Schon geil, da kommt pünktlich zu Weihnachten ein liebevoll geschnürtes Paket aus Baden-Baden ins Haus geflattert. Neben der neulich besprochenen pADDELNoHNEkANU-7inch ist auch die neue ProvinzPostille mitsamt Tape-Compilation am Start! Geil, oder? Das im liebevollen DIY-Stil gefertigte DIN A5-Zine erinnert mich an die gute alte Zeit, als man die Dinger entweder jemandem aus dem Bauchladen auf ’nem Konzert für ein paar Mark abkaufte oder gar ein bisschen abgefahrener per Brief mit beigelegten Briefmarken bestellte. Ja, das war lange Zeit vor dem Internet. Und irgendwie machen mich solche Formate auch heute noch glücklich, auch wenn man sich durch wenige Klicks im World Wide Web den absoluten Durchblick schaffen kann. Drauf geschissen, denn manche Inhalte lesen sich einfach analog besser. So auch hier, dazu kann man auch noch puzzeln, wenn mal die eine Seite zu Ende ist und die nächste vom Sinn her einfach nicht dazu passen will. Yeah, DIY forever!
Der Umschlag ist diesmal auch wieder besiebdruckt und fühlt sich schön kratzig an, die Seiten sind wie immer kopiert und alles ist zusammengetackert. Zwischendrin sind ein paar Hochglanz-Farbdruckseiten mit Live-Bildern zu sehen. Nettes Gimmick, aber eigentlich nicht unbedingt nötig. Dennoch sehr sympathisch, da die ProvinzPostille an vielen Stellen dieses Ego-Zine-Feeling vermittelt und halt einfach gemacht wird, was selbst gefällt. Inhaltlich gibt es natürlich wieder viele persönlichen Gedanken zu lesen, Tagebuchstyle yeah! Bei den Interviews stürzte ich mich zuerst auf Black Square, da deren Album Blumen am Abgrund ganz pfiffig war, außerdem war es auch gleich das erste Interview im Zine. Mein Highlight war aber dann das Interview mit Krause Glucke Weltverschwörung, die eigentlich ganz in der Nähe von mir (Konstanz) beheimatet sind und ich die Band bisher nur vom Namen her kannte (haben mal mit den Ravensburgern alter egon gezockt). War zwar neugierig, wie die Band wohl klingen mag, hab dann aber erst später nach der Lektüre das Quartett auf Tape-Compilation für noch interessanter befunden. Und ja, hüstel…dank Bandcamp hab ich jetzt alle dort verfügbaren Veröffentlichungen auf der Festplatte und falls ich mich jemals wieder auf Konzerte traue, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ich da mal vorbei schaue. Jedenfalls macht das Lesen umso mehr Laune, wenn man regionalen Bezug zur Band hat. War zwar schon seit Ewigkeiten nicht mehr in Konstanz (die Fähre über den Bodensee ist nicht gerade billig!), aber der legendäre alte Horst Klub in Kreuzlingen ist ebenso präsent wie das Contrast in Konstanz oder die alte und leider nicht mehr existente Remise in Wil in der Schweiz. Ach ja, das Slime-Interview klingt ganz sympathisch, hab die neuen Slime aber bisher immer noch nicht angecheckt. Aber mach ich schon noch. Ach ja, weitere interessante Interviews gibts mit der Band Zero Zeros und Syndrome 81, dazu sind noch diverse Gastbeiträge dabei.
Und dann ist da ja noch die 36 Songs starke Compilation, bei der ich ohne zu gucken die Band Syndrome 81 herausgehört habe, ohne deren Sound zu kennen, also allein aufgrund des Interviews. Jedenfalls gibt das Tape einen guten Überblick über die Subkultur-Szene, freue mich natürlich über alte Kumpels wie Hell & Back oder Zeugs wie El Mariachi, aber die eigentlichen Helden sind die mir absolut unbekannten Rumpel-Bands oder gar HipHop-Sounds wie z.B. Lena Stoehrfaktor. Sehr abwechslungsreich! Bestellt euch das Ding, da steckt viel Arbeit und DIY-Spirit drin!
Post-Punk
Bandsalat: Ernte 77, Franz Fuexe, Freedumb, Hot Mass, Pembe, Team Tyson
Ernte 77 – „Das rote Album“ (Rookie Records) [Stream]
Deutschpunk ist ja jetzt mittlerweile nicht mehr so mein Thema, aber das vierte Album der Kölner Band Ernte 77 macht mir ganz schön viel Freude. Das liegt am melodischen Vibe, der sich durch die vierzehn Songs zieht und sehr an die 90’s-Cali-Punk-Zeit erinnert, dazu wissen die humorvollen und auch sozialkritischen Lyrics zu gefallen. Gerade der Humor scheint ein ständiger Begleiter des Trios zu sein, wie man bereits am Albumtitel und Artwork sehen kann, vorausgesetzt man hat keine rot-grün-Schwäche! Aber Vorsicht, das Label Fun-Punk ist hier unangebracht, dazu sind die Texte viel zu intelligent. Übrigens kann man diese im liebevoll gestalteten DIY-Textheftchen nachlesen, da stöbert es sich doch gerne! Dazu schleichen sich immer wieder nette Zitate aus der popkulturellen Geschichte zwischen die Zeilen. Musikalisch ist die Abwechslung zu begrüßen, denn auch wenn die Hooklines so catchy in die Hörgänge kriechen, freut man sich an den Referenzen zum Indie-Rock, Garage-Punk, NDW, Elektro und Alternative. Ich find’s irgendwie geil!

Franz Fuexe – „Selftitled“ (Honigdachs) [Stream]
Ach Du Scheiße, wir müssen reden! Und zwar über die Band Franz Fuexe, die mir aufgrund einer Besprechungsanfrage direkt ins Auge/Ohr gestochen ist! Wahnsinn, warum gibt’s Algorhythmen, wenn mir das hier nicht schon zuvor automatisch vorgeschlagen wurde? Franz Fuexe kommen irgendwie aus Österreich, genauer gesagt aus Wien. Wer jetzt Cafe-Haus-Chill-Out erwartet und völlig ausgehungert von ’ner Melange träumt, kann direkt kacken gehen (groß und richtig heftig). Und bitte richtig derb und ohne danach das Fenster zu öffnen! Denn die Band orientiert sich an Hardcoreknüppelsounds aus den frühen Achtzigern bis hin in die Neunziger, scheut aber auch den Kontakt zur modernen Zeit und ihren vielfältigen Möglichkeiten nicht. Habt ihr’s in der Nase, diesen Geruch von altem und verschimmeltem Proberaumteppich? Ich schon! Und dann ist da noch Dank der mundartlichen Lyrics dieser spezielle Özi-Humor, den ich so sehr liebe! Kottan ermittelt, der Aufschneider, Der Knochenmann, Ein Haus am Wörthersee, (fast) alles so gut [finde den Fehler]! Aber wieder zur Mucke! Kennt ihr noch Discharge, die Dead Kennedys oder Anthrax? Stellt euch die mal mit österreichischen Mundarttexten vor, Wiener Schmäh inklusive! Geil, oder? Aber hallo! Müsst ihr euch echt mal reinwürgen!
Freedumb – „Social Hangover“ (Fucking North Pole Records) [Stream]
Die norwegische Hardcore-Punk-Band Freedumb treibt auch schon seit 2003 ihr Unwesen, nach diversen Line-Up-Wechseln und dem Tod des Drummers im Aufnahmeprozess zum Album Post-Modern Dark Age war erstmal eine Auszeit angesagt. Noch vor Ausbruch der Covid-Pandemie suchte die Band einen neuen Drummer und nahm den Aufnahmeprozess wieder auf, so dass das Album Post-Modern Dark Age erscheinen konnte. Mit Social Hangover ist jetzt das vierte Album erschienen. Zu hören sind zehn oldschoolig angehauchte Hardcore-Punk-Granaten, die neben melodiösem Punkrock auch eine emotionale Kante aufweisen.
Hot Mass – „Happy, Smiling And Living The Dream“ (This Charming Man u.a.) [Stream]
Der Band aus Swansea/UK ist mit ihrem zweiten Album ein richtig fluffiges Ding gelungen. Schön gitarrenlastig ist der erste Eindruck, die Mischung aus Emo, Grunge, Indie und Punk erinnert mich das ein und andere Mal an die großartigen Brand New Unit, neuere Bands wie The Copyrights oder Iron Chick kommen auch in den Sinn. Ich mag die melodische Art und die stimmigen Songarrangements, die melancholischen Untertöne sind ebenfalls klasse. Ein richtig gutes Album, zwölf Songs für die Ewigkeit!
Pembe – „Hepimizin Evi“ (Dingleberry Records u.a.) [Stream]
In der DIY-Hardcore/Screamo-Szene der Türkei gibt es auch immer wieder cooles Zeug zu entdecken, aktuell hat die bereits in einer älteren Bandsalat-Runde vorgestellte Istanbuler Band Pembe ihr zweites Album am Start. Und bereits an der Mitwirkung der zahlreichen Labels merkt man, dass das hier eine Herzensangelegenheit ist. Die Labels Dingleberry Records, Kolo Records, Nasty Cut Records, Mevzu Records, Entes Anomicos, New Knee Records, Khya Records, Salto Mortale Music, Seitan’s Hell Bike Punks, Fresh Outbreak Records, Abraxas Distro, Friendly Otter DIY, Nothing to Harvest Records und Callous Records sind am Release beteiligt. Musikalisch präsentiert das Quartett ein Gefühlschaos aus 90’s Emocore und impulsivem Screamo, die Lyrics werden in türkischer Sprache und äußerst leidend präsentiert. Cool auch, dass neben den gängigen Instrumenten auch vereinzelt Streicher zu hören sind. Zum Reinfinden würd ich mal den Song Gözlerim Kısık vorschlagen!

Team Tyson – „Soll das jetzt alles sein?“ (Rookie Records) [Stream]
Auf dem vierten Album der Berliner Band Team Tyson gibt es schön schrammeligen und nach vorne gehenden Deutschpunk zu hören, der auf der Gitarrenseite von älterem US-Hardcore á la Circle Jerks oder Off! inspiriert ist. Das tritt dann ordentlich Arsch, so dass die Jungs ihre dreizehn Songs in zwanzig Minuten runterrasseln und dabei auch noch Zeit für die ein oder andere melodische Hook bleibt. Läuft mir gut rein, zumal die Spielfreude nicht zu überhören ist und auch die sozialkritischen Texte alles andere als platt sind. Und wenn man dann denkt, schneller kann’s nicht werden, zaubern die Jungs ganz zum Schluss noch ’nen kurzen D-Beat-Hammer aus dem Ärmel! Sorgt live sicher für schwitzige Pogo-Attacken!
pADDELNoHNEkANU- „Wir streiten aus ästhetischen Gründen nie“ (Krachige Platten u.a.)
Wenn es um DIY und deutschsprachigen Punk mit Köpfchen geht, dann liegt die Baden Badener Band pADDELNoHNEkANU ganz weit vorn! Pünktlich zum 20. Bandjahr-Jubiläum zelebriert das Trio den konstant ausbleibenden Erfolg ihres Schaffens mit einem neuen Siebenzoller, auf dem insgesamt drei Songs in einer Spielzeit von knappen 12 Minuten zu hören sind.
Aber zuerst gilt es, dem haptischen Genuss Tribut zu zollen! In schönster DIY-Ästhetik ist das Scheibchen in ein von Hand zusammengefaltetes Cover eingepackt, hier merkt man die Handschrift von Sänger und Gitarrist Felix, der ja nebenher auch noch als Fanzinemacher (Provinzpostille) tätig ist. Mein Exemplar hat ein rotes Cover, es gibt aber auch noch gelbe und grüne Exemplare. Wenn man das Cover aufgefaltet hat, kommt natürlich erstmal eine schöne Packpapier-farbene Innenhülle zum Vorschein, zudem stechen sofort die Texte und die schönen Banksy-artigen Zeichnungen (Fallschirm-Ratte und Fallschirm-Minor Threat-Schaf) ins Auge. Das mit dem Banksy hab ich übrigens ganz allein erkannt, erst im Nachhinein wurde dieses Erkenntnis mit der Lektüre der neuen Provinzpostille in etwa bestätigt. Sehr geil! Zudem erfährt man, dass die Songs zwischen Frühjar 2021 und 2022 entstanden sind, also inmitten der Covid19-Pandemie in einer Phase, in welcher etliche Mutationen umherkreisten und schwurbelige Montags-Spaziergänger*innen wie Zombies ohne Hirn und fragwürdige Parolen singend durch die Fußgängerzonen Deutschlands wankten. Sicherlich erhielt die ein oder andere geschriebene Zeile Inspiration aus diesem gesellschaftlichen Disaster. Aber zu den Texten später mehr! Außerdem ist zu lesen, dass das Release in Zusammenarbeit der Labels Krachige Platten, 30 Kilo Fieber Records, Elfenart Records und Entez Anomicos erschienen ist. Die Labels der 7inch sind ebenfalls mit Zeichnungen versehen. Und das Vinyl-Scheibchen selbst kommt in dreckiger Goldoptik und sieht so natürlich äußerst shabby chic aus! Ach ja, einen Downloadcode für vinylschonende oder drehfaule Menschen ist selbstverständlich auch mit dabei!
Die A-Seite beginnt mit schön schrammeliger Gitarre und knödeligem Bass, wobei man sich ziemlich schnell in die darauffolgenden quirrligen Gitarrenverrenkungen verliebt, der deutschsprachige Gesang weiß auch zu gefallen, zumal die Textinhalte intelligent und poetisch formuliert sind. Und immer wieder schwingt in der Mischung aus Deutschpunk und Emopunk ein ordentlicher Schuss Melancholie mit. Friss oder stirb fressend ist zudem noch ein sagenhaft guter Songtitel. Danach wird es ein bisschen düster in Dunkeldeutschland, bereits der Songtitel schwarz zu grau spoilert die Stimmung des Songs, den Zustand der Gesellschaft betrauernd. Nun denn, dann ist die A-Seite auch schon vorbei. Der 7inch-Titel gebende Song füllt dann die komplette B-Seite und mäandert sich mit weirden Gitarren in die Hörgänge, das kalte 80er-Punk-Feeling wird hauptsächlich durch Post-Punk-artige Elemente und dissonante Gitarren getragen. Was mir auch ganz gut gefällt, ist die krachige und rauhe Aufnahme, hier wähnt man sich bei ausreichender Lautstärke und geschlossenen Augen fast im Proberaum der Jungs, für modrigen Kellergeruch braucht es halt dann eine rege Phantasie. An dieser Aufnahme erkennt man jedenfalls die Spielfreude und das Gefühl, das die Band in ihre Songs legt. Alles in allem ist das hier ein 1A-DIY-Release, das sich sowohl Emopunks als auch Fans von klischeefreiem Deutschpunk auf den Plattenteller packen sollten!
8/10
Facebook / Bandcamp / Krachige Platten
Colored Moth – „Inertia“ (Moment Of Collapse) [Stream]

Moment mal, dieses Release wurde doch bereits in einer der letzten Bandcamp-Runden vorgestellt und abgefeiert! Sind das schon erste Anzeichen von Demenz? Keinesfalls, denn damals gab es das Album nur digital, mittlerweile hat mir die Band nach sympathischer Mailkonversation ihr Meisterwerk auf Vinyl zukommen lassen. Luftsprung! Denn gerade auf Vinyl entfaltet Inertia diese extrem magische und perfekte Dichte, die wahnsinnige Intensität und Spannung der Songs ist hier noch deutlicher und lebendiger zu spüren als beim rein digitalen Genuss. Und genau darum sehe ich die Notwendigkeit, meinen damaligen Bandsalat-Text noch etwas aufzumotzen und zu verfeinern. Denn Inertia ist – wie die bisherigen Releases der Band – schon jetzt ein absoluter Meilenstein in Sachen Post-Hardcore made in Germany. Hartnäckiges Wachrütteln ist hier einfach Pflicht! Das hier ist ein echter Leckerbissen für Leute, die auf 90’s infizierten Post-Hardcore, Noise, Screamo oder Emocore stehen!
Das Coverartwork wirkt geheimnisvoll und aufgrund der kalten Farben etwas düster, ich verbinde damit Wellen, Schallwellen, Impulse oder gebrochenes Licht, das durch eine gefrorene Wasseroberfläche schimmert. Automatisch kommen dabei natürlich Gedanken auf, wie das Artwork in Verbindung mit dem Albumtitel stehen könnte. Inertia bedeutet übersetzt soviel wie Trägheit, eigentlich ein Begriff aus der Physik. Ein Objekt setzt seine aktuelle Bewegung so lange fort, bis irgendeine Kraft eine Änderung der Geschwindigkeit oder der Richtung bewirkt. Zudem beschreibt das Wort auch einen Zustand, in dem auch ich mich oft befinde, gerade aufgrund negativ einprasselnder äußerer Einflüsse, die mich lähmen. Und gibt es dann einen positiven Impuls, wie dieses Album hier, dann krieche ich aus meiner Höhle hinaus und raffe mich auf, zum Leben erweckt. Vom Sound wachgerüttelt muss ich da einfach in die Gänge kommen. Und ja, sobald die A-Seite durchgelaufen ist, wird zum Plattenspieler gerannt, Platte umdrehen! Ach ja, diese befand sich übrigens vor dem Auflegen in einer schlichten, schwarzen Innenhülle. Und dann gibt es da noch ein auf transparentes Papier gedrucktes Textblatt. Sieht klasse aus, außerdem sind die Texte ebenfalls von großer Bedeutung, siehe weiter unten. Hier lässt sich auch nachlesen, dass Nicole aka Luminescent. beim Song New Blueprint Vocals beigesteuert hat.
So, und jetzt kann ich endlich mal die Copy and Paste-Funktion beim eigenen Geschreibsel anwenden, fühle mich dabei aber alles andere als träge. Denn nach etlichen Vinyl-Hörrunden bin ich erfreut, dass dieser damalige erste Eindruck genau das wiederspiegelt, was hier in physischer Form in den Händen liegt und sich tief in die Hörgänge gefressen hat. Hier also mal ein Auszug meines damaligen Beitrags zum Bandsalat. Hätte ich zwar auch verlinken können, aber diese verdammten Klicks kosten unheimlich viel Energie: Dass Colored Moth der absolute Geheimtipp in Sachen Post-Hardcore/Noise/Screamo aus Deutschland ist, könnte mit diesem Release – dem mittlerweile dritten Album der Berliner – bald der Vergangenheit angehören. Drei Alben hintereinander auf sehr hohem Niveau abzuliefern, das muss man erst mal drauf haben. Zehn Songs voller hibbeliger Anspannung sind es diesmal geworden. Und diese kommen gewohnt dicht, druckvoll, verschachtelt, aber immer präzise durchdacht um die Ecke. Die verzweifelt gescreamten Vocals dringen direkt ans Herz, wobei das mächtig groovende Gewitter aus knarzendem Bass und wuchtig gespielten Drums immer wieder von einer einprägsamen Gitarrenmelodie oder einer auftürmenden Noise-Wand begleitet wird. Wahnsinnig intensiv! In den Texten geht es um kritische Sicht auf die Gesellschaft, es werden beispielsweise patriarchale Machtstrukturen und toxische Männlichkeit angeprangert, Entfremdung und Abhängikeit von materiellen Werten sowie Existenzängste sind ebenfalls Themen. Also durchaus auch Food for Thought neben der musikalischen Vielfalt der Songs! Mit knapp 28 Minuten Spielzeit ein weiteres Hammeralbum der DIY-Band! Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, volle Punktzahl!
10/10
Facebook / Bandcamp / Moment Of Collapse
Kratzen – „Zwei“ (DIY)
Die Kölner Band Kratzen war mir bis auf den Erhalt einer E-Mail-Besprechungsanfrage bisher gänzlich unbekannt. Zwei ist logischerweise das zweite Album des Trios, das Debut-Album ist im Jahr 2020 in DIY-Manier in einer 150er-Vinylauflage erschienen. Und auch bei Zwei schwingt dieser DIY-Grundsatz auf allen Ebenen mit! Auf mein Interesse an der Musik Kratzens kam ein paar Tage später auch schon eine 12inch mit handschriftlichem Briefchen ins Haus geflattert! So muss das! Aber erst mal ein paar Infos zur Band: Kratzen hat sich im Jahr 2017 zuerst als Duo gegründet. Das jetzige Trio setzt sich aus Melanie Graf (Bass, Orgel, Gitarre, Percussion, Gesang, vormals Velochrome), Stefanie Staub (Schlagzeug, Gesang) und Thomas Mersch (Gitarre, Gesang, Bass, Orgel, vormals Monostadt und Salvage Art) zusammen und vor den beiden Alben erschien eine Split 7inch mit der Band Klauen.
Nun denn, Zwei kommt in einer schlichten blauen Papphülle, der Karton ist vorne mit Bandname und Albumtitel handgestempelt, auf der Rückseite ist lediglich eine handschriftliche Nummerierung angebracht. Diesmal wurde die Stückzahl auf 300 angehoben, denn die 150 Exemplare des Debuts und die 55 Nachpressungen sind mittlerweile vergriffen. Ich denke, dass die Nachfrage des zweiten Albums ähnlich stark sein wird. Denn DIY-Vinylfans wissen so einen Aufwand sehr zu schätzen! Handgestempelte Vinyllabels, ein liebevoll gestaltetes Textblatt mit allen Infos zum Release sowie ein stabiles Downloadkärtchen und mit Tesafilm befestigtem Downloadcode rundet das Beiwerk zur Vinylscheibe ab. Und auch bei der Schublade, in die die Band ihre Musik stecken möchte, steckt viel Kreativität: Krautwave also!
Setzt die Nadel in die Rille, dann ist man sofort vom Sound der Band gefangen, die scheinbare Monotonie hypnotisiert erstmal so richtig. Dann umschwebt der pumpende Bass das Gehör, der groovende Takt der Drums bohrt sich immer weiter ins Unterbewusstsein und dann setzen diese eigenwilligen, desöfteren minimalistischen Gitarren und auch der female/male Gesang ein. Und man denkt so, das ist eigentlich alles ganz schön lo-fi, nur um wenig später zu merken, dass da ja plötzlich schon eine gewisse Soundwand hochgezogen wird, wahrscheinlich spielen dabei die immer wieder auftauchenden Orgeltöne eine gewisse Rolle. Gesungen wird übrigens vorwiegend in deutscher Sprache, ein französischsprachiger Song ist ebenfalls mit von der Partie. Bei den Texten kommt sofort dieses Hamburger-Schule-Feeling durch. Die Kreativität, die Leidenschaft und das Herzblut der Band ist an allen Ecken und Enden zu spüren! Stellt euch mal vor, Bands wie Contriva, Die Sterne, Notwist, Fugazi oder Sog würden in ihren Sound wavige, psychedelische, Shoegaze- und Post-Punk-Elemente á la Joy Division, CAN oder Spacemen 3 einbauen, dann kommt das ungefähr hin. Jedenfalls ist Zwei eine dieser Platten, die mit jedem weiteren Durchgang wachsen und sich fast schon magisch in den Gehörgängen ausbreiten. Und das Resultat ist sehr originell und auf Vinyl auf einer Anlage mit basslastigen Lautsprechern ein absolutes Erlebnis! Mir taugt das hier absolut!
9/10
Facebook / Bandcamp
Bandsalat: …And Then I Feel Nothing, Easy Prey, Fenris Fuzz, Hippie Trim, Meißel, Shooting Daggers
…And Then I Feel Nothing – „5 Songs“ (DIY) [Name Your Price Download]
Ein ziemlich geiles Brett irgendwo zwischen düsterem und dissonantem Screamo, Emoviolence, Post-Hardcore, Hardcore, Post-Punk, Metal und Noise liefert das Trio …And Then I Feel Nothing auf seiner aktuellen und fünf Songs starken EP ab! Rotzig, wütend, roh! Und verdammt fett und basslastig gemischt, wieder mal die Tonmeisterei! Da zittern die Wände, wenn man die Anlage voll aufdreht. Und live bringt das sicher die ein oder andere Baseballcap zum vibrieren, eure H&M-Fischerhüte werden euch bereits beim Auftakt sowas von der Rübe geblasen! Geil kommen auch die recht unterschwelligen Melodien, die kaum aus dem ganzen Noisegewitter auszumachen sind! Checkt das mal zum Frühstück aus, da werden die Müsli-Körner wie von selbst im Gebiss zu Brei gemahlen!
Easy Prey – „Unrest“ (Hell Minded Records) [Stream]
Wenn ihr mal wieder ein richtig fettes Post-Hardcore-Brett mit mehr Nähe zum Hardcore und Post-Noise hören wollt, dann empfehle ich euch das zweite Album der texanischen Band Easy Prey. Hier bekommt ihr zehn fette und teils groovy Smasher auf die Ohren, die vor Chaos, Brutalität und purer Emotion und einer wuchtigen Produktion nur so strotzen. Stellt euch ’ne wilde Prügelei zwischen Bands wie The Hope Conspiracy, Starkweather, Bloodlet oder Kiss It Goodbye mit Noise-Krawallmachern wie Unwound, Helmet, Unsane oder weirderen Slint vor, addiert noch ’ne Portion glaubwürdige Trueness und pure Leidenschaft, dann kommt das so ungefähr hin. Instensiv, dicht, wahnsinnig emotional, authentisch!
Fenris Fuzz – „Freaky Stories Of Daily Life“ (Eternalis Records) [Stream]
Die französische Band Fenris Fuzz hat sich aus Leuten der Modern-Hardcore-Band Fire At Will im Jahr 2020 zusammengetan. Auf der ersten EP sind insgesamt sechs Songs zu hören, die dem Fuzz im Bandnamen alle Ehre machen, obwohl der Hauptstil der Jungs im Post-Hardcore verortet ist, Nebenschauplätze sind Post-Rock, Sludge, Screamo und Stoner-Elemente. Heavy Gitarrenriffs und fuzziger Bass treffen dabei auf sehr gut ausgetüftelte Songarrangements, wuchtige Drums und emotionale Vocals, die am Rand der Verzweiflung zu stehen scheinen. Und neben den tonnenschweren Gitarren schleichen sich natürlich auch noch hervorragende Melodien in den Sound mit ein. Bittersweet! Klingt ziemlich spannend und eigenständig, was die Jungs da zusammengeschustert haben, müsst ihr unbedingt anchecken!
Hippie Trim – „What Consumes Me“ (Supervillain) [Stream]
Die Band aus Nordrhein-Westfalen konnte bereits mit dem Debutalbum Cult nicht nur bei mir einige Szenepunkte sammeln, mit dem Nachfolger What Consumes Me dürften noch etliche mehr dazukommen, soviel schonmal vorneweg! In der Pandemie scheint die Kreativität ein willkommener Rettungsanker gewesen zu sein, denn What Consumes Me hat elf Songs an Bord, die nur so vor pfiffigem und sprudelnden Ideenreichtum, Leidenschaft, Wut, tiefgreifenden Emotionen und herzzerreißenden Momenten strotzen, Langeweile ist hier Fehlanzeige. Gekonnt wird ein impulsiver Mischmasch aus Post-Hardcore, Emo, Screamo, Indie, Pop, Shoegaze und Grunge gezaubert, eine wahre Freude! Hinter Bands wie Turnstile, Citizen, Turnover & co brauchen sich die fünf Jungs jedenfalls wahrlich nicht verstecken! Einflüsse dieser Bands kann man ebenso raushören wie z.B. Zeugs wie As Friends Rust, Grade, Alexisonfire, Title Fight, Such Gold oder The Story So Far. Auf der einen Seite sticht diese Catchyness hervor, wundervolle Gitarrenriffs treffen auf Doppelgesang und shoegazige Passagen, energiegeladene Ausbrüche sind ebenso mit von der Partie. Textlich lohnt es auch, mal genauer hinzuhören, u.a. geht es um gesellschaftliche und menschliche Dinge. Und die satte Produktion zeigt auch ihre Wirkung, ein rundum gelungenes Album!
Meißel – „Selftitled“ (DIY) [Name Your Price Download]
Bereits vor der Covid19-Geschichte hat sich dieses Duo (Meißel/Meizsel) aus Karlsruhe aus Mitgliedern der Band Lypurá zusammengefunden. Als Duo hatte man es mit den ganzen Auflagen sicher besser, wenn man mal wieder auf eine Face To Face-Probe heiß war, außerdem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass ’ne Duo-Band auch sehr gut online was auf die Reihe bringen kann. Jedenfalls gibt es acht Songs auf die Ohren. Bei einer Spielzeit von knapp zwölf Minuten wisst ihr sicher schon, wo die Reise hingehen könnte. Screamo, Emoviolence, Bremer Schule-Mosh, Hardcore, Skramz und natürlich einiges an Emocore. Selbstverständlich mit viel Wut und Verzweiflung im Bauch, daher sehr intensiv und emotional. Sturm und Drang, erinnert sehr an Emocore/Screamo-Perlen á la Yage, June Paik, Orchid, Indian Summer oder Louise Cyphre. Kurze, aussagekräftige, in deutscher Sprache auf den Punkt gebrachte Texte runden das ganze ab! Geil, oder?
Shooting Daggers – „Athames“ (New Heavy Sounds) [Stream]
Geballte Girl-Power gefällig? Dann solltet ihr die neue EP des Trios aus London anchecken! Die sechs Songs machen ordentlich Wind, hier steckt Radau drin, die Mädels scheinen auf Krawall gebürstet zu sein und spucken dem patriarchalen Machtsystem direkt in die picklige Fresse! Geboten wird wütender und angespisster Hardcore-Punk, das erinnert an die Washington DC-Hardcore-Frühzeit. Roh, wutschnaubend und böse! Und wie es sich gehört, gibt es hier Punk mit Message auf die Ohren, was natürlich auch an die großartige Riot Grrrl-Zeit erinnert! Ich bin jedenfalls schwer begeistert!
Love A – „Meisenstaat“ (Rookie Records)

Wie geil ist das denn? Love A-Meisenstaat, wenn das mal nicht als Hommage an Knochenfabriks Debutalbum Ameisenstaat gedacht ist! Dass sich Sänger und Texter Jörkk Mechenbier gern in Metaphern und äußerst sprachgewandt ausdrückt, dürfte mittlerweile kein großes Geheimnis mehr sein. So hat das neue Album auch textlich wieder etliche Weisheiten parat und man freut sich deshalb umso mehr, dass dem Digipack ein kleines Textheftchen beigelegt ist. Das ist in Zeiten steigender Papierpreise nicht mehr ganz so selbstverständlich, zeigt aber auch deutlich, dass die Lyrics der Band große Bedeutung haben! Jedenfalls ist das kranke System, in dem wir alle leben, ein willkommener Gast. Das Albumartwork kommt übrigens mit seinen kalten Blautönen schön mystisch, geheimnisvoll, mit schierer Verzweiflung und düsterer Hoffnungslosigkeit daher.
Nun denn, für Album Nummer fünf wurde also der zweijährige Veröffentlichungsturnus dank Pandemie ein bisschen größer, fünfeinhalb Jahre sind seit Nichts Ist Neu verstrichen. Und dass die Band in dieser Zeit einiges an Kreativität in ihre Songs gesteckt hat, lässt sich auf den elf Stücken deutlich spüren und heraushören. Der äußerst markante Bass, kraftvolle Drums und shoegazige Gitarren, fast schon wavig und mit viel Hall und Echo unterlegt, das sind die herausstechenden Merkmale.
Und dann ist da Jörkk Mechenbier, der der hellen Schreistimme scheinbar überdrüssig geworden ist und eher singt als energisch schreit wie auf früheren Veröffentlichungen. Das alles weiß sehr zu gefallen, zumal die Songs dann auch noch sehr gut ins Ohr gehen. Es brauchte allerdings ein paar Hörrunden, bis das Ding so richtig zündet. Ein schöner Grower! Hamburger Schule trifft auf UK-New Wave á la The Cure, The Smiths oder Joy Division oder so! Jedenfalls ist der Band auf (A) – wie Anarchie – Meisenstaat ein eigenständiger und spannender Sound gelungen, gefällt mir sehr viel besser als die bisherigen Releases! Rundum gelungen!
8/10
Bandsalat: 2LegsBad, Camp Cope, Grillmaster Flash, Hijack Broadcast, Pornscars, Phantom Bay, Slow Jams
2LegsBad – „Antgame“ (noise to help records/Dedication Records) [Stream]
Die Band 2LegsBad aus Aschaffenburg/Frankfurt wurde im Jahr 2019 gegründet, bisher wurde neben dieser fünf Songs starken EP ein Album veröffentlicht. Nun, wenn ihr mal wieder sehr gut gemachten In Your Face-Hardcore mit vor Kritik strotzenden Lyrics hören wollt, dann seid ihr hier genau richtig! Der knackige Sound erwischt Dich nach einem mit Violinen gespickten Psycho-Intro, welches die Geräusche von Ameisen nachahmt, frontal und ohne jede Gnade! Fett abgemischt, allerdings nicht zu dick aufgetragen, groovt und tobt der Sound wütend los. Man merkt hier auch, dass die Bandmitglieder wohl schon ein paar Jährchen in der der Szene rumlungerten, der DIY-Spirit ist spürbar, zudem wurde das Ding in Zusammenarbeit mit Dedication Records auch auf nth-records – dem Label des Bassisten – veröffentlicht. Insgesamt regiert hier die dunkle und angepisste Seite des Hardcore. Fette, groovige Riffs, knarzender Bass, knackige Drums, wütendes Gebrüll, Gangshouts, auf die Mütze, ohne stumpf zu wirken! Oftmals erinnert mich der Sound an die frühen Rykers. Und auch inhaltlich wird an klassischen HC-Themen festgehalten. Die Ameisen auf dem Coverfoto spielen in den Songs Antgame und The Ant eine Rolle, denn Ameisen sind neben den Menschen die einzigen Lebewesen, die organisierte Kriege führen, um ihren Lebensraum stetig zu erweitern. Leider ist der Text durch die derzeitige Situation noch aktueller geworden. Und auch in den anderen Songs wird gewettert und angeprangert, beispielsweise wird mit Querdenkern und den Menschen abgerechnet, die für wirtschaftliche Interessen den Planeten zerstören. Und wie es sich gehört, sind die Lyrics alle im Digipack abgedruckt.
Camp Cope – „Running With The Hurricane“ (Run For Cover) [Stream]
Das dritte Album des australischen Trios ist eher etwas für die nachdenklichen und leisen Sommernächte geworden. Die drei Mädels klingen auf Running With The Hurricane viel verträumter und intimer, gleichzeitig auch etwas reifer als auf den beiden anderen Alben. Offenbar hat sich die Band bei der Produktion mehr Zeit genommen, in die Songs wurden beispielsweise weitere Gitarrenspuren, Klavierbegleitung, mehrstimmige Vocalchöre und mehr eingebaut, es wirken auch diverse Gastmusikerinnen mit. Insgesamt ist dabei eine schöne Mischung aus Indie-Rock, Pop und Folk entstanden. Und auch textlich geht es in Richtung Poesie, die Lyrics drehen sich um Lebenskrisen und das Herauswinden aus diesen. Ihr seht schon, das ist so zerbrechlich wie die Musik der drei Damen. Für meinen Geschmack finde ich den Gesang zu sehr in den Vordergrund gemischt, aber eigentlich stört das auch nicht. Der Digipack ist übrigens mit einem Textheftchen ausgestattet, was heutzutage selten geworden ist.

Grillmaster Flash – „Komplett Ready“ (Grand Hotel Van Cleef) [Stream]
Hab mich dem Grillmaster Flash aufgrund des beknackten Bandnamens immer entzogen. Burnhart, Bratort, Abwebern und zuviel Rauch im Kopf stoßen mich einfach schon im normalen Leben ab! Und dann kommt da das neue Album Komplett Ready unangefordert ins Haus geflattert! Und weil ich ja schon ein schlechtes Gewissen habe, dass ich kostenlos Tonträger zugeschickt bekomme, linse ich dann doch ins ein oder andere Paket rein. Und hier war es wirklich nur reinlinsen, reingehört hab ich erst sehr viel später. Die Digi-Pack-CD lag wochenlang verschweißt hier rum. Bis ich dann mal das von Andre Lux (Egon Forever-Schöpfer) verfasste Presseinfo las und direkt angefixt war. Mehrfach musste ich lachen. Lustig geschrieben, wach beobachtet. Hier mal ein Link zum Geschreibsel. Hab dann das Video zum Song Wo ich jetzt bin geguckt und fand das echt mal witzig! Und so geht’s mir mit dem Durchhören des Albums auch, auch wenn’s absolut nicht mein Sound ist. Aber bei den Texten kringel ich mich echt weg, die sind äußerst gelungen (Exit Sandman beispielsweise). Würde mir aber wünschen, dass das hier öfters mal im Radio läuft.
Hijack Broadcast & Pornscars – „To Be Defined Split“ (DIY) [Stream / Stream]
Hier kommen mal wieder zwei deutsche Bands, die ich bisher noch nicht auf dem Schirm hatte. Das CD-Cover ist schön im Comic Noir-ähnlichen Stil gestaltet, das Ding ist in Zusammenarbeit beider Bands in Eigenregie veröffentlicht worden. Nun, das Trio Hijack Broadcast kommt aus Halle (Saale) und steuert drei Songs bei. Während die ersten beiden Songs sehr flott unterwegs sind und musikalisch an melodischen Cali-Punk á la Adolescents oder Pennywise angelehnt sind (die Misfits lassen ebenfalls grüßen), wird es im dritten Song Just Went Numb schön melancholisch, das ist schon nahe am Emopunk. Gut gefällt die raue Aufnahme, zudem ist das Ganze sehr groovend und die Gitarren duellieren sich spielerisch mit dem Bass und der stimmigen Rhythmusmaschine. Sehr schön! Die Band Pornscars aus Berlin klingt dann insgesamt viel noisiger und krachiger. Ihren Stil bezeichnet die Band als Murder Garage Punk Rock, was durch den scheppernden Sound durchaus treffend klingt. Hier wird in alter Punk-Manier gemischt und gezockt, dass man förmlich den Wind der Crashbecken um die Nase spürt. Die drei Songs sind schön rotzig, auch hier kommen mir frühe US-Punk-Bands wie beispielsweise Jerry’s Kids, Circle Jerks, Articles Of Faith, Necros oder Black Flag in den Sinn. Schade, dass kein Textblatt beigelegt ist, aber das ist auch gerade der einzige Minuspunkt.
Phantom Bay – „Selftitled“ (Krod Records) [Stream]
Okay, hier haben wir zwar ’ne ganz jung gegründete Band aus Bremen, die Bandmitglieder dürften aber viele von euch kennen. Ehemalige Bands waren beispielsweise New Native, The Deadnotes und Casually Dressed. Phantom Bay wurde mit dem Ziel gegründet, Hardcorepunk mit Nuller-Nostalgie zu machen. Und das Ergebnis hört sich dann auch sehr Jahrtausendwendenmäßig an, da könnt ich mich direkt reinlegen! 25 Minuten lang lässt mich das Ding breit grinsen und nimmt mich ab dem ersten Ton gefangen! Schmissige Melodien, leidender und verzweifelter Gesang an der Schwelle zum hysterischen Geschrei, zuckersüße Gitarren- und Bassläufe und natürlich ein gutes Händchen für ausgeklügelte und stimmige Songarrangements! Verdammt kurzweilig und leidenschaftlich! Auch mit Gänsehautgarantie, beispielsweise beim poetischen und mit female spoken words ausgestatteten Song Nachteinbruch! Melancholisch, schwermütig, emotional und intensiv kommen die Stücke allesamt rüber, dennoch gibt es diese raue Kante! Sucht man nach vergleichbaren Bands, dann kommt natürlich Zeug wie La Dispute oder Touché Amore in den Sinn, aber diesen Vergleich braucht es absolut nicht, denn Phantom Bay schaffen mit ihrer Musik einen eigenen Gefühls-Kosmos! Hach, mal wieder frisch verliebt!
Slow Jams – „Punk Standards“ (I.Corrupt.Records u.a.) [Name Your Price Download]
Für die Berliner Hardcore-Punks von Slow Jams läuft es ganz schön super, wie man auf dem mittlerweile zweiten Album hören und auch spüren kann! Nach der Tour mit Drip Fed war ja erstmal aus bekannten Gründen kein Ventil da, die Energie durch Live-Shows freizusetzen, so wurde einfach mir nichts Dir nichts ein zwölf Songs starkes Album eingeprügelt. Auf der einen Seite besticht das Ding durch seine quirrlige Energie, der Mischmasch aus melodischem Hardcore, wütendem Punk, etwas Post-Hardcore und rotzigem Grunge ist der Band wie auf den Leib geschneidert, da ist einfach die pure Leidenschaft und Spielfreude zu spüren! Und so international die fünf Bandmitglieder sind (Deutschland, Italien, Frankreich, Rumänien) so sind gleich vier internationale Labels am Release beteiligt, I.Corrupt.Records (Deutschland), White Russian Records (Niederlande), Monument Records (Schweden) und Fresh Outbreak (Italien). Da lässt sich doch ein schönes Netzwerk aufbauen, so dass das Ding sicher auch gebührend live in die große weite Welt getragen werden kann!
Bandsalat: ClearXCut, Fheels, G31, Hoy Es Siempre Todavía, Moss, The Nika Riots
ClearXCut – „Songs of Desire Armed“ (DIY) [Name Your Price Download]
Yeah, endlich neuer Stoff der Straight Edge-Band aus München! Die bisherigen Veröffentlichungen haben mich ja schon richtig am Wickel gepackt, und so ist es dann beim aktuellen Album auch! Fette Gitarren treffen auf wütende Vocals, knackige Drums und tolle, unterschwellige Melodien runden das Ganze ab. Hier sprüht der Spirit und die Leidenschaft aus den Lautsprechern! Und ja, die Message stimmt natürlich obendrein! Wenn ihr euch ’ne Mischung aus Bands wie Shai Hulud oder Earth Crisis vorstellen könnt und in den Nullern auf diesen metallischen HC auf Equal Vision oder Trustkill gestanden seid oder das immer noch tut, dann bitte hier entlang!

Fheels – „Lotus“ (Superlaut) [Stream]
Die Band Fheels aus Hamburg hat wohl ziemlich viel Arbeit und Zeit in ihr erstes Album gesteckt. Lotus heißt das Ding und passenderweise bildet das farbenfrohe Albumartwork auch eine Lotusblüte ab. Nun, Fheels machen soliden Alternative Rock, dabei bedienen sie sich aus verschiedenen Musikrichtungen. Grunge, Rock, Jazz, Funk, Blues und Prog verschmelzen zu einer groovigen Masse, alles in sich abgestimmt und vielseitig. Die hohe Kopfstimme von Sänger und Gitarrist Felix Brückner wird sicher einigen von euch gemischte Gefühle bereiten, aber irgendwie passt der Gesang zur groovenden Musik. Felix ist übrigens seit einem Snowboard-Unfall auf einen Rollstuhl angewiesen, textlich wird hier auch Aufklärung betrieben, im Song Sharp Dressed Animal geht es beispielsweise um Behinderung und Sexualität.
Hoy Es Siempre Todavía – „Amapolas“ (DIY) [Stream]
Aus Sevilla/Andalusien kommt die Band Hoy Es Siempre Todavía, die sich aus Mitgliedern der Bands Catorce, Svdestada und Dock Pussel zusammensetzt. Die Amapolas-EP ist nach einem Album die zweite Veröffentlichung der Band. Die vier Songs sind irgendwo zwischen den Pfeilern Post-Hardcore, Metalcore und Screamo verankert. Auffallend ist die ziemlich fette und groovende Produktion, für die Brad Boatright/Audiosiege und Carlos Santos/Sadman Studio die Knöpfchen gedreht haben. Die Jungs verstehen jedenfalls ihr Handwerk und auch textlich hat die Band was zu sagen, es werden Themen wie psychische Gesundheit, Religion, Politik und Rassismus angesprochen, natürlich in der Landessprache.

G31 – „Die Insel der versunkenen Arschlöcher“ (Sterbt Alle Records) [Stream]
Schon das erste Album der Band aus Hamburg hatte bereits so ein schönes schwarz-weiß-Cover im Comic-Stil, also warum sollte man das beim zweiten Album ändern? Genau, hier gibt es wieder viel zu entdecken! Soundtechnisch wirkt die Band auch ein bisschen reifer als noch auf dem Debut. Ob es am Neuzugang an der Gitarre (Peter von Antikörper) liegt, bzw. an seinen Fähigkeiten der Musikproduktion oder einfach in der Zeit der Pandemie genügend Luft zur Aufnahme zur Verfügung stand? Vermutlich beides! Jedenfalls gibt es in einer Spielzeit von 45 Minuten 14 Songs zu hören, die allesamt im Deutschpunk zu Hause sind. Die Aufnahme ist noch genügend roh und krachig, Deutschpunk ohne modische Nebenerscheinungen eben. Sängerin Mitra hat jedenfalls jede Menge Frustration und Wut mit im Gepäck, inhaltlich wird punküblich gegen Spießer und Nazis gewettert, kapitalistische Lebensentwürfe, Sexismus und die Revolution sind ebenfalls Themen. Fans von Scattergun, Toxoplasma, Hans-A-Plast, Slime, Bluttat oder But Alive können ja mal ein Ohr riskieren.
Moss – „HX“ (Excelsior) [Stream]
Die niederländische Band Moss war mir bisher unbekannt, obwohl die Band aus Antwerpen schon seit mehr als 13 Jahren unterwegs ist. HX ist bereits das siebte Studioalbum! Zwölf Songs in fast 50 Minuten Spielzeit hat die Band hier geschaffen. Der Albumtitel ist übrigens dem Aufnahmeort des Albums gewidmet. Das Hoogcruts ist ein Kloster im Süden der Niederlande, das im Laufe seiner sechshundertjährigen Geschichte immer mal wieder zerstört wurde und danach auch immer wieder aufgebaut wurde. Und dieser magische Ort hat sich wohl auch auf das Ideenreichtum und das ausgeklügelte Songwriting ausgewirkt. Geboten wird eingängiger Indie-Rock, der immer mit einer tollen Melodie um die Ecke kommt. Leichtfüßig und verspielt, manchmal verträumt, manchmal groovy, rockig und lebendig und auch mal mit sanfter Elektronik, z.B. beim melancholischen Beginning. Im Verlauf des Albums wird es zu keiner Zeit langweilig, die Songs funktionieren als Album hervorragend, könnte das Ding direkt auf Auto-Repeat hören! Macht jedenfalls großen Spaß, werde mir definitiv auch noch die älteren Alben der Band zu Gemüte führen. Dürfte Leute begeistern, die auf Zeugs wie Athlete, Strokes, Muse, The Whitest Boy Alive, Björn Kleinhenz, Therapy, Death Cab For Cutie oder neuere Nada Surf gut können.
Nika Riots, The – „Derelict“ (Mas-Kina Recordings) [Stream]
The Nika Riots kommen aus Norwegen und die Bandmitglieder sind zuvor in Bands wie Man the Machetes, Carnival Kids und Torch in Erscheinung getreten, seit 2018 sind die Jungs unterwegs. Und ja, die letzten zwei Jahre war es tourtechnisch eher still, also hat die Band konzentriert an ihrem Debutalbum rumgewerkelt. Und jetzt wird das Ding von der Leine gelassen! Irgendwo zwischen Post-Hardcore, Screamo und groovigem Post-Metal. Melodie, Groove und Härte, druckvoll und mit einer großen Portion Gitarren-Melancholie!
ProvinzPostille #8 – Herbst 2021
Der gute Felix hat mal wieder liebevoll eine neue Ausgabe der ProvinzPostille zusammengebastelt, ein kleiner Lichtblick in Dunkeldeutschland! Das Ding kommt wieder mit einem tollen Sampler, allein da drin steckt jede Menge Arbeit. Insgesamt gibt’s 31 Stücke zu hören, allesamt schön undergroundig. Zu den Bands gibt’s im Heft dann auch ein paar Infos.
In erster Linie ist die ProvinzPostille ein richtig cooles Ego-Zine, hier und da mit viel persönlichen Gedanken und massig DIY-Spirit. Ich frag mich, wie Felix das alles neben Label, Band und Privatleben auf die Kette kriegt. Dank Corona war ja in den letzten zwei Jahren etwas mehr Zeit zur Verfügung, das gehört wahrscheinlich in Zukunft eher der Vergangenheit an. Interessant zu lesen finde ich v.a. die Interviews. Besonders hervorheben möchte ich das unterhaltsame Gespräch mit Carlos vom DIY-Label Entes Anomicos, das Interview mit Jobst (bekannt von Bands wie PEACE OF MIND, HIGHSCORE, MÖNSTER, BLOOD ROBOTS, NOTHING, MIND TRAP oder THE FOG) und Christopher über den „Und dann kam Punk“-Podcast und die Unterhaltung mit Mo von Mo’s Plattenladen, der auch gleichzeitig noch Backbite Records und das Sublabel Hand Of Doom betreibt.
In allen Texten schwebt die Nostalgie früherer Zeiten in der Luft, da ist von längst nicht mehr stattfindenden Fanziner-Treffen die Rede, man bekommt Einblicke in die frühe peruanische Punkszene und auch sonst ist das ganze Heftchen ein kurzweiliges Lesevergnügen. Besonders geil finde ich den Umschlag des Zines, den Linoldruck hat Alex Mages aus dem Hamburger Nachladen angefertigt. Ach, und dann gibt’s noch ’nen Download-Code von Felix‘ erster Band Hünersüppchen. Sozusagen eine Discographie von 32 Songs, die zwischen 1994-1999 aufgenommen wurden. Gebt euch ’nen Ruck und bestellt das Ding, dann sind die nächsten 5-6 Klositzungen mit bester Unterhaltung gesichert!
ProvinzPostille / Bandcamp
Bandsalat: Brutalligators, Damokles, Dead Years, Foxtails, Ruined, Teresa Banks & Cause A Riot
Brutalliagtors – „This House Is Too Big, This House Is Too Small“ (Beth Shalom Records) [Stream]
Wer mal wieder ein richtig ergreifendes Album mit tollen Melodien, traurigen Herzschmerzmomenten und pfiffigen Songarrangements hören möchte, dürfte mit dem Debutalbum der britischen Band Brutalligators wahrlich glücklich werden. Das Quartett ist irgendwo im Dreieck Midwest-Emo, gitarrenverliebtem Indierock und Punk unterwegs, Bands wie Samiam, The Promise Ring, Algernon Cadwallader oder The Get Up Kids fallen mir als Vergleiche ein. Die zehn Stücke strotzen dazu gerade auch textlich vor Trauer, Wut, Schmerz und Verlust. Aber auf jetzt, anhören und sich direkt verlieben!
Damokles – „Nights Come Alive“ (Vinter Records) [Stream]
Bisher veröffentlichte die aus Oslo stammende und im Herbst 2019 gegründete Band Damokles sechs Singles, mit Nights Come Alive ist nun das zehn Songs umfassende Debutalbum der Band erschienen. Die Band scheint voller sprudelnder Energie und Tatendrang zu strotzen, denn momentan arbeiten die fünf Jungs schon am zweiten Album. Dass die Jungs nicht aus dem Nichts kommen, war eh klar. Die Bandmitglieder tummeln sich schon jahrelang in der Osloer Underground-Szene, bisherige Bands waren This Sect, Kite, Dunderbeist, Endtimers, Contrarian und Melkeveien. Die Band schert sich wenig um Genrezugehörigkeit und mischt unter ihren hauptsächlich im 90’s Post-Hardcore/Emocore/Indie-Sound auch Rock, Metal und Post-Punk. Mich erinnert das ein wenig an Bands wie At The Drive-In oder Glassjaw.
Dead Years – „Selftitled“ (My Ruin) [Stream]
Nach ’ner Demo kommt das Bielefelder Trio mit seinem Debutalbum um die Ecke. Die zwei Herren und die Dame waren und sind noch in anderen Bands unterwegs, Ruins, Pointed, Mayak, Gloom Sleeper, Patsy O’Hara und Shoyu Squad wären da zu nennen. Nun, Dead Years spielen eine melancholische und treibende Mischung aus Punkrock, Post-Punk und etwas Hardcore, die Spielfreude ist hier deutlich zu hören. Der Sound ist knackig und etwas räudig, mal wieder die Tonmeisterei. Durch die male/female Vocals fühle ich mich an Bands wie frühe Monochrome oder Hysterese erinnert.
Foxtails – „Fawn“ (Skeletal Lightning) [Stream]
Auf dem mittlerweile vierten Longplayer der Screamo-Band aus Connecticut geht es wieder reichlich emotional zur Sache, lyrisch und soundtechnisch wird gelitten, was das Zeug hält. Vertonte Angst und Qual klangen selten so lebendig wie in diesen zwölf Songs. Der Gesang von Megan Cadena-Fernandez reicht von resignierten Spoken Words über leidendes Heulen bis hin zu verzweifeltem Geschrei. Zudem ist die Band vom Trio zum Quartett gewachsen, seit 2021 ist neben Drums, Bass und Gitarre auch eine Geige mit an Bord, welche das Drama noch größer erscheinen lässt. In die vielschichtigen und abwechslungsreichen Songarrangements kann man richtig eintauchen, knapp vierzig Minuten dauert das Kopfkino.
Ruined – „Everything Is“ (DIY) [Stream]
Die Schweizer Band Ruined startete irgendwann im Jahr 2019 als Soloprojekt, mittlerweile ist das One-Man-Band-Projekt zum Quartett angewachsen. Und das, was man auf dem 13 Songs umfassenden Debutalbum zu hören bekommt, läuft mir ziemlich gut rein. Man spürt beim emo-lastigen Sound deutlich den HC/Punk-Background der Bandmitglieder. Hier schwappt vom ersten Ton an die Spielfreude aus den Lautsprechern. Rasant und melodisch geht es zur Sache, dabei freut man sich immer wieder, wenn der Gesang zwischen clean und energisch pendelt. Als Einflüsse werden Turnover, Title Fight oder Basement genannt, ich sehe hier aber auch Parallelen zu Bands wie Lifetime, Hell & Back oder Audio Karate.
Teresa Banks & Cause A Riot – „Split EP“ (Shield Recordings) [Stream]
Hier habt ihr die Möglichkeit, mit einem Tonträger zwei fantastische finnische Bands zu entdecken, die beide ziemlich viel Pfeffer und Melodie im Gepäck haben. Das Quintett Teresa Banks kommt aus Helsinki und ist irgendwo zwischen melodischem Skatepunk und Melodycore unterwegs, dabei wird immer schön das Gaspedal gedrückt. Mehrstimmige Chöre runden das Ganze ab. Cause A Riot aus Järvenpää schlagen in die gleiche Kerbe, sind aber ein bisschen hardcorelastiger. Auch hier ist viel Melodie mit an Bord, Fans von Bands wie Good Riddance, Strike Anywhere oder As Friends Rust sollten hier mal ein Ohr riskieren.
Bandsalat: Black Square, Einseinseins, No God Only Teeth, Piranoid, Shoreline, Singles
Black Square – „Blumen am Abgrund“ (Plastic Bomb & Keep it a Secret Records) [Name Your Price Download]
Das hier ist einfach mal geil! Die Band Black Square wurde inmitten der Corona-Pandemie gegründet. Innerhalb von neun Monaten wie ein kleines und unschuldiges Menschenleben gereift, erblickt das Debut-Baby nun die Welt. Vielleicht macht dieser kleine Messias die am Abgrund stehende Welt etwas besser! Es wäre wünschenswert! Aber zurück zum Release! Hab jetzt zwar kein physisches Exemplar vorliegen, aber die Vinylversion sieht auf den Fotos ganz schön pfiffig aus! Allein der Sound haut ganz geil rein, zusammen mit den Texten kommt das verdammt emotional rüber! Deutschpunk trifft auf Screamo, würd ich mal für euch Schubladenleutchen mit den wedelnden Fahnen in den Raum stellen. Deutschpunk mit Message, also abseits von Saufgelagen und arbeitlosem Rumasseln. Ein bisschen Meditations-Esoterik-New Age-Verarsche dazu, und Hip Hop für die Crew (z.B. im Outro bei Hagazussa)! Dichte Gitarren, wildes Getrommel und hyperventilierende female Vocals, that’s it! Und natürlich DIY as fuck! Da kriegste echt mal Hummeln in den Arsch! Da hat man keinen Bock sich zu beruhigen, ohne Scheiß! Hier regiert die Wut, und zwar auf die Gesamtscheiße aka Rassismus, Ausgrenzung und partiarchale Machtstrukturen. Und ja, eigentlich muss man sich nicht groß fragen, woher all der verdammte Hass kommt.
Einseinseins – „Zwei“ (Tonzonen Records) [Stream]
Ist das jetzt Post-Punk mit Elektro gekreuzt? Oder eher NDW mit Krautrock? Ach Scheiß drauf, ich find es echt mal geil, was die Berliner da auf ihrem (zweiten?) Album machen. Das Trio versteht es perfekt, in seine elektronische und von pumpenden Bass & Drumbeats begleitende Musik eine dezente Pop-Note reinzubringen, dazu ist das Ganze ziemlich tanzbar. !!! trifft auf Air dazu helfen Notwist und AUA ein bisschen aus. Cooler Sound, zwischen verkopft, groovy, hibbelig, tanzbar und eingängig!
No God Only Teeth – „Placenta“ (Narshardaa Records) [Stream]
Ziemlich dunkel, düster, dreckig und emotional kommt das Debutalbum der Hamburger Band No God Only Teeth rüber. Irgendwo im Crust und Doom zuhause, kommen auch noch Einflüsse aus Screamo und Black Metal zum Einsatz, das alles schön basslastig. Die Gitarren drehen frei und zaubern aber immer wieder unterschwellige Melodien in den vernichtenden Wirbelsturm. Zwei der fünf Songs haben englische Lyrics, beim Rest wird in deutscher Sprache gescreamt. Die weiblichen Vocals jagen die ein oder andere Gänsehaut über’n Rücken. Wahnsinnig emotional, hier wird amtlich gelitten! Dazu lassen sich die Songs einiges an Zeit, bei Songlängen über fünf bis hin zu neun Minuten muss sich eine Band auch einiges einfallen lassen, um nicht in die Langeweile abzudriften! Absoluter Tipp für kellerliebende Menschen!
Piranoid – „Verirrte Projektionen“ (DIY) [Name Your Price Download]
Die ziemlich neue Band Piranoid kommt aus Stuttgart, hat Ex-Leute aus Bands wie beispielsweise Reznik Syndrom, Loose Suspense, Ruthless, Dead Wrong und Discommand mit an Bord und pfeffert uns als erstes Lebenszeichen gleich mal ein neun Songs starkes Album um die Ohren. Gescreamt wird dazu in deutscher Sprache, Klischees haben in den stark formulierten Lyrics aber keinen Platz. Soundtechnisch ist die Band tief im Dampfwalzen-Hardcore verankert, Metal-Einflüsse sind auch mit von der Partie. Klar, die großen Brüder Sidekick und Empowerment haben auf die Jungs sicher ein bisschen Einfluss geübt. Sicher sind aber auch Bands wie die metallischeren Earth Crisis oder Strife Vorbilder der Stuttgarter. Gibt live sicher ordentlich auf’s Maul, wenn das dann mal wieder möglich ist. Checkt das mal an, ziemlich starkes Debut!
Shoreline – „Growth“ (End Hits Records) [Stream]
Bisher hat mich die Band Shoreline noch nicht packen können, keine Ahnung, warum. Mit Growth, dem zweiten Studio-Album ist es aber so weit, dass ich nach ausgiebigem Genuss auch noch die pre-Releases genauer angehört habe und gar nicht mal mehr so abgeneigt bin. Irgendwie mag ich es, was die Band aus Münster da so macht. Bands wie die Pixies, Jimmy Eat World, Basement oder Billy Talent dürften sicher große Einflüsse sein. Jedenfalls hat es irgendwann mal klick gemacht, außerdem können die Lyrics auch noch was!
Singles – „You told us not to worry but life is fucking hard, mum.“ (DIY) [Stream]
Ach du grüne Neune, das hier ist ja fast mal untergegangen! Hab die drei Songs damals im Frühjahr 2021 aufgrund der Anfrage gleich gezippt und auf’n USB-Stick zusammen mit etlichem anderen Zeugs mit ins Auto genommen. Leider hat es ein bisschen gedauert, bis der Ordner endlich mal an der Reihe war. Dieser Moment, als mir die bereits gehörten Gitarren-Tunes vom Opener Trouble Sleeping in die Gehörgänge krochen! Wahnsinn! Hab das Ding gleich mal auf Auto-Repeat gelegt! Diese drei Songs machen so Spaß, leider sind sie nach einer kurzen Spielzeit von knapp sieben Minuten auch schon wieder vorbei. Schade, dass da keine 7inch draus gemacht wurde, das hat nämlich wirklich mal Charakter und Seele, was das Duo hier gezaubert hat. Emo mit Indie-Slacker-Gitarrenkante, schön in den Nullern verankert und nostalgisch. The Daydream Fit treffen auf European Translation Of und The Van Pelt. Sehr geil! Darüber hinaus auch noch textlich sehr gefühlvoll. Ach ja, Frank Mertens war früher bei Adolar, nur mal so nebenbei erwähnt.
Starships – „Demo-Tape“ (DIY)

Die Band Starships wurde im April 2020 in Berlin gegründet. Natürlich mal wieder von Leuten, die man von anderen Bands her kennt und die sich höchstwahrscheinlich schon vorher durch die Präsenz der anderen Bands her untereinander kannten. Wie hätte man sonst inmitten einer Pandemie wohl ’ne Band gründen können? Per Inserat (2g sucht immune Personen +) oder durch ’ne Band-Dating-App (biontech-Leutz only bitte melden)? Vielleicht sogar statt in der Kneipe im Impfzentrum kennengelernt? Crossover: Astrazeneca Biontech, und kreuzgeimpft mit Moderna! Könnte alles Risiken mit sich ziehen, heutzutage weiß man nie, ob man sich durch sowas Schwurbler in die Band holt! Wenn man früher Leute beim Proberaum-Vorspiel belächelte, die bei 30 Grad Außentemperatur mit einer Gasmaske auf der Rübe vortanzten, wär man heutzutage echt mal froh über diese Freaks. Also lieber auf gefestigte Leute aus dem Umfeld zählen! Bands wie z.B. Ashtray Monument, Blue Screen Of Death und Slug And Snails, denn genau da zockten die Jungs, die sich zur Band Starships zusammengetan haben.
Und das hier ist das erste Demo-Tape, fünf Songs sind darauf zu hören. Auf dem Tape-Cover ist ein verratztes Smartphonedisplay abgebildet. Hinter den tieferen Sinn des Coverartworks bin ich nicht gekommen, aber das Tape könnte locker als Smartphone-Attrappe durchgehen. Aber tut lieber nicht so, als ob ihr mit dem Tape telefonieren würdet, ihr Psychos. Legt lieber das fast nackte und mit Edding beschriftete Tape in euren Walkman ein und drückt auf Play. Und fühlt euch direkt im Proberaum der Band, alles live eingespielt.
Auch wenn die Aufnahme rau, scheppernd und vielleicht etwas dünn ist, spürt man hier eine enorme Emotionalität. Wie in eine Kuscheldecke eingewickelt machen sich hier unterschwellige Melodien breit, gerade der markante Bass, die übersteuerten Crashbecken und die kantigen Gitarren reißen hier einiges, dazu kommen die Vocals, die mich an so manche Band aus den Neunzigern erinnert (z.B. Couch Potatoes). Ein paar Parts des Opener-Songs Big Sleep erinnern mich dann sogar an einen Song einer meiner eigenen früheren Bands. Für ’ne Plagiatsklage reicht’s aber dann doch nicht, das hier klingt definitiv besser! Geld wäre da sicher eh nicht zu holen. Hach,der Sound läuft einfach gut rein! Für’s Mischen und Mastern war übrigens Peter Nowak (erai.) zuständig.
8/10
Facebook / Bandcamp / Name Your Price Download
Bandsalat: Biliardo, Ezinegon, Graceful, Hauke Henkel, I Saw Daylight, Jeanny
Biliardo – „Demo#1“ (DIY) [Name Your Price Download]
Über diese neue Band aus Tokio /Japan konnte ich leider nicht sehr viel in Erfahrung bringen, es ist ja schon erstaunlich, dass ich auf das erste 3-Song-Demo beim Bandcamp-Ausflug aufmerksam wurde und direkt angefixt war. Messerscharfe Gitarren, vezweifelter Schreigesang mit ständig überschlagender Stimme, dazu diese melancholischen Melodien. Manchmal wird der Krach auch zurückgefahren und es gibt Math-Einlagen. Bass und Gitarre wissen auch hier, wie man ordentlich Emotion in die Sache bekommt. Ach ja, japanische Vocals sind das wohl und neben Screamo gibt’s auch ein paar Post-Hardcore-Elemente. Zieht euch das Teil zum Name Your Price-Tarif!
Ezinegon – „Mastak Erorita Daudenean“ (DIY) [Name Your Price Download]
Schön krachig aufgenommenen und straight nach vorne gehenden Screamo gibt es von dieser neuen baskischen Band aus Donostia-San Sebastián auf die Ohren. Dort scheint es eine rege Szene zu geben, das fiel mir vor kurzem schon beim Stöbern zu Informationen des neulich besprochenen Comic Sans-Albums auf. Nun, Ezinegon schleudern uns ihren wilden Skramz-Sturm mit leidendem und verzweifeltem Geschrei in baskischer Sprache entgegen. Gut, dass es Internetübersetzungsprogramme gibt, die da Ergebnisse liefern können. Jedenfalls klingt das hier trotz der Dissonanz schön intensiv und unterschwellig auch melodisch, was sicher auch an der live eingespielten Aufnahme liegt. Bin gespannt, was es von dieser Band noch zu hören gibt.
Graceful – „Demiurgia“ (Vlad Productions) [Stream]
Ist das wie ein Intro wirkende The Passage mal durchgelaufen, dann legt die Band Graceful aus Nantes, Frankreich mit Enemy ein zappeliges und groovig-basslastiges Gebräu aus Noise, Punk und Mathcore auf’s Parkett, das an manchen Stellen auch an Bands wie At The Drive-In oder Drive Like Jehu erinnert. So hätte es meiner Meinung nach gern für den Rest des Albums weitergehen können, aber Graceful machen es einem im Verlauf der zehn Songs alles andere als leicht, die Songs sind teilweise richtig sperrig aufgebaut, auf eingängige Melodien wurde großzügig verzichtet. Mal wird es etwas ruhiger, mal kommen auch noch Erinnerungsfetzen an Faith No More und Mike Patton hoch, gerade beim Clean-Gesang. Und dann gibt es auch noch Ausflüge in Richtung Stoner/Metal mit musical-ähnlichen Vocals, die schon mal an den Nerven zehren können. Aber sobald wieder dieser fuzzy Sound aus den Lautsprechern wummert, ist das auch schon wieder vergessen.

Hauke Henkel – „Elbe“ (stereo dasein) [Stream]
Der ehemalige Schlagzeuger von Manku Kapak und Fljora kommt wieder mit seinem Piano um die Ecke und hat ein neues Album aufgenommen, diesmal ein rein instrumentales. Eingespielt wurden die Kompositionen auf dem über 100 Jahre alten Klavier der ehemaligen Pianomanufaktur „Knauss Coblenz“, das in einem unbeheizten Proberaum in Mainz steht. Unbedingt sollte man die acht Stücke laut aufgedreht auf guten Kopfhörern lauschen! Denn da spiegeln sich die verschiedenen Stimmungen am eindruckvollsten. Häufig dominiert eine schwere Melancholie, dennoch dringen immer wieder beschwingte, leichtfüssige und gar sehnsüchtige Melodien an die Oberfläche. Die vom Klavier erzeugten Töne klingen dabei manchmal auch etwas unsauber, kratzig und kantig, was aber gerade der leidenschaftlichen Stimmung zugute kommt. Diese instrumentalen Songs wirken ohne den oftmals schrägen Gesang von Hauke Henkel sehr viel harmonischer und intimer. Auf Vinyl wird Elbe durch das warme Knistern vermutlich ganz toll klingen. Wenn ihr also mal auf der Suche nach etwas ruhigem und besänftigenden seid und euch Piano-Zeugs wie Yann Tiersen zu Mainstream ist, dann bitte hier entlang!
I Saw Daylight – „όνειρο“ (DIY) [Stream]
Die Ulmer Band kloppt nach vier EP’s und zwei Split-EP’s endlich mal ein Debut-Album raus, das wurde aber auch langsam mal Zeit! Und das lässt natürlich den Wunsch anschwellen, die Band endlich mal wieder live zu erleben. Da die Jungs und das Mädel an den Drums ganz aus meiner Nähe kommen, hatte ich schon wiederholt das Vergnügen, die Band seit Gründung und auch noch mit ihrer alten Gitarristin Jessica Svartvit zu sehen. Die ist mittlerweile eine gefragte Tätowiererin und ist auch diesmal zumindest wieder künstlerisch mit von der Partie, das Artwork stammt aus ihrer Feder. Musikalisch bolzen die Ulmer ein sattes Brett raus, die Songs sind sauber und druckvoll produziert. Und natürlich merkt man der nach Live-Shows süchtigen Band die jahrelange Erfahrung trotz der mangelnden Auftrittsmöglichkeiten in den letzten zwei Jahren aus jedem Ton dieses Albums an! Sänger Eugen quält sich leidenschaftlich und leidend mit schön emotional klingenden gescreamten Vocals durch, manchmal kommt auch Cleangesang zum Einsatz, natürlich dürfen auch Gangshouts nicht fehlen. όνειρο ist übrigens Griechisch und bedeutet „Traum“. Und dieses Album dürfte der Traum zahlreicher Post-Hardcore-Fans sein, das hier lässt mal locker das Herzchen hüpfen!
Jeanny – „Selftitled“ (Laserlife Records) [Stream]
Wenn eine Band aus Wien kommt, darf sie sich schonmal nach einem Falco-Song benennen, ja selbst die etwas abgewandelte Melodie des Songs beim Opener Pt.1 und auch ein paar geklaute Textzeilen gehen klar. Aber nur, weil die Band das mit so einer enormen Intensität vertont hat, dass die Nackenhärchen zum Stehen kommen, die analoge Aufnahmetechnik trägt ebenfalls zu einem authentischen Sound bei. Musikalisch lassen sich die vier Österreicher irgendwo im deutschsprachigen Post-Punk/Indie-Bereich einordnen, die teils gesprochenen, teils gesungenen und oft gescreamten Vocals strotzen jedenfalls vor Melancholie. Ganz geil passen jedenfalls die oft zum Einsatz kommenden melodischen und emotionalen Trompeten, die meilenweit entfernt von irgendwelchen 08/15-Ska-Bands liegen. Ich würde sogar soweit gehen, dass diese Trompeten eines der markantesten und eigenständigsten Erkennungsmerkmale der Band sind. Okay, und auch textlich geht es ziemlich tragisch und emotional zur Sache. Das sechs Songs starke Album behandelt textlich die verheerenden und zerstörerischen Auswirkungen einer exzessiven Alkoholsucht. Wenn ihr euch eine Mischung aus Bands wie Touché Amore, La Dispute, Empty Guns und OK Kid vorstellen könnt und auch Zeugs wie frühe Moop Mama mögt, dann solltet ihr hier unbedingt mal reinhören!
Grow Grow – „Lichterloh“ (DIY)

Die Berliner Band Grow Grow wurde aufgrund ihrer bisherigen Releases an anderer Stelle ja bereits gebührend angepriesen, daher freut es mich ungemein, dass sich die Band offenbar an die Rezensionen erinnert hat und nach kurzer und netter Mail-Konversation auch schon die neue 12inch per Post ins Haus flattert. Da Sänger und Gitarrist Martin auch noch bei erai involviert ist, liegt dem Päckchen auch gleich noch neben einem handgeschriebenen Brief deren aktuelle EP im 12inch-Format bei (falls noch nicht gesehen: hier geht’s zur Kritik). Aufgrund Verzögerungen im Presswerk gibt es das selbstreleaste Album erstmal ’nur‘ als Notfall-Auflage auf 140g, später wird das Ding im schweren 180g-Vinyl erhältlich sein. Nun ja, 40g mehr oder weniger werden jetzt wohl keinen klanglichen Unterschied ausmachen, zumal die Tonmeisterei mal wieder satt geliefert hat. Seit Bandgründung ergaben sich in den letzten Jahren übrigens bei der Band immer wieder Besetzungswechsel, mittlerweile ist die Bandbesatzung entgegen des wachstumsversprechenden Bandnamens von einem Quartett auf ein Trio geschrumpft.
Äußerlich sieht die 12inch schon mal sehr wertig aus. Das schlichte Coverartwork wirkt mit seinem aus Treibholz gebastelten Segelboot schön edel, auf dem Backcover gibt’s dann noch ein Polaroid-Bandfoto zu sehen. Ha, das Dead Moon-Shirt habe ich auch! Im Inneren fasziniert das bunte und collagenhafte Textblatt. Zwischen Grafiken aus Pflanzenbestimmungsbüchern und antiken Kinderbildern ist hier (vielleicht in Anlehnung an den Bandnamen) das Wachstum zentrales Thema. Textlich geht es in deutscher Sprache poetisch und tiefgründig zur Sache, es gibt auf jeden Fall viel Interpretationsspielraum. Ein großes Thema ist Vergänglichkeit, Verlust und Trauer, der Kampf mit den inneren Dämonen und persönliche Kindheitserinnerungen sind die begleitenden Weggefährten. Es kommen aber auch gesellschaftliche Probleme und politische Inhalte zur Sprache, Manipulation, autoritäre Machtsysteme und der Klimawandel werden ebenso verarbeitet. Eine meiner Lieblingszeilen aus dem Song Bravo Bravissimo bringt’s ganz treffend auf den Punkt: „Ein SUV parkt unter’m Heizpilz, eine Kreuzfahrt in die Arktis“. Auch wenn ich mich wiederhole: nach der Pandemie wäre es doch jetzt schön, wenn es wieder mehr regionale Subkultur mit heimischen DIY-Bands wie Grow Grow oder auch die neulich besprochenen erai geben könnte, auch wenn durch die Pandemie und die foranschreitende Gentrifizierung viele Läden das Zeitliche gesegnet haben. Wir brauchen keine Bands aus Übersee, die für drei käsige Shows einen klimaschädlichen Atlantikflug verbraten.
Musikalisch bekommt ihr ein intensives Gebräu aus Post-Hardcore, Punk, Noise, Math-Rock, Screamo, Post-Rock, Post-Punk und Emocore auf die Ohren! Die Songarrangements sind spannend und stimmig gehalten, so dass im Verlauf der sieben Songs und in einer Spielzeit von 35 Minuten keinerlei Langeweile aufkommt. Das laut/leise-Zusammenspiel dient hervorragend dem Spannungsaufbau, der wie eine groovig-noisige Wand anwächst, bis er im heftigen Noise-Ausbruch gipfelt. Bei Mit Piranhas im Pool ist sogar eine fast in Blackmetal-abdriftende Passage mit wildem Getrommel zu hören. Man hört hier einfach aus jedem Ton die unbändige Spielfreude und Leidenschaft des Trios heraus. Ganz viel 90’s-Spirit hat dieser wuchtige Sound an Bord: dort ein knackiger Groove, genügend kantige Ecken und melancholische Momente und dazu noch eine unglaublich pulsierende Energie. Wahnsinn! Wenn ihr Bands wie Shellac, Jesus Lizard, At The Drive-In, Craving , Ten Volt Shock, Buzz Rodeo, Drive Like Jehu und Fugazi zu euren Faves zählt, dann dürfte euch der Sound von Grow Grow ebenfalls zusagen. Bleibt nur die Frage, ob ihr wirklich auf die 40g schwerere Scheibe warten wollt, oder ihr euch das Ding hier gleich krallt!
9/10
Facebook / Bandcamp
Bandsalat: Bleached Cross, Shamewave, Burial Dance, Duchamp, Karloff, Pembe, Wlots
Bleached Cross & Shamewave – „Split“ (No Funeral Records) [Name Your Price Download]
Zwei Bands teilen sich hier ein Tape, beide haben zuvor lediglich Demos veröffentlicht. Will damit ausdrücken, dass wir hier zwei ziemliche Band-Frischlinge haben. Wobei bei Bleached Cross Leute von Frail Body dabei sind. Die Jungs machen düsteren Shoe/Dreamgaze mit Darkwave-Einflüssen, diese treten v.a. durch die kalten Drumbeats und die Synthies in Erscheinung. Ab und zu kommen richtige Hooks ans Tageslicht, Screamo- und Post-Hardcore-Post-Punk-Einflüsse sind auch nicht von der Hand zu weisen. Shamewave gehen in eine ähnliche Richtung, hier kommt noch ein immenser Watte-Filter zum Einsatz. Melodisch, poppig, aber mit einer richtigen Turm-Wand an Gitarren. Auf der einen Seite wird viel mit Lärm und auftürmenden Instrumenten experimentiert, auf der anderen Seite dringen immer wieder diese melodischen Momente mit Bubblegum-Grunge-Hooklines an die Oberfläche, siehe Situation Stun Gun. Bin gespannt, wie sich beide Bands entwickeln, zumindest bei Shamewave dürfen wir auf das im Jahr 2022 geplante Debutalbum freuen. Und jetzt auf, lernt zwei tolle Bands zum Name Your Price Download kennen!
Burial Dance – „Structures“ (Moment Of Collapse) [Stream]
Bei all den verdammt schlechten Nachrichten da draußen gibt es auch hin und wieder Neuigkeiten, die man angesichts der Dichte an Fake News kaum glauben will. Jetzt wirklich? Hinter dem echt mal klischeehaften Bandnamen der Band Burial Dance aus New Jersey kriechen Leute aus dem Sarg bzw. spielen zum finalen Tanz auf, die zuletzt bei Bands wie z.B. The Saddest Landscape, Au Revoir, Capacities und A Film In Color am Leben waren. Irgendwie surreal und krass! Fünf Songs, knapp sechzehn Minuten. Ganz schön dicht und intensiv! Meine Synapsen explodieren!
Duchamp – „Slingshot Anthems“ (End Hits Records) [Stream]
Was kommt wohl dabei raus, wenn sich Leute zusammentun, die bisher bei Bands wie den Donots, Adam Angst, Waterdown, Schrappmesser, Pendikel, Schrottgrenze, One Man And His Droid, Pale, The Robocop Kraus und Station 17 musiziert haben? Tja, wohl das hier! Tatsächlich hab ich die erwähnten Bands alle außer Schrappmesser und Adam Angst schon live erleben dürfen, manche sogar wiederholt. Und ich muss sagen, dass bei all dem Namedropping absolut kein Beigeschmack zu riechen ist! Vom ersten Ton an springt hier der Funke über, und das nicht nur wegen der schmissigen Hits und der perfekten und abwechslungsreichen Songarrangements, sondern v.a. aufgrund der zu jeder Zeit spürbaren Leidenschaft und der unbändigen Spielfreude. Melodischer 90’s-US-Hardcore-Punk á la Lifetime und Kid Dynamite wird hier geboten, energiegeladen und hymnisch bis zum Anschlag. Und durch die jahrelange Vernetzung in der Szene war es wahrscheinlich kein großes Ding, Gäste wie Jason Shevchuck von Kid Dynamite und None More Black, Brian McTernan von Battery und Be Well, Dave Smalley (Dag Nasty, Down By Law) und Stephen Egerton (äh, Descendents) zu gewinnen. Wäre ich berühmt, hätte ich mich jedenfalls auch tierisch gefreut, bei diesen dreizehn Songs als Gast mitzumischen! Hach, ich würd ja gern noch was zum gemeinsamen Zusammenfinden der Band schreiben, aber da ich nicht gern aus irgendwelchen Promotexten zitiere, lest ihr die Geschichte am Besten direkt bei Ingo Donot irgendwo im Netz nach. Geiles Album jedenfalls!
Karloff – „Selftitled“ (I.Corrupt.Records u.a.) [Name Your Price Download]
Das Idyll vom Albumcover trügt etwas, denn Karloff verwüsten innerhalb von 25 Minuten die Gänseblümchen-Wiese mit einem Sturm aus Emoviolence, Screamo, Hardcore, Noise, Post-Rock und etwas Jazz. Ruhige Passagen wie z.B. beim Song Ocean Or Other oder Sun sorgen für zusätzlichen Spannungsaufbau. Zwischen Chaos und aberwitziger bzw. verschachtelter Gitarrenakrobatik mit wildem, arhythmischem Getrommel, sorgt das leidende Geschrei für Gänsehautmomente. Die Band aus Cambridge, Ontario ist jedenfalls ein richtig emotionsgeladenes Energiebündel. Das Album ist in Zusammenarbeit der DIY-Labels I.Corrupt.Records, Zegema Beach Records und No Funeral Records erschienen. Außerdem gefällt die satte und gleichzeitig rauhe Produktion, an den Reglern drehte mal wieder Jack Shirley/Atomic Garden.
Pembe – „Yalnız Hissedersen“ (Mevzu Records u.a.) [Stream]
Wieder mal ’ne Screamo-Band, die mir bis zur e-Mail-Besprechungsanfrage total unbekannt war. Geil, dass die Band bei mir angeklopft hat, danke an dieser Stelle! Denn Pembe aus Istanbul liefern ein ganz schönes Gefühlschaos ab, das irgendwo zwischen melancholischem 90’s Emocore und impulsivem Screamo angesiedelt ist. Diese türkischen Vocals, die man geschlechtsmäßig nirgendwo ganz eindeutig einordnen kann, berühren mich jedenfalls ohne Ende, obwohl ich den Textinhalt nicht verstehen kann. Da wird gelitten, geheult und wütend gekeift! Ein kleiner Blick zur Bandcamp-Seite: da gibt es neben den türkischen Lyrics auch die englische Übersetzung! Und bei Yavaş Yavaş kommt sogar noch ein Streichinstrument zum Einsatz, da jagt es Dir echt ’ne Gänsehaut über die vegane Lederjacke! Krass emotional, auch mit diesem schreienden Chor! Und diese wilden und zügellosen Gitarren! Grandios!

Wlots – „Paperking“ (Deep Elm Records) [Stream]
Nachdem das Debut-Album der Band aus Göteborg/Schweden so geil bei mir einschlug, freute ich mich sehr, als Ende August ’ne nette Besprechungsanfrage des zweiten Albums aus dem Hause Deep Elm Records im digitalen Postfach landete. Und ja, das Quartett punktet erneut auf ganzer Linie. Wahnsinn, was für Emotionen auf Paperking frei werden. Die Band bewegt sich locker und stimmig zwischen mitreißendem Post-Hardcore, Screamo, Emo, Post-Rock und Punk, es ist ein wahrer Genuss. Entstanden sind die dreizehn Songs während der Pandemie in einer einsamen Hütte im Wald. Logischerweise strotzen die Texte ebenso wie die Musik vor Traurigkeit und Verzweiflung. Wütend, in sich gekehrt, mit einem scharfen Blick auf die Umgebung und dem Ekel vor autoritären Machtstrukturen. So geht Punk! Und dann diese wundervollen Gitarren, die Dir das Gehirn verdrehen! Hinzu kommen kraftvoll gespielte Drums, verträumte Passagen, mal mit gesprochenen und mal mit gesungenen Vocals, aber das bis zum Anschlag leidende Geschrei setzt dem Ganzen die Krone auf. Ich bin hellauf begeistert von diesem Album. Bisher gibt es dieses Juwel lediglich digital, bitte bitte Vinyl! Dürfte allen gefallen, die Zeugs wie Thursday, La Dispute, Pianos Become The Teeth, Touché Amore oder Listener abfeiern!
Bandsalat: Assertion, Lower Automation, One Step Closer, Planet Watson, Superbloom, Tenace
Assertion – „Intermission“ (Spartan Records) [Stream]
Fast durch die Lappen gegangen wäre mir das Debutalbum dieser Band aus Tacoma, Washington. Lag wohl an der seltsam formatierten Mail im proppevollen Promo-Mail-Ordner. Nach ca. zehnjähriger musikalischer Abwesenheit kommt hier der Sunny Day Real Estate-Drummer William Goldsmith (auch bekannt als Gründungsmitglied der Bands The Fire Theft und den Foo Fighters) um die Ecke. Dementsprechend strotzen die neun Songs von einem gewissen 90’s Groove. Auf der einen Seite klingt der Sound ein bisschen düster, was auch textlich unterstrichen wird (es geht z.B. um persönliche Traumata wie missbräuchliches Verhalten in der Familie), andererseits dringen wiederholt melancholische Gitarrenmelodien mit eingängigen Refrains ans Ohr. Jedenfalls lohnt es sich, dem Album genügend Zeit zu geben, denn es wächst mit jedem weiteren Durchlauf! Wenn ihr mit 90’s-Zeugs wie Jawbox, Quicksand, Lunchbox oder Hum was anfangen könnt, dann solltet ihr hier mal ein Ohr riskieren.
Lower Automation – „Selftitled“ (Zegema Beach Records) [Name Your Price Download]
Nach zwei EPs hat das Trio Lower Automation aus Illinois zehn Songs für sein Debutalbum zusammengetragen. Größtenteils sind die Songs in der Pandemie entstanden. Das erklärt vielleicht die Weirdness und das Chaos, das einem mit einer unbändigen Wucht entgegen schlägt. Die Band hat ein aufwühlendes Gebräu aus Post-Hardcore, Math, Noise, Indie, Punk und Metal geschaffen. Das klingt dann in etwa so als ob die kleinen nervösen und hibbeligen ADHS-Geschwister von Bands wie At The Drive-In, The Jesus Lizard oder Dillinger Escape Plan zusammen Musik machen würden. Die Stimme von Sänger und Gitarrist Derek ähnelt wirklich sehr der Stimme von Cedric Bixler-Zavala. Und dann sind da diese völlig kaputten Songarrangements, die wie zusammengepuzzelt ein mächtiges Gesamtwerk ergeben. Wenn ihr auch nur eine der erwähnten Bands mögt, dann werdet ihr das hier ziemlich abfeiern! Ich find’s mega!
One Step Closer – „This Place You Know“ (Run For Cover) [Stream]
Vom ersten Ton an könnte ich hier permanent mit der Faust in die Luft schlagen und dabei ein fettes Grinsen in der Fresse haben! So ein geiles Debutalbum hört man selten! Zwischen Hardcore, Melodic Hardcore, Post-Hardcore und Emo könnte man das hier irgendwo einordnen. Ha, Hardcore halt, aber so richtig unter die Haut, mit den geilsten Gitarren dieser Erde! Dazu ziemlich emotionial und mitreißend, zwischen purer Verzweiflung und herzzereißender Leidenschaft! Ich war bereits ab dem ersten Song des Albums Fan, vorher kannte ich die Band leider nicht. Die Band gibt’s seit 2016, ich werde nun ausgiebig den Backkatalog auschecken! So klingt pure Leidenschaft! Frühe Stretch Arm Strong treffen auf By A Thread, frühe Boy Sets Fire und vielleicht noch Shai Hulud? Hört da mal schleunigst selbst rein und werdet glücklich!
Planet Watson – „Time To Break It“ (Melodic Punk Records) [Stream]
Zehn Jahre gibt’s die Stuttgarter Skatepunkband Planet Watson mittlerweile, die Zeit war also reif für das dritte Album. Und dass die Jungs darauf geil waren, das lässt sich auf Time To Break It an vielen Stellen hören. Und auch diesmal wird die Szene gefeiert. Auch wenn’s im Booklet nirgends steht, verlass ich mich jetzt mal auf den selbst verfassten Promowisch. Da steht nämlich geschrieben, dass einige Gastgesänge von Leuten aus Kapellen wie Frenzal Rhomb, The Decline, Scheisse Minnelli, Straightline, Noopinion, Money Left To Burn, Antiheld und Danger Jerk zu hören sind. Naja, fällt irgendwie nicht wirklich auf! Jedenfalls eröffnet der Opener Next Episode mit purer Spielfreude und Energie, so wie auch der Rest des Albums. Die Gitarren zaubern ein melodisches Riff nach dem nächsten, der Drummer gibt Gas, mehrstimmiger Gesang und einen schmissigen Bass gibt’s obendrauf. Dazu ein Sänger, der mal schreien aber auch melodisch singen kann. Oder auch mehrere, siehe oben. Yeah! Im Verlauf der sechzehn Songs bekommt man echt Lust, sich direkt auf’s Skateboard zu schmeißen und sich einen Dreck um schlimme Verletzungen und halsbrecherische Stürze zu scheren! Wer auf Zeugs wie Pennywise, die Krombacher Kellerkinder, NOFX oder die Satanic Surfers steht, kann hier bedenkenlos zugreifen! Ich find ja auch das Artwork der CD ziemlich gelungen (Lokalkolorit: Goldmarks, Juha West, alte Hackerei Karlsruhe, Helmut Cool, Start A Fire), und wenn man dann die Shirts der Jungs im Booklet sieht, dann weiß man auch, dass der Background stimmt! Cluster Bomb Unit, daher kommt wohl also der Wumms an den Drums!
Superbloom – „Pollen“ (Thirty Something Records) [Stream]
Zwölf Songs schmücken das Debutalbum der Band Superbloom aus Brooklyn/New York. Und die dürften jedem 90’s Grunge und Indie-Rock-Fan die Tränen in die Augen treiben. Das Album kommt innerhalb von einer Spielzeit von knapp 45 Minuten mit reichlich Nostalgie um die Ecke und eigentlich kann man sagen, dass hier sich ein Hit an den nächsten reiht. Der wohl stärkste Einfluss dürfte wahrscheinlich Nirvana sein, Bands wie die frühen Smashing Pumpkins und Soundgarden lassen v.a. bei der Gitarrenarbeit und vom Groove her grüßen. Die Band beherrscht jedenfalls ihr Handwerk, neben der laut/leise-Dynamik schimmert auch viel Melancholie und Melodramatik durch. Auch dass die Produktion zeitgemäß ist und dabei aber noch genügend rotzt imponiert mir sehr. Einfach brutal gut! Dicke Empfehlung für die Dauerschleife!
Tenace – „Des Marques Sur Nos Mains“ (Itawak Records u.a.) [Stream]
Ihr seid süchtig nach französischsprachigem Screamo-Stuff? Dann kommt hier ein Leckerbissen in Form der aktuellen EP der Pariser Band Tenace. Die acht Songs strotzen vor Energie, Wut, Verzweiflung und Leidenschaft. Es geht wuchtig und emotional geradeaus, was wahrscheinlich auch dem geschuldet ist, dass die Songs live eingespielt wurden, Brad Boatright/Audiosiege sorgte fürs Mastern. Zum Song Les Souffles Et Nos Chemins wurde übrigens noch ein sehenswertes Video abgedreht. Und dass wir es hier mit einem schönen DIY-Release zu tun haben, zeigt auch die an der Vinyl und Tape-Version beteiligten zahlreichen Labels (Itawak Records, Sleepy Dog Records, Jean Scene Creamers, Nuisances Records, Smart & Confused, Yoyodyne, Les Disques Rabat Joie, Cloudsurf Records, Coeur sur toi, Callous Records, Cloudsurf Records, Missed Out Records). Sehr fein!
Gomme – „Absent Healing“ (Adagio 830)

Die Band Gomme gründete sich im Jahr 2015 in Paris als ein all female-Trio, vor der EP Absent Healing wurde ein Album veröffentlicht. Mittlerweile besteht die Band nur noch als Duo, zumindest wirkt auf Absent Healing neben Betsy Roszkowiak laut Plattencover lediglich Hannah Todt mit. Ein paar Drumspuren wurden von ’nem Typ eingespielt. Egal eigentlich! Denn die Power geht eindeutig von den beiden Damen aus: Betsy stammt ursprünglich aus San Francisco, Hannah kommt aus Wien, beide leben aber in Paris. So lässt sich vielleicht erklären, dass die 6 Songs in einem Sprachmischmasch aus Deutsch, Französisch und Englisch dargeboten werden.
Das Artwork ist jedenfalls schon mal einen Hingucker wert, zudem lädt es förmlich zum Nachdenken ein. Im Zusammenhang mit dem EP-Titel und der Zeichnung des Körpers mit seinem Nervensystem plus Organen und dem mental angedeuteten Empfinden schwebt mir gleich das Krankheitsbild somatische Belastungsstörung vor dem inneren Auge. Bei näherer Betrachtung des Lyric-Sheets, auf dem zwar leider keine Texte abgedruckt sind, aber ein weiteres Kunstwerk zu sehen ist, das zweifelsfrei verschiedene oberpeinliche Arten des Mansplainings darstellt, wird diese Interpretation des Artworks immer wahrscheinlicher. Auch das von einem Mann gesprochene und fast geblökte Intro deutet darauf hin, zudem reicht mein Schulfranzösisch aus, um mir ein Bild von den feministischen Textinhalten machen zu können, die sich gegen die patriarchal strukturierte Gesellschaft richten und mit Sicherheit auch die ein oder andere persönlich schmerzhafte Erfahrung beinhaltet.
Vom Sound her geht das Duo in Richtung Post-Punk, Goth-Punk und Noise, teils wird es ganz schön düster und kalt. Das Gerüst aus hämmernden und kraftvoll gespielten Drums und polterndem Bass wird oft durch dissonanten 80er-Gitarrenkrach unterstützt, dazu gesellen sich mal wütende und mal leidende Frauenstimmen, die auf der einen Seite Resignation ausstrahlen, auf der anderen Seite aber auch mächtige Stärke zeigen. Die Vocals stecken jedenfalls voller Emotion und zusammen mit den angeschrägten und dynamischen Instrumentalbegleitungen stellen sich desöfteren mal die Nackenhärchen auf. Gerade auf Vinyl und mit basslastigen Lautsprechern zeigt die Musik von Gomme eine äußerst magische Wirkung, hört euch nur mal den Song Floss an! Auch wenn es mal punkiger und schneller wird, wie z.B. bei L’Inverse, bleibt diese Magie erhalten. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Sound auch live sehr tanzbar ist! Sehr cooles und wichtiges Release!
8/10
Bandcamp / Facebook / Adagio 830
Meijar – „Selftitled“ (lala Schallplatten)

Zwischen Interessensbekundung aufgrund einer e-Mail-Anfrage und Zusendung eines physischen Besprechungsexemplars liegt normalerweise ein wenig Zeit, aber bei diesem Release lag die 12inch nach nettem Mailkontakt tatsächlich zwei kurze Tage später vor der Wohnungstür. Wahnsinn! Da hab ich dann fast ein schlechtes Gewissen, wenn die Rezi erst ein paar Wochen/Monate danach erscheinen wird, weil noch einige andere Sachen in der Pipeline sind. Langsamer geht es kaum, da ist sogar manch Print-Magazin fixer unterwegs! Deshalb Verzeihung an dieser Stelle, aber ich feier die Entschleunigung trotzdem! Denn so hab ich Zeit, natürlich unmittelbar nach Erhalt und ausgiebigem Hörgenuss eines Releases kurz vor Veröffentlichung des Reviews nochmals reinzuhören und die bereits im Kopf stehende und teilweise auch schon niedergeschriebene Rezi eventuell noch zu überarbeiten und zu verfeinern.
Bei dem selbstbetitelten Debutalbum der Band Meijar beispielsweise ist erneutes reinhören gar nicht mehr erforderlich, denn die 12inch dreht seit ein paar Wochen eh immer wieder gern mal auf dem Plattenteller ihre Runden, ganz ohne jeglichen Zwang und Drang! Das Quartett kommt aus Dresden, die beteiligten Bandmitglieder haben zuvor bereits in anderen lokalen Bands gespielt. Hab nach kurzer, erfolgloser Internetrecherche aufgegeben, denn eigentlich ist es doch auch angesichts der Aufnahmen total egal, wo die Jungs zuvor gezockt haben. Was mir das Internet jedoch verraten hat: Meijar ist vermutlich Hindi und heißt übersetzt „Haupt“. Wenn man die 12inch in den Händen hält, dann geht erst mal ein Fragezeichen an das enorm schön hingekritzelte Albumartwork raus: Hase gräbt? Hase zermatscht/totgefahren? Immerhin erkannt, dass es ein Hase ist? Backcover: Hase hoppelt fröhlich davon? Ostern? Auferstehung? Ist das ein Schriftzug mit versteckter Botschaft? Alles sehr verwirrend, aber ein netter Zeitvertreib, daraus etwas zu deuten! Irgendwie schade, dass kein Textblatt beiliegt und die Texte trotz deutscher Sprache echt schwer rauszuhören sind. Wenn man dann doch ein paar Lyrics-Fetzen entziffert hat, kommt noch die Hürde der bildhaften Sprache dazu. Bei einer so wertigen Platte wird ein Textblatt mit zusätzlichen Infos natürlich schmerzlich vermisst!
Dieses Manko wird aber mit insgesamt acht hammerstarken Songs – darunter zwei instrumetale Zwischenspiele – ausgeglichen. Meijar haben nämlich eine richtig geil abgehende Mischung aus Post-Hardcore, etwas Noise und einem kleinen Schuss Neo-Grunge am Start. Kann sich jemand das hier in etwa vorstellen? Melancholische Fjørt mit brachialen Ausbrüchen liebäugeln mit atmosphärischen und post-rockigen Juliana Theory und einem Schuss Engine Down. Und das alles sauber und satt abgemischt! Manche Gitarrenpassagen sind so geil, dass ich meine verstaubte Gitarre rauskramen und das hier nachspielen möchte! Textlich sehe ich die Jungs auch ohne das ersehnte Textblatt bei Bands wie beispielsweise Klez.e, die sicherlich auch minimalen musikalischen Einfluss genommen haben. Und dann gibt es da auch noch diesen Refused-Groove, den man zur The Shape Of Punk To Come-Phase so sehr mochte, ein paar Deftones-mäßige Gitarren und etwas Neo-Grunge à la Citizen dürfen auch noch mit rein. Yeah! Meijar solltet ihr nach diesem tollen Debut im Auge behalten! Haltet auch mal nach den Videos der Band Ausschau, die sind auch kurzweilig anzusehen! Die Platte läuft jedenfalls nach der eingangs beschriebenen Zeit noch immer in Dauerrotation und wird das sicher auch noch eine Weile tun!
9/10
Facebook / Bandcamp / lala Schallplatten
Schubsen – „Sprachfetzen“ (Swing Deluxe)

Nach zwei Alben legt die Nürnberger Formation aus Ex-Mitgliedern der Bands The Robocop Kraus, Reflekta Reflekta, For Arkadia, Klondike Derby und Wings of Love zur Abwechslung mal eine EP vor. Die 12inch ist – wie auch schon das 2016er-Debut – auf einem meiner Nostalgie-Lieblingslabels erschienen: schade, dass auf Swing Deluxe nicht mehr so viel los ist, wie um die Jahrtausendwende rum. Jedenfalls passen Schubsen musikalisch hervorragend zu den Bands, die für mich Ende der Neunziger das Label so wichtig und zeitlos gemacht haben: Maggat, Cyan, The Cherryville, Soave, Klondike Derby und Robocop Kraus, nur um ein paar davon zu nennen. Schubsen hätten auch super auf die sagenhafte Swing Deluxe-Compilation „Achtung Autobahn“ gepasst!
Das symbolträchtige Artwork (konstruiert von Künstlerin Lisa Closer, drüben bei vinyl-keks gibt’s ein lesenswertes Interview mit ihr zu lesen) regt jedenfalls ordentlich zum Grübeln nach. Was hört dieses überdimensional große Ohr in seinem abgeschnittenen Ohrensessel wohl an Sprachfetzen und Signalen? Das daneben stehende Tastentelefon, auch bekannt als der heilige Fernsprechtischapparat, ist jedenfalls ein Kommunikationsmittel zur Übermittlung von Tönen und natürlich werden dabei auch Sprache und Schall mittels elektrischer Signale durch die Kanäle gejagt. Da hat man sofort eine riesige Schaltzentrale vor Augen, in welcher emsige Mitarbeiter Stecker umstöpseln und Schalter umknipsen. Wer mit Wählscheibentelefonen und myspace großgeworden ist, hat diese Schaltzentrale sicher noch groß vor Augen! Und wenn man die Entwicklung der Telefonie so weiterspinnt, ist man gleich bei internetfähigen Geräten, bei denen auch Dritte Gespräche mithören können. Der große Lauschangriff war noch nie einfacher. Eines ist auch sicher: Sprache und Macht sind eng miteinander verknüpft und Schubsen legen zudem auf Sprache enorm viel Wert. Und da wären wir bereits auch beim Thema der EP, das sich wie ein roter Faden durch die sechs Songs spinnt. Sprache ist auch gerade während der Pandemie – beispielsweise in virtuellen Sitzungen – immer bedeutender geworden, zudem wird der Ton innerhalb der Gesellschaft immer rauer, wobei Sprache und Kommunikation ebenfalls eine Rolle spielt. Ein topaktuelles wie auch zeitloses Thema also, das hier zum Konzept gemacht wurde.
Musikalisch präsentieren uns die vier Jungs einen nervösen Mix aus deutschsprachigem Post-Punk, etwas kopflastigem Emopunk und einer Prise Noiserock. Erstmal klingt das alles schön sperrig, die Gitarren rotieren dissonant, die Drums gehen zielstrebig nach vorn, der Bass knarzt ordentlich, z.B. beim treibenden Marode Silben. Und dann sind da diese bildhaften und fast abstrakten Worte, die viel Deutungsfreiheit besitzen und die mal gesungen, mal gesprochen, mal geflüstert oder auch mal hysterisch gerufen werden. Singen ist auch Sprache! Beim ersten Hördurchgang bleibt wirklich noch nicht so viel hängen, lediglich der Song Aroma hat ein paar melodische Harmonien an Bord, die sich gleich in die Gehörgänge bohren. Oder diese schrammelnden Gitarren beim Song Zwingende Aussicht zusammen mit dem gegenspielenden Bass. Der Song Der Akzeptanz hat noch ein bisschen Percussions dabei, da entsteht langsam aber sicher ein schönes Spannungsfeld! Mit jeder weiteren Hörrunde entdeckt man dann wirklich immer mehr Fetzen und Passagen, die komplexen Songarrangements muss man sich förmlich nach und nach erarbeiten. Aber hat man das erstmal geschafft, dann zündet die EP richtig gut, ein Grower sozusagen. Wer Bands wie Sog, Maggat oder Klondike Derby mag, der ist bei Schubsen gut aufgehoben!
8/10
Facebook / Bandcamp / Swing Deluxe