch einer Show, beim sympathischen Smalltalk am Merchstand, beim Lesen eines x-beliebigen Interviews und natürlich beim konzentrierten Lauschen der bisherigen Veröffentlichungen. Und auch das neue Stück Musik zeigt wieder, dass hier mit Haut und Haaren gekämpft und gelitten wird! Die ersten Tonträger wurden innerhalb von fünf Jahren veröffentlicht, in dieser Zeit wuchs die Band vom DIY-Geheimtipp zum Post-Hardcore-Liebling. Auch wenn sich die Band von Release zu Release etwas weiterentwickelt hat, hätte ich diesen Rutsch in die Perfektion auf [nıçts] so nicht erwartet! Da muss man erst mal wieder den Mund zubekommen, nachdem die erste Hörrunde absolviert ist und man den Drang hat, direkt zig weitere folgen zu lassen! Einfach nur wow!

Vom bombastischen Sound (Beray Habip) angefangen, bis hin zu den stimmigen und brachialen Songarrangements, den diesmal ohne kryptische Bildersprache deutlicher formulierten Lyrics und den im Vergleich zu den bisherigen Veröffentlichungen softeren Parts mit gesungenen Vocals ist das Album einfach nur grandios geworden, v.a. die häufigen Clean-Gesangsparts werten den Sound von fjørt gewaltig auf. Auch das im Albumtitel genannte zentrale Thema zieht sich wie ein roter Faden durch das Album, dazu passend die symbolhaften Motive im Artwork. Willkommen in der Achterbahn der Emotionen! Das dachte ich mir bei den ersten Hörrunden, denn hier gibt es ein breites Spektrum dazu: da sind zahlreiche Gänsehautparts vorhanden, hier hat man einen riesigen Kloß im Hals, dort bekommt man einen gewaltigen Tritt in die Magengrube, hier freut man sich über die textliche Hommage an die Band Kill.Kim.Novak. und dort gibt es einen kleinen Lichtschimmer mit fast schon poppigen Klängen bei fünfegrade! So viel Druck, so viel Wucht, so viel Hoffnungslosigkeit! Die direkte Benennung unserer gesellschaftlichen Defizite steigert das unangenehme und unbequeme Gefühl sehr viel mehr als die bisher eher kryptischen Anspielungen, die viel Freiraum für Interpretationen zuließen. Bestes Beispiel sind hier die Songs kolt und lakk, die diese innere Leere und dieses machtlose Gefühl spürbar machen. Gerade lakk hat so viel Hoffnungslosigkeit in sich, die zarte Kinderstimme im Kontrast dazu, einfach unbeschreiblich! Ganz großes Kino! Ich würde sagen, dass wir hier einen Meilenstein in Sachen deutschsprachigem Post-Hardcore haben, ein Gesamtkunstwerk der Extraklasse!

10/10

Facebook / Spotify / Grand Hotel van Cleef


ProvinzPostille #9 + Tape – Herbst 2022

Schon geil, da kommt pünktlich zu Weihnachten ein liebevoll geschnürtes Paket aus Baden-Baden ins Haus geflattert. Neben der neulich besprochenen pADDELNoHNEkANU-7inch ist auch die neue ProvinzPostille mitsamt Tape-Compilation am Start! Geil, oder? Das im liebevollen DIY-Stil gefertigte DIN A5-Zine erinnert mich an die gute alte Zeit, als man die Dinger entweder jemandem aus dem Bauchladen auf ’nem Konzert für ein paar Mark abkaufte oder gar ein bisschen abgefahrener per Brief mit beigelegten Briefmarken bestellte. Ja, das war lange Zeit vor dem Internet. Und irgendwie machen mich solche Formate auch heute noch glücklich, auch wenn man sich durch wenige Klicks im World Wide Web den absoluten Durchblick schaffen kann. Drauf geschissen, denn manche Inhalte lesen sich einfach analog besser. So auch hier, dazu kann man auch noch puzzeln, wenn mal die eine Seite zu Ende ist und die nächste vom Sinn her einfach nicht dazu passen will. Yeah, DIY forever!

Der Umschlag ist diesmal auch wieder besiebdruckt und fühlt sich schön kratzig an, die Seiten sind wie immer kopiert und alles ist zusammengetackert. Zwischendrin sind ein paar Hochglanz-Farbdruckseiten mit Live-Bildern zu sehen. Nettes Gimmick, aber eigentlich nicht unbedingt nötig. Dennoch sehr sympathisch, da die ProvinzPostille an vielen Stellen dieses Ego-Zine-Feeling vermittelt und halt einfach gemacht wird, was selbst gefällt. Inhaltlich gibt es natürlich wieder viele persönlichen Gedanken zu lesen, Tagebuchstyle yeah! Bei den Interviews stürzte ich mich zuerst auf Black Square, da deren Album Blumen am Abgrund ganz pfiffig war, außerdem war es auch gleich das erste Interview im Zine. Mein Highlight war aber dann das Interview mit Krause Glucke Weltverschwörung, die eigentlich ganz in der Nähe von mir (Konstanz) beheimatet sind und ich die Band bisher nur vom Namen her kannte (haben mal mit den Ravensburgern alter egon gezockt). War zwar neugierig, wie die Band wohl klingen mag, hab dann aber erst später nach der Lektüre das Quartett auf Tape-Compilation für noch interessanter befunden. Und ja, hüstel…dank Bandcamp hab ich jetzt alle dort verfügbaren Veröffentlichungen auf der Festplatte und falls ich mich jemals wieder auf Konzerte traue, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ich da mal vorbei schaue. Jedenfalls macht das Lesen umso mehr Laune, wenn man regionalen Bezug zur Band hat. War zwar schon seit Ewigkeiten nicht mehr in Konstanz (die Fähre über den Bodensee ist nicht gerade billig!), aber der legendäre alte Horst Klub in Kreuzlingen ist ebenso präsent wie das Contrast in Konstanz oder die alte und leider nicht mehr existente Remise in Wil in der Schweiz. Ach ja, das Slime-Interview klingt ganz sympathisch, hab die neuen Slime aber bisher immer noch nicht angecheckt. Aber mach ich schon noch. Ach ja, weitere interessante Interviews gibts mit der Band Zero Zeros und Syndrome 81, dazu sind noch diverse Gastbeiträge dabei.

Und dann ist da ja noch die 36 Songs starke Compilation, bei der ich ohne zu gucken die Band Syndrome 81 herausgehört habe, ohne deren Sound zu kennen, also allein aufgrund des Interviews. Jedenfalls gibt das Tape einen guten Überblick über die Subkultur-Szene, freue mich natürlich über alte Kumpels wie Hell & Back oder Zeugs wie El Mariachi, aber die eigentlichen Helden sind die mir absolut unbekannten Rumpel-Bands oder gar HipHop-Sounds wie z.B. Lena Stoehrfaktor. Sehr abwechslungsreich! Bestellt euch das Ding, da steckt viel Arbeit und DIY-Spirit drin!

ProvinzPostille / Bandcamp


Bandsalat: Ernte 77, Franz Fuexe, Freedumb, Hot Mass, Pembe, Team Tyson

Ernte 77 – „Das rote Album“ (Rookie Records) [Stream]
Deutschpunk ist ja jetzt mittlerweile nicht mehr so mein Thema, aber das vierte Album der Kölner Band Ernte 77 macht mir ganz schön viel Freude. Das liegt am melodischen Vibe, der sich durch die vierzehn Songs zieht und sehr an die 90’s-Cali-Punk-Zeit erinnert, dazu wissen die humorvollen und auch sozialkritischen Lyrics zu gefallen. Gerade der Humor scheint ein ständiger Begleiter des Trios zu sein, wie man bereits am Albumtitel und Artwork sehen kann, vorausgesetzt man hat keine rot-grün-Schwäche! Aber Vorsicht, das Label Fun-Punk ist hier unangebracht, dazu sind die Texte viel zu intelligent. Übrigens kann man diese im liebevoll gestalteten DIY-Textheftchen nachlesen, da stöbert es sich doch gerne! Dazu schleichen sich immer wieder nette Zitate aus der popkulturellen Geschichte zwischen die Zeilen. Musikalisch ist die Abwechslung zu begrüßen, denn auch wenn die Hooklines so catchy in die Hörgänge kriechen, freut man sich an den Referenzen zum Indie-Rock, Garage-Punk, NDW, Elektro und Alternative. Ich find’s irgendwie geil!


Franz Fuexe – „Selftitled“ (Honigdachs) [Stream]
Ach Du Scheiße, wir müssen reden! Und zwar über die Band Franz Fuexe, die mir aufgrund einer Besprechungsanfrage direkt ins Auge/Ohr gestochen ist! Wahnsinn, warum gibt’s Algorhythmen, wenn mir das hier nicht schon zuvor automatisch vorgeschlagen wurde? Franz Fuexe kommen irgendwie aus Österreich, genauer gesagt aus Wien. Wer jetzt Cafe-Haus-Chill-Out erwartet und völlig ausgehungert von ’ner Melange träumt, kann direkt kacken gehen (groß und richtig heftig). Und bitte richtig derb und ohne danach das Fenster zu öffnen! Denn die Band orientiert sich an Hardcoreknüppelsounds aus den frühen Achtzigern bis hin in die Neunziger, scheut aber auch den Kontakt zur modernen Zeit und ihren vielfältigen Möglichkeiten nicht. Habt ihr’s in der Nase, diesen Geruch von altem und verschimmeltem Proberaumteppich? Ich schon! Und dann ist da noch Dank der mundartlichen Lyrics dieser spezielle Özi-Humor, den ich so sehr liebe! Kottan ermittelt, der Aufschneider, Der Knochenmann, Ein Haus am Wörthersee, (fast) alles so gut [finde den Fehler]! Aber wieder zur Mucke! Kennt ihr noch Discharge, die Dead Kennedys oder Anthrax? Stellt euch die mal mit österreichischen Mundarttexten vor, Wiener Schmäh inklusive! Geil, oder? Aber hallo! Müsst ihr euch echt mal reinwürgen!


Freedumb – „Social Hangover“ (Fucking North Pole Records) [Stream]
Die norwegische Hardcore-Punk-Band Freedumb treibt auch schon seit 2003 ihr Unwesen, nach diversen Line-Up-Wechseln und dem Tod des Drummers im Aufnahmeprozess zum Album Post-Modern Dark Age war erstmal eine Auszeit angesagt. Noch vor Ausbruch der Covid-Pandemie suchte die Band einen neuen Drummer und nahm den Aufnahmeprozess wieder auf, so dass das Album Post-Modern Dark Age erscheinen konnte. Mit Social Hangover ist jetzt das vierte Album erschienen. Zu hören sind zehn oldschoolig angehauchte Hardcore-Punk-Granaten, die neben melodiösem Punkrock auch eine emotionale Kante aufweisen.


Hot Mass – „Happy, Smiling And Living The Dream“ (This Charming Man u.a.) [Stream]
Der Band aus Swansea/UK ist mit ihrem zweiten Album ein richtig fluffiges Ding gelungen. Schön gitarrenlastig ist der erste Eindruck, die Mischung aus Emo, Grunge, Indie und Punk erinnert mich das ein und andere Mal an die großartigen Brand New Unit, neuere Bands wie The Copyrights oder Iron Chick kommen auch in den Sinn. Ich mag die melodische Art und die stimmigen Songarrangements, die melancholischen Untertöne sind ebenfalls klasse. Ein richtig gutes Album, zwölf Songs für die Ewigkeit!


Pembe – „Hepimizin Evi“ (Dingleberry Records u.a.) [Stream]
In der DIY-Hardcore/Screamo-Szene der Türkei gibt es auch immer wieder cooles Zeug zu entdecken, aktuell hat die bereits in einer älteren Bandsalat-Runde vorgestellte Istanbuler Band Pembe ihr zweites Album am Start. Und bereits an der Mitwirkung der zahlreichen Labels merkt man, dass das hier eine Herzensangelegenheit ist. Die Labels Dingleberry Records, Kolo Records, Nasty Cut Records, Mevzu Records, Entes Anomicos, New Knee Records, Khya Records, Salto Mortale Music, Seitan’s Hell Bike Punks, Fresh Outbreak Records, Abraxas Distro, Friendly Otter DIY, Nothing to Harvest Records und Callous Records sind am Release beteiligt. Musikalisch präsentiert das Quartett ein Gefühlschaos aus 90’s Emocore und impulsivem Screamo, die Lyrics werden in türkischer Sprache und äußerst leidend präsentiert. Cool auch, dass neben den gängigen Instrumenten auch vereinzelt Streicher zu hören sind. Zum Reinfinden würd ich mal den Song Gözlerim Kısık vorschlagen!


Team Tyson – „Soll das jetzt alles sein?“ (Rookie Records) [Stream]
Auf dem vierten Album der Berliner Band Team Tyson gibt es schön schrammeligen und nach vorne gehenden Deutschpunk zu hören, der auf der Gitarrenseite von älterem US-Hardcore á la Circle Jerks oder Off! inspiriert ist. Das tritt dann ordentlich Arsch, so dass die Jungs ihre dreizehn Songs in zwanzig Minuten runterrasseln und dabei auch noch Zeit für die ein oder andere melodische Hook bleibt. Läuft mir gut rein, zumal die Spielfreude nicht zu überhören ist und auch die sozialkritischen Texte alles andere als platt sind. Und wenn man dann denkt, schneller kann’s nicht werden, zaubern die Jungs ganz zum Schluss noch ’nen kurzen D-Beat-Hammer aus dem Ärmel! Sorgt live sicher für schwitzige Pogo-Attacken!


Cages – „Second Thoughts“ (Through Love u.a.)

Es gibt eine kleine Vorgeschichte zu diesem tollen Release…Es war noch zu Borderline Fuckup-Zeiten, als ich die Releases der aus dem Stuttgarter Großraum stammenden Band We Had A Deal gebührend abfeierte. Über die Jahre hinweg und auch schon teils auf Crossed Letters verfolgte ich die Bandmitglieder und deren neue Bandaktivitäten, Reznik Syndrom, Rêche, Mahlström und zuletzt Schönleben. Leider versäumte ich es, mir die via Through Love Rec. erschienene 12inch der Band Schönleben zu besorgen, bevor sie vergriffen war. Zum Trost erhielt ich damals, es war Ende 2020, bereits einen ersten Vorgeschmack in Form eines Songs auf die aus Mitgliedern der eben erwähnten Bands neu gegründete Band Cages. Der Song Every Dog Has Its Day hat mich damals wie heute direkt weggeblasen, so dass ich natürlich extrem gespannt auf die bald für das Jahr 2021 angekündigte Debut-EP der neu gegründeten Band Cages war. Naja, dann hat Covid19 doch noch mal dafür gesorgt, dass das Release erst Ende 2022 das Licht der Welt erblickte.

Und wow, das Warten war natürlich total doof, aber letztendlich macht sich sicher niemand mehr einen Kopf drüber, wenn die Nadel aufgesetzt hat und dieses Gewitter an Emotionen und Intensität losbrettert. Und dann ist da ja auch noch der optische Aspekt: die einseitig bespielte 12inch mit dem Siebdruck auf der B-Seite sieht so unglaublich schön aus! Die 12inch kommt mit einem siebbedruckten Cover, das Betasten und Drüberstreicheln macht echt mal gute Laune! Irgendwie denke ich beim Betrachten des Covers und des Vinyls an weißes Rauschen, Stuttgarter Innenhöfe kommen mir auch in den Sinn. Oh wie oft musste ich in solchen Innenhöfen unbedingt und absolut ohne Ausweg meine Notdurft verrichten! Lange her ist das, deshalb lieber mal Themawechsel: es gibt auch noch ein handliches DIN-A5-Textblatt, logischerweise ein bisschen kleingeraten und blöd für brillentragende Menschen. Aber wir wissen uns ja zu helfen!

Wie die Musik klingt, könnt ihr euch ja eigentlich selbst anhören. Trotzdem schildere ich mal mein Empfinden! Ich bin total glücklich mit dem Sound der Band. 90’s Emocore kann kaum besser klingen! Die Gitarren umwickeln Dich, obwohl sie gegen den Strich des Katzenfells streicheln. Dann gibt’s diese kraftvoll geknüppelten Drums, den verzweifelt und leidenschaftlich gebrüllten Gesang, der alle Emotionen umfasst. Wahnsinnig intensiv! Hier bin ich zuhause! Hier will ich immer sein! Oh ja, dann erfährst Du dieses wahnsinnig tolle Gitarrengedöns bei Someone Who’s Working Really Hard On Being Someone, und man wünscht sich direkt in den Proberaum der Band, um ein bisschen beim Falten der EP-Cover mitzuhelfen! Das gute Stück ist in Zusammenarbeit der DIY-Labels Through Love Rec., Middle-Man Records, Shove Records und Long Legs Long Arms erschienen.

9/10

Facebook / Bandcamp / Through Love Rec.


Flittern – „Album 2022“ (Unter Schafen Records u.a.)

Wenn alle um Dich herum irgendeinen seelischen Knacks und Kummer haben und sich deshalb in ihrer persönlichen Krise in Therapie begeben, dann wird es Zeit, etwas gegen die eigene Verzweiflung zu unternehmen. Was wäre besser, als sich mit Musik passiv zu berieseln lassen? Ja, genau: selbst eine Band auf die Beine stellen, kreativ werden, sich den Kummer von der Seele schreiben. Genau das hat die während der Pandemie in Köln gegründete Band Flittern unternommen. Und das Resultat klingt äußerst angenehm und ausgereift, was natürlich Fragen zur Vorgeschichte der Bandmitglieder aufwirft. Und siehe da, hier sind Leute am Werk, deren bisherige Bands natürlich auch bereits reichlich Beachtung bekamen. Das Trio setzt sich aus Seb (Gesang, Gitarre, Synthie) und Ernie (Bass, Gesang) -beide ehemals Hey Ruin – und Jan (Schlagzeug, Percussion) von KMPFSPRT zusammen. Das erklärt die Stimmigkeit dieses vielseitigen Debutalbums, das mit elf Songs und etlichen popkulturellen Zitaten keinerlei Ausfälle zu verbuchen hat.

Okay, beim Anblick des Fotos des Acrylgemäldes mit den aufgeschürften Knien schaudert man schon etwas, fühlt kurz den Schmerz vom Sturz mit dem Skateboard und der unfreiwilligen Knie-Bremse auf dem Asphalt. Dieses ungute Bauchgefühl kann aber erstmal schnell verdrängt werden, denn aus dem Inneren kommt eine mit den Texten bedruckte Innenhülle zum Vorschein, aus dieser leuchtet auch schon die durchsichtige und grellgelbe Vinylscheibe heraus. Und beim Aufsetzen der Nadel wird man direkt mit melodischem Emopunk umgarnt, so dass es problemlos gelingt, in dieses Werk mit Haut und Haaren einzudringen. Im Verlauf des Albums merkt man, wie abwechslungsreich und stimmig das Ding aufgebaut ist. Da sind diese melancholischen Gitarren, das mal treibende und groovende Zusammenspiel von Bass und Gitarre und diese zuckersweeten Synthies, die mich desöfteren an Bands wie die Get Up Kids oder The Anniversary denken lassen. Hört mal die beiden Songs Willst Du mit mir aussterben gehen und Alman Angst, das sind doch richtige Emo-Hymnen, die sich sofort im Ohr einnisten! Ach ja, und einfühlsamen und verletzlich klingenden Gesang gibt’s ja auch noch! Und Hits am laufenden Band! Aufgrund der deutschen Texte könnte man auch Bands wie Captain Planet und Love A als Referenz-Bands anbringen, was v.a. in Bezug auf die lyrische Qualität passt.

Denn nicht nur musikalisch ist ein Feuerwerk an 90’s Emo, Pop-Punk, Indie, Grunge und Post-Punk geboten. Auch mit den intelligenten Lyrics ist den Jungs genau die richtige Mischung aus Witz, Satire, Gefühl und jeder Menge Tiefgang gelungen, meilenweit entfernt von jeglichen Klischees. Hier ist oftmals auch 90er-Nostalgie und die Punk-Sozialisation in der deutschen Provinz zu spüren, womit ich ja selbst schon mitten drin im Thema stecke und mich mit solchen Gedankengängen absolut identifizieren kann. Hier bekommt ihr ein richtig gelungenes und authentisches Debutalbum zu hören, das voller Spielfreude, Herzblut und Kreativität steckt. Ich feier das Ding ab!

8/10

Facebook / Stream / Unter Schafen Records


Bandsalat: Counterparts, Frank From Blue Velvet, Rong Kong Koma, Spite House, Stray From The Path, Thinner

Counterparts – „A Eulogy For Those Still Here“ (Pure Noise Records) [Stream]
Kleiner Spoiler vorweg: die Kanadier bleiben ihrem Sound auch auf ihrem mittlerweile siebten Studioalbum absolut treu, bieten also genau das Futter, das Fans der Band so zu lieben gelernt haben. Produktionstechnisch und vom satten Sound her könnte man gerade meinen, dass diese Songs zusammen mit dem Material der Nothing Left To Love aufgenommen wurde. Die Einflüsse der Band sind auch hier wieder deutlich zu hören: mich erinnert das von der Stimmung her an Zeugs wie frühe Stretch Arm Strong, Strongarm, More Than Life, Saving Throw und Boy Sets Fire zur After The Eulogy-Phase. Nun denn, ein instrumentales Intro und zehn Songs in etwas über einer halben Stunde Spielzeit bringen das Melodic Hardcore-Herz zum Glühen, es ist eine wahre Freude, gerade auch weil in jedem Ton leidenschaftliche Spielfreude und Herzblut steckt! Das düstere und an den Albumtitel angepasste Artwork hat apokalyptische Schwingungen. Im Digipack findet sich übrigens ein Textblatt, was bei den hohen Druck- und Papierpreisen heutzutage viel zu selten vorkommt, vielen Dank dafür. Denn dass die Texte bei Counterparts von großer Bedeutung sind, müsste mittlerweile bekannt sein. Die dramatischen, schonungslos ehrlichen und emotionsgeladenen Lyrics erzeugen wie so oft ein mulmiges Gefühl, Abschied, schwindende Freundschaften, tiefe Abgründe und Trauer sind die Themen, immer ganz nah am Ende! Und dazu kommt die wie ein Feuerwerk explodierende Musik der Jungs. Schön wuchtig und brachial kommt das intensive Gebräu aus Melodic Hardcore und Post-Hardcore daher, dort ein Breakdown, hier ein Moshpart, hymnische Passagen, unterschwellige Melodien und sauber abgestimmte Songarrangements sorgen hier für dieses kurzweilige Vergnügen, das ruhig auch mal in Heavy Rotation abgespielt werden kann, ohne zu langweilen. Spannungsgeladen, abwechslungsreich und intensiv, ein durchaus klasse Album, ich liebe es jedenfalls!


Frank From Blue Velvet – „Selftitled“ (Property Of The Lost) [Stream]
Mit Country und Americana hab ich persönlich außer mit einigen Johnny Cash-Alben keine Berührungspunkte, daher war ich über den Erhalt des Digipacks der mir gänzlich unbekannten Band Frank From Blue Velvet zuerst skeptisch. Zu Unrecht, wie sich sogar bereits bei der ersten Hörrunde herausgestellt hat. Denn die Band aus Hastings/UK bringt in ihrem Sound auch noch andere Elemente mit ein (Blues, Punk, Rockabilly, Roots-Rock, Gospel und düstere Lounge-Bar-Sounds z.B.) und schafft so einen schön eigenständigen und alles andere als angestaubten Sound. Besonders gefallen mir die weiblichen Chorbegleitungen, die glasklaren Gitarren und der verspielte und eigensinnige Bass. Hört doch mal das ruhigere Each Night an, bezaubernd! Außerdem ist das Artwork des Digipacks und des „Textheftchens“ im Tarotkartenstil äußerst gelungen. Zwar sind die Texte zugunsten des Artworks nicht abgedruckt, aber im groben und ganzen geht es schön düster zur Sache, was bereits anhand der Songtitel (The Apocalypse Nears z.B.) erahnt werden kann. Riskiert also ruhig mal ein Ohr, wenn ihr euch eine düstere Mischung aus neueren Cash-Songs und Edwyn Collins vorstellen könnt, oder euch die Gospelpassagen von Zeal & Ardor sowie das Dead Kennedys-Cover von Faith No More (Let’s Lynch The Landlord) gefallen. Die Dead Kennedys werden übrigens von der Band auch live gecovert (Police Truck).


Rong Kong Koma – „Delfine der Weide“ (Rookie Records) [Stream]
Hach, die scheiß Berliner haben ihr’n Traum gelebt und pfeffern ’n zweites Album raus, während sie mal eben kurz unsere Mütter gefickt haben? Verdammt, ganz schön umtriebig! Und sie kommen dabei ’ne ganze Ecke poppiger rum als auf dem Debut. Steht den Jungs aber ganz schön gut! Die Gitarren schrammeln zwar immer noch eher indie-mäßig, der Bass knödelt auch superschön verballert, allerdings ist alles ein bisschen gediegener geworden. Gefällt aber trotzdem, v.a. weil die Stimme von Sebastian immer noch so tief, authentisch und berührend klingt. Pop-rotzig geht das hier zur Sache, Rio Reiser schwirrt dabei immer im Hinterkopf rum. Und beim vierten Song werde ich das erste Mal überraschend hellhörig! Das ist doch Apokalypse Vega (Acht Eimer Hühnerherzen), die da Gastsängerin ist! Sehr geiles Feature! Und dann kommt ein wenig später ein Hit namens 180 Sachen mit 80 Sachen um die Ecke. Und genau das ist es, was das Album ausmacht! Entschleunigung, Rhythmus und Melancholie, dazu Bass und gechillte Drums, die aber trotzdem ordentlich wumms haben. Und natürlich diese Gitarren, die auch schon bei Sonic Youth und Dinosaur Jr. funktionierten. Ach ja, und die Stimme in Kombination mit den philosophischen Lyrics (leider kein Textblatt bei der Promo-CD), das sind eigentlich die Hauptmerkmale dieser Band! Ganz schön geile Band, Reinhard Mey wäre hingerissen, v.a. beim letzten Song!


Spite House – „Selftitled“ (New Morality Zine) [Stream]
Das New Morality Zine hat mich schon länger am Wickel, da gibt es massig Zeug, das mich total in den Bann zieht! So auch die Anfang des Jahres erschienene 3-Song-Promo der kanadischen Band Spite House (damals angepriesen), die ein paar Monate später vor kurzem ihr Debutalbum am Start hatte. Und das ist verdammt geil geworden, 90’s Emocore und Post-Hardcore gepaart mit modernerem Sound und grungigen Parts, so könnte das ungefähr umschrieben werden. Die zehn Songs sind wahnsinnig mitreißend und intensiv! Ich liebe das Ding, das Album hat das Zeug zum Meilenstein! Hört da bitte rein, falls noch nicht geschehen! Und ja, mehr muss zu diesem Album eigentlich nicht gesagt werden. Rumhüpfen und Wohlfühlen!


Stray From The Path – “ „Euthanasia“ (UNFD) [Stream]
Die Band Stray From The Path lernte ich eigentlich erst durch ihr sagenhaftes Album Internal Atomics kennen, jetzt folgt seit ihrem Bestehen im Jahr 2001 mit Euthanasia ihr mittlerweile elftes Studioalbum. Und das toppt das 2019-er Album nochmals in puncto Wucht und Intensität, das Ding tritt während der Laufzeit von knapp 39 Minuten und zehn Songs ordentlich Arsch, Verschnaufpausen braucht es da nicht! Einzig das etwas grungig angehauchte Bread & Roses hat ein paar ruhigere Töne im Gepäck, zudem ist auch hier ein Gastbeitrag von Jesse Barnett zu hören (Stick To Your Guns). Ziemlich groovend und noch einen Ticken aggressiver als auf dem Vorgänger Internal Atomics kommen die vier Jungs mit ihrem Mischmasch aus metallischem Hardcore und Hip-Hop um die Ecke, dabei helfen wuchtige Gitarrenriffs, fiese Breakdowns, mächtige Moshparts und eine dampfmachende Rhythmusmaschine, die fette Produktion bläst auch ordentlich. Dazu passt natürlich das wutschnaubende Geschrei von Sänger Drew Dijorio, der stimmlich irgendwo zwischen einem extrem wütenden Zach De La Rocha und Jason Butler (Fever 333) liegt. Musikalisch kommen mir Bands wie eben Fever 333 – aber ohne deren melodischen Mitsing-Refrains -, Converge, moshige Boy Sets Fire, RATM oder Downset in den Sinn. Jedenfalls prognostizieren Albumartwork und Albumtitel eine gewisse finstere Stimmung, das Schaubild im Textheftchen und die Lyrics unterstützen dabei die musikalische Wucht von Euthanasia, die sicher auch durch die Frustration in der Pandemie angekurbelt wurde. Diese Pandemie brachte aber auch Möglichkeiten mit sich, so hatten Fans bei Twitch das Vergnügen, beim Entstehungsprozeß der Songs zuzusehen und kreative Tipps zu geben. Werdet härter war sicher ein Tipp. Kotzt euch über die gierige und schmierige Politik aus, das muss man den Jungs sicher nicht empfehlen. Denn Stray From The Path behandeln auch auf diesem Album vorwiegend gesellschaftspolitische Themen und regen dadurch hoffentlich ein bisschen zum Nachdenken an.


Thinner – „You Don’t Want Me“ (Midsummer Records) [Stream]
Festplattenputz zum Jahresende hin gehört ja schon zu meinen weniger geliebten Gepflogenheiten, aber hin und wieder stößt man dabei auf Sachen, die eigentlich schon längst vorgestellt hätten werden müssen. So auch das mittlerweile dritte Album der Berliner Band Thinner, das bereits im Juli erschienen ist. Für neun Songs brauchen die Jungs gerade mal eine Spielzeit von knapp 17 Minuten, ihr wisst also, wie der Hase läuft! Genau, er ist rasant, schlägt Haken, wirbelt ’ne Menge Staub auf und ist kaum einzufangen! Thinner machen ihre Sache wieder mal richtig gut, die knackige Mischung aus oldschoolig und amerikanisch geprägtem Hardcore und rotzigem Hardcore-Punk geht schön nach vorne und zaubert dabei die ein und andere Melodie aus dem Hut und mir damit ein breites Grinsen ins Gesicht. Die Jungs haben ihr Handwerk ja auch schon von jung auf gelernt! Die Einflüsse von Bands wie Dag Nasty, Grey Area, Spermbirds und Minor Threat sind deutlich zu hören! Die fette und saubere Produktion klingt auch geil, Gangvocals und spannungsgeladene Songarrangements runden das Ganze ab. Habt ihr übrigens neulich mitbekommen, dass irgendwo im Norden Chinas ’ne größere Schafherde zwölf Tage lang Circle-Pit-artig im Kreis gelaufen ist? Das ganze Netz rätselte über das Phänomen, es war die Rede von Teufelsbeschwörung und Aliens. Dabei hat wohl niemand daran gedacht, dass irgendjemand Thinners You Don’t Want Me in Dauerschleife gepackt hat und die Viecher dadurch angestachelt wurden. Hier stimmt die Balance aus energiegeladenem Hardcore, Melodie und rotzigem Hardcorepunk! Check, falls nicht eh schon geschehen!


Bandsalat: Buried Lights, Futbolín, Get The Shot, Plein De Vie, Pabst, RXPTRS

Buried Lights – „Modern Ruins“ (DIY) [Stream]
Schön roh und räudig, dabei aber tief emotionsgeladen kommt der Sound der Band Buried Lights aus Detroit/Michigan daher. Neulich bei Bandcamp drauf gestoßen und direkt hängen geblieben. So in etwa könnte ich mir die Promo der Band vorstellen: Der große Bruder ist ein blödes Arschloch und spielt bei einer geilen Punk/Emo-Band, die bei allen schon etabliert und beliebt ist? Scheiß drauf, wir sind viel authentischer! Und damit auch viel geiler! Und das nur mit drei Songs! Ich geb zwar nix auf Promotexte, aber das hier würde mich echt überzeugen!


Futbolín – „Moped Xperience“ (Konglomerat Kollektiv) [Name Your Price Download]
Aufmerksame Menschen kennen die Band aus Italien bereits aus einer früheren Bandsalatrunde. Was die Jungs jetzt mit ihrer dritten EP vom Zaun brechen, ist eigentlich der absolute Wahnsinn! Rumflippen! Durchdrehen! Der absolute Oberhammer! ADHS meets Melancholie & Emo. Was soll man da noch groß schreiben, hört euch das selbst an! Ich jedenfalls feier die Band und auch die Konglomerat Kollektiv-Leutz kräftig ab!


Get The Shot – „Merciless Destruction“ (Useless Pride Records) [Stream]
Die erste EP der kanadischen Band Get The Shot erschien im Jahr 2009 noch in Eigenregie, bis heute sind auf verschiedenen Labels drei Alben gefolgt, Merciless Destruction ist nun Streich Nr.4. Da mir der bisherige Output der Band gänzlich unbekannt war, hab ich mal die verschiedenen Alben kurz angetestet. Anfangs klang die Band noch nicht so metallisch und ging eher in die Youth-Crew-Ecke mit schnellerem angepissten Hardcore-Punk, dann schlichen sich immer mehr Thrash- und Metalcore-Elemente in den Sound. Was jedoch immer vorhanden war und auch ist, ist die pure Energie und die aufschäumende Wut, die man auch dem Sound des aktuellen Albums entnehmen kann. Auf Merciless Destruction gibt’s dann deftigen Walzensound auf die Ohren, massig brachiale Beatdowns, quietschende Gitarren, fette Mosh-Parts, groovende Passagen, Death-Metal-mäßige Shouts und tonnenschwere Riffs sind auch mit von der Partie. Da wird es etliche Bands geben, die den Sound beeinflusst haben, beispielsweise Earth Crisis, Machine Head, Exhorder, Morning Again oder Integrity. Die Metal-Vorliebe ist auch im blutrünstigen Artwork deutlich zu sehen. Jedenfalls sind die Jungs schön abwechslungsreich unterwegs und wagen auch das ein oder andere nicht vorhersehbare Experiment. Gastbeiträge sind dann auch noch dabei, u.a. Matthi von Nasty. Fettes Ding, gnadenlose Zerstörung! Und jetzt schnell die Bude kurz und klein hauen!


Plein De Vie – „Koltuk De​ğ​neklerinden Kanatlar Yapmak“ (I.Corrupt Records) [Name Your Price Downoad]
Es war ein paar Wochen vor 9/11 als ich das erste und bisher einzige Mal in ein Flugzeug einstieg. Der Grund war die Hochzeit meines Bruders, welche in Ankara stattfand. Warum mir das ausgerechnet jetzt in den Sinn kommt? Nun, Ankara ist die Stadt, in der sich die Band Plein De Vie gegründet hat. Und jetzt kommt mein damaliger Eindruck dazu: die Stadt war ziemlich abgefuckt, auf Punk-oder Hardcore-Venues bin ich während meines Aufenthalts und vorheriger Recherche leider nicht gestoßen, beeindruckend blieben unfallrisikoreiche Taxifahrten, teure Minibar-Hotelrechnungen und Flohmärkte mit reichlich Hehlerware. Vielleicht ist das mit der Punkszene heutzutage ja anders, denn Plein De Vie hauen ordentlich auf den Putz und klingen dabei so, als ob sie schon jahrelang der Undergroundszene angehören würden.


Pabst – „Crushed By The Weight Of The World“ (Ketchup Tracks) [Stream]
Die Fotografie, die das Albumcover ziert, strotzt vor Spannung und Energie und bereitet euch schon mal darauf vor, was ihr in den folgenden 36 Minuten und den zwölf Songs zu erwarten habt! Und das ist eine ziemlich energiegeladene Achterbahnfahrt, die Dich schwindelig und nassgeschwitzt mit vom Wind zerzausten Haaren, abgekauten Fingernägeln und klingelnden Ohrgeräuschen am Ende der Bahn wieder ausspuckt. Und obwohl es so rasant zuging und der Adrenalinkick einige Zeit ausreichen würde, stellst Du Dich gleich wieder für eine neue Runde an! Wahnsinn, wie perfekt und satt dieses Album klingt! Bereits der Opener drückt Dich mit dreckigem Sound gegen die Wand, dabei darf es aber keinesfalls an Eingängigkeit fehlen. Auf ihrer ersten Tour hatte ich mal das Vergnügen, die Band live zu erleben. War total beeindruckend, was die drei Typen da für einen Mördersound und ’ne bombastische Show abgeliefert haben! Und ja, diese Live-Energie ist auch in den Songs dieses Albums zu spüren! Natürlich ist der Sound der Jungs tief im Alternative-Universum der Neunziger verankert, dennoch klingt das hier alles andere als angestaubt. Die Gitarren hüpfen, das hier ist frisch und voller Spielfreude, Leidenschaft und Energie! Im Digipack findet sich dann auch noch ein hübsch illustriertes Textheftchen im schwarzweißen und Schere+Klebestift angefertigten Copystyle, das hätte man in dieser Form auch gut in Kultalben der Neunziger finden können. Popkultur scheint der Band also nicht nur musikalisch auf den Leib geschneidert zu sein! Ein rundum gelungenes Album, ich bitte um Beachtung und Hingebung!


RXPTRS – „Living Without Death’s Permission“ (Metal Blade Records) [Stream]
Bei den ersten Klängen dieses Debutalbums der Band RXPTRS aus Bristol/UK wurde ich direkt an einen im Gedächtnis eingebrannten Abend irgendwann kurz nach der Jahrtausendwende gebeamt. Irgendwie ging es auf irgendein Hardcorekonzert. Normalerweise fiel der Kutscherjob zu dieser Zeit entweder auf meine Liebste oder mich, daher waren wir höchst über den Fahrdienst eines Kumpels erfreut und konnten dementsprechend dem Alkohol zusprechen. SLSK sei Dank, lernten wir in dieser Zeit auch irgendwann die Band BXLLY TLNT kennen und rockten zum partybedingten Vorglühen zu den Songs des selbstbetitelten Albums so dermaßen ab, dass ich gar nicht mehr weiß, welches Konzert wir im Anschluss besuchten. Warum nimmt diese eben erzählte Story mehr als ein Drittel des Textes dieses Reviews ein? Keine Ahnung! Aber RXPTRS machen einen genauso mitreißenden Sound, wie wir das damals bei Songs wie Try Honesty oder Living In The Shadows gefühlt haben. Geile, fette Gitarrenriffs paaren sich mit kraftvoll geprügelten und groovenden Drums, tolle Melodien und catchy Refrains sind ebenfalls am Start. Und dann ist da diese Stimme und diese Melancholie, die man im Sound der Band ab dem ersten Ton wahr nimmt. Absolut erfrischend!


Soma – „If You See Me…(Let Me Be)“ (Pike Records u.a.)

Vorsicht, bei dieser Band handelt es sich nicht um die Mitte der Neunziger aktive Band gleichen Namens, die Mehr Wut-7inch kam mir direkt bei der Mailanfrage aus dem Hause Pike Records in den Sinn. Mittlerweile liegt mir die 12inch vor, zudem hab ich recherchiert, dass diese Band hier zwar in einem ähnlichen Genre unterwegs ist, aber nicht aus Deutschland sondern aus Penzance kommt, der laut Wikipedia angeblich ersten plastikfreien Stadt Englands. Im Zuge meiner Recherche habe ich in Erfahrung gebracht, dass die vier Jungs zuvor in etlichen Bands unterwegs waren, unter anderem dürften euch Bands wie beispielsweise Crows-An-Wra, Ravachol, We Came Out Like Tigers, Crocus, Goodtime Boys und No Omega mehr oder weniger bekannt sein. Also mal wieder rein Namedropping-mäßig ein richtig dickes Ding! Und bevor ihr jetzt weiter unten lest, dass musikalisch genau die Qualität zu erwarten ist, was diese Auflistung an Bands verspricht, muss ich aber erst noch das Drumherum kräftig abfeiern! Ach ja, und die Band hat übrigens erst während des ersten Lockdowns 2020 erste Schritte getätigt, umso erstaunlicher, dass trotz der Vinylkrise bereits diese acht Songs so perfekt im Endresultat vorliegen.

Ganz plastikfrei kommt eine Vinylscheibe natürlich nicht daher. Okay, der war jetzt fies, harr harr! Trotzdem ist das Albumartwork sehr naturverbunden! Auf dem kleinen Bildausschnitt sind Barfüße abgebildet, die vor einem Fenster in den Nachthimmel ragen. Die Bäume, die Kirchturmspitze und das hell leuchtende Kreuz lässt der Phantasie freien Lauf, denn bei kindlichem Betrachtungsgeist sehen die Bäume und Sträucher wie ein Ritter auf einem Pferd aus. Ich sprech diesen sicher nicht freundlich gestimmten Kerl aber lieber mal nicht an und folge der Empfehlung des Album-Titels. Viel lieber fische ich die einseitig gepresste 12inch aus der Hülle und komme dabei ins Staunen aufgrund des wunderschönen Siebdrucks auf der B-Seite der Platte. Hier sind Pflanzen/Blumen abgebildet, eine bildlichere CO₂-Kompensation könnte man kaum treffender darstellen! Ich liebe es! Auch wenn es kein Textblatt gibt, muss darauf nicht verzichtet werden, die Lyrics sind nämlich allesamt auf dem Backcover abgedruckt.

Übrigens sind an diesem DIY-Release etliche namhafte DIY-Labels beteiligt, die ich größtenteils schon seit Ewigkeiten ins Herz geschlossen habe: Pike Records, Dingleberry Records, Boslevan Records, Left Hand Label, Clever Eagle Records und Desperate Infant Records haben dieses Juwel an den Start gebracht! Danke dafür! Denn auch musikalisch lässt das Album die Synapsen tanzen! Zwischen Emotive Screamo und Post-Hardcore tobt hier der intensive Sturm der Gefühle! Verzweiflung, Wut, Trauer und Resignation. Entsetzen über unsere zum Abnippeln verdammte Welt. Einfach nur wow, man wird direkt mitgerissen von der Wucht und der Intensität! Und das ab der ersten Sekunde, ein Sturm der Gefühle! Die Gitarren fesseln von Beginn an und lassen Dich nicht mehr los, dazu dieses wilde und ungestüme Getrommel und die verzweifelt rausgebrüllten Vocals, eine wahre Freude für alle Screamofans. Warum Isolation vielleicht manchmal besser als Konfrontation ist, kann man mit diesem Ding hier einfach mal locker flockig erfahren!

9/10

Bandcamp / Pike Records


Colored Moth – „Inertia“ (Moment Of Collapse) [Stream]

Moment mal, dieses Release wurde doch bereits in einer der letzten Bandcamp-Runden vorgestellt und abgefeiert! Sind das schon erste Anzeichen von Demenz? Keinesfalls, denn damals gab es das Album nur digital, mittlerweile hat mir die Band nach sympathischer Mailkonversation ihr Meisterwerk auf Vinyl zukommen lassen. Luftsprung! Denn gerade auf Vinyl entfaltet Inertia diese extrem magische und perfekte Dichte, die wahnsinnige Intensität und Spannung der Songs ist hier noch deutlicher und lebendiger zu spüren als beim rein digitalen Genuss. Und genau darum sehe ich die Notwendigkeit, meinen damaligen Bandsalat-Text noch etwas aufzumotzen und zu verfeinern. Denn Inertia ist – wie die bisherigen Releases der Band – schon jetzt ein absoluter Meilenstein in Sachen Post-Hardcore made in Germany. Hartnäckiges Wachrütteln ist hier einfach Pflicht! Das hier ist ein echter Leckerbissen für Leute, die auf 90’s infizierten Post-Hardcore, Noise, Screamo oder Emocore stehen!

Das Coverartwork wirkt geheimnisvoll und aufgrund der kalten Farben etwas düster, ich verbinde damit Wellen, Schallwellen, Impulse oder gebrochenes Licht, das durch eine gefrorene Wasseroberfläche schimmert. Automatisch kommen dabei natürlich Gedanken auf, wie das Artwork in Verbindung mit dem Albumtitel stehen könnte. Inertia bedeutet übersetzt soviel wie Trägheit, eigentlich ein Begriff aus der Physik. Ein Objekt setzt seine aktuelle Bewegung so lange fort, bis irgendeine Kraft eine Änderung der Geschwindigkeit oder der Richtung bewirkt. Zudem beschreibt das Wort auch einen Zustand, in dem auch ich mich oft befinde, gerade aufgrund negativ einprasselnder äußerer Einflüsse, die mich lähmen. Und gibt es dann einen positiven Impuls, wie dieses Album hier, dann krieche ich aus meiner Höhle hinaus und raffe mich auf, zum Leben erweckt. Vom Sound wachgerüttelt muss ich da einfach in die Gänge kommen. Und ja, sobald die A-Seite durchgelaufen ist, wird zum Plattenspieler gerannt, Platte umdrehen! Ach ja, diese befand sich übrigens vor dem Auflegen in einer schlichten, schwarzen Innenhülle. Und dann gibt es da noch ein auf transparentes Papier gedrucktes Textblatt. Sieht klasse aus, außerdem sind die Texte ebenfalls von großer Bedeutung, siehe weiter unten. Hier lässt sich auch nachlesen, dass Nicole aka Luminescent. beim Song New Blueprint Vocals beigesteuert hat.

So, und jetzt kann ich endlich mal die Copy and Paste-Funktion beim eigenen Geschreibsel anwenden, fühle mich dabei aber alles andere als träge. Denn nach etlichen Vinyl-Hörrunden bin ich erfreut, dass dieser damalige erste Eindruck genau das wiederspiegelt, was hier in physischer Form in den Händen liegt und sich tief in die Hörgänge gefressen hat. Hier also mal ein Auszug meines damaligen Beitrags zum Bandsalat. Hätte ich zwar auch verlinken können, aber diese verdammten Klicks kosten unheimlich viel Energie: Dass Colored Moth der absolute Geheimtipp in Sachen Post-Hardcore/Noise/Screamo aus Deutschland ist, könnte mit diesem Release – dem mittlerweile dritten Album der Berliner – bald der Vergangenheit angehören. Drei Alben hintereinander auf sehr hohem Niveau abzuliefern, das muss man erst mal drauf haben. Zehn Songs voller hibbeliger Anspannung sind es diesmal geworden. Und diese kommen gewohnt dicht, druckvoll, verschachtelt, aber immer präzise durchdacht um die Ecke. Die verzweifelt gescreamten Vocals dringen direkt ans Herz, wobei das mächtig groovende Gewitter aus knarzendem Bass und wuchtig gespielten Drums immer wieder von einer einprägsamen Gitarrenmelodie oder einer auftürmenden Noise-Wand begleitet wird. Wahnsinnig intensiv! In den Texten geht es um kritische Sicht auf die Gesellschaft, es werden beispielsweise patriarchale Machtstrukturen und toxische Männlichkeit angeprangert, Entfremdung und Abhängikeit von materiellen Werten sowie Existenzängste sind ebenfalls Themen. Also durchaus auch Food for Thought neben der musikalischen Vielfalt der Songs! Mit knapp 28 Minuten Spielzeit ein weiteres Hammeralbum der DIY-Band! Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, volle Punktzahl!

10/10

Facebook / Bandcamp / Moment Of Collapse


Chivàla – „EP II“ (Pike Records u.a.)

Was kommt denn da für eine Schönheit mit dem Päckchen aus dem Hause Pike Records ins Haus geflattert? Rein optisch ist die einseitig gepresste 12inch schon ein richtiger Hingucker! Das Backcover ist rund ausgestanzt, so dass der Blick auf die mit einem Blumenartwork besiebdruckte B-Seite frei wird. Anhand eines Songtitels erfährt man dann auch, dass es sich bei den abgebildeten Blümchen um Primeln handelt. Primeln stehen ja symbolisch für die Jugend, die Unschuld und die Hoffnung, also schon einmal ein erster Hinweis, dass sich die Band hier tiefere Gedanken gemacht hat. Das Front- und Backcover-Artwork mit dem Kaninchen als wiederkehrendem Element sieht auch fantastisch aus. Auch das Kaninchen hat einen symbolischen Hintergrund, es steht für die Wiedergeburt und Auferstehung, für den Neuanfang. Und dann ist da auch noch ein aufklappbares Textblatt, hier erfährt man dann, dass neben Pike Records eine ganze Latte an DIY-Labels am Release beteiligt sind, ich zähle auf: Shove Records, Yoyodyne, Clevereagle Records, Boslevan Records, zilpzalp records, Smellycatrecords, Les Disques Rabat Joie.

Chivàla, ein Quartett aus Bari/Italien, lernte ich erst durch diese zweite EP kennen und lieben, bisher ist mir die Band förmlich durch die Lappen gegangen, obwohl bereits zwei Split-Releases und eine EP erschienen ist und die Jungs auf dem Miss The Stars-Festival 2019 gespielt haben. Und natürlich haben die beteiligten Musiker bereits zuvor in anderen Bands gezockt (Minus Tree, Gingko Dawn Shock, Istmo). Und jetzt sind da also diese vier Songs, die zwischen Melancholie und Intensität eine äußerst spannende Stimmung erzeugen. Gesungen bzw. verzweifelt gescreamt wird in italienischer Sprache. Schön, dass im Textblatt auch eine englische Übersetzung abgedruckt wurde. Denn so erfährt man von den sehr persönlichen Themen, in denen Ängste, Sorgen und Vergänglichkeit eine zentrale Rolle spielen. Inwieweit da die schmerzhaften Erfahrungen aufgrund der Covid19-Pandemie verarbeitet wurden, kann nur vermutet werden. Jedenfalls bin ich mir spätestens beim Lesen der berührenden Lyrics sicher, dass die Eingangs beschriebene Symbolik im Artwork bewusst gewählt wurde. Sehr schön!

Wie bereits ein bisschen gespoilert, sind die vier Songs reich an Intensität und Melancholie. Hier wird extrem gelitten, die Gitarren kommen schön melodisch und verspielt, dazu passen perfekt die druckvoll gespielten Drums und das verzweifelte Geschrei. Die ruhigeren, zurückgenommeren und teils mit Spoken Words versetzten Passagen bauen diese wahnsinnige Spannung auf, dazu gibt es einen melodisch gegenspielenden Bass und in sich stimmige Songstrukturen. Und auch die aufkeimende Hoffnung ist aus manchen Passagen deutlich rauszuhören. Musikalisch ist die Band irgendwo zwischen emotive Post-Hardcore, Emocore und Screamo zu verorten, es bleibt jedoch eher im Midtempo, was zusätzlich tief berührt. Ein wahnsinnig emotionales und äußerst gelungenes Werk, das hier kommt direkt aus dem Herz, Lieblingsplatte!

10/10

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Tape-Duo: Feale & Letterbombs + Portrëit

Feale – „Cryaletti“ (Seven Oaks Records) [Stream]
Kennt ihr das Gefühl, wenn der Endless Summer plötzlich und ohne Vorwarnung abrupt endet und das Thermometer von heute auf morgen um ganze 25 Grad weniger anzeigt? Für zwei Wochen herrscht herbstlich-winterliches Wetter und plötzlich lässt sich doch noch mal der Spätsommer blicken! Genauso ein Gefühl schleicht sich bei den Klängen der Cryaletti-EP der Dresdner Band Feale ein. Mir war die Band vor dem Erhalt des bunt aufgemachten Tapes noch nicht bekannt, zuvor erschien eine erste EP. Das Tape ist der 12. Streich des DIY-Labels Seven Oaks Records. Auch das Artwork bringt mit der Orange und dem Coffee-Maker eine gewisse Urlaubs-und Sommerromantik mit. Im Tapecover finden sich alle Texte und ein handschriftlich eingetragener Downloadcode, sympathisch! Und auch ganz praktisch, wenn der Walkman mal wieder den Geist aufgegeben hat. Mit dem Opener Sun Benedetto geht zugleich auch die Sonne auf. Nach einem kleinen, etwas grungig angehauchten Intro geht es auch schon mit verträumten Gitarren und treibenden Drums melodisch nach vorne, die female Vocals gefallen mir dabei ganz besonders. Da ist insgesamt sehr viel Melancholie zu spüren, die textlich noch unterstrichen wird. Die Mischung aus Midwest-Emo und Punk lässt trotz der schmerzlichen Lyrics die Sonne scheinen, das nennt sich dann wohl bittersweet! Insgesamt fünf Songs gibt es zu hören. Neben Bands wie Tigers Jaw oder Turnover dürften auch Bands wie die Misfits oder Algernon Cadwallader große Einflüsse des Quartetts sein. Bin jedenfalls auf weiteres Material der Band sehr gespannt, das Tape solltet ihr unbedingt mal abchecken!


Letterbombs & Portrëit – „Split“ (Dingleberry Records u.a.) [Name Your Price Download]
Auf diesem Co-Release der Labels Dingleberry Records & Zegema Beach Records gibt’s gleich zwei geile Bands zu hören, die euch mit ihrem Sound ruckzuck den Kopf verdrehen, vorausgesetzt ihr mögt es etwas ruppiger Richtung Screamo & Emoviolence. Letterbombs aus Finnland sind mit vier Songs am Start. Die Gitarren drehen frei, manchmal aber auch schön melodisch, der Sänger kreischt intensiv, die Drums klingen ebenso verrückt zwischen Stop’N’Go und Highspeed-Geknüppel, der Bass knarzt wie Hölle. Gescreamt wird teils in englischer und auch in finnischer Sprache. Portrëit aus Giessen wurden ja bereits mit ihrem tollen 2017er-Demo angepriesen, jetzt gibt es endlich neuen Stoff der Band, die sich übrigens aus Leuten der Bands Faltre und Knife Trade zusammensetzt. Aus den vier eigenen Songs und einer Comadre-Coverversion hört man die langjährige Banderfahrung deutlich raus. Geboten wird intensiver emotive Screamo, der immer wieder mit stürmischen Ausbrüchen für Chaos und Gänsehaut sorgt. Diese höllisch geilen Gitarren und das leidende Geschrei in Kombination mit den unvorhersehbaren Richtungswechseln und einem Drummer, der mit Haut und Haaren mit seinem Drumkit verschmilzt, zaubern mir ein fettes Grinsen ins Gesicht. Hier spürt man die Leidenschaft und das Herzblut!


Kind Kaputt – „Morgen ist auch noch kein Tag“ (Uncle M)

Es war im Vorprogramm von Fjort, als ich Kind Kaputt das erste Mal live sah. Ganz geschmeidig, mein erster Eindruck! Dann kam mit Zerfall ein Debutalbum, das mich richtig packte, das Ding ist damals und sogar bis heute auch öfters im Familienkreis im Auto gelaufen und positiv aufgenommen worden. Natürlich haben die Kinder aufgrund des Covers ein Faible für abgeranzte Kaugummiautomaten entwickelt. Trotzdem habe ich es irgendwie geschafft, den Kindern diese und auch andere Automaten madig zu machen. Schließlich sind solche Automaten ein erster Kontakt mit dem bösen kapitalistischen System. Oh, ich drohe abzuschweifen! Morgen ist auch noch kein Tag kam vor einiger Zeit auf Vinyl ins Haus geflattert, was natürlich hohe Luftsprünge auslöste! Geile Sache! Das Cover erinnert mich ein wenig an das Artwork von Harald Martensteins Buch „Der Titel ist die halbe Miete“. Eine Schaukel, die direkt an einer Wand steht. Da sind durchaus Parallelen zur Rutsche in den Abgrund von Martensteins Roman zu erkennen. Fehlt nur noch der Abgrund, denkst Du Dir bei der Betrachtung der Rutsche ins Nichts. Tja, den Abgrund gibt es dann in Form der Lyrics, die sich zwar echt mal auf den ersten Blick dauernd reimen, aber auf den zweiten Blick dann trotzdem irgendwie real und treffend formuliert sind. Ach ja, und dann gibt’s ja noch den Spruch, dass jemand als Kind zu nah an der Wand geschaukelt hat, der bei der Auswahl des Cover-Motivs sicher auch noch eine Rolle gespielt hat.

In deutscher Sprache erfährt man, in welchem Dilemma Mittzwanzigermenschen heutzutage in ihrer Alltagssituation so stecken. Auch wenn ich mittlerweile 50+ bin, das kommt mir alles irgendwie ganz bekannt vor. Das mit dem Reimschema fällt übrigens nur beim allerersten Durchlauf auf, denn spätestens bei der dritten Hörrunde ist man froh, dass man die Texte schon auswendig mitgröhlen könnte, falls es zu einer Liveshow kommen sollte! Ob das durchsichtige und etwas hellblau durchschimmernde Vinyl da eine Rolle bei spielte, kann ich nicht sagen. Es hat einfach Klick gemacht! Außerdem freu ich mich über die auf die Innenhülle aufgedruckten Texte! Und als Krönung fällt auch noch ein Kärtchen mit einem Download-Code aus der Hülle, hier bekommt man noch zusätzlich zu den zwölf Songs drei während der Bandproben entstandene Demo-Songs des Albums. Wahnsinn, wie professionell diese Demos schon klingen!

Kind Kaputt haben echt ’nen Sound kreiert, der einfängt und in den Bann zieht. Irgendwo zwischen Post-Hardcore, Emo und Rock würde ich den Sound einordnen, trotzdem lässt sich das nicht so festzurren. Wahnsinnig viele Soundspielereien gibt es zu entdecken, hier wurde viel getüftelt, gebastelt, umgestellt und ausprobiert, da steckt sehr viel Arbeit und Zeit drin. Mitreißend find ich die Passagen, in denen der Sänger eher mal energischer schreit und die runtergestimmten fuzzy Gitarren wild rotieren. Das klingt alles so schön eigenständig! Auch beim Gesang gibt es Abwechslung, selbst gerappte Passagen sind beim genaueren Hinhören zu entdecken. Alles in allem steckt Morgen ist auch noch kein Tag voller Hits! Und bei jedem weiteren Durchlauf entdeckt man neue Melodien, die sich aus den Soundwänden herauswinden. Die Songstrukturen sind einfach perfekt arrangiert, dazu kommt eine saubere, satte Produktion und die melancholischen Untertöne dürfen auch nicht fehlen. Einige Songs könnten es auch gut ins Radio schaffen, Stolpern wäre beispielsweise so ein Kandidat, wenn es auch gegen Ende des Songs etwas lauter wird. Starkes zweites Album!

8/10

Facebook / Bandcamp / Uncle M


Between Bodies – „Electric Sleep“ (KROD Records, I.corrupt.records)

Dass Between Bodies aus Köln, Paderborn und Toronto kommen ist ja schonmal ziemlich originell! Globalisierung find ich ja generell nich so doll, aber wenn so ein kreatives Ergebnis daraus resultiert, will ich mal nicht so sein! Außerdem gibt es ja in der heutigen Zeit kontaktlose Zoom-Session-Proberäume. Das nehme ich mal als absolute Technik-Pfeife schwer an! Gute Sache! Man kann sich vor einer Tour ja trotzdem noch kurz in ’nem keimfreien Raum treffen, um die Songs miteinander in Echtzeit zu proben! Jedenfalls liegen zwischen Paderborn/Köln und Toronto Ozeane, das kann man im Albumartwork und im wellenbedruckten Textheftchen des Digipacks auch noch mal wahrnehmen. Sieht alles ganz stimmig aus!

Between Bodies wurden hier an anderer Stelle schon aufgrund ihrer EP On Fences positiv erwähnt. Damals brachte ich als Referenzen Bands wie Pale, By A Thread, Samiam, Flyswatter, Audio Karate oder Gameface an. Teils passt das noch immer, aber bei Electric Sleep kommen mir vor allem immer und immer wieder Death Cab For Cutie, One Man And His Droid und Stars in den Sinn. Die elf Songs werden jedenfalls zu keiner Zeit langweilig! Wenn ihr Emozeugs aus der Jahrtausendwende nicht abgeneigt seid, dann wird dieses Album eine Offenbarung für euch sein! Auch wenn da jetzt zig Referenz-Bands stehen, solltet ihr da völlig unvoreingenommen reinhören. Hier steckt nämlich viel Eigenständigkeit drin, grenzenlose Melancholie und eine Vielfalt an Emotionen werdet ihr beim Hörgenuss ebenfalls zu spüren bekommen, Spielfreude und Herzblut inklusive! Ich feier das höllisch ab!

Und auch textlich hat das Album einiges an Emotionen zu bieten! Die Begegnung mit dem Tod? Scheiße, das will man so gut wie’s geht verdrängen und ausblenden! Wenn im Sterbefall auch noch andere Tragödien ans Tageslicht kommen, die bisher unter dem Mantel des Schweigens schwelbrandartig vor sich hingelodert haben und womöglich erst auf dem Sterbebett von allen Beteiligten realisiert werden, dann ist das echt mal bitter! Um so etwas zu verdauen, braucht es schon ein extrem dickes Fell. Am besten taucht ihr selbst in dieses sensible und intime Thema ein! Verdammt gut, unglaublich intensiv! Tolles Album!

8/10

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Bandsalat: …And Then I Feel Nothing, Easy Prey, Fenris Fuzz, Hippie Trim, Meißel, Shooting Daggers

…And Then I Feel Nothing – „5 Songs“ (DIY) [Name Your Price Download]
Ein ziemlich geiles Brett irgendwo zwischen düsterem und dissonantem Screamo, Emoviolence, Post-Hardcore, Hardcore, Post-Punk, Metal und Noise liefert das Trio …And Then I Feel Nothing auf seiner aktuellen und fünf Songs starken EP ab! Rotzig, wütend, roh! Und verdammt fett und basslastig gemischt, wieder mal die Tonmeisterei! Da zittern die Wände, wenn man die Anlage voll aufdreht. Und live bringt das sicher die ein oder andere Baseballcap zum vibrieren, eure H&M-Fischerhüte werden euch bereits beim Auftakt sowas von der Rübe geblasen! Geil kommen auch die recht unterschwelligen Melodien, die kaum aus dem ganzen Noisegewitter auszumachen sind! Checkt das mal zum Frühstück aus, da werden die Müsli-Körner wie von selbst im Gebiss zu Brei gemahlen!


Easy Prey – „Unrest“ (Hell Minded Records) [Stream]
Wenn ihr mal wieder ein richtig fettes Post-Hardcore-Brett mit mehr Nähe zum Hardcore und Post-Noise hören wollt, dann empfehle ich euch das zweite Album der texanischen Band Easy Prey. Hier bekommt ihr zehn fette und teils groovy Smasher auf die Ohren, die vor Chaos, Brutalität und purer Emotion und einer wuchtigen Produktion nur so strotzen. Stellt euch ’ne wilde Prügelei zwischen Bands wie The Hope Conspiracy, Starkweather, Bloodlet oder Kiss It Goodbye mit Noise-Krawallmachern wie Unwound, Helmet, Unsane oder weirderen Slint vor, addiert noch ’ne Portion glaubwürdige Trueness und pure Leidenschaft, dann kommt das so ungefähr hin. Instensiv, dicht, wahnsinnig emotional, authentisch!


Fenris Fuzz – „Freaky Stories Of Daily Life“ (Eternalis Records) [Stream]
Die französische Band Fenris Fuzz hat sich aus Leuten der Modern-Hardcore-Band Fire At Will im Jahr 2020 zusammengetan. Auf der ersten EP sind insgesamt sechs Songs zu hören, die dem Fuzz im Bandnamen alle Ehre machen, obwohl der Hauptstil der Jungs im Post-Hardcore verortet ist, Nebenschauplätze sind Post-Rock, Sludge, Screamo und Stoner-Elemente. Heavy Gitarrenriffs und fuzziger Bass treffen dabei auf sehr gut ausgetüftelte Songarrangements, wuchtige Drums und emotionale Vocals, die am Rand der Verzweiflung zu stehen scheinen. Und neben den tonnenschweren Gitarren schleichen sich natürlich auch noch hervorragende Melodien in den Sound mit ein. Bittersweet! Klingt ziemlich spannend und eigenständig, was die Jungs da zusammengeschustert haben, müsst ihr unbedingt anchecken!


Hippie Trim – „What Consumes Me“ (Supervillain) [Stream]
Die Band aus Nordrhein-Westfalen konnte bereits mit dem Debutalbum Cult nicht nur bei mir einige Szenepunkte sammeln, mit dem Nachfolger What Consumes Me dürften noch etliche mehr dazukommen, soviel schonmal vorneweg! In der Pandemie scheint die Kreativität ein willkommener Rettungsanker gewesen zu sein, denn What Consumes Me hat elf Songs an Bord, die nur so vor pfiffigem und sprudelnden Ideenreichtum, Leidenschaft, Wut, tiefgreifenden Emotionen und herzzerreißenden Momenten strotzen, Langeweile ist hier Fehlanzeige. Gekonnt wird ein impulsiver Mischmasch aus Post-Hardcore, Emo, Screamo, Indie, Pop, Shoegaze und Grunge gezaubert, eine wahre Freude! Hinter Bands wie Turnstile, Citizen, Turnover & co brauchen sich die fünf Jungs jedenfalls wahrlich nicht verstecken! Einflüsse dieser Bands kann man ebenso raushören wie z.B. Zeugs wie As Friends Rust, Grade, Alexisonfire, Title Fight, Such Gold oder The Story So Far. Auf der einen Seite sticht diese Catchyness hervor, wundervolle Gitarrenriffs treffen auf Doppelgesang und shoegazige Passagen, energiegeladene Ausbrüche sind ebenso mit von der Partie. Textlich lohnt es auch, mal genauer hinzuhören, u.a. geht es um gesellschaftliche und menschliche Dinge. Und die satte Produktion zeigt auch ihre Wirkung, ein rundum gelungenes Album!


Meißel – „Selftitled“ (DIY) [Name Your Price Download]
Bereits vor der Covid19-Geschichte hat sich dieses Duo (Meißel/Meizsel) aus Karlsruhe aus Mitgliedern der Band Lypurá zusammengefunden. Als Duo hatte man es mit den ganzen Auflagen sicher besser, wenn man mal wieder auf eine Face To Face-Probe heiß war, außerdem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass ’ne Duo-Band auch sehr gut online was auf die Reihe bringen kann. Jedenfalls gibt es acht Songs auf die Ohren. Bei einer Spielzeit von knapp zwölf Minuten wisst ihr sicher schon, wo die Reise hingehen könnte. Screamo, Emoviolence, Bremer Schule-Mosh, Hardcore, Skramz und natürlich einiges an Emocore. Selbstverständlich mit viel Wut und Verzweiflung im Bauch, daher sehr intensiv und emotional. Sturm und Drang, erinnert sehr an Emocore/Screamo-Perlen á la Yage, June Paik, Orchid, Indian Summer oder Louise Cyphre. Kurze, aussagekräftige, in deutscher Sprache auf den Punkt gebrachte Texte runden das ganze ab! Geil, oder?


Shooting Daggers – „Athames“ (New Heavy Sounds) [Stream]
Geballte Girl-Power gefällig? Dann solltet ihr die neue EP des Trios aus London anchecken! Die sechs Songs machen ordentlich Wind, hier steckt Radau drin, die Mädels scheinen auf Krawall gebürstet zu sein und spucken dem patriarchalen Machtsystem direkt in die picklige Fresse! Geboten wird wütender und angespisster Hardcore-Punk, das erinnert an die Washington DC-Hardcore-Frühzeit. Roh, wutschnaubend und böse! Und wie es sich gehört, gibt es hier Punk mit Message auf die Ohren, was natürlich auch an die großartige Riot Grrrl-Zeit erinnert! Ich bin jedenfalls schwer begeistert!


Bandsalat: Anchoress, Azzacov, Bellyacher, Leave, NEXØ, Rome Is Not A Town

Anchoress – „Stay Positive“ (Early Onset Records) [Name Your Price Download]
Im Jahr 2016 war das letzte Lebenszeichen der Jungs aus Vancouver in Form eines Albums. Sechs Jahre später also der Nachfolger. Stay Positive hat neun Songs im Gepäck. Und ich muss sagen, dass der Sound der Band mittlerweile richtig gereift ist. Geboten wird eine Mischung aus Post-Hardcore, Punk, Emo, Screamo und etwas Post-Rock und Grunge. Die Songs klingen wütend und intensiv, die melancholische Seite kommt auch nicht zu kurz. Textlich geht es um die psychische Gesundheit, Kapitalismus und auch der politische Wandel beschäftigt die Band sehr. Und ja, der Albumtitel ist Programm, hier lassen sich viele optimistische Soundscapes entdecken, in das Album kann man richtig eintauchen! Könnte Menschen gefallen, die Zeugs wie La Dispute, Pianos Become The Teeth, Touché Amoré, Title Fight oder Comadre mögen. Alle Daumen nach oben!


Azzacov – „Fragmente“ (Middle-Man Records u.a.) [Name Your Price Download]
Man muss schon genauer hinhören, um zu erkennen, dass hier in deutscher Sprache gekeift und gescreamt wird. Das Trio Azzacov kommt aus Nürnberg und fährt voll das Skramz/Emoviolence-Brett auf. Eine wahre Freude ist das! Hier wird gelitten, was das Zeug hält! Die Gitarren rotieren wie blöde, das Getrommel reicht von arhythmisch irre bis dezent plätschernd, ich liebe das! Geht live sicher ordentlich ab! Politische und persönliche und fast schon poetische mit philosophischen Ansätzen gespickte Lyrics runden das Ganze ab. Fans von Bands wie Danse Macabre, June Paik, Jeromes Dream, Manku Kapak oder Suis La Lune sollten hiermit leuchtende Augen bekommen!


Bellyacher – „Selftitled EP“ (DIY) [Stream]
Irgendwann im Januar 2020 mitten in der Pandemie gegründet, haben die vier älteren Hasen plus die Dame am Mikrofon ihre erste EP aufgenommen. Drei Songs gibt’s zu hören. Und wenn ihr auf den guten alten, melodischen Emo/Indie/Punk/Posthardcore-Sound aus den Neunzigern bis zur Jahrtausendwende stehen solltet, dann ist Bellyacher sicher ein Ohr wert! Stellt euch vor, bei Samiam singt eine Frau, dann habt ihr es so grob. Denn an Samiam erinnert mich das Quintett aus Nordrhein-Westfalen am meisten, es kommen aber auch Bands wie Rocking Horse Winner, Ohio’s Favorite, melodischere Boy Sets Fire oder Jets To Brazil in den Sinn.


Leave – „Selftitled“ (Moburec) [Stream]
Irgendwie werden die Zeiten knapper, um bei Bandcamp ausgiebig zu Stöbern, dennoch ist die Ausbeute bei jeder Entdeckungstour enorm hoch. Neulich stieß ich auf die erste EP von Leave aus Mainz. Sofort vom tief in den Neunzigern verwurzelten Indie-Rock gefangen, konnte ich erst gar nicht glauben, dass hier quasi nur zwei Leute dafür verantwortlich sein sollen. Großartige Melodien, gefühlvoll und melancholisch, hier hört man sehr viel Leidenschaft heraus! Und auch die Punkwurzeln sind nicht von der Hand zu weisen, selbst das wiederholt eingesetzte Saxophon fügt sich super in den Sound ein! Irgendwo zwischen Nada Surf, Pavement und Dinosaur Jr. Wenn ihr also auch dem guten alten Gitarren-Sound der 90’s verfallen seid, könnte das hier ein Leckerbissen für euch sein!


NEXØ – „False Flag“ (Kink Records u.a.) [Name Your Price Download]
Beim Intro denkt man sich noch so, wird bestimmt ein Metal-Brett, doch dann wird man von einem nach vorne gehenden und hibbeligen Motorboot überfahren. Ganz schön energiereich und fast schon ein bisschen oldschoolig kommt die Mischung aus Hardcore und Punk daher, schön dichte Gitarren mit unterschwelligen Melodien, treibende Drums und polternde Basstunes werden mit wütendem Geschrei gespickt. Erinnert mich ein bisschen an alte Refused. Das hier ist vertonte Spielfreude und Leidenschaft! Auch textlich steckt hier viel brauchbares drin, es geht um die Realität, in der nichts mehr echt ist, die Verlogenheit machtgeiler Politiker, Fake News in Sozialen Medien usw. NEXØ kommen übrigens aus Kopenhagen/Dänemark, vor False Flag gab es eine EP und ein Album, das muss ich mir nach dem Abfeiern von False Flag jetzt auch noch auf die Festplatte zippen!


Rome Is Not A Town – „Tender Arms Power Heels“ (Startracks) [Stream]
Das zweite Album der aus Göteborg/Schweden stammenden Band Rome Is Not A Town hat mich ab dem ersten Ton am Wickel! Irgendwo zwischen Post-Punk und Emocore würde ich das hier einordnen, jedenfalls ziemlich intensiv, teils düster aber auch mit reichlich Melancholie an Bord. Die female Vocals klingen sehr resigniert und man spürt auch eine gewisse Kälte, während die instrumentale Begleitung roh und kantig klingt. V.a. die groovende Rhythmusmaschine aus Bass und Schlagzeug sticht hier besonder hervor. Das erinnert dann natürlich an großartige Bands wie Fugazi, Sonic Youth, One Last Wish oder auch Rites Of Spring. Das Artwork sieht im 12inch-Format sicher grandios aus! Neun Songs, kein einziger Ausfall!


Bandsalat: geronimostilton, !Housebroken, Heart Headed, Little Sparkee, Modecenter, Outright

geronimostilton – „Impending Ghosts“ (DIY) [Stream]
Wie geil ist das hier bitte? Voll die Breitseite low-fi-Screamo/Emoviolence vom Feinsten! Mehr Distortion geht eigentlich fast gar nicht mehr! Ich brech ab! Aber bevor ihr jetzt denkt, dass euch da nur abnormaler Krach erwarten wird, muss ich euch enttäuschen. Klar, Krach gibt’s zwar auch zuhauf, aber hier steckt ganz viel Intensität, unterschwellige Melodien und Melancholie drin, das geht richtig unter die Haut! Wahnsinn! Und diese Gitarren, ich bin diesem Sound hier echt verfallen! Aber hört und spürt es selbst!


!Housebroken – „L’altro ieri: distacco“ (DIY) [Stream]
Bei !Housebroken handelt es sich um eine Band aus Turin, bei der es keinen festen Frontmann gibt, neben den verschiedenen Bandmitgliedern singen auch noch andere Leute, unter anderem der Sänger von Radura. Nun, zu hören gibt es wunderbar melancholischen und altmodischen Midwest-Emocore, die Lyrics werden in italienischer und englischer Sprache vorgetragen. Hauptsächlich stehen Herzschmerz-Themen wie Trennung und Entfremdung im Vordergrund, immer den Blick auf die Vergangenheit gerichtet. Die sechs Songs bieten in ihrer Laufzeit von 33 Minuten jedenfalls viel Abwechslung und es kann auch durchaus mal schneller zur Sache kommen, siehe Leech. Neben einzelnen Post-Rock-Verweisen geht es auch ab und an mal mathig zu, die Gitarren schweben jedenfalls schön verträumt durch die Lüfte.


Heart Headed – „Peter Panic“ (DIY) [Stream]
Ganz neu im Jahr 2022 gegründet, hat die Frankfurter Band Heart Headed ihre erste 3-Song-EP veröffentlicht. Wenn man diese hört, dann wird man wirklich mal kurz in die Jahrtausendwenden-Zeit gebeamt, als Bands wie Thrice, Boy Sets Fire, oder Thursday deutsche Bands inspirierten und Zeugs wie beispielsweise Three Minute Poetry, Pale, Ambrose oder Lockjaw hervorbrachte. Angesichts des Sounds würde ich fast vermuten, dass hier Leute musizieren, die mit diesem Sound aufgewachsen sind. Und glaubt man den Worten in der Anfragemail, dann sind die Jungs mit myspace in die Szene eingetaucht. Diese drei Songs machen jedenfalls neugierig, was man von Heart Headed wohl noch zu hören bekommen wird. Ach: schade, dass es die EP nirgends bei Bandcamp gibt, hab sie jedenfalls nicht gefunden. Spotify kann ich eigentlich nicht leiden, aber die drei Songs schafft man ohne lästige Werbeunterbrechung.


Little Sparkee – „Oh! The Tension“ (DIY) [Stream]
Ihre erste EP hat die Band Little Sparkee aus Vancouver, British Columbia (Kanada) am Start. Es klingt zwar teilweise etwas holprig, was für mich aber gerade den Reiz ausmacht. Ich würde den Sound irgendwo zwischen Emo, Punk und Hardcore einordnen, teilweise erinnert mich das hier an Bands wie At The Drive-In, Maggat oder Bear Vs Shark, jedenfalls hat’s ’ne starke Jahrtausendwenden-Nostalgie, zudem gibt’s ’ne Hommage an die Blood Brothers. Sehr sympathisch, da bin ich mal gespannt, was da noch in Zukunft kommen wird.


Modecenter – „Selftitled“ (A-Lo Records) [Stream]
Auf die Wiener Band Modecenter bin ich beim Radiohören gestoßen, ja sowas kann es auch mal geben! Gleich spitzten sich die Öhrchen, als das zwischen Post-Punk, Noise und Post-Hardcore krachige Gebräu aus den Lautsprechern über den Indie-Sender FM4 wummerte. Kraftvoll, pumpender Bass, groovende Drums und eine schöne Schreistimme, damit bekommt man mich ziemlich schnell! Yeah, hier wird man mit zehn Songs voll bedient, wenn man 90’s-Sound á la Fugazi, Flipper, Jezus Lizard, Shellac oder Drive Like Jehu mag. Modecenter hätten mit diesem Sound jedenfalls gut auf Labels wie Amphetamine Reptile, Dischord oder Touch And Go Records gepasst. Müsst ihr unbedingt mal antesten, klingt sehr international!


Outright – „Keep You Warm“ (Reason And Rage Records) [Stream]
Wenn im Winter die Gaskrise für kalte Füße sorgen sollte, dann sollte man sich schnell mal aufwärmen. Vielleicht gelingt es mit Keep You Warm, dem neuen Album der australischen Band Outright. Das Ding hat metallischen Hardcore zu bieten und geht derb nach vorne. Die Dame am Mikro lässt ordentlich Wut und Ärger raus, während die fett klingende Rhythmusmaschine aus sattem Bass und kraftvoll walzenden Drums mitsamt den Gitarren ordentlich Druck macht. Dazwischen gibt es immer mal wieder unterschwellige Melodien und Slayer-artige Gitarrensoli zu entdecken. Insgesamt zehn Songs, dürfte den Walls Of Jericho oder Earth Crisis-Fans unter euch gefallen.


Bandsalat: Angora Club, Entropy, How I Left, Puke Wolf, Tvivler, Up For Nothing

Angora Club – „…und außerdem bist Du allein“ (Kidnap Music) [Stream]
Und außerdem bist Du allein. Starker und aussagekräftiger Albumtitel! Angora Club kommen aus Flensburg und machen auf ihrem zweiten Album eine richtig schöne Mischung aus deutschsprachigem Emo und Punk. Treibend, melancholisch und textlich absolut auf Augenhöhe. Ich mag das Zusammenspiel von Gitarre und Bass, die sich eher gegeneinander duellieren. Und dann natürlich das druckvolle Schlagzeug und die heiseren Vocals. Greift hier zu, wenn ihr Zeugs wie Matula, Düsenjäger undsoweiterundsofort mögt.


Entropy – „Death Spell“ (Crazysane Records) [Stream]
Das Debütalbum der Hamburger Band dürfte wohl bei einigen Grunge-Fans einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Ich fand es jedenfalls sehr authentisch und klasse. Jetzt gibt es Nachschlag in Form einer drei Songs starken EP. Und ja, die Gitarren flirren wie einst Schmetterlinge in den Neunzigern, es ist eine wahre Freude, was da für tolle Gitarrenmelodien in den Lüften flattern. Ist das eigentlich ein Schmetterlingsauge auf dem Cover? Eher nicht, da kommen Polypenaugen aus ’ner Wolke. Und der EP-Titel hat mit Schmetterlingen auch nicht so viel zu tun. Oder wie lang war nochmal die Lebensdauer eines Schmetterlings. Ach egal, hört da einfach mal rein, ihr in den 90s verankerten Grunge-Indie-Noise-Rocker.


How I Left – „Birds In The City“ (This Charming Man Records) [Stream]
In der Mailanfrage der Band How I Left wird irgendwas von Indie-Folk gefaselt, hört man sich die zwölf Songs vom Debutalbum des Duos aus Karlsruhe aber dann etwas genauer an, dann entdeckt man zu den oben genannten Musikrichtungen auch eine satte Portion Emo. Die Stücke kommen sehr gefühlvoll um die Ecke, was hauptsächlich der zerbrechlich wirkenden Stimme von Sänger und Gitarrist Julian Bätz zugeschrieben werden kann. Aber auch die Gitarre hat das ein und andere melancholische Riff auf Lager. Dann ist auch noch so ’ne gewisse Slacker-Attitude rauszuhören, Bands wie The Cherryville, Amid The Old Wounds, Bright Eyes, Nada Surf, frühe Youth Group, Weakerthans oder The New Amsterdams kommen mir hauptsächlich in den Sinn. Tolles Album jedenfalls.


Puke Wolf – „Interstice“ (Dingleberry Records u.a.) [Stream]
Die Band Puke Wolf stammt aus Aarhus/Dänemark und bei Interstice handelt es sich um die zweite EP der Jungs, die man auch schon von den Bands LLNN, HIRAKI, Demersal und Halshug kennt. Nun, von der Spielzeit von fast 27 Minuten her könnte das Ding auch als Album durchgehen. Puke Wolf sind im emotionalen Post-Hardcore zu Hause, ein bisschen Screamo und Post-Rock-Ambient ist in den abwechslungsreichen Songarrangements ebenfalls zu finden. Klingt ganz rund, und dann sind da ja auch noch die Lyrics, die sich mit persönlichen Inhalten und globalen sozialen Ungerechtigkeiten in unserer herzlosen Gesellschaft beschäftigen. Da gibt es natürlich viel Wut, Frustration und Verbitterung zu hören und spüren.


Tvivler – „Kilogram“ (Fysisk Format) [Stream]
Der bisherige Backkatalog der Kopenhagener Band Tvivler wurde ja bereits an anderer Stelle hoch gelobt, jetzt folgt also Album Nummer zwei. Und das ist ebenso beeindruckend und wiegt – wie im Albumtitel angedeutet – ziemlich viel! Es scheint, als ob sich die Band mit jedem weiteren Release neu erfindet und experimentelle Wege eingeht und dadurch auch immer sperriger wird. Der über sechsminütige Opener bohrt sich mantramäßig seinen mühsamen Weg durch die Gehörgänge. Dieser polternde Bass und die kraftvoll gespielten Drums entwickeln einen mächtigen Groove, hinzu kommen weirde Noise-Gitarren, Gesang zwischen Geschrei und Spoken Words. Die Gitarren erinnern im Verlauf des Albums oft an Bands wie At The Drive-In, Craving, Trigger Cut oder Buzz Rodeo. Auf diesem Album gibt es viel Avantgarde, angsteinflößende Töne und sperrige Passagen zu entdecken, die Abwechslung und vertrackte Songstrukturen sind ein ständiger Begleiter. Die in dänischer Sprache vorgetragenen Lyrics behandeln Themen wie Ängste, Depressionen und massive Gesellschaftskritik, was man in dem vor Angst-Gefühlen strotzenden Gesang auch sehr gut heraushören kann. Ein Blick auf die Texte lohnt sich jedenfalls. Für das Album sollte man sich genügend Zeit nehmen, es ist definitiv keine leichte Kost!


Up For Nothing – „Escape Route“ (It’s Alive Records) [Stream]
Die alten Recken der New Yorker Band Up For Nothing haben ein neues Album am Start, ihr mittlerweile viertes und auch ausgereiftestes. Geboten wird hymnisch-melodischer Punkrock, der gut nach vorne geht. Mir kommen Bands wie die guten alten Dillinger Four, Kid Dynamite oder Astpai in den Sinn, die Misfits dürften im Sound des Quartetts ebenfalls ihre Spuren hinterlassen haben. Genau der richtige Sound für den Sommer!


Bandsalat: Colored Moth, Dead Tired, Foreign Hands, Home Is Where, Record Setter, ксилема, MEO

Colored Moth – „Inertia“ (Moment Of Collapse) [Stream]
Dass Colored Moth der absolute Geheimtipp in Sachen Post-Hardcore/Noise/Screamo aus Deutschland ist, könnte mit diesem Release – dem mittlerweile dritten Album der Berliner – bald der Vergangenheit angehören. Drei Alben hintereinander auf sehr hohem Niveau abzuliefern, das muss man erst mal drauf haben. Zehn Songs voller hibbeliger Anspannung sind es diesmal geworden. Und diese kommen gewohnt dicht, druckvoll, verschachtelt, aber immer präzise durchdacht um die Ecke. Die verzweifelt gescreamten Vocals dringen direkt ans Herz, wobei das mächtig groovende Gewitter aus knarzendem Bass und wuchtig gespielten Drums immer wieder von einer einprägsamen Gitarrenmelodie oder einer auftürmenden Noise-Wand begleitet wird. Wahnsinnig intensiv! In den Texten geht es um kritische Sicht auf die Gesellschaft, es werden beispielsweise patriarchale Machtstrukturen und toxische Männlichkeit angeprangert, Entfremdung und Abhängikeit von materiellen Werten und Existenzängste sind ebenfalls Themen. Also durchaus auch Food for Thought neben der musikalischen Vielfalt der Songs! Mit knapp 28 Minuten Spielzeit ein weiteres Hammeralbum der DIY-Band! Auf Vinyl sicher noch ’n Ticken intensiver, das Artwork kommt da bestimmt ganz toll raus. Dank der Vinylkrise ist hier jedoch noch Geduld bis September angesagt!


Dead Tired – „Satan Will Follow You Home“ (New Damage Records) [Stream]
Nach dem Ende von Alexisonfire, die es ja mittlerweile wieder gibt, verfolgte ich das musikalische Treiben von George Pettit weiter, allerdings kickte mich der Sound seiner neuen Band Dead Tired nicht so derbe, wie es die Veröffentlichungen von Alexisonfire bis heute tun. Wahrscheinlich war ich damals auch für den Sound noch nicht so empfänglich. Und dann war da ja noch der Auftritt in der TV-Serie The Boys, das fand ich irgendwie lustig! Nun, das mittlerweile dritte Album tritt jedenfalls ordentlich Arsch, wie ich finde. Auch wenn ich zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen weiß, dass dieser Tage ein neues Alexisonfire-Album erscheinen wird. Dead Tired lassen auf insgesamt zwölf Songs die von der Pandemie angestaute Wut raus. Fette Gitarren, chaotische Ausbrüche, wildes Geschrei und auch mal gedrosseltes Tempo (Vast Lethality z.B.) lassen die Wände ziemlich wackeln. Man entdeckt ziemlich viele Soundspielereien, je öfter man das Ding durchlaufen lässt. Live wird das sicher ein solides Brett sein!


Foreign Hands – „Bleed The Dream“ (Daze) [Stream]
Ach Du Scheiße! Mir blieb ja damals schon die Spucke weg, als ich drüben bei Alessandro/Borderlinefuckup nach Lektüre des Reviews zur EP mal reingehört hatte. Oh Shit, dann hab ich das hier total vergessen, warum auch immer. Nur um neulich völlig geflasht im Auto das Ding auf die Ohren zu bekommen! Verdammte Hacke, das hier ist die absolute Macht! Wenn ihr um die Jahrtausendwende herum auf Bands wie Poison The Well, Shai Hulud, This Day Forward oder auch With Honor gestanden habt und auch aktuelleres Zeugs wie SeeYouSpaceCowboy oder If I Die First mögt, dann ist das hier die absolute Erfüllung! Brustklopf, Faustreck! Für diesen Sound lohnt es sich zu leben!


Home Is Where & Record Setter – „Split“ (Topshelf Records) [Stream]
Dieses Split-Release beschert uns nicht nur zwei geile Bands, nebenbei gibt es hier auch noch reichlich food for thought! Nachdenken, Umdenken (falls eh noch nicht geschehen) und einfach ein gewaltfreies, liebevolles Leben anstreben! Funktioniert garantiert! Verabschiedet euch von Machtstrukturen und ähnlichem Scheiß! Home Is Where aus Florida haben diesen tiefgründigen emotive Screamo am Start, der Dir die Nackenhärchen aufstehen lässt. Zwei Songs voller Störgeräusche, Chaosgewitter und verzweifeltes Geschrei! Sass-Core as it’s best! Dann kommen Record Setter aus Texas. So gut und deep! Ich könnte von diesen zwei Songs locker die nächste Zeit zehren! Emotive as fuck, diese melancholisch gezockten Gitarren, dieser wahnsinnig verzweifelte Schreigesang! Plain English ist ja wohl ein garantierter Anwärter auf das Emo-Compilation-Tape 2022! Hammer Split-EP!


ксилема (Ksilema)- „Selftitled“ (DIY) [Name Your Price Download]
Ende Februar war es, als russisches Militär in die Ukraine einmarschiert ist. Und ein paar Tage später entdeckte ich beim Bandcamp-Ausflug das neue Album der aus Minsk stammenden Band Ksilema, die hier an anderer Stelle ja auch schon vorgestellt wurde. Überall wurden zu dieser Zeit die Stimmen nach Boykott russischer Firmen und Produkte laut, zudem interessierte mich persönlich auch die Meinung zum Angriffskrieg sowohl aus der Sicht der russischen Hardcore/Punk-Szene und aber auch der ukrainischen Szene. Und ein paar Tage später ist dann auch schon ein Statement zum absolut sinnlosen Krieg auf der Bandcamp-Seite von Ksilema zu lesen gewesen. Aber das hier nur als Nebensatz. Wer im DIY-Screamo/Emo unterwegs ist und es gern auch mal exotischer hat (russische Lyrics), sollte hier unbedingt mal reinhören! Verschachtelte Instrumentals, leidenschaftliches Geschrei, alles very emotive! Ich wünschte mir, dass alle, die mit negativer Energie irgendwelche Kriege anzetteln, lieber mal ihre Aggressionen mit Musik im Zaum halten würden.


MEO – „Testarossa“ (Entes Anomicos u.a.) [Name Your Price Download]
Ein erstes Lebenszeichen in Form eines sehr gelungenen Albums gibt es von der italienischen Band MEO zu hören. Die drei Turiner liefern ein emotionales Brett irgendwo zwischen Screamo und Emocore ab, dabei darf es auch mal verschachtelt zugehen. Die Lyrics werden in italienischer Sprache herausgebrüllt, dass hier viel Verzweiflung und Seelen-Leid drin steckt, kann man sich in etwa ausmalen. Schon das Coverfoto bringt viel Emotion zu Tage. Das sonst so niedliche Kätzchen kann auch schon mal die Krallen ausfahren. Aber ist nur eine ungefähre Vermutung, meine Kenntnisse in der italienischen Sprache tendieren gen null. Jedenfalls sollten hier alle mal reinhören, die mit Zeugs wie Loma Prieta oder Raein glücklich sind!


Bandsalat – Amalia Bloom, Be Well, NOFNOG, Overo, Thornhill, With The Punches

Amalia Bloom – „Picturesque“ (Engineer Records) [Name Your Price Download]
Die italienische Band Amalia Bloom kommt aus Vicenza, einer malerischen und ruhigen Stadt in der Nähe von Venedig. Auf seinem zweiten Album beschäftigt sich das Quintett mit der Herkunft bzw. der Heimat vieler italienischer Jugendlicher und junger Erwachsener, die sich oftmals als Sackgasse in der beruflichen oder künstlerischen Entwicklung erweist. Musikalisch ist dabei eine intensive Mischung aus Post-Hardcore, Emo und Screamo entstanden. Auf der einen Seite türmen sich fette Gitarren und wuchtige Drums, auf der anderen Seite schleichen sich aber immer wieder diese melodischen Momente ein. Und natürlich dominiert die melancholische Grundstimmung, die bis zur Verzweiflung reichen kann. Wenn ihr Bands wie Thursday, Poison The Well, Touché Amoré oder Pianos Become The Teeth mögt, dann bitte hier entlang!


Be Well – „Hello Sun“ (End Hits Records) [Stream]
Wie gut ist denn bitteschön diese EP der Allstar-Band um Brian McTernan geworden? Boah, das Ding läuft bei mir seit Wochen rauf und runter und endlich kann ich mich mal wieder an melodischem und emotionalen Hardcore an der Schwelle zum Post-Hardcore erfreuen. Zudem ist das ganze textlich – wie auch schon beim Debutalbum – absolut erste Sahne. Bitte unbedingt mehr davon, hier stimmt wirklich alles! Sechs Songs, voll der Burner!


NOFNOG – „Insomnia“ (Sbäm Records) [Stream]
Die Schweizer Band NOFNOG ist ja auch schon nahezu 20 Jahre unterwegs, wenn ich richtig gezählt habe, ist Insomnia das mittlerweile vierte Album. Live sind die Jungs ja immer spaßig anzusehen und sind top aufeinander abgestimmt (es gibt ja selten singende Drummer zu sehen). Was man natürlich auch am spielfreudigen und leidenschaftlichen und durchaus melodiösen Hardcore-Punk-Sound der St. Gallener auf dem aktuellen Album hören kann. Treibend, immer mit schön gegegenspielenden Instrumenten, kommen natürlich unweigerlich Bands wie Good Riddance, Avail, Obtrusive oder Strike Anywhere in den Sinn. Zwölf Songs sind es geworden und sie schlagen in die gleiche Kerbe wie schon der Vorgänger Thieves. Textlich gibt’s typische Hardcore-Themen wie beispielsweise Freundschaften, soziale Ungerechtigkeiten, Gesellschaftskritik oder Politik. Album holen, Singalongs üben und ab in den Pit!


Overo – „Waiting For The End To Begin“ (zilpzalp records) [Stream]
Im Jahr 2018 aus Mitgliedern der Bands Perfect Future, football, etc., und Rose Ette gegründet, hat das Trio ja bereits etliches Material veröffentlicht, darunter einige Splits und das hochgepriesene Debutalbum. Und jetzt folgt der zweite Longplayer, auf dem Overo sehr viel experimenteller wirken. Es kommen u.a. Synthesizer, Akustikgitarre, Trompete und Streicher zum Einsatz, dennoch gibt es den ein oder anderen heftigen Ausbruch mit fetter Gitarre, wildem Getrommel und herzzerreißendem Geschrei. Die melancholische Seite rückt oftmals in den Vordergrund, Gänsehaut ist jedenfalls eine stete Begleiterin. Wenn ihr Zeugs wie Dahlia Seed, Raein, Yaphet Kotto oder Daitro mögt, dann kommt ihr hier dran nicht vorbei!


Thornhill – „Heroine“ (UNFD) [Stream]
Aus Meldbourne/Australien stammt dieses mir bisher unbekannte Quintett, das nach vier EPs und einem Album mit Heroine seinen zweiten Longplayer am Start hat. Und ja, ich war ab dem ersten Ton des elf Songs starken Albums direkt angefixt! Thornhill machen einen druckvollen Mischmasch aus Grunge, Post-Hardcore und 90’s Alternative, der jedem Smashing Pumpkins, Deftones, Circa Survive, Thursday oder Thrice-Fan die Tränen in die Augen treiben wird. Denn wie eine Mischung aus den gerade genannten Bands klingt die Band in etwa, allerdings ist der Klangteppich noch ein bisschen dichter und epischer, der emotionale Gesang mit Hang zur Theatralik passt auch wie die Faust aufs Auge. Müsst ihr unbedingt mal anchecken!


With The Punches – „Discontent“ (Mutant League Records) [Stream]
Irgendwann im Jahr 2008 gegründet hat die Band aus Newburgh, New York nach ihrem letzten Release im Jahr 2013 eine klitzekleine Pause von 9 Jahren eingelegt. Hört man die fünf Songs der Jungs, klingt alles schön frisch, da hat niemand sein Handwerk verlernt. Musikalisch gibt’s wunderbar hymnenhaften Emo-Pop-Punk. Fans von New Found Glory, Neck Deep oder Saves The Day könnten hiermit glücklich werden.