Schelle Vs Little Brother – „Split 12inch“ (Chopped Off Records)

Ist eigentlich schon gefühlte Ewigkeiten her, dass ich mal wieder eine 12inch Vinyl geschickt bekommen habe. Danke hierfür, auch wenn das Ding bereits im Jahr 2020 veröffentlicht wurde. Solange gute Platten auf Vinyl erhältlich sind, sollte man zuschlagen, wenn man das nötige Kleingeld zusammengekratzt hat, denn das hier ist zeitlos gut! Nun denn, die 12inch sieht rein äußerlich schon mal ziemlich geil aus. Auf dem Albumcover gibt es ein linolschnittartiges Kunstwerk zu betrachten, auf dem good old Godzilla gegen King Kong kämpft (checkt mal Brian Reedy an, der hat das Ding gestaltet). Linoldrucke wie dieser sind absolut meins, ich liebe auch den Geruch! In Anlehnung an die chinesischen Schriftzeichen sind im Albumartwork die Songtitel gestaltet, was auch verdammt gut aussieht. Hier steckt nicht nur dem Anschein nach ziemlich viel DIY-Spirit drin!

Ich kannte vorher weder die Band Schelle, noch die Band Little Brother! Mit einem Release gleich zwei dufte Bands kennenzulernen, das rockt ja schon ordentlich! Schelle kommen aus Aachen und machen irgendwas zwischen groovy Post-Hardcore á la Fugazi, hinzu kommen Punk und Noise-Einflüsse, bisschen frühe Turbonegro, Hellacopters und Zeke sind auch noch mit an Bord. Fünf sehr gelungene Songs! Auf Vinyl ein wahrer Genuss: Dieser Bass, die satten Gitarren und das wummernde Schlagzeug. Und Melodien, die sich einbrennen. Einfach mal ziemlich geil!

Little Brother kommen aus Heinsberg/Nordrhein-Westfalen und legen auch ordentlich vor! Sechs Songs voller Leidenschaft und Herzblut erwarten euch! Zu diesem sonnigen Sound geht nur ein Lächeln im Gesicht und selbst wenn Du Dich böse mit dem Skateboard verletzt, alles halb so schlimm mit dem Sound der Band im Ohr! Ich steh auf den melodischen Sound der Jungs, der schräge Gesang holt mich direkt ab! Beim Song Burn tauchen dann auch noch deutsche Lyrics auf, was auch super funktioniert! Geiles Release, Textblatt gibt’s obendrauf! Schön oldschooliger Hardcore-Punk, erinnert an Zeugs wie Neat Mentals oder auch an melodische Minor Threat (vom Gesang her). Unbedingt anchecken und glücklich damit werden!

8/10

Bandcamp / Chopped Off Records


Bandsalat: Brutalligators, Damokles, Dead Years, Foxtails, Ruined, Teresa Banks & Cause A Riot

Brutalliagtors – „This House Is Too Big, This House Is Too Small“ (Beth Shalom Records) [Stream]
Wer mal wieder ein richtig ergreifendes Album mit tollen Melodien, traurigen Herzschmerzmomenten und pfiffigen Songarrangements hören möchte, dürfte mit dem Debutalbum der britischen Band Brutalligators wahrlich glücklich werden. Das Quartett ist irgendwo im Dreieck Midwest-Emo, gitarrenverliebtem Indierock und Punk unterwegs, Bands wie Samiam, The Promise Ring, Algernon Cadwallader oder The Get Up Kids fallen mir als Vergleiche ein. Die zehn Stücke strotzen dazu gerade auch textlich vor Trauer, Wut, Schmerz und Verlust. Aber auf jetzt, anhören und sich direkt verlieben!


Damokles – „Nights Come Alive“ (Vinter Records) [Stream]
Bisher veröffentlichte die aus Oslo stammende und im Herbst 2019 gegründete Band Damokles sechs Singles, mit Nights Come Alive ist nun das zehn Songs umfassende Debutalbum der Band erschienen. Die Band scheint voller sprudelnder Energie und Tatendrang zu strotzen, denn momentan arbeiten die fünf Jungs schon am zweiten Album. Dass die Jungs nicht aus dem Nichts kommen, war eh klar. Die Bandmitglieder tummeln sich schon jahrelang in der Osloer Underground-Szene, bisherige Bands waren This Sect, Kite, Dunderbeist, Endtimers, Contrarian und Melkeveien. Die Band schert sich wenig um Genrezugehörigkeit und mischt unter ihren hauptsächlich im 90’s Post-Hardcore/Emocore/Indie-Sound auch Rock, Metal und Post-Punk. Mich erinnert das ein wenig an Bands wie At The Drive-In oder Glassjaw.


Dead Years – „Selftitled“ (My Ruin) [Stream]
Nach ’ner Demo kommt das Bielefelder Trio mit seinem Debutalbum um die Ecke. Die zwei Herren und die Dame waren und sind noch in anderen Bands unterwegs, Ruins, Pointed, Mayak, Gloom Sleeper, Patsy O’Hara und Shoyu Squad wären da zu nennen. Nun, Dead Years spielen eine melancholische und treibende Mischung aus Punkrock, Post-Punk und etwas Hardcore, die Spielfreude ist hier deutlich zu hören. Der Sound ist knackig und etwas räudig, mal wieder die Tonmeisterei. Durch die male/female Vocals fühle ich mich an Bands wie frühe Monochrome oder Hysterese erinnert.


Foxtails – „Fawn“ (Skeletal Lightning) [Stream]
Auf dem mittlerweile vierten Longplayer der Screamo-Band aus Connecticut geht es wieder reichlich emotional zur Sache, lyrisch und soundtechnisch wird gelitten, was das Zeug hält. Vertonte Angst und Qual klangen selten so lebendig wie in diesen zwölf Songs. Der Gesang von Megan Cadena-Fernandez reicht von resignierten Spoken Words über leidendes Heulen bis hin zu verzweifeltem Geschrei. Zudem ist die Band vom Trio zum Quartett gewachsen, seit 2021 ist neben Drums, Bass und Gitarre auch eine Geige mit an Bord, welche das Drama noch größer erscheinen lässt. In die vielschichtigen und abwechslungsreichen Songarrangements kann man richtig eintauchen, knapp vierzig Minuten dauert das Kopfkino.


Ruined – „Everything Is“ (DIY) [Stream]
Die Schweizer Band Ruined startete irgendwann im Jahr 2019 als Soloprojekt, mittlerweile ist das One-Man-Band-Projekt zum Quartett angewachsen. Und das, was man auf dem 13 Songs umfassenden Debutalbum zu hören bekommt, läuft mir ziemlich gut rein. Man spürt beim emo-lastigen Sound deutlich den HC/Punk-Background der Bandmitglieder. Hier schwappt vom ersten Ton an die Spielfreude aus den Lautsprechern. Rasant und melodisch geht es zur Sache, dabei freut man sich immer wieder, wenn der Gesang zwischen clean und energisch pendelt. Als Einflüsse werden Turnover, Title Fight oder Basement genannt, ich sehe hier aber auch Parallelen zu Bands wie Lifetime, Hell & Back oder Audio Karate.


Teresa Banks & Cause A Riot – „Split EP“ (Shield Recordings) [Stream]
Hier habt ihr die Möglichkeit, mit einem Tonträger zwei fantastische finnische Bands zu entdecken, die beide ziemlich viel Pfeffer und Melodie im Gepäck haben. Das Quintett Teresa Banks kommt aus Helsinki und ist irgendwo zwischen melodischem Skatepunk und Melodycore unterwegs, dabei wird immer schön das Gaspedal gedrückt. Mehrstimmige Chöre runden das Ganze ab. Cause A Riot aus Järvenpää schlagen in die gleiche Kerbe, sind aber ein bisschen hardcorelastiger. Auch hier ist viel Melodie mit an Bord, Fans von Bands wie Good Riddance, Strike Anywhere oder As Friends Rust sollten hier mal ein Ohr riskieren.


Slow Worries – „Careful Climb“ (Adagio 830)

Oh wie froh und dankbar bin ich, dass aus dem letzten Promo-Paket aus dem Hause Adagio 830 diese 12inch hier herausgepurzelt ist! Irgendwie wäre mir ansonsten mit höchster Wahrscheinlichkeit eine vorzügliche Band und ein sagenhaftes Release gnadenlos durch die Lappen gegangen. Auch wenn ich zugeben muss, dass mir das Cover schonmal irgendwo unter die Augen gekommen sein muss. Das doch sehr ungewöhnliche Artwork vergisst man nämlich nicht so schnell wieder. Wer kleine Kinder hat, kennt die Ermahnung zum vorsichtigen Klettern ja nur zu gut, wenn die Kleinen mal wieder höher auf dem Baum rumschwingen, als man sich das selbst das mit Sicherheitsvorkehrungen wie Seilen oder Auffangmatratzen trauen würde. Jedenfalls sehe ich für mich persönlich die Bilder auf Cover, Backcover und Inlay ein bisschen im Coming Of Age-Kontext, hier ist die Entwicklung von einem kleinen Mädchen zur jungen Dame zu sehen, meiner bescheidenen Meinung nach. Und in der Tat beschäftigen sich auch die Lyrics mit den Irrungen und Wirrungen des Alltags. Der stete Kampf, das permanente Durchatmen. Und das alles zwischen Orientierungsschwierigkeiten und rasantem Auf und Ab im schnell drehenden Karussell des Lebens!

Ja, erwachsen sind die drei Damen und der Herr an der Gitarre jedenfalls schon seit längerem, Slow Worries gründeten sich nämlich irgendwann im Jahr 2014, zudem tummelten sich die Mitglieder zuvor schon in anderen Bands der Amsterdamer Squat-DIY-Szene wie z.B. New YX, Pony Pack und Dusty Blinds. Zudem gibt es mit den Bands Apneu, SOON, Alienbaby Collective, Bombay und Oust noch Parallel-Beschäftigungen, weshalb auch der Entstehungsprozess des Debutalbums ganze vier Jahre dauerte. Entschleunigung hat noch nie geschadet! Das Release ist übrigens in Zusammenarbeit der Labels Adagio 830, Subroutine und Breaking Records erschienen.

Sobald die Nadel auf’s Vinyl trifft, zaubern Dir Slow Worries ein hochzufriedenes und fast schon abnormales Grinsen ins Gesicht! Denn das Quartett macht wundervollen, gitarrenlastigen 90’s Indierock, Einflüsse aus Grunge, Slacker-Rock, Post-Hardcore und rockigem Emo sind ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Eine Hookline jagt die nächste, das klingt alles so verdammt catchy, lebendig und leichtfüßig! Die Gitarrenriffs werden locker aus dem Ärmel geschüttelt, dazu dieser genial gegenspielende Bass, die fluffig gezockten Drums und natürlich die einfühlsamen female Vocals, hier schwappt förmlich die Spielfreude aus jedem Ton! Mich erinnert der Sound ein bisschen an die leider viel zu kurzlebige deutsche Band Ohios Favourite oder ganz grob auch an Monochrome zur Eclat-Phase, natürlich dürften aber gerade Bands wie z.B. Dinosaur Jr., Yeah Yeah Yeahs, Breeders, Veruca Sault oder Ovlov große Einflüsse sein. Hört euch doch nur mal dieses Wahnsinns-Riff im Song When We Go Out an! Das klingt so vertraut! Und tief drin ist man bereits wie bei einem Deja-Vu auf Anhieb in das Ding verschossen! Ähnliche Erlebnisse verspürt man bereits beim allerersten Durchlauf an mehreren Stellen, Devil ist auch so ein Kandidat. Und mit jeder weiteren gedrehten Runde verfestigt sich die Liebe! Und während man aufgewühlt durch die heimische Bude tanzt, wünscht man sich in einen muffigen und modrigen Keller, in dem sich ein bunt gemischtes Publikum zum bittersüßen Sound schwitzend und fröhlich die Seele aus dem Leib tanzt! Diese Gerüche fehlen mir jetzt zwar nicht gerade, aber Careful Climb ist der Soundtrack zu einem duftenden Frühling, diese Platte lässt die Sonne scheinen und setzt die Aromen der Natur frei! Shit, ich klinge wie ein mit Drogen vollgepumpter Hippie!

9/10

Bandcamp / Facebook / Adagio 830


Neat Mentals – „Virus/It Ain`t Easy 7inch“ (DIY)

Das 7inch-Päckchen ist vielleicht vor zehn Minuten in den Briefkasten geworfen worden, da hab ich es auch schon mit zittrigen Fingern rausgefischt. Echt jetzt, das Ding war über eine Woche unterwegs, zudem hab ich kürzlich von einem räuberischen Postboten gelesen, der Ware im Wert von ca. 15000 Euro abgezwackt hat. Wenn ich mit solchen Nachrichten auf Post warte, dann werde ich zur Else Kling und schau permanent aus dem Fenster und stalke die arme Postbotin, die wahrscheinlich aufgrund meines ungewöhnlichen Verhaltens und der hysterischen Nachfragen schon Albträume von mir hat. Sie auf meine angespannte Situation anzusprechen, traue ich mich nicht, das kommt ja noch viel verschrobener rüber. Vielleicht Vorhänge besorgen, damit sie mich nicht bemerkt? Ups, ich schweife ab…

Jedenfalls purzeln aus dem lang ersehnten Päckchen einige Gimmicks mit raus, viele schicke Aufkleber sind dabei. Aber besonders geil finde ich den Bierdeckel aus Pappe mit dem Artwork der 7inch aufgedruckt (ohne die Bierpfützen). Wow, das macht mich echt mal durstig! Glücklicherweise ist der Untersetzer zwei mal dabei….einer wird sofort als Souvenir in die 7inch-Hülle gesteckt, der andere wird gleich, nachdem die 7inch auf den Plattenteller geklatscht wird, als Bieruntersetzer benutzt. Im Covid-19-Virus bedingten Home Office kann ja niemand meine Fahne riechen, also was soll’s. Dass ich dabei Musik vom Plattenspieler höre, interessiert ja auch niemanden. Sicher ist: wenn die Postfrau auch nur Sachen einschmeißt und nicht klingelt, dann muss das trotzdem hart gefeiert werden, egal wie früh oder spät es ist.

Und mit den zwei Songs dieser 7inch gelingt das Feiern recht gut! Das im Tarotkarten-Stil aufgedruckte Artwork gefällt mir schon mal sehr, das ähnlich gestaltete Textblatt kommt ebenfalls super rüber. Der Song It Ain`t Easy hat ’nen coolen Drive und die Melodie geht direkt ins Ohr! Poppig, mit markantem Bass und geilen Gitarrenriffs, dazu schön nach vorn! Die melodischen Spermbirds treffen auf 77er-Punk und wundern sich über Blink 182, die da an der Ecke stehen und noch nichts von ihrem späteren Erfolg wissen. Beim B-Seiten-Song Virus denkt man ja sofort an die aktuelle Situation und die Pandemie. Wie konnte es nur so weit kommen? Wenn man die Entwicklung der Menschheit der letzten Jahre so im Nachhinein betrachtet, dann ist es fast schon lächerlich, dass es ein unsichtbares Virus gebraucht hat, um die Welt so durchzurütteln. Jedenfalls steht der Song der B-Seite an Qualität und Catchyness dem Song auf der A-Seite in nichts nach! Diese zwei Songs schreien nach mehr! Kurz und knackig und auf den Punkt! Wirklich mal wieder ein wunderbares DIY Release der Stuttgarter Jungs, das Istanbuler Label Kafadan Kontak ist übrigens auch noch involviert. Checkt das mal, wenn ihr melodischen und authentischen Punkrock mögt!

8/10

Bandcamp / Facebook


Bandsalat: Carthiefschool, Citizen, Gender Roles, Hallicunation, Kali Masi, New Pagans, Surut, Svdestada

Carthiefschool – „Selftitled“ (Transduction Records) [Stream]
Was für ein gruseliges Albumcover! Hab neulich irgendwo gelesen, dass die spooky Darstellung von Kindern in der antiken Malerei daran lag, dass man die Kinder „erwachsen“ aussehen lassen wollte, obwohl Babys ja eigentlich niedlich aussehen, so wie sie sind. Nun, das können zeitgenössische Maler wie Shuzo Tajima, der für das Kunstwerk verantwortlich ist, wohl ebenfalls, auch wenn ich nicht entscheiden kann, wer von den gemalten Personen hier jetzt gruseliger rüberkommt. Es ist das Gemälde an sich, das mich etwas verstört. Dann mal zur Musik: die japanische Band Carthiefschool hat sich nach langjähriger Undergoundszene-Zugehörigkeit der drei Bandmitglieder im Jahr 2016 gegründet, vorherige Bands waren Nango und The Hatch. Vom Sound her würde ich das hier als eine ziemlich fiese Mischung aus räudigem Post-Punk, an den Nerven zehrendem Noise und durchgeknalltem Freejazz-Core beschreiben. Sehr eigenständig, originell, abgefahren mit keinerlei kommerziellen Absichten. Das Gerüst aus Bass und Drums wird mit schreddernden Gitarren unterstützt, dazu gibt’s japanischsprachige Schreivocals, die direkt aus einer illegalen Nervenheilanstalt zu kommen scheinen. Ich find’s interessant, könnte mir aber auch vorstellen, dass man damit seine Mitmenschen zum hellen Wahnsinn treiben kann.


Citizen – „Life In Your Glass World“ (Run For Cover Records) [Stream]
Man muss es sich eigentlich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Citizen haben sich im Jahr 2009 als Schülerband gegründet! Und diese Ex-Schülerband schafft es jetzt echt seit ihrer Debut-EP aus dem Jahr 2011 (Young States), mich mit jeder neuen Veröffentlichung wieder und wieder zu verblüffen und mich am Händchen zu nehmen, so dass ich bereits nach wenigen Durchläufen total vernarrt in die neuen Songs bin. Life In Your Glass World ist das mittlerweile vierte Album der Band aus Toledo/Ohio. Die elf Songs zaubern mir auf Anhieb ein debiles Grinsen ins Gesicht, hier schwappt einem soviel Leidenschaft und Melancholie entgegen, einfach unglaublich! Dazu sind das wieder mal Hymnen für die Ewigkeit! Was total spannend ist, ist die Experimentierfreude, das Wagnis, den Sound weiterzuentwickeln und auszufeilen. Wie weit die Jungs dabei gehen, lässt sich beispielsweise an diesem ungewöhnlichen Drumcomputer-Ding Fight Beat sehen! Die stimmungsvollen Songarrangements fühlen sich im Verlauf des Albums so verdammt lebendig an! Die Mixtur aus Post-Hardcore, wütenden Grunge-Parts, noisigen Gitarren-Rockparts und bittersüßem Emo bis Indie-Pop hat genau das richtige Lot zwischen ruhigen, gefühlvollen Parts und vor Wut schnaubenden Soundausbrüchen. Schön auch zu erfahren, dass die Jungs den Entstehungsprozess wieder selbst in die Hand genommen haben und die heimische Garage zum Tonstudio umfunktioniert wurde. Aber huch, beim Song Black And Red klingt das Riff ein bisschen nach Banquet von Bloc Party. Kann man drüber weg sehen, für mich ist Life In Your Glass World schon jetzt ein weiterer Meilenstein in Sachen Post-Hardcore/Emo!


Gender Roles – „Dead or Alive // So Useless“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Die Band aus Brighton, UK hat einfach ein Händchen für tolle, sofort ins Ohr gehende Songs. Es sind zwar nur zwei Stücke auf dieser Veröffentlichung drauf, aber diese haben das Zeug dazu, Dir ein breites Grinsen ins Gesicht zu zaubern. Leichtfüßig weht Dir beim Hörgenuss ein laues Frühlingslüftchen mit intensiven Naturaromen um die Nase! Eigentlich sollten die kurz nach der Veröffentlichung des Debutalbums entstandenen Songs schon letztes Jahr erscheinen, aber irgendwie hat sich das verzögert. Jedenfalls arbeitet die Band bereits an einem neuen Album, auf das man nach diesem sonnigen und kurzweiligen Ausflug gespannt sein darf!


Hallucination – „Selftitled“ (Sentient Ruin) [Name Your Price Download]
Nach einem fiebertraumhaften Intro bekommt ihr von der Band Hallucination aus Philadelphia vier mal wüsten Noise-Crust-D-Beat auf die Ohren, der erstmal ziemlich unstrukturiert, wild und roh klingt. Unter all dem chaotischen Lärm dringen aber mit jeder weiteren Hörrunde ein paar unterschwellig melodische Fetzen an die Oberfläche. Hier hilft nur, die Anlage bis zum Anschlag aufzudrehen und gnadenlos die Bude zu zerlegen! Genau das Richtige, um sich ein bisschen abzureagieren! Eigentlich ziemlich oldschoolig und mit unverkennbaren Hardcore-Punk Einflüssen. Die Tape-Version hat dann passenderweise noch ’ne Poison Idea-Coverversion mit drauf. Wer Zeugs wie Crude SS, Raw Nerve oder Cult Ritual mag und auch die Power der ersten Cro-Mags-Aufnahmen schätzt, sollte hier mal reinhören.


Kali Masi – „Laughs“ (Homebound Records/Uncle M) [Stream]
Ganz schön gepackt hat mich das zweite Album der Chicago-Punks Kali Masi. Tief im 90er-Punk/Emo verwurzelt zünden die zehn Songs ein richtig intensives Emopunk-Feuerwerk! Melodisch, nach vorn gehend, tief berührend und am Rand der Verzweiflung und dennoch mit der nötigen Portion Härte. Die Musik bekommt durch die lyrisch ausgetüftelten und fast schon poetischen Texte noch ’ne Schippe an extremen Gefühlschaos mit drauf. Denn hier geht’s um schlaflose Nächte und qualvolles Leiden, psychischen Machtmissbrauch und vermeintliche Freundschaften, die vielleicht gar keine echten Freundschaften sind. Sehr trauriger und echt harter Stoff verpackt in tolle Songs mit anspruchsvollen Songarrangements und ziemlich schnell ins Ohr gehenden hymnischen Melodien! Muss man gehört haben und toll finden!


New Pagans – „The Seed, The Vessel, The Roots and All“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Nachdem ich bereits einige tolle Musikvideos der Band New Pagans aus Belfast gesehen habe, flattert nun endlich das Debutalbum der zwei Damen und der drei Herren in den CD-Player. Und ja, meinen Ohren gefällt absolut, was sie da hören. New Pagans sind irgendwo im 90’s-Indierock daheim, dazu gesellen sich Grunge, Shoegaze- und Punkeinflüsse. Durch die hauptsächlich weiblichen Vocals fühlt man sich natürlich sehr an Bands wie z.B. Sonic Youth, frühe Lush oder PJ Harvey erinnert, es kommen aber auch Bands wie The Pixies oder The Smashing Pumpkins als Einflüsse in Frage. Die elf Songs sind verdammt catchy und haben charmante Gitarrenriffs und eingängige Refrains im Gepäck, zudem sind sie in anspruchsvolle Songarrangements eingebettet. Hört euch nur mal einen meiner Lieblingssongs Yellow Room an, Harbour ist auch noch ein schöner Anspieltipp! In irgendeinem Interview mit Frontfrau Lyndsey McDougall habe ich gelesen, dass sie die Band gründete, als sie „schon“ über 30 war und dass kurze Zeit nach der Bandgründung die Nachricht von McDougalls Schwangerschaft die Zukunft von New Pagans zu zerstören drohte. Mittlerweile ist sie Mutter von zwei Kleinkindern und hat Band und Mutterrolle unter einen Hut gebracht und damit den ganzen patriarchalen Mist, mit welchem Frauen und Mütter im Beruf wie auch in der Kunst konfrontiert werden, einfach mit starker Power vom Tisch gefegt! Textlich beschäftigt sich die Band übrigens gern mit feministischen Inhalten, Frauenrechte und der Protest gegen die Ungleichbehandlung von Geschlechtern sind zentrale Themen. Jedenfalls ist der Band ein Album gelungen, das man sich nicht entgehen lassen sollte.


Surut – „Selftitled“ (DIY) [Stream]
Wie bin ich nur wieder hierauf gestoßen? Das Ding hier war im Lesezeichnenordner mit einem roten Herzchen markiert. Ein schwarzes hätte besser gepasst! Hätte man mich irgendwann letztens ermordet, dann hätten die Mordermittler nach der Inspektion des Lesezeichenordners sicher einige Fährten am Start, die man nicht unbedingt verfolgen müsste. Denn, selbst wenn die Mucke ein wenig psychopathisch klingen sollte, die finnische Band Surut hat vermutlich keine mordlustigen Texte am Start und versinkt eher in der eigenen trostlosen Misere. Der Bandname bedeutet in der Landessprache soviel wie „Trauer“. Und ja, die vier Songs hier strotzen vor größtem Drama, das kaum mehr getoppt werden kann. Hier wird gelitten, dissonante Gitarrenparts treffen auf flirrende und flächige Gitarren, die Drums werden ohne Ende geprügelt, als ob der Drummer irgendwo ausbrechen wollte. Wie können vier Songs so unglaublich verloren klingen? Übrigens spielen hier auch Leute der neulich besprochenen Alas mit. Irgendwo zwischen Blackened Hardcore, Post-Hardcore, Sludge-Noise und emotive Screamo. Hört es selbst!


Svdestada – „Azabache“ (Pundonor Records u.a.) [Name Your Price Download]
Wenn man persönlich gestaltete Post von einer spanischen Band im E-Mail-Postfach findet und die Band ihren Stil kurz und knapp als Neocrust/Post-Hardcore aus Barcelona & Buenos Aires (?) umschreibt und das Ding auch noch in Zusammenarbeit von zwölf DIY-Labels erschienen ist, dann klickt man erstmal neugierig auf den beigefügten Bandcamp-Link…und wird direkt nach einem kurzen Intro mit elf hammerhart geilen Songs durchgefönt! Schnelle Gitarren mit unterschwelligen Melodien, knüppelnde Drums, gegenspielender Bass und eher im Screamo beheimatete Schrei-Vocals fegen wie ein mächtiger Sturm über Dich drüber! Verdammt, das hier wäre live sicher der volle Abriss! Textlich gibt man sich kämpferisch und rebellisch, eingeschränkte Freiheitsrechte, mangelnder Sozialzusammenhalt, Einsamkeit und Depression gilt es, zu bekämpfen. Dem Sound hört man jedenfalls die Wut, die Verzweiflung und das Leiden deutlich an. Großartiges Album, das Screamo-Fans und Neocrusten gleichermaßen anspricht!


Krasser-Fahrstil & Ennolicious & pADDELNoHNEkANU – „Mit Abstand Am Besten“ (30 Kilo Fieber Records u.a.)

Drei befreundete Bands aus dem Schwarzwald – genauer gesagt zwischen Baden-Baden und Rastatt – teilen sich eine 12inch. Die Idee zum Split-Release einiger Bands zwischen Karlsruhe und Baden-Baden wurde Anfang 2019 geboren, dann kam die Pandemie. Und irgendwie wollten sich dann doch nur drei Bands finden lassen, die jeweils unveröffentlichte Songs am Start hatten. Diese wurden dann im März live eingespielt, jede Band erledigte das an einem Tag, erschwerte Bedingungen wie Abstand halten kamen hinzu. Und schwups, hatte man auch schon einen Albumtitel. Dem Schwarzwaldmädel mit dem traditionellen Bollenhut hat man auf dem Frontcover gleich dazu noch einen Mundschutz verpasst. Ob der medizinische Mundschutz die gewünschte Wirkung hatte, erfährt man dann auf dem Backcover. Ach ja, zudem gibt es zwischendurch lustige Sprachsamples zu hören. Sind die wirklich alle echt? Die 12inch ist in schöner DIY-Manier produziert, neben einem Downloadkärtchen liegt ein kopiertes A4-Textheftchen im Fanzine-Stil mit allerlei Infos zum Release, Linernotes und Texten bei, so dass man neben dem Hörerlebnis auch noch was zum Lesen und gucken hat. Das Release ist in Zusammenarbeit der Labels 30 Kilo Fieber Records, Elfenart Records und Krachige Platten erschienen. Ich frag mich gerade, ob es Bands gibt, die extra in ’ne WG gezogen sind, um legal im Lockdown zusammen Mucke machen zu können…

Nun denn, den Anfang machen die mir bereits bekannten Krasser-Fahrstil mit ihrem Düster-Punk, der ordentlich rumpelt und schön rau aus den Boxen suppt. Die Aufnahme ist schön dreckig und krachig, so dass man einen gewissen Proberaum-Live-Spirit im Wohnzimmer hat, wenn man die Lautstärkeregler ordentlich aufreißt. Zu einem der vier Songs gibt’s ein Kinski-Live-Ausraster-Sample, das passt dann eigentlich bestens zum ruppigen Punksound der Band aus Rastatt. Vom Stil her dürften Krasser-Fahrstil von Deutschpunk-Bands wie Muff Potter, Razzia, EA80 oder Boxhamsters beeinflusst sein. Gitarrenlastiger und mit persönlichen Texten ausgestatteter Punkrock , der einfach gut nach vorne brezelt.

Ennolicious aus Durmersheim geben danach ihre Debut-Aufnahmen zum Besten. Sechs Songs zockt das Quartett runter, entgegen der anderen beiden Bands wird hier in englischer Sprache gesungen. Die Textinhalte sind gesellschaftskritischer Natur, der Sound kommt schön roh und oldschoolig daher. Die Songs sind kurz und gehen verdammt straight nach vorne. Hier sind die Vorbilder eher im US-Hardcore-Skatepunk zu finden, Minor Threat, frühe Pennywise, frühe NOFX oder deutsche Kapellen wie Ladget, Skeezicks oder Spermbirds dürften für die Bandmitglieder keine Unbekannten sein. Macht Bock auf eine Live-Show mit jeder Menge verschüttetem Dosenbier!

pADDELNoHNEkANU sind zweifelsohne die Opas auf diesem Release, die Jungs lärmen nun auch schon 19 Jahre rum. Die drei beigesteuerten Songs hätten vom Sound her auch gut auf das letzte Album gepasst. Parmesanpolitik schrammelt was das Zeug hält, dazu kommen supergeile deutsche Texte. Ich tret Dir gern genderfrei in Deinen Arsch! Dissonante Gitarren und ein poltender Bass zaubern schaurig-schöne Melodien, so muss emotionaler Deutschpunk anno 2021 klingen! Auch das nachfolgende Tag an der Sonne strotzt vor wütender Energie und tiefer Melancholie/Tristesse, auch wenn der Refrain mit diesen mehrstimmigen Chören so schön sonnig klingt. Das ruhige Schlussstück Buchstaben geht dann eher in die Schrammel-Emo-Richtung. Schade, dass nach drei Songs schon wieder Schluss ist, davon hätte ich auch noch mehr vertragen. Ach ja, und ihr wisst ja: sollten irgendwann mal wieder Live-Shows im kleinen Rahmen möglich sein, dann werden wir an solch kleinen heimischen Punk-Kapellen wie diesen hier unsere Freude haben! Deshalb, schenkt diesem Release mit seinen drei Bands euer Ohr!

Bandcamp Stream


 

Bandsalat: Ànteros, Arterials, Cienfuegos, De Carne E Flor, God Program, No Man, Norse, Nowar, Record Setter

Ànteros – „.​.​.​y en paz la oscuridad“ (Aloud Music Ltd) [Name Your Price Download]
Neuen Post-Hardcore-Stoff aus Barcelona gibt’s von der Band Ànteros, die ich bisher irgendwie zwar anders aber trotzdem ziemlich heftig gut in Erinnerung hatte. Und auf diesem Release gefällt mir die Band sogar noch einen Tick besser! Beim neuen Album sind die längeren instrumentalen Passagen zugunsten von mehr Vocals und einigen melodischen Komponenten reduziert geworden, so zumindest mein Eindruck. Die in spanischer Sprache gescreamten Vocals kommen sehr emotional und intensiv rüber, dazu passen natürlich die aufgeschichteten Gitarren und die bombastisch hämmernden Drums! Die Songs sind dazu noch stimmig aufgebaut, das knallt echt alles super! Der Mischmasch aus Post-Hardcore, Screamo, Post-Metal und Post-Rock dürfte allen gefallen, die auch mit den anderen Bands (Toundra, Syberia und Viva Belgrado) der beteiligten Bandmitglieder etwas anfangen können.


Arterials – „The Spaces In Between“ (Gunner Records) [Name Your Price Download]
Einmal im Jahr wird die Festplatte geputzt und komischerweise werden dabei immer wieder Reviews oder angefangene Texte entdeckt, die aufgrund meines Versagens und meiner Trägheit leider nicht erschienen sind. Und wenn die Dateien dann noch in verschiedenen Ordnern abgelegt sind, dann gibt es ’ne Treibsand-Situation. Scheiße! Keine Chance mehr. Vielleicht erscheint das durch meine Unfähigkeit nicht Erschienene irgendwann nach einem Hacker-Angriff auf meinen Rechner irgendwo im Darknet. Wunschdenken eines erfolglosen Bloggers! Wäre ja echt charmant! Aber Spaß beiseite: angenommen, man wird auf der Festplatte doch noch fündig, dann geht das gnadenlose Aussieben los: das ellenlange Review zum neuen Release von Strike Anywhere will sicher niemand mehr lesen, meine Meinung zum genialen Coriky-Album ist auch eher nebensächlich, diese Platten habt ihr eh auf dem Schirm. Beides und noch viel mehr also ab in den Papierkorb. Und richtig tief reintreten. Hmmm…Arterials…Moment mal! Zwar keinen angefangenen Text auf der Festplatte gefunden, aber ’ne Memo…Da sollte irgendwann mal noch ’ne physische Bemusterung kommen, die ich zwecks haptischer Beschreibung abwarten wollte. Kam aber nie, wahrscheinlich Corona-bedingt. Da mich Arterials auch schon mit ihrem ersten Release mitgerissen haben und es mit diesem hier ebenfalls machen, muss ich dringend tätig werden, wenn auch verspätet! Warum? Ich selbst hab erst vor ein paar Tagen eine Band entdeckt, die mir schon nach wenigen Tagen ans Herz gewachsen ist. Genreuntypisch zwar, aber geil! Deshalb mein dringender Appell, Arterials Musik aufzusaugen! Knödelig, emotional, mitreißend, druckvoll, nach vorne, lässig, yeah! Fans von Lifetime, Audio Karate, Hell & Back oder (hüstel) Strike Anywhere werden hier leuchtende Augen bekommen! Wenn Corona für irgendwas gut sein sollte, dann für die Local Hardcore&Punkrock-Szene! Und wenn irgendwann Konzerte wieder möglich sind, dann will ich so ’ne Band wie Arterials sehen.


Cienfuegos & De Carne E Flor – „Split EP“ (No Funeral Records) [Stream]
Auf diesem Release, das als Tape und digital via No Funeral Records erschienen ist, sind zwei südamerikanische Screamo-Bands zu hören. Zum einen ist da die Band Cienfuegos aus Chile, deren Sound zwar etwas dünn produziert ist, aber dem intensiven Screamo, der auch einige ruhigere, fast post-rockige Emo-Passagen mit an Bord hat, tut das eigentlich nicht weh. Der Sänger schreit sich jedenfalls schön den Hals blutig, als Einflüsse werden Bands wie Raein, kafka und tdoafs genannt. De Carne E Flor aus Brasilien hingegen klingen fetter produziert und legen eine etwas flottere Gangart hin. Ein schönes Screamo-Gewitter á la Boneflower, Daitro oder Respire gibt es da auf die Ohren! Die Brasilianer haben übrigens schon ’ne EP am Start, die hab ich mir gleich auch noch gezogen!


God Program – „Forever Lasts Another Year“ (Wretched Records) [Stream]
Auf diese EP bin ich mal wieder beim Stöbern in Bandcamp gestoßen und irgendwie fuchst es mich, dass ich zu blöde bin, über die Internetsuche auch nur ansatzweise etwas über die Band aus Connecticut zu erfahren. Was jedoch sicher ist: diese EP hier ist wie auch die 3-Song Demo und die 2018er-EP das Beste, was ich in Sachen Emo-Metalcore in der letzten Zeit so gehört habe! Die Band scheint sich an Jahrtausendwenden-Bands wie Poison the Well, From Autumn to Ashes, New Day Rising und Underoath zu orientieren. Dissonante, aber melodische Akkordfolgen und fette Riffs bilden das Rückgrat dieser vier Songs. Und dann ist da dieser fiese und fast bösartige female Schreigesang gepaart mit den cleanen Vocals! Killer! Ich bin so glücklich, dass ich auf die Band gestoßen bin!


Nø Man – „Erase“ (Quit Life) [Stream]
Das zweite Album der Band aus Washington ist so ’n richtig fieser Hardcorebatzen geworden, dem man die Wut und die pure Verzweiflung förmlich anhören kann. Das Lineup setzt sich übrigens aus drei Majority Rule-Mitgliedern plus einer Sängerin zusammen, die wie ein wilder Köter ihre Vocals rausbellt. Schön krachig und düster fließen die acht Songs in einem Rutsch vorbei und reißen wie ein wildgewordener Strom alles mit, was dabei im Weg steht. Das erinnert dann musikalisch an Bands wie z.B. Gouge Away, Punch, pg99 und eben Majority Rule. Fettes Ding! Muss man unbedingt anchecken, wenn man auch nur eine der genannten Bands schätzt.


Norse – „blu“ (Tomb Tree Tapes u.a.) [Name Your Price Download]
Das im Jahr 2018 gegründete Trio aus Biella/Italien kommt mit seiner zweiten EP um die Ecke. Vier Songs wurden eingespielt, soundtechnisch machen die Jungs eine Mischung aus Post-Hardcore, Emo, Screamo, Post-Punk und Noise-Rock. Durch den Einsatz eines analogen Synthesizers kommt auch noch ein bisschen Psychedelic dazu. Es herrscht insgesamt eine etwas düstere Stimmung, auch textlich wird die Schattenseite des Lebens behandelt. Ich bin des Italienischen zwar nicht mächtig, aber dank einer Online-Übersetzung vermute ich das jetzt mal. Ach ja, eine ganze Latte an DIY-Labels ist auch mit von der Partie!


Nowar – „Don’t Lie“ (Last Exit Music) [Stream]
Das Quartett Nowar kommt aus Kiel und klingt mit seinem groovenden Hardcore-Punk aber viel eher nach New York in den Neunzigern. Bands wie Snapcase, Sick Of It All, Shelter, Orange 9mm, No Warning (hihi) oder auch frühe Refused sind sicher große Einflüsse, das alles passt auch gut als Referenz. Bisher erschien ein Demo, Don’t Lie ist nun das zehn Songs starke Debutalbum der drei Jungs und dem Mädel am Bass. Jedenfalls scheinen die Bandmitglieder ’ne ordentliche Kugel an Wut und Frustration vor sich herzurollen, bei all den Missständen dieser Welt wird aber der Kampf und Optimismus nicht aufgegeben. Das schlägt sich in den Texten genauso nieder, wie in der Musik. Auf der einen Seite brezeln die Songs mit ordentlich Saft, Groove und knödelnden Basslines los, es kommen aber auch immer wieder melodische Momente an die Oberfläche, so dass genügend Abwechslung vorhanden ist. Hach, und immer wieder diese tollen gegenspielenden Basslines wie z.B. beim Song Roses. Gleich beim zweiten Song, dem Titeltrack Don’t Lie gerät man ins Staunen, dass neben englisch gesungenen Vocals auch in deutscher Sprache gesungen wird. Nach meinem Geschmack fühlen sich die deutschen Vocals irgendwie besser an, an der englischen Aussprache hört man einfach, dass hier ein deutschsprachiger Mensch singt. Durch die female/male Gangshouts wird den Songs noch ein bisschen Unity und Positive Hardcore-Feeling eingehaucht. Alle Lyrics sind übrigens in einem 24-seitigen Booklet abgedruckt, in dem man auch noch diverse Foto-Kunstwerke bewundern kann.


Record Setter – „I Owe You Nothing“ (Topshelf Records) [Stream]
Die Band Record Setter hat im Verlauf ihrer drei Alben eine hörbare Entwicklung durchgemacht. Auf dem Debut im Jahr 2014 startete die Band mit rauem Emo-Post-Hardcore. Nach und nach haben sich aber immer mehr Screamo-Elemente in den Sound der Texaner eingeschlichen, dennoch wurde die Band auch hin und wieder mal leise. Insgesamt betrachtet ist I Owe You Nothing jedenfalls ein bemerkenswert intensives Album voller Melancholie geworden, egal ob es gerade laut oder leise zugeht. So knallt der Opener schonmal ordentlich nach vorne, dissonante Gitarren, treibendes Schlagzeug und leidender Schreigesang sind hier die Merkmale. Im Verlauf des Albums kommen zu diesen Krachausbrüchen aber auch immer wieder twinklige Math-Gitarren hinzu, eine klare Linie ist nie erkennbar, so dass es unvorhersehbare Wendungen gibt und somit auch niemals Langeweile aufkommt. Die elf Songs scheinen fast so, als ob sie miteinander verwoben wären. Und gerade deshalb sollte man das Album auch in einem Stück genießen. Ein saustarkes Album, eine echte Wucht!


 

Bandsalat: Donots, Eleanora, Less Than Jake, Minerva Superduty, One Dying Wish, Red City Radio, Under Glass, We Too Will Fade

Donots – „Birthday Slams Live“ (Solitary Man Records) [Video]
Live-Alben machen hin und wieder doch Sinn, ich erinnere an das letztens besprochene Live-Tape der Band Kalt, das zwar einen rauen Sound hat, aber sehr viel Emotion und Energie rüberkommen lässt. Der Sound auf dem Doppel-Live-Album der Donots kommt im Vergleich dazu natürlich um einiges fetter und sauberer abgemischt rüber, aber dennoch hört man den Aufnahmen den Schweiß, die Freude und den Spaß an dem, was vor, auf und hinter der Bühne passiert, ganz genau an. Eigentlich kaum zu glauben, dass eine der umtriebigsten Live-Bands Deutschlands erst nach 25 Jahren ein Live-Album veröffentlicht. Eigentlich auch von der Idee her absolut stimmig, wurde das Ding bewusst in einer Zeit rausgehauen, in der ungewiss ist, wann mal wieder ein echtes Konzert stattfinden kann. Parallel zum Album läuft übrigens eine Crew-Support-Aktion für die Leute hinter den Kulissen, die in diesen Zeiten um ihre Existenz bangen. Tolle Sache! Ich muss zugeben, dass sich meine Live-Erlebnisse mit den Donots auf die ersten Bandjahre beschränken. Hab gerade im persönlichen Flyer-Archiv gespickelt und dabei ein paar Shows entdeckt, die von der Größenordnung noch in einem wesentlich kleineren Rahmen stattgefunden haben. Damals spielten die Jungs im Vorprogramm von Bands wie Samiam, Beatsteaks oder Errortype:11, heutzutage füllen sie alleine ganze Hallen. Von der Soundauswahl werden hier natürlich alle großen Hits geboten. Was mir an den Donots bisher nie aufgefallen ist, ist der leicht nasale Gesang an manchen Stellen. Mir liegt die fette und signierte Digi-Pack-Doppel-CD vor, es gibt aber verschiedene Varianten, u.a. eine Dreifach-Vinyl-Box-Set. Schön wäre es natürlich gewesen, wenn man neben dem Ton noch Videomaterial mitbekommen hätte. Trotzdem ist das hier ein sympathisches Release, das nicht nur eingefleischten Fans gefallen dürfte.


Eleanora – „Mere“ (Consouling Sounds) [Stream]
Schon auf dem Debutalbum der belgischen Band attestierte ich den Jungs eine apokalyptische Brachialität, vier Jahre später schieben die Jungs das zweite Album nach. Und das passt vom düsteren Sound hervorragend in die momentan herrschende Katastrophe. Die Mischung aus Hardcore, Screamo, Post-Hardcore, Sludge und Doom hat auf der einen Seite diese unbändige Power, auf der anderen Seite ist aber eine tiefe emotionale Seite zu spüren. Das kommt zum einen von den flirrenden und unterschwellig melodischen Gitarren, zum anderen transportiert das durchdringenden Geschrei des Sängers die pure Verzweiflung und massig Seelenschmerz. Wer auf Bands wie Amenra, Converge, Children Of Fall/Serene, Envy oder Cult Of Luna abfährt, könnte auch an Eleanora Gefallen finden.


Less Tank Jake – „Silver Linings“ (Pure Noise Records) [Stream]
Obwohl ich mich nicht zu den Fans der 1992 gegründeten Band aus Gainesville zähle und auch keinen einzigen Tonträger der Jungs besitze (außer diesen hier jetzt), konnte ich mich bereits mehrfach von den hervorragenden Live-Qualitäten der Jungs überzeugen. Nun denn, auch wenn man wie ich Ska-Punk eher skeptischer gegenüber steht, sollte man Silver Linings unbedingt eine Chance geben. Mich hat das Album direkt beim ersten Durchlauf in eine sonnige Laune versetzt. Man holt sich echt den Sommer in die Bude und vergisst für 36 Minuten mal kurz den ganzen Wahnsinn da draußen, wirklich wahr! Die Band klingt auf ihre alten Tage frisch und knackig, dabei wird mit zahlreichen catchy Parts nur so um sich geschmissen. Mal geht es flott zur Sache, mal wird schön im Midtempo gegroovt und irgendwie klingt alles extrem gut durchdacht und stimmig, langweilig wird es jedenfalls nie. Und immer wieder ertappt man sich dabei, wie ein Füßchen mitwippt. Die Bläser setzen an den richtigen Stellen ein, die Refrains gehen gut ins Ohr und der neue Drummer macht seine Sache auch perfekt. Soll das Gebilde auf dem Cover eigentlich ein Komet sein? Zum Albumtitel würde es ja ganz gut passen. Naja, egal! Jedenfalls merke ich mit jedem weiteren Durchlauf, dass dieses Album immer noch ein bisschen einen drauf setzt und wächst. Und was super ist: die gute Laune geht trotzdem nicht flöten! Dieser Stimmungsaufheller wird in den nächsten Monaten sicher noch öfters seinen Weg in den CD-Schacht finden!


Minerva Superduty – „In Public“ (Yetagain u.a.) [Stream]
Seit 2011 ist die Band aus Griechenland unterwegs, mittlerweile leben die Bandmitglieder in verschiedenen Teilen Griechenlands. Das dritte Album wurde daher in Athen und Kalamata aufgenommen und erschien in Zusammenarbeit der Labels Yetagain, Body Blows records, Sweetohm recordings, Bright Future, Vault Relics und 5FeetUnder Records. Und es ist ein richtig geiles Ding geworden. Grob kann man das Album unter Post-Hardcore einordnen, dazu gesellen sich Screamo, Chaos-Core und Melodic Hardcore. Mal geht es straight nach vorne, dann gibt es pfefferscharfe Riffs zu hören, die einfach nur alles wegblasen, dissonante Gitarrenspuren sind auch zu hören, dazu gibt es eine emotionale Tiefe zu spüren. Und dann dieser Schlagzeuger, ein wilder Hund! Mich erinnert der Sound ein bisschen an eine Mischung aus At The Drive In, Converge, United Nations, Touché Amore und frühe Stretch Arm Strong. Von der Intensität und Spielfreude her ist das Album ein richtiger Kracher mit acht saustarken Songs in 22 Minuten! Nach der 12inch muss ich unbedingt Ausschau halten!


One Dying Wish – „Origami“ (I.Corrupt.Records) [Name Your Price Download]
Die aus Turin/Italien stammende Band One Dying Wish kommt mit ihrem zweiten Release um die Ecke und lässt mir die Spucke wegbleiben! Oh ja, ich könnte mich in den Sound förmlich reinsetzen! Insgesamt sechs Songs sind auf Origami enthalten und es geht in Richtung Screamo/Post-Hardcore. Wundervolle Gitarren, mal stark verzerrt, mal nicht so verzerrt, manchmal auch clean treffen auf hektisches Getrommel, dazu gibt es gescreamte und gesprochene Vocals in italienischer Sprache, alles sehr intensiv und stimmig arrangiert. Fans von Bands wie Raein, La Quite, Ojne oder Serene/Children Of Fall werden hier voll auf ihre Kosten kommen! Ich liebe das hier!


Red City Radio – „Paradise“ (Pure Noise Records) [Stream]
Den HWM-lastigen und nach vorne gehenden Punkrock der ersten Jahre hat die Band aus Oklahoma größtenteils hinter sich gelassen, das war mein erster Höreindruck des neuen und mittlerweile vierten Albums. Das Ganze ist ziemlich massentauglich geworden. Neben Punkrock gibt’s haufenweise oldschool Rock’n’Roll und sogar etwas Stadion-Rock zu hören. Vieles geht direkt ins Ohr, 100.000 Candles ist beispielsweise so ein Kandidat. Mitgröhl-Hymnen finden sich jedenfalls einige, zudem kommt die melancholische Seite auch nicht zu kurz. Irgendwie bekommt man im Verlauf des Albums den Eindruck, dass die Jungs viel leichtfüßiger und fröhlicher wirken, den Spaß an der Sache kann man jedenfalls deutlich hören. Die Palette an Bandvergleichen reicht dabei von Zeugs wie Tom Petty, Bruce Springsteen, Thin Lizzy bis hin zu Samiam oder den Beatsteaks. Textlich beschäftigen sich die Jungs mit persönlichem Seelenkram, dazu passt auch das im meditativen New Age-Stil daherkommende und äußerst symbolreiche Albumartwork. Neben dem mir vorliegenden handlichen Digipack gibt’s das Album natürlich auch auf Vinyl. Also, mir gefällt dieser neue Stil zwar nicht so gut wie das Zeug aus der Anfangsphase, aber es wirkt sehr viel lebendiger und pfiffiger als die letzten Sachen der Band und klingt dadurch einen ganzen Ticken interessanter. Also, ich mag’s!


Under Glass – „Collapse This Path Of Existence“ (Middle Man Records) [Name Your Price Download]
Sobald die dissonant angehauchten Gitarren zusammen mit dem polternden Bass und den pfeffernden Drums ertönen, werde ich hellhörig! Der ruppige und raue Sound wird durch fiese, extrem Angst machende Schrei- und Kreischvocals vervollständigt. Die Mischung aus Hardcore, Emocore, Emoviolence und Screamo klingt jedenfalls schön abgefuckt und dystopisch und dürfte Leuten gefallen, die knifflige Mathe-Aufgaben bei einer Geräuschkulisse von Bands wie Usurp Synapse, Majority Rule, Combatwoundedveteran oder Jeromes Dream mit Bravour lösen. Fünf böse Songs!


We Too, Will Fade – „Everything Falls Apart As It Should“ (Midsummer Records) [Stream]
Der Sound der Münchener Band konnte mich bereits auf ihrer im letzten Jahr erschienenen Debut-EP überzeugen. Jetzt legen die Jungs ihre zweite EP vor. Es sind zwar nur drei Songs, diese bringen es aber auf eine Spielzeit von zehn Minuten. Und sie machen extrem hungrig auf mehr Stoff. Denn geboten wird eine mitreißende Melange aus Post-Hardcore, Melodic Hardcore, Post-Rock und gar etwas Black-Metal. Jedenfalls passiert im Verlauf der zehn Minuten so einiges, was mich zufrieden grinsen lässt. Messerscharfe Gitarren treffen auf wuchtig groovende Drums, eine gewisse Melancholie und Verzweiflung ist dem Sound ebenfalls anzuhören. Und das nicht nur in seinen ruhigen oder atmosphärischen Momenten. Die Songarrangements sind ausgeklügelt und sitzen perfekt, die unterschwelligen Melodien passen genauso wie die Vertracktheit an manchen Stellen. Und betrachtet man die drei Songs in ihrer Gesamtheit, dann klingen sie so, als ob sie miteinander verwoben wären. Vom zwischen der Debut EP und dieser hier stattfindenden Line-Up-Wechsel hätte ich jetzt gar nicht Notiz genommen, wenn ich nicht noch kurz in den Pressezettel gespickelt hätte. Fans von Bands wie We Never Learned To Live, The Tidal Sleep oder State Faults sollten We Too, Will Fade mal schleunigst anchecken!


 

Bandsalat: Between Bodies, Be Well, Diaz Brothers, Jamie Lenman, Lakes, Neànder, Pacifist, Winds Of Promise

Between Bodies – „On Fences“ (KROD Records) [Name Your Price Download]
Ordnung und Übersicht zu behalten, ist manchmal gar nicht so einfach in diesen schnelllebigen Zeiten. Wenn man deshalb mal wieder Jahres-Festplattenputz macht und dabei die ganzen gesetzten Lesezeichen durchackert, dann stößt man doch immer wieder auf Zeugs, auf das man eigentlich schon vor längerem hinweisen wollte. Die Kölner Band Between Bodies z.B. veröffentlichte im Dezember letzten Jahres eine tolle EP mit sechs Songs, die allen Emo-Punks die Äuglein leuchten lassen. Mir kamen beim Lauschen der Songs Bands wie Pale, By A Thread, Samiam, Flyswatter, Audio Karate oder Gameface in den Sinn. Auf der einen Seite dieses arschtretende Tempo, auf der anderen Seite diese melancholische Grundstimmung und darüber hinaus Melodien, die sich tief im Hirn einnisten. Und natürlich berührend und nachdenklich machende Lyrics, die mit klarer Stimme von Herzen vorgetragen werden. Ja, genau so muss energiegeladene und herzergreifende Gitarrenmusik abgehen! Lustig auch: vergleicht mal das EP-Cover mit dem Cover der ebenfalls in dieser Bandsalat-Runde besprochenen EP von Pacifist…

Be Well – „The Weight And The Cost“ (End Hits Records) [Stream]
Wenn sich Ex-Mitglieder von Battery, Darkest Hour, Bane und Fairweather zu einer neuen Band zusammenschließen und mit Brian McTernan auch noch gleichzeitig ein Produzent einiger wegweisenden Genre-Alben mit von der Partie ist, dann darf man schon mal hohe Erwartungen haben, was dabei raus kommt. Und ja, die hohen Erwartungen werden absolut befriedigt! Be Well haben ein intensives Album mit elf Songs abgeliefert, das sowohl musikalisch als auch mit textlichem Inhalt überzeugen kann. Hauptsätzlich werden persönliche Erfahrungen verarbeitet und letztendlich zeigt sich, dass es für die mentale Gesundheit Gift ist, alles in sich hineinzufressen und sich zu isolieren. Seine Ängste, Sorgen und Gefühle offen zu legen, kann viel mehr helfen! Und bei Brian McTernan merkt man, dass er diese Erfahrungen mit Haut und Haaren erlebt hat, die Vocals sind sehr emotional und überzeugend. Insgesamt herrscht neben der melancholischen Stimmung eine hohe Portion an Energie. Die Gitarren hauen ein Hammerchord nach dem anderen raus, dazu gesellen sich treibende Drums und gegenspielender knackiger Bass, natürlich setzt die eindringliche Stimme von Brian McTernan dem Ganzen die Krone auf. Es gibt so viel Melodie und hymnische Refrains (z.B. im Final-Stück Confessional) zu entdecken, im Prinzip wird man bereits nach dem ersten Durchlauf süchtig nach dem Sound von Be Well. Ich feier’s ab!


Diaz Brothers – „Selftitled“ (Boss Tuneage Records) [Stream]
Ich flippe aus! Wahnsinn! Das hier müsst ihr euch echt anhören, falls noch nicht bekannt. Die Band Diaz Brothers ist tief in der UK-Punkszene verwurzelt. Trotz relativ hohem Altersdurchschnitt klingt die Band wie ein frischer Wirbelwind voller Emotionen! Die Band hat sich nach dem Tod von Leatherface-Gitarrist Dickie Hammonds gegründet, mitunter sind hier Leute am Start, die man von etlichen Bands her kennt. Bisschen Name-Dropping an dieser Stelle kann nicht schaden, ich beschränke mich dabei auf ein paar der bekannteren: HDQ, Shutdown, Red Alert, Angelic Upstarts, Tied Down, Loudmouth, 36 Strategies und The Jones. Die zehn Songs haben so viel Durchschlagskraft, Wucht, Melancholie, Charisma, Spielfreude, Melodie und Energie im Gepäck, ich bin absolut begeistert und komm aus dem Grinsen nicht mehr raus! In die melancholisch gezockten Gitarren könnte man sich förmlich reinlegen! Der gegenspielende Bass und die kraftvoll gespielten Drums runden das Ganze ab und der einfühlsame Gesang klingt irgendwie so vertraut und intensiv, als würde man sich schon jahrlelang kennen. Dazu ist der Sound auch noch fett abgemischt. Fans von emotionalem Punk-Core á la HDQ, Samiam, Snuff, Leatherface oder Down By Law werden vor diesem Album niederknien!


Jamie Lenman – „King Of Clubs“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Nach dem Coveralbum mit den eigenwilligen Coverversionen kommt der Ex-Frontmann von Reuben wieder mit eigenen Kompositionen um die Ecke. King Of Clubs besteht in seiner digitalen Form aus sieben Songs. Wer sich das Mini-Album in physischer Form zulegt, bekommt akustische Versionen der Songs als Belohnung mit dazu. Neben dem Digipack aus reiner Pappe ist das Ding als 12inch erschienen. Das dunkle Artwork lässt erst beim genaueren Hinschauen eine Art Kreuz-König aus der Dunkelheit hervortreten. Im Inneren wird das Kartenspielthema weitergeführt, denn da ist Jamie Lenman als Kreuz-Ass-König mit seiner Gitarre als Zepter abgebildet. Der Opener legt direkt mit fetten, groovenden Gitarren und wütendem Schreigesang los. The Future Is Dead klingt wie eine Mischung aus Refused und Body Count, was mitunter auch an den Guest-Vocals vom Londoner Hip-Hopper Illaman liegt. Auch im weiteren Verlauf überwiegen die wütenden und teils dissonanten Gitarren, der brachial und groovende Soundteppich aus Gitarre, fuzzy Bass und kraftvoll gespielten Drums geht dazu auch noch gut ins Ohr. Denn trotz der wütenden Grundstimmung schleichen sich immer wieder melodische Momente ein. Neben Post-Hardcore, Punk, Noise und Sludge sind auch Industrial-Einflüsse á la Ministry oder Nine Inch Nails zu vernehmen. I Don’t Wanna Be Your Friend ist z.B. ein richtig fieser und dreckiger kleiner Hardcore-Punk-Fetzer mit grungig verzerrten Gitarren und geiler Message an all die Pisser, die die Welt nicht braucht. Das Mini-Album endet mit dem instrumentalen Titelsong King Of Clubs, das sich stets steigernd den Weg breitwalzt. Und wer sich die physische Version zulegt, kann sich anhand der akustischen Versionen ein Bild machen, wie kreativ, experimentell und vielseitig Jamie Lenman unterwegs ist. Da kommen auch mal Töpfe, Pfannen, Trompeten, Handclaps, elektronische Spielereien und Posaunen zum Einsatz. Die Unplugged-Songs sind eine schöne Beigabe, die verzerrten Versionen werden aber zumindest bei mir in Zukunft häufiger ihre Runde drehen. Sehr starkes Mini-Album!


Lakes – „This World Of Ours, It Takes Apart“ (Know Hope Records) [Stream]
Ein Glockenspiel, Emo-Twinkle-Gitarren, eine Trompete, weiblicher und männlicher harmonischer Gesang kombiniert mit melancholischem Emo-Rock, kann das funktionieren? Oh ja, es kann. Schade eigentlich, dass es nur zwei Songs auf der neuen EP der Band Lakes aus Watford, UK sind, ich könnte locker mehr vertragen. Das Sextett organisiert und produziert seine Musik, Videos und Gigs selbst, DIY wird hier groß geschrieben. Als Einflüsse sind ganz klar Midwest-Emo-Bands erkennbar. Wenn ihr euch eine Mischung aus American Football, Algernon Cadwallader, Minus The Bear, Snowing und Appleseed Cast vorstellen könnt, dann solltet ihr hier mal rein hören.


Neànder – „Eremit“ (Through Love Rec.) [Stream]
Das vielgelobte Debutalbum ist noch gar nicht so lange her, da legt die Berliner Band Neànder nach anderthalb Jahren gleich das zweite Album nach. Ja, man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist! Und Neànder machen das konsequent und präzise auf den Punkt! Der rein instrumentale Sound hat auf den ersten Höreindruck ein bisschen an Tempo verloren, die Heavyness und Schwere wird dadurch aber keineswegs weniger, im Gegenteil! Mir erscheint es, dass alles noch intensiver und dichter wirkt. Die Soundscapes verflechten sich während der vierzigminütigen Spielzeit immer mehr ineinander, was natürlich insgesamt betrachtet extrem atmosphärisch und episch klingt. Zwischen den Pfeilern Doom, Black Metal, Sludge und Ambient treten die Musiker ihren Pfad weiter aus, schauen auch mal hoffnungsvoll über den Tellerrand, auch wenn größtenteils düstere Finsternis und tiefste Melancholie herrscht. Passend zum Albumtitel Eremit ist auf dem Albumfront- und Backcover jeweils ein einsamer Typ in der Landschaft abgebildet, sehnsuchtsvoll in die Landschaft bzw. auf’s Meer blickend. Und genauso in sich gekehrt wirkt die Musik des Quartetts, dessen Mitglieder natürlich auch schon vor Neànder in Bands wie z.B. And, Patsy O’Hara, Earth Ship oder Casper in Erscheinung getreten sind. Anhand der ausgetüftelten Soundarrangements merkt man, dass die Jungs eine genaue Vorstellung hatten, wie das am Ende alles klingen soll. Obwohl Instrumental-Mucke nicht gerade mein Steckenpferd ist sage ich: Äußerst gelungene Mission, Alter!


Pacifist – „Greyscale Dreams“ (DIY) [Name Your Price Download]
Dieses Release erschien zwar schon letztes Jahr im Juni, leider stieß ich da erst neulich beim Bandcamp-Ausflug drauf und weil es so hammermäßig gut ist, muss ich da einfach was drüber schreiben. Pacifist kommen aus Mumbai in Indien und klingen eigentlich sehr nach 90’s-US-Hardcore bzw. Post-Hardcore. Auf der EP sind vier mitreißende Stücke zu hören, die ab dem ersten Ton aufhorchen lassen. Sauber gespielte Gitarren, teils höllisch groovend und dann wieder mit melancholischer Unternote, treffen auf Druck machende Drums und verzweifeltes Geschrei. Bei all der Power gibt es aber immer wieder unterschwellige Melodien zu vernehmen. Soundtechnisch dürften Bands wie Snapcase, By The Grace Of God, At The Drive-In, Inside Out oder Glassjaw Pate gestanden haben. In den Texten geht es um Alltagsängste und mentale Gesundheit in der heutigen trostlosen und düsteren Welt. Das Leben in der riesigen Metropole Mumbai gibt dem Quartett jedenfalls genügend Stoff für verzweifelte Endzeitstimmungsgefühle. Hört da unbedingt mal rein, Pacifist muss man im Auge behalten! Lustig auch: vergleicht mal das EP-Cover mit dem Cover der ebenfalls in dieser Bandsalat-Runde besprochenen EP von Between Bodies…


Winds Of Promise – „Cut. Heal. Scar“ (Coretex Records) [Stream]
Oh Yeah! Neuer Stoff in Sachen OC-Hardcore! Nach dem 2018er Debut kommt die Band mit ihrem zweiten Album um die Ecke. Und irgendwie ist das noch geiler als das Debut geworden, obwohl ein bisschen Tempo rausgenommen wurde! Die US-Hardcorelegenden Joe D. Foster, Patrick Longrie und Joe Nelson (Unity, Uniform Choice, Ignite, Triggerman u.a.) haben es immer noch raus, mitreißende Musik zu schaffen. An die Gitarrenriffs von Joe D. Foster lasse ich nichts Schlechtes kommen! Ich liebe alle Bands, bei denen er die Gitarre schwingt bzw. geschwungen hat abgöttisch. Gerade die ersten Ignite-Sachen mit Joe Nelson, der ja auch bei Winds Of Promise singt, sind einfach zeitlos geil! Gut, dass er das sinkende Schiff Ignite rechtzeitig verlassen hat und auch nie müde wird, uns mit Speak 714, The Killing Flame, Last Light, Blood Days oder eben Winds Of Promise permanent seine unerbittliche Spielfreude zu beweisen. Wenn ihr dem Sound von Bands wie 411, No For An Answer, Embrace, frühen Dag Nasty oder eben den ersten Ignite-Sachen nachtrauert, dann bitte hier entlang!


 

Bandsalat: Aches, …And Its Name Was Epyon, Blackup, Cadet Carter, Dv Hvnd, The Razorblades, The Sewer Rats, Tim Vantol

Aches – „Dead Youth“ (DIY) [Name Your Price Download]
Die 5-köpfige Band Aches kommt straight outta Mannheim und veröffentlicht mit Dead Youth ihre mittlerweile zweite EP in Eigenregie via Bandcamp & Co. Und ja, das was die Jungs da fabriziert haben, kann sich durchaus hören lassen! Insgesamt gibt es sieben Tracks auf die Ohren, die musikalischen Vorbilder sind mit Bands wie z.B. More Than Life, Modern Life Is War, Giver, Life Long Tragedy oder Landscapes schnell verortet. Geboten wird also melodischer Modern-Hardcore, der zudem eine emotionale Kante vorweisen kann, gleichzeitig aber auch genügend Pfeffer im Hintern hat. Auch wenn die Melodie im Vordergrund steht, ist eine düstere Grundstimmung zu erkennen, die dann im letzten und ruhigsten Stück Asleep gipfelt, hier bleiben die Jungs rein instrumental und außer ein paar Rückkopplungsgeräuschen fast schon unverzerrt. Meine beiden Songfavoriten sind das mit einem verdammt catchy Gitarrenriff ausgestattete Stuck und das nach vorne preschende Lethargy. Der Sound ist übrigens schön satt abgemischt. Aufgenommen wurde mit Christian Bethge (The Tidal Sleep, Spirit Crusher, Criminal Body), gemastert hat Lewis Johns (Canvas, Giver, Grieved, Svalbard, More Than Life). Also, schaut mal vorbei, das hier hat wirklich Potential und zudem hatten die Jungs mit ihrem Release-Termin im April 2020 nämlich wie so einige Bands vor, die EP live zu supporten, was bekanntermaßen nicht möglich war/ist.


…And Its Name Was Epyon – „Visit To A Grave“ (DIY/Larry Records) [Name Your Price Download]
Nachdem die kalifornische Screamo-Band …And Its Name Was Epyon mit ihrer Debut-EP in der einschlägigen Szene bereits etliche Lorbeeren eingesammelt hat, hat das Trio seit Herbst letzten Jahres nun die zweite EP am Start. Und ja, die ist richtig geil und intensiv geworden! Die Jungs sind total mit sich im Einklang und spielen sich innerhalb von vier Songs dermaßen in Extase, da richten sich permanent die Nackenhärchen auf! Geboten wird emotive Screamo der Extraklasse! Geheultes Herzschmerzgeschrei, melancholische Gitarren, abgefahrene Songstrukturen, vertrackte Rhythmen, unterschwellige Melodien und ein wenig Chaos machen diese EP zu einem intensiven Hörerlebnis! Hört mal in den Song Side 7 rein, da ist eigentlich die ganze Bandbreite der Band zusammengefasst!


Blackup – „Club Dorothee“ (Rookie Records) [Stream]
Da mir Blackup aus Ghent/Belgien total unbekannt waren, hab ich einfach mal geschaut, was die Jungs bisher so vorzuweisen haben. Ach herrje, ganze neun Jahre sind seit dem letzten Album vergangen! Zwischendurch erschien eine EP und eine Split. Und nun also das zweite Album. Darauf sind zwölf frisch klingende Songs enthalten, die man grob im melodischen Punkrock/Garage-Punk einordnen kann, ein paar Noise-Einflüsse schimmern auch noch durch. Wer Bands wie die Wipers, Hot Snakes oder Rocket From The Crypt verehrt, dürfte auch am knackigen Sound des Quartetts Gefallen finden. Könnte mir vorstellen, dass Blackup live sicher verdammt gut rüberkommen könnten, denn diese Aufnahmen klingen sehr lebendig und authentisch. Die Zutaten sind zwar einfach, die Wirkung aber umso größer. Hier dringen fantastisch melodische Gitarren an die Oberfläche, dort gibt es coole Refrains zu entdecken, die pumpende Rhythmusmaschine aus Bass und Drums gibt den treibenden Takt an und natürlich darf dazu der Gesang nicht fehlen, der zwischen rau, melancholisch und hymnisch pendelt. Ja, Blackup machen hier alles richtig!


Cadet Carter – „Perceptions“ (Uncle M) [Stream]
Mit ihrem Debut-Album legten die Münchener Jungs von Cadet Carter die Messlatte ziemlich hoch. Obwohl mir das Album so gut gefiel, hab ich es versäumt, die Band irgendwie über Social Media oder auf anderen Kanälen zu stalken. Mittlerweile erschien ohne mein Wissen ’ne 3-Song-EP und wenn die lieben Leute von Uncle M mich nicht regelmäßig mit physischen Releases per Post versorgen würden, hätte ich das zweite Album der Jungs vermutlich gar nie mitbekommen. Was doch echt mal extrem schade gewesen wäre! Denn Cadet Carter machen auch beim Nachfolger zum Debut alles richtig, wenn nicht gar perfekt! Fangen wir mal beim blaustichigen Albumcover an: die Fotografie könnte auch in der Corona-Krise entstanden sein, oder? Eine leere Flughafenhalle mit nur einem Typ drin, der hirnlos auf ein Handy-Display starrt. Oh Mann, ich würde mir wünschen, dass der Flugraum über Deutschland für immer so leer bleiben würde, wie er die letzten paar Monate war. Aber wahrscheinlich sind die Flughafenhallen bald wieder mit schlafenden und stümperhaften Mund-Nase-Schutz-tragenden Menschen besetzt, die unbedingt irgendwo hin wollen, wo man sie absolut nicht haben will. Okay, der Digipack lässt sich aufklappen, aber leider gibt es kein Textheftchen. Wir Neunziger-Nostalgie-Nichtsnutze können ohne solche selbstverständlichen Gimmicks mit CD-Digipacks nichts anfangen, aber eigentlich ist es nicht schlimm, man versteht die gesungenen Texte ohne Probleme. Und ich verzeihe angesichts der zwölf sagenhaft tollen Songs jeglichen anderen Fauxpas, der weitaus schlimmer wäre, wenn es ihn überhaupt gäbe. Und warum ist das Ganze hier so faszinierend? Unvorhersehbare Songstrukturen treffen auf eingängige Hooks, dazu gesellen sich Refrains, die sich erst nach mehrmaligem Hören einbrennen, aber dann für immer bleiben. Die mehrstimmigen Refrains dürften Jimmy Eat World-Fans etliche Tränen in die Augen treiben, Midwest-Emo- und 90’sEmo-Fans sollten hier auch auf ihre Kosten kommen!


Dv Hvnd – „Bollwerk“ (Last Exit Music) [Stream]
Meine Deutschpunk-Phase ist ja schon einige Jahrzehnte her, damals holte man sich die einschlägigen Infos aus Zines wie dem Plastic Bomb oder dem Pankerknacker. Momentan bin ich in dieser Szene nicht so wirklich verankert, daher war mir der Sound der Band aus Wiesbaden auch nicht geläufig, bis diese Digipack-CD in meinem Briefkasten landete. Dabei gibt es die Band jetzt auch schon wieder seit 2012. Nun, die abgedruckten deutschen Texte prophezeien schonmal, dass wir es hier nicht mit peinlichem Fun-Punk oder stumpfem Sauf-Punk zu tun haben. Gesellschafts- und Sozialkritik sind immer wiederkehrende Themen auf diesem Bollwerk. Melodische Gitarren an der Schwelle zum Skate-Melodypunk, treibende Drums und Hits am laufenden Band lassen die zehn Songs mit einer Spielzeit knapp über 20 Minuten verdammt kurzweilig erscheinen. Wenn ihr euch eine Mischung aus Supernichts, V-Mann Joe, But Alive, Helmut Cool, Knochenfabrik und NOFX vorstellen könnt, dann solltet ihr hier mal reinhören.


The Razorblades – „Howlin‘ At The Copycats“ (General Schallplatten) [Video]
Die etwas ungewöhnliche Aufmachung der CD passt vom Format her leider nicht in den CD-Schrank, das kleine Teil muss in die 7inch-Kiste gepackt werden. Aber vorerst wird das Album noch ein paar Runden im Player zurücklegen und dann brauch ich für unterwegs noch einen mp3-Rip. Denn The Razorblades machen arschcoolen Surf-Rock, der dazu noch super ins Ohr geht und Elemente von Punk und Powerpop mit an Bord hat. Insgesamt 16 Songs haben die Wiesbadener Urgesteine auf die CD gepackt. Die LP-Version kommt als Doppel-LP im Gatefold-Cover und ist sicher auch nicht zu verachten. Jedenfalls ist das Album mit einer Spielzeit von 47 Minuten zwar recht lang ausgefallen, dennoch kommt keinerlei Langeweile auf. Das liegt v.a. an den abwechslungsreichen Songstrukturen und den locker aus den Ärmeln gespielten Twang-Gitarren. Ein paar Lieblingssongs sind natürlich schnell gefunden, z.B. Smelling Like A Dog and Dancing Like A Chicken, I Wish You Wouldn’t Dance Away, King Of The Penguins oder Upside Down wären da zu nennen, aber auch die wenigen Songs mit Gesang sind erste Klasse! Eigentlich der perfekte Soundtrack für ein 70er-Kult-Roadmovie!


The Sewer Rats – „Magic Summer“ (Uncle M) [Stream]
Der Sommer kann kommen! Und zwar mit dem vierten Album der Kölner Jungs The Sewer Rats. Ab dem ersten Song scheint der Mucke die Sonne aus dem Arsch und man bekommt direkt Lust, das Skateboard aus dem Keller zu entstauben und die alten Knochen ernsthafter Gefahr auszusetzen. Vom Sound her wird hier dem Ami-Skate-Punk der 90er kräftig Tribut gezollt. Und das mit Leidenschaft und verdammt viel Spielfreude, so dass man gar nicht anders kann, als hibbelig im Takt mit allen Gliedmaßen mitzuwippen. Eine Hymne jagt die nächste, dazu gefällt der satte Sound, den man auf so manch einer 90er-Produktion einst vermisste. Die Jungs haben sicher einige Fat Wreck-Platten im Schrank stehen, man hat natürlich sofort Zeugs wie Satanic Surfers, Grey Area, Lagwagon, Propagandhi , Less Than Jake, Swingin‘ Utters und auch die Ramones im Ohr. Songs wie Rejuvenate, Quitting My Job oder Total Creep versprühen einfach diese jugendliche Frische, die sicher jeder Punkrockfan schon mal in irgendeiner Form erlebt hat, siehe z.B. Down For Life! Übrigens ist die Digipack-CD schön gestaltet, natürlich wieder mit den gezeichneten Ratten, die es auf die Straße zieht, um den einen, großen Magic Summer zu erleben! Also, holt euch fix den Sommer ins Haus und fahrt mit runtergekurbeltem Fenster und dem Sound der Sewer Rats voll aufgedreht durch eure Hood!


Tim Vantol – „Better Days“ (Eminor Seven Records) [Stream]
Von allen Solo-Punkrock-Singer-Songwritern ist mir neben Frank Turner Tim Vantol irgendwie der Liebste. Denn irgendwie merkt man seinen Songs die Leidenschaft und Energie an, auch das aktuelle Werk strotzt vor purer Spielfreude, zudem haben seine Songs alle eine schöne Punknote, lahmarschige Country-Lagerfeuermusik sucht man hier vergebens. Die zehn Songs strahlen eine lebensfreudige Stimmung aus, obwohl es dem gebürtigen Niederländer in den letzten Jahren mental nicht so rosig ging und sogar eine bereits aufgenommene EP mit düsterem Songmaterial wieder verworfen wurde. Den eigenen Dämonen wurde also der Kampf angesagt und Tim Vantol fand zu neuem Lebensmut, vielleicht war hier auch der liebesbedingte Umzug von der lauten Großstadt ins ländliche Berchtesgaden ein großer Pluspunkt für das Seelenleben des Musikers. Und all das ist auf Better Days wahrlich zu hören. Die Gitarren haben einige catchy Hooklines am Start, manchmal wird auch ein bisschen der Saft aufgedreht, dazu gesellen sich kräftig gespielte Drums, die Dich einmal ums Lagerfeuer jagen. Und natürlich darf Tim Vantols einfühlsame Stimme nicht fehlen, die immer den vollen Einsatz bringt und auch mal kraftvoll die Akkorde zu überschreien versucht. Die Texte behandeln logischerweise persönlichen Kram. Wenn ihr also zwischendurch mal ein rockiges Album mit Seele hören wollt, dann ist Better Days genau das richtige für euch!


 

Bandsalat: Audio Karate, Constante, Counsels, Decacy, Knope, Nathan Aeli, Orchards, Radio Havanna

Audio Karate – „Malo“ (SBÄM Records) [Stream]
Was hab ich doch die Space Camp und v.a. die Lady Melody rauf und runter gehört, von Zeit zu Zeit rauschen die Songs beider Alben bis heute immer wieder mal durch die Anlage. Jetzt ist also mit Malo fünfzehn Jahre später und nach der 2018er-Reunion Album Nummer drei der Band aus Los Angeles erschienen. Klar, zwischendurch gab es ja immer mal wieder Lebenszeichen, Teile der Band haben z.B. unter dem Namen Indian School ein Album veröffentlicht, ganz von der Bildfläche waren die Jungs eigentlich nicht. So finden sich auf dem Album die zwei Songs der 2018-er-EP, zwei weitere kennt man als Fan der Band möglicherweise ebenfalls und der Rest ist irgendwie aus alten Demos mit ungenutzten Songs entstanden. So erhält man zwar ein paar neue Songs, aber wie zu erwarten war, ist hier auch etwas Bodensatz dabei, das Album heißt nicht umsonst Malo, was ja im Spanischen soviel wie „schlecht“ bedeutet. Dies wird von der Band ja auch so kommuniziert. Jedenfalls dürften Fans der Band trotzdem ganz gebannt dieser einzigartigen Stimme lauschen, gerade Songs wie Bounce, Sin Cuchillo, Get…Mendoza…,Saturday Night oder das poppige Good Loving Man gehen eigentlich doch ganz klar. Naja, über den Rest reden wir lieber mal nicht und warten gespannt, ob die Band weitermacht und es bald ein richtiges Album zu hören gibt.


Constante – „Selftitled“ (Saka Čost) [Name Your Price Records)
Aus Rennes, Frankreich kommt diese ziemlich neue Screamo-Band namens Constante. Auf ihrer selbstbetitelten Debut-EP gibt es zwar nur zwei Songs zu hören, die haben es aber gewaltig drauf und bringen es auf eine Spielzeit von knapp unter 20 Minuten. Der Song À marée basse, les angoisses legt schonmal düster und fuzzy dissonant los, in elf Minuten baut das Trio vielschichtige Soundpassagen mit fast schon ritueller Wirkung auf und schafft dadurch eine ganz eigenwillige Atmosphäre. Manchmal werden die Gitarren ein bisschen ruhiger und melancholischer, so dass der polternde Bass noch besser zur Geltung kommt. Der Sänger leidet in französischer Sprache, die Texte verarbeiten Ängste, es geht um Selbstfindung, bis man resigniert und erkennt, dass man in einer Sackgasse gelandet ist, der man schwer entkommen kann. Das zweite Stück Du plomb dans l’aile wird soundtechnisch ein bisschen freundlicher, hier kommen teils ein paar unterschwellige Melodien zum Vorschein. Bis man hier alles erfasst hat, braucht es zwar ein bisschen Zeit, aber dranbleiben wird belohnt. Wenn ihr Bands wie Birds in Row, Daïtro oder Aussitôt Mort mögt, dann solltet ihr das hier mal antesten!


Counsels – „Selftitled“ (DIY) [Stream]
Bei Counsels handelt es sich um eine ganz junge Band aus Leipzig. Seit Mai 2019 spielt das Quartett zusammen, so dass jetzt wenige Zeit später eine ganz ordentlich aufgenommene EP mit fünf Songs erschienen ist, natürlich komplett in Eigenregie. Die Musik der Jungs geht grob in Richtung Midwest-Emo, ein paar Indie-Einflüsse können auch vernommen werden. Wenn man die melancholisch flirrenden Gitarren, den sehnsüchtigen Gesang und die laid back gespielten Drums so hört, dann flackern einige musikalischen Vorbilder vor dem inneren Auge auf. Die Band selbst gibt Bands wie die Mom Jeans, American Football oder Tiny Moving Parts als große Einflüsse an, irgendwie höre ich auch noch ein bisschen Pale oder Jank raus. In Anlehnung an den Bandnamen gebe ich an dieser Stelle den Ratschlag, einfach mal ein bisschen reinzuhören.


Decacy – „Non Cambierà“ (DIY) [Name Your Price Download]
Die Band Decacy hat sich im Jahr 2019 in Vicenza/Italien gegründet. Mit Non Cambierà hat das Trio jetzt ein erstes Lebenszeichen in Form einer selbstreleasten EP gegeben. Und die darauf enthaltenen sechs Songs können sich absolut hören lassen. Die Jungs machen eine intensive Melange aus Emo, Punk, Screamo, Post-Hardcore, Math und etwas Emoviolence. Dabei geht es treibend und dissonant zu, dennoch schleichen immer wieder tolle Melodien an die Oberfläche, so dass sich tieftraurige Melancholie breit macht. Dazu kommt noch ’ne satte Portion Stop And Go und etwas laut/leise, so dass es schön abwechslungsreich und spannend bleibt und man nach einer 18-minütigen Spielzeit gern noch mal ’ne Runde dranhängt! Geiles Debut, die Band sollte man genau im Auge behalten!


Knope – „Picture Perfect“ (DIY) [Stream]
Die Band Knope kommt aus Fairfax, Virginia und Picture Perfect ist die mittlerweile zweite EP der vier Jungs. Knope machen ziemlich geilen Twinkle-Emo und erinnern daher natürlich sofort an Bands wie z.B. Algernon Cadwallader oder I Love Your Lifestyle. Der erste Song dient als eine Art Intro und es bleibt vorerst rein instrumental. Danach folgen sechs Songs mit Gesang. Die gefühlvoll gespielten Gitarren kommen immer wieder mit tollen Melodien um die Ecke, dazu wird der melancholische Midwest-Emo mit diesem typischen nöligem Gesang/Geschrei dargeboten. Die Melodien gehen gut ins Ohr, so dass nur empfohlen werden kann, sich die Band mal vorzuknüpfen. Als Anspieltipp eignet sich z.B. That’s Not Dinner Talk.


Nathan Aeli – „Katja“ (Middle Man Records) [Stream]
Bei Nathan Aeli handelt es sich um das Solo-Projekt des Gitarristen der schwedischen Screamo-Band Young Mountain. Solo-Projekt heißt, dass er hier fast alles selbst gebastelt und eingespielt hat, zumindest was Gitarre, Gesang, Synthies und sonstigen Krach betrifft. Ganz ohne Unterstützung hat er es aber dann doch nicht hinbekommen, so hilft an den Drums John Andersson von Grace Will Fall, den Bass hat Felix Byström eingespielt. Musikalisch gefällt mir ganz gut, was Nathan Aeli da geschaffen hat. Grob kann man die sieben Songs unter Emo mit leichter Post-Hardcore-Tendenz einordnen. Teilweise wird geschichtet, was das Zeug hält, so dass ein flächiger, mit Watte ausgestopfter Soundbrei entsteht, der eine ganz wirksame Atmosphäre schafft. Das klingt dann im Endergebnis irgendwie verträumt und spacy. Der Gesang ist sehr kopfstimmenlastig, manchmal gar glockenhell, was im Kontrast zum melodischen Soundteppich eigentlich ganz gut passt. Als Anspieltipps empfehle ich jetzt einfach mal Left Behind Along Persiusstr. oder Low, Low, Low. Das hier könnte Menschen zusagen, die auch auf Bands wie Last Days Of April, Jimmy Eat World, Minus The Bear oder Coheed And Cambria stehen.


Orchards – „Lovecore“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Wenn ihr auf der Suche nach eingängigem und charmant klingendem Pop mit weirden Math-Rock-Verweisen seid, dann dürfte die Band Orchards mit ihrem Debutalbum namens Lovecore ein gefundenes Fressen für euch sein. Das Album klingt so frisch und spritzig, da bekommt man gerade Lust, an einem sonnigen Tag mit offenem Verdeck durch frühlingserwachende Landschaften zu brausen und dabei die Songs laut aufgedreht auf sich wirken zu lassen. Schon nach ein paar Durchläufen bleiben die elf Songs im Ohr kleben! Hymnen wie z.B. Burn Alive, Luv You 2 oder History (hier klingt das geloopte Sample irgendwie nach ’nem Sound von irgend ’nem neueren Bring Me The Horizons-Album) wickeln Dich ruckzuck um den Finger! Die angeschrägten Math-Gitarren zünden im Verlauf des Albums eine Hookline nach der anderen, manchmal kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr raus! Die Band kommt übrigens aus Brighton/UK und irgendwie fehlen mir gerade die Vergleiche, denn das hier klingt ziemlich einzigartig. Am ehesten fallen mir noch Bands wie beispielsweise The Cardigans oder No Doubt gepaart mit neueren Q And Not U oder Minus The Bear ein, aber das auch nur, weil die Stimme von Sängerin Lucy Evers in ähnlichen Tonlagen unterwegs ist. Auch geil: die bisherigen Videos der Band, allen voran die Pop-Hymne Honey (ist schon länger mal erschienen). Müsst ihr unbedingt anchecken!


Radio Havanna – „Veto & Gossenhauer“ (Dynamit Records) [Video]
Auch mal wieder so eine Band, mit der ich mich noch nie so richtig beschäftigt habe. Ob sich das mit dem vorliegenden Digipack ändern wird? Mal sehen…Bevor ich das Ding in den Player bugsiert hab, rutschte das rote Booklet mit dem schwarzen Kreis (mit Strich durch) in meine Pfoten. Boah, ich dachte schon, da kommt die Neon Golden von Notwist zum Vorschein! Und dann purzelt zu alldem auch noch ’ne Bonus-CD mit dem Titel Gossenhauer raus. Aber hier ist nix mit nerdigem Indierock á la Notwist, Radio Havanna sind eher im melodischen und poppigen Deutschpunk zu Hause. Veto hat 13 Songs am Start, positiv auffallend sind die aussagekräftigen Texte, die eine klare Position gegen ungesunde politische Entwicklungen der Gesellschaft beziehen (z.B. Antifaschisten). Gerade Kids, die gerne angepunkten Deutschrock hören, sollten sich Radio Havanna in die Dauerschleife packen. Die Songs haben neben ihrer positiven Message allesamt ordentlich Ohrwurmcharakter. Eigentlich clever gemacht, denn wer gern Coversongs hört, dürfte mit der Bonus-CD absolut glücklich werden. Da werden nämlich einige olle Kamellen im Punkrock-Mantel verwurstet. Mich packt das alles jetzt zugegeben echt mal eher weniger. Wenn ich aber zurückblicke auf meine musikalische UND politische Sozialisation, dann haben mir in den Achtzigern Radio Havannah-ähnliche Bands wie Die Ärzte und die Toten Hosen die Augen und den Weg in eine Subkultur geöffnet, der ich bis heute mit Haut und Haaren verfallen bin! Wenn ihr Zeugs wie Turbobier, Alex Mofa Gang, Dritte Wahl oder Montreal mögt…dann bitte hier entlang!


 

Midsummer Records-Special: December Youth, Noir Reva, Rivers & Tides, Tides!

December Youth – „How Are You“ (Midsummer Records)
Alles neu bei December Youth: Zwei der ursprünglichen Mitglieder wurden ausgetauscht (Sänger und Schlagzeuger), dazu erfolgte ein Umzug von Düsseldorf nach Essen. Dass gerade ein Sängerwechsel auch mit musikalischen Veränderungen verbunden ist, das lässt sich eigentlich mehr als erahnen. Nicht, dass December Youth auf ihrem zweiten Album komplett anders klingen würden, wie noch auf dem 2016er Debutalbum, aber die Veränderung lässt sich trotzdem irgendwie spüren. Der Sound des Quintetts klingt weit ausgereifter als noch auf dem Debut, was v.a. daran liegt, dass December Youth den dargebotenen Post-Hardcore-Sound geschickt mit Elementen aus Grunge, Emorock, Post-Rock und poppigen Gitarrenmelodien angereichert haben. Und auch beim Gesang wurde mehr auf Abwechslung gesetzt: auf der einen Seite wird leidend gescreamt, zudem kommen auch immer wieder melodisch und clean gesungene Vocals zum Einsatz. In beiden Varianten schwingt sehr viel Melancholie mit, was durch die gefühlvoll gezockten Gitarren und den gegenspielenden Bass noch unterstrichen wird. Und auch in den sehr persönlichen Texten finden sich nachdenklich machende Inhalte. Dass hinter dem Albumtitel kein Fragezeichen steht, hat wohl tiefere Gründe, wie man im beiliegenden Textblatt nachlesen kann. So wird die eigentliche Frage nach dem Wohlbefinden selten aus wahrem Interesse heraus gestellt sondern eher als Floskel benutzt und dementsprechend ungenau fällt auch die Antwort der befragten Person aus. Passend zum Thema wurde wahrscheinlich auch das Coverartwork entworfen. Es zeigt einen bedrohlichen Felsbrocken, der symbolisch wie die seelische Last über einer aufs Meer blickenden Person schwebt. Durchaus ein ernstes Thema, gerade auch in Bezug auf mentale Gesundheit. Jedenfalls schaffen es December Youth in vierzig Minuten Spielzeit und insgesamt zehn Songs, mich total in den Bann zu ziehen. Songs wie das sagenhaft verträumte Pixie Dust, das eindringliche Rain, das mantraartige Sway oder das flirrende Vergissmeinnicht muss man einfach ins Herz schließen! Teilweise erinnert der Sound an Bands wie Thursday oder Touché Amore, dann kommen aber auch Sachen wie Citizen, Basement oder Balance And Composure in den Sinn. Das Album dreht jedenfalls schon einige Zeit seine Runden auf dem Teller und es werden in Zukunft noch etliche folgen, zudem schimmert das Vinyl in silber/grau so schön, wenn das Licht drauf fällt, vermutlich ist das bei der purple marbled-Version ebenso. Jedenfalls ein tolles Album!

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Noir Reva – „Continuance“ (Midsummer Records)
Schon das 2016er-Debut der Band Noir Reva aus Koblenz stieß bei mir seinerzeit auf helle Ohren, obwohl instrumentaler Post-Rock normalerweise nicht so zu meinen musikalischen Vorlieben zählt. Und auch der Nachfolger Continuance führt das konsequent und konstant fort, was mir schon auf dem Debut so gut gefiel. In einer Spielzeit von vierzig Minuten umwickelt das Quartett die Hörer*innen mit einem Konstrukt aus mächtigen Songstrukturen und atmosphärischen Klangfeldern. Das sichtbeschränkte Motiv auf dem Cover der 12inch will zum vielschichtigen Kosmos des Sounds eher nicht so recht passen, denn taucht man in die Musik der Koblenzer ein, dann eröffnet sich ein weitsichtiger Rundumblick in eine geheimnisvolle Sagenwelt. Sobald die Nadel in das in meinem Fall blau schimmernde und mit ein paar Rauchschwaden durchzogene Vinyl eintaucht, empfiehlt es sich, sich voll und ganz auf die Musik einzulassen. Bei mir gelingt das tatsächlich am Besten mit Kopfhörern. Dadurch saugt man jeden noch so winzigen Ton ein, den man womöglich sonst gar nie wahrgenommen hätte, in sich auf. Und von diesen unscheinbaren winzigen Tönen entdeckt man bei jedem weiteren Durchlauf noch weitere. Von ihnen geht eine unglaubliche Intimität und Wärme aus, dazu sorgt die glasklare Produktion für manches Staunen. Flirrende Tremolo-Gitarren schwirren wie Schmetterlinge durch die Lüfte, die Töne umkreisen Dich von allen Seiten, so dass man sich in manchen Momenten wie jemand fühlt, der drei Ohren hat. Im Vergleich zum Debut meine ich, dass Noir Reva ihrem Sound noch einiges an Elektronik-Spielereien hinzugefügt haben. Wieviel Zeit und Arbeit wohl in dem Ding steckt? Sicher ist, dass die Musik mit viel Herzblut, Leidenschaft und Spielfreude ausgestattet ist. Ein ausgeklügeltes Soundspektrum zwischen laut und leise baut sich schichtweise auf, die Instrumente scheinen sich ineinander zu verweben, gerade die beiden Gitarren lassen immer neue Gitarrenmelodien entstehen. Schlagzeug und Bass gehen dynamisch zur Sache, begleiten die Schmetterlingsgitarren wie kleine Marienkäfer im Windschatten und sorgen an den lauten Stellen für reichlich Druck. Dass es dabei auch mal etwas galoppierender zugehen kann, zeigen Songs wie z.B. Skyward oder Goraiko, bei denen auch schonmal eine Double-Bass zum Einsatz kommt. Die atmosphärische Dichte wird an vielen Stellen durch die Verwendung von Synthesizern verstärkt, hört mal diesen wimmernden Geigenton im Song Come Back Apollo! Überhaupt klingen manche der gefühlvoll gespielten Töne nach purer Melancholie. Selbst, wenn nur Piano und Synths wie z.B. beim Beginn von They Do Exist erklingen, strotzt die Musik nur so vor Atmosphäre. Und wenn dann mit Phobia das Grand Finale über die Bühne gegangen ist, dann reibt man sich die Augen, wie wenn man gerade aus einem schönen Traum erwacht ist und man sich umdreht und gleich versucht, nochmals einzuschlafen, um die Traumsequenz zu wiederholen. Meistens gelingt das ja nicht, bei Continuance aber hat man die Möglichkeit, die Platte nochmal umzudrehen und die Reise von vorn zu beginnen! Sehr geile Post-Rock-Platte, kann nur wärmstens empfohlen werden!

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Rivers & Tides – „Sincere Uncertainty“ (Midsummer Records)
Nach zahlreichen EP’s (wenn ich richtig gezählt hab, dann sind es insgesamt vier Stück) und einer knapp achtjährigen Bandlebenszeit wird es endlich mal Zeit für das erste Album. Und das hauen die Regensburger auf leckerem 12inch-Vinyl über Midsummer Records raus. Ob der Albumtitel wohl auch im Zusammenhang mit der langen Wartephase auf das Debutalbum so gewählt wurde? Möglich wäre es. Das Cover zeigt einen Blick mit verschwommener Optik in ein fremdes Wohnzimmer, zusammen mit der Erklärung der Band auf der Rückseite des Textblatts und den Texten kommt langsam Licht in die Sache. Die Band geht auf die lange und beschwerliche Suche nach dem eigenen Ich. Der Selbstfindungstrip wird durch allerlei positive und negative Einflüsse bestimmt, man hat Verantwortung zu übernehmen, Anforderungen und Erwartungen zu erfüllen. Es herrscht Ratlosigkeit, Verlustängste bedrohen das Gemüt genauso wie die Angst vor dem eigenen Versagen. Ein ständiger Balanceakt inklusive Gefühlschaos ist die Folge! Und davon erzählen die 12 Songs. Wie ihr euch vorstellen könnt, wird es im Verlauf des Albums sehr emotional, was sich natürlich auch auf die Musik des Quintetts niederschlägt. Die Regensburger bewegten sich mit den letzten EP’s immer mehr weg vom emotionalen Punk ihrer Anfangsjahre und drifteten immer weiter in Richtung Grunge und Shoegaze ab. Und diese Marschrichtung wurde bei Sincere Uncertainty weiter fortgeführt. Emo und Punk trifft auf Grunge, Post-Hardcore, Indie und Shoegaze, dabei schleichen sich bei jeder Gelegenheit melancholische Momente ein. Natürlich wird man beim Hören an Bands wie Basement, Balance And Composure, Citizen, New Native und Turnover erinnert, dennoch wäre es unfair zu behaupten, dass hier einfach nur die musikalischen Vorbilder kopiert wurden. Denn die Songs haben großes Potential, die Songstrukturen sind spannend aufgebaut, nebenbei besitzen sie allesamt einen schön groovigen Drive und strotzen vor Spielfreude. Die Stärke liegt hier ganz klar bei den catchy Refrains und den gefühlvoll wabernden Gitarren, die eine Hookline nach der anderen raushauen. Songs wie z.B. Forever, das sagenhaft verträumte Progress, das etwas flottere Crush oder das kraftvoll gesungene Getting Better Takes Forever stechen hier besonders hervor. Insgesamt bewegt sich Sincere Uncertainty im ausgeklügelten Spiel zwischen laut und leise, gefühlvoll und wütend, verbittert und optimistisch. Und wenn das Album mit Yours To Keep tosend zum Finale kommt, weiß man, dass noch viele weitere Hörrunden folgen werden. Sehr starkes Debutalbum, auch wenn es so lange gedauert hat!

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Tides! – „I’m Not Afraid Of The Dark“ (Midsummer Records)
Drei Jahre nach ihrem Debutalbum Celebrating A Mess legt die Band Tides! aus Saarbrooklyn mit I’m Not Afraid Of The Dark ein weiteres Release mit sechs neuen Songs vor. Das Coverartwork der 12inch zeigt in Anlehnung an den EP-Titel einen ängstlich dreinblickenden Jungen, der sich mit einer Taschenlampe bewaffnet aufmacht, den dunklen Keller zu erkunden und dort die Kiste mit Papas Zeug finden wird, das von Mama aus den bewohnbaren Räumen verbannt wurde, inklusive Rockstar-Poster. Das gemalte Bild lässt jedenfalls schon mal viel Spielraum zur Interpretation zu, zusammen mit den Texten hat man während der zahlreichen Hörrunden sicher noch reichlich Gelegenheit, darüber nachzudenken. Ein Textblatt liegt bei, diesmal wurden auch brav alle Texte abgedruckt. Auf der Rückseite des Textblatts sieht man noch ein paar Wimmelbilder der Band, schade dass hier die Bilder ein wenig verpixelt/verschwommen sind. Dafür kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus, sobald man das in meinem Fall bierfarbene Vinyl aus der Hülle fischt. Da bekommt man doch sofort Durst auf ein hopfiges Getränk! Vor allem, wenn man dazu noch den melodischen Punkrock im Gehör hat, der nach einem kurzen Spoken Word-Intro trabend aus den Lautsprechern ertönt. Irgendwie erscheint es mir bereits beim ersten Song, dass die Band ihren Sound im Vergleich zum Debut weiter verfeinert hat. Die Songstrukturen sind schön abwechslungsreich gestaltet, Gitarre und Bass scheinen gegeneinander anzutreten, während alles zusammen verdammt catchy um die Ecke kommt. Hierfür sind natürlich die ins Ohr gehende Singalongs und die stets vorhandene Melancholie in den heulenden Gitarren und im wehmütigen Gesang tragende Eckpfeiler. Wie man ja bereits auf den Bildern im Textblatt und dem Video zu 9000 Miles sehen kann, touren die Jungs für ihr Leben gern und mit Leib und Seele, was natürlich auch erklärt, warum der Sound des Quartetts so aufeinander eingespielt wirkt. Wenn ich Songs wie eben 9000 Miles oder den meiner Meinung nach alles übertreffenden Song Icarus höre, dann wünsche ich mich direkt in einen kleinen Punkrock-Moshpit, um mit einem Bier bewaffnet und erhobener Faust die Refrains mitzugröhlen. Falls ihr in den Nullern so ziemlich alles aus Gainesville abgefeiert habt und auch Bands wie Pennywise, The Wonder Years, Hell & Back oder Resolutions mögt, dann wären auch Tides! eine gute Wahl für euch!

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Bandsalat: Caleya, Crumb, Dispassionate, Floating Woods, Flexing, Lagwagon, Mr. Linus, Norse, R.Josef

Caleya – „Lethe“ (Black Omega Recordings) [Stream]
Die Hamburger Post-Hardcore-Band Caleya hat jetzt auch schon wieder zehn Jahre auf dem Buckel. In dieser Zeit wurden natürlich zahlreiche Konzerte runtergezockt, auf einen schönen Backkatalog lässt sich mit einer Split-Veröffentlichung und drei Alben auch zurückblicken. Sechs Jahre sind seit dem letzten Album vergangen, so dass es endlich Zeit für Album Nummer vier wird. Lethe heißt das gute Stück, in Anlehnung an einen der angestaubten Flüsse aus der Unterwelt der griechischen Mythologie. Im alten Griechenland glaubte man, wer vom abgestandenen Wasser der Lethe trinken würde, würde seine kompletten Erinnerungen verlieren. Nun gut, was ihr auf Lethe zu hören bekommt, wird euch freudig jauchzen lassen, falls ihr auf gut durchdachten Post-Hardcore mit ausgeklügelten Songarrangements steht. Knapp 25 Minuten dauert die Reise durch die krassen Soundlandschaften der Hamburger. Fette Gitarrenwände türmen sich auf zu einer walzenden Planierraupe, leidendes Geschrei mit jeder Menge Herzblut lässt den ein oder anderen Schauer über’n Rücken jagen, es ist eine wahre Freude. Und dann schleichen sich immer wieder diese ruhigen, fast melancholischen Momente in den brachialen Sound ein und sorgen damit für Spannungsaufbau, so dass das nachfolgende Gewitter noch heftiger erscheint. Wehmütige Spoken Words, bei denen man erstmals merkt, dass überhaupt in deutscher Sprache gesungen wird, wechseln sich mit leidendem Schreigesang ab. Wenn man sich dazu die klischeefreien deutschen Lyrics mit Köpfchen und Poesie zu Gemüte führt, hat man obendrein noch was zum Sinnieren. Sehr geiles Album! Wenn ihr Zeugs wie frühe Envy, New Day Rising, We Never Learned To Live oder Oathbreaker mögt, dann seid ihr hier genau richtig! Schade, warum gibt’s das nicht auf Vinyl?


Crumb – „Jinx“ (DIY) [Stream]
Auf die New Yorker Band Crumb wurde ich in einer der anschauenswerten Umbaupausen der Band Leoniden aufmerksam. Die Leoniden haben immer so geile Umbaupausenmusik am Start, das muss aber auch mal gesagt werden! Dank einer Audioerkennungssoftware auf dem Smartphone meiner Liebsten kam ich also über den Song Vinta auf Crumb und dann über Bandcamp an die beiden EP’s der Band ran. Gleich voll hängen geblieben! Kann ich mal wirklich nur dick empfehlen! Und jetzt endlich der erste Longplayer! Crumb schlängeln sich wie auch schon auf den EP’s soundtechnisch durch chillige Beats und shoegazige Traumlandschaften, dennoch gibt es immer wieder diese fast noisigen Ausbrüche und diese mit reichlich Symbolik versehenen Lyrics. Nicht von dieser Welt, oder? Hört euch das mal an, zehn Songs voller Schönheit!


Dispassionate & Floating Woods – „Split“ (DIY) [Name Your Price Download]
Zwei junge Screamo-Bands teilen sich hier ein digitales Release, das später wohl auch noch als Tape erscheinen soll und man sich bis dahin zum Name Your Price-Download schon mal auf die Festplatte zippen kann. Nun, Dispassionate kommen aus Trier und machen schön nach vorne gehenden Screamo mit hektischem Getrommel und geilen schrammeligen Gitarren. Da passt natürlich heiseres und leidendes Geschrei wie die Faust auf’s Auge. Zwischendrin wird es immer wieder mal unterschwellig melodisch, so dass es schön abwechslungsreich bleibt. Zwei englischsprachige und ein Song mit deutschen Lyrics gibt’s von den vier Jungs auf die Ohren. Fetzt ganz ordentlich, gerade auch wegen der scheppernden und rauen Produktion. Das Screamo-Duo Floating Woods kommt aus Münster und wenn man sich den zerfahrenen Sound der beiden so anhört, denkt man, man hätte eine dieser zahlreichen neuen Bands auf Zegema Beach Records auf den Ohren. Und plötzlich merkt man, dass bei zwei der drei Songs in deutscher Sprache gekeift wird. Also, zippt euch das Ding schnell mal, wenn ihr auf chaotischen Screamo abfahrt, hier habt ihr zwei neue Bands, die den Ami-Skramz-Kollegen in nichts nachstehen!


Flexing – „Modern Discipline“ (Secret Pennies / Phat ’n‘ Phunky) [Stream]
Neulich beim Bandcampsurfen entdeckt und sofort hängen geblieben, gerade auch wegen dem tollen und ansprechenden Artwork: Flexing ist eine neue Band aus Corvallis, Oregon, die musikalisch im Hardcore/Punk zuhause ist, Einflüsse von Oldschool-Emo und Post-Punk sind ebenfalls vorhanden. Was ganz erfreulich ist, sind die Texte, die sich hauptsächlich mit politischen Themen beschäftigen, so wie sich das für HC/Punk eigentlich ja auch gehört. Faszinierend ist der rohe und knarzige Sound und das wütende Geschrei der Sängerin. Irgendwie hat das was von dem Zeug früher Dischord-Veröffentlichungen. Knarzender Bass, disharmonisches Gitarrengeschrammel, treibende Drums und vertrackte Passagen machen die neun Songs zu einem abwechslungsreichen Hörerlebnis. Checkt das mal an! Anspieltipp: A Display Of Force.


Lagwagon – „Railer“ (Fat Wreck Chords) [Stream]
Irgendwie hat es den Anschein, dass zur Zeit alle erfolgreichen Bands des 90er-Melodycore-Skatepunk-Booms daran arbeiten, eine Art Skatepunk-Revival auf die Beine zu stellen. Neben Good Riddance, Satanic Surfers, Pennywise und Konsorten haben nun auch Lagwagon ihre Instrumente abgestaubt, um das neunte Studioalbum aufzunehmen. Okay, ich muss zugeben, dass mir Lagwagon in den Neunzigern nie so richtig was bedeuteten, aber es gibt einige Leute im Freundeskreis, die die Kalifornier fast schon vergötterten und sich für neue Songs ’ne Hand abgehackt hätten. Und gerade die werden sich jetzt die Finger lecken, denn Railer hat alles, was das treudoofe Lagwagon-Herz begehrt. Das fängt eigentlich schon beim witzigen Cover und Backcover an, geht mit den zynisch-sarkastischen Texten weiter, dazu legen Lagwagon bis zum letzten der zwölf Songs eine Energie an den Tag, wie sie man sich für manch aufstrebende junge Band nur wünschen könnte. Die Gitarren zwirbeln Melodien am laufenden Band, dazu kommt dieser schön gegenknödelnde Bass, treibende Drums und natürlich Joey Capes unverwechselbarer Gesang. Die Band hat es jedenfalls nicht versäumt, Songs zu schreiben, die sofort im Ohr kleben bleiben und dazu noch eine melancholische Note besitzen. Hört z.B. mal The Suffering an, da wird das mehr als deutlich. Wenn ihr euch also das Album schön auf Tape überspielt habt und das Ding in euren alten Walkman klatscht, dann gebt fein acht, dass ihr euch im Skatepark nicht überschätzt und eure alten Knochen brecht. Ihr seid nicht mehr so jung, wie sich das anfühlen mag!


Mr. Linus – „Revue“ (DIY) [Stream]
Die zwei Damen der Band Mr. Linus kommen aus der Schweiz und irgendwie ärgere ich mich gerade, dass ich neulich nicht den Weg nach Ulm ins Hemperium geschafft hab. Verdammt! Also erstmal nur auf digitaler Konserve, hoffentlich auch bald auf Vinyl in irgendeiner Distrokiste. Denn die zwei Mädels haben’s richtig geil drauf und machen so ’ne Art neunzigerlastigen Emo-Math-Core mit wunderbar melancholischen Gitarren, gegenspielendem und eigenwilligem Bass und gnadenlos übersteuerten Drums. Dazu kommen tiefgehende deutsche Texte. Boah, das berührt mich so sehr, ich kann’s gar nicht in Worte fassen. Stellt euch vor, Monochrome und Dawnbreed würden mit Blue Water Boy und Karate Karussell fahren! Anspieltipps: lasst einfach die ganze EP mit ihren vier Songs durchlaufen! Ich brauche mehr davon!


Norse – „Selftitled“ (DIY) [Name Your Price Download]
Dieses relativ neue Trio aus dem Piemont macht auf seinen Debutaufnahmen eine ziemlich düstere und sphärische Mischung aus Screamo, Post-Hardcore und Post-Rock mit Einflüssen aus Noise und Punk. Norse stammen genauer gesagt aus Biella, einem malerischen Städtchen im Piemont am Fuß der Alpen. Mich wundert es ja immer wieder, wie man in einer so schönen Urlaubsregion so ultramies draufkommen kann. Die italienischen Lyrics stehen nämlich dem düsteren Sound des Trios in nichts nach, dementsprechend verbittert klingen die verzweifelten Todes-Schreie des Sängers. Dank einer Internetübersetzung würde ich mal sagen, dass die Texte obendrein reichlich Poesie mit im Gepäck haben. Erfreut euch an fünf dichten Stücken, die euch mit ihrem wuchtigen Sound und dem knarzenden Bass mit ins unendliche Verderben reißen. Die Stücke haben mit ihren über vierminütigen Spielzeiten aber auch reichlich Zeit, sich zum Monster zu entfalten. Als Einstieg in die düstere Welt Norses empfehle ich mal das vielschichtige Baratto, danach zippt ihr euch das Ding sowieso gleich auf die Festplatte!


R.Josef – „Panoptic“ (Bharal Tapes) [Stream]
Aus der Asche der Leipziger Band Oaken Heart ist die neue Formation R.Josef (Ranz Josef, wie geil!) entstanden. Mit Panoptic schleudern die Jungs ihre erste EP raus, und die kann sich absolut hören lassen. Die vier Songs sind schlicht mit römischen Zahlen betitelt, diese Kargheit ist im Sound der Band jedoch nicht zu finden. Denn in den nächsten 23 Minuten passiert so manches, das einen mit offen stehendem Mund dastehen lässt. Nach einem schönen Rückkopplungs-Intro mit darauffolgendem groovigen Übergang scheppert es treibend voran und man hat kaum eine Vorahnung, was in diesen ersten sieben Minuten noch alles passieren wird. Plötzlich wird es melodisch, dann wachsen meterhohe Soundwände mit dichter Atmosphäre, zudem schleichen sich Blackmetal-mäßige Parts mit ein! Was für eine Macht! Und es geht so weiter! Im achtminütigen Song Nr. II wird es noch düsterer und doomiger, auch die nachfolgenden zwei fast schon kurzen Songs bauen sich Schicht für Schicht auf, schleppen sich voran, bis alles wieder richtig geil zerbröselt. Hammermäßiges Debut, das unwahrscheinlich viel Appetit auf mehr macht! Für Fans von ISIS, AmenRa oder Hope Drone ein wahres Fest!


 

Bandsalat: Eamon McGrath, Kora Winter, Lueam, Miss June, Mobina Galore, Nervus, Rauchen, Slutavverkning

Eamon McGrath – „Guts“ (Uncle M) [Stream]
Bin mir nicht sicher, aber beim Druck des Digipacks ist sicher ein Fehler unterlaufen, denn die Infos auf der Innenseite sind alle spiegelverkehrt abgedruckt. Naja, egal! Hab keine Ahnung, ob der Kanadier Eamon McGrath früher mal in einer Punkband gespielt hat und jetzt halt einfach mal sein Solo-Ding im Singer-Songwriter-Stil durchzieht, aber wenn Guts bereits das siebte Studioalbum ist, dann täusche ich mich in dieser Vermutung wahrscheinlich gewaltig. Musikalisch gesehen sind die acht Songs jedenfalls perfekt und leidenschaftlich umgesetzt. Nicht, dass die Songs komplett ruhig gehalten wären, es gibt durchaus auch Stücke, die aus sich raus gehen, hier wäre z.B. der Song City Of Glass zu nennen. Aber wenn ihr mal ein Album für etwas ruhigere Stunden sucht und Zeugs wie Frank Turner, Calexico oder Ben Kweller mögt, dann könnte das hier was für euch sein.


Kora Winter – „Bitter“ (DIY) [Stream]
Nach zwei EP’s hat die Berliner Band Kora Winter ihr erstes Album am Start. Wie auch schon bei den EP’s haben die Jungs die Sache selbst in die Hand genommen und das Ding einfach selbst releast. Herausgekommen ist ein schön dicker Digipack mit einem etwas kargen Albumcover. Auch wenn ich es sehr zu schätzen weiß, dass im Inneren alle Texte abgedruckt sind, muss ich doch anmerken, dass man von dieser kursiven Schriftart beim Lesen echt mal Augenprobleme (Schwindelanfälle u.ä.) bekommt. Das liegt v.a. auch daran, dass Kora Winters Texte inhaltlich sehr umfangreich sind und dadurch die Schriftgröße aufgrund Platzmangels verkleinert wurde. Andererseits versteht man die deutschen Texte sehr gut, obwohl größtenteils derbe geschrien wird. Kora Winter machen nämlich so ’ne Mischung aus Post-Metal, Metalcore, Mathcore, Sludge, Doom, Screamo und vielleicht sogar etwas Pop und Hip Hop, alles sehr progressiv umgesetzt. Die Texte zeichnen ein düsteres Bild unserer Gesellschaft, in der es immer schwieriger wird, sich selbst zu finden. Das menschliche Individuum gerät durch permanenten Leistungsdruck in Angstzustände, der Nährboden für Depressionen, Neid und teuflischen Gedankenkarussellen ist geschaffen. Dementsprechend wütend und frustriert wird gekeift, glücklicherweise ohne Phrasendreschereien. Musikalisch wird das Ganze mit dicken Gitarrenwänden, Double-Bass-Attacken und verrücktem Gitarrengeschwurbel präsentiert. Es ist aber zwischendurch immer mal wieder Zeit für einen schönen Chorus, so dass das Ganze sehr detailreich wirkt. Bei all der technischen Perfektion bleibt aber trotzdem noch viel Zeit für die nötige Portion Gefühl und Leidenschaft. Wenn ihr auf Bands wie The Dillinger Escape Plan, The Hirsch Effekt oder Der Weg einer Freiheit (deren Sänger war am Mastering beteiligt) könnt, dann dürftet ihr auch am Sound Kora Winters eure Freude haben.


Lueam – „Nummern“ (Bloodstream) [Video]
Aha, der nächste Sänger einer ehemaligen Punkband mit einem Soloprojekt, diesmal ist es Lueam (Ex-Findus). Wenn ihr jetzt Lagerfeuermusik erwartet, dann könnt ihr aufatmen. Lediglich Song 012 Friends kommt mit Gesang und Gitarre daher. Ansonsten gibt sich Lueam eher der Elektronik hin, seine Debut-EP besteht aus Beats, elektronischen Klangspielereien und Keyboard-Soundshapes, dazu gesellen sich nachdenkliche und gesellschaftskritische Texte mit persönlicher Note in deutscher Sprache. Den Songtiteln wurde übrigens passend zum EP-Titel die Entstehungsnummer beigegeben, so dass man sich dann doch irgendwann mal wundert, was aus den restlichen Songs geworden ist, da fehlen ja schon einige Nummern. Als Anspieltipp eignet sich am Besten 011 Mehr als Europa, das mit einem aussagekräftigen Zitat beginnt. Wenn ich was zu melden hätte, hätte ich ja Autotune schon längst gesetzlich verbieten lassen, aber auf dieser EP ist es gerade noch zu ertragen. Bin mal gespannt, was man von Lueam in der nächsten Zeit noch so zu hören bekommt.


Miss June – „Bad Luck Party“ (Frenchkiss Records) [Video]
Die Band aus der DIY-Szene in Auckland/Neuseeland war mir bisher gänzlich unbekannt, was sich mit dem Debutalbum des Quartetts um Frontfrau Annabel Liddell schleunigst geändert hat. Denn mit Bad Luck Party bin ich direkt warm geworden. Der sehr eigenständige Sound der Band ist irgendwo zwischen Grunge, Indie-Rock, Post-Punk und No Wave angelegt. Neben der melodischen Kante hat der Sound immer ordentlich Energie im Gepäck. Treibende Drums, wahnsinnig geiler Bass, rotierende, fuzzige Gitarren und der unberechenbare Gesang von Gitarristin und Sängerin Annabel Liddell machen das Album so großartig. Und immer wieder kommen diese wahnsinnig eingängigen Hooklines zum Einsatz! Insgesamt bekommt ihr in etwas knapp über 30 Minuten elf Songs auf die Ohren, eine Wucht von Album! Wenn ihr euch eine angeschrägte Mischung aus Nirvana, Sonic Youth, Lush, Q And Not U, Le Tigre, Pretty Girls Make Graves, Milk Teeth und Hole vorstellen könnt, dann solltet ihr Miss June eure volle Aufmerksamkeit schenken. Und die verfügbaren Live-Videos auf Youtube zeigen, dass die Band ganz schön viel Pfeffer im Arsch hat. Checkt das unbedingt an!


Mobina Galore – „Don’t Worry“ (Gunner Records) [Stream]
Das Punk-Duo aus Winnipeg, Kanada zieht nun auch schon seit ein paar Jährchen konsequent sein Ding durch, nun steht mit Don’t Worry das dritte Album in den Startlöchern. Und wie gewohnt, zaubern die beiden Damen melodischen Punkrock auf’s Parkett. Nur mit Gitarre, Drums und wechselseitigem Gesang könnte man annehmen, dass der Sound etwas dünner ausfallen könnte, aber weit gefehlt. Der Sound klingt schön satt und energiegeladen, eine Hookline jagt die nächste, so dass man in 35 Minuten insgesamt zwölf Ohrwürmer geboten bekommt. Beschäftigte sich die Band auf dem Vorgängeralbum Feeling Disconnected mit dem Thema Trennung, wird es auch auf Don’t Worry wieder extrem persönlich, das zentrale Thema ist Herzschmerz, der ja vorwiegend durch Trennung und unerfüllte Liebe entsteht. Musikalisch wird das ganze Seelenleid dann mit melancholischem Punkrock aufgearbeitet, dabei gibt es auch etliche wütende Passagen. Jedenfalls nehmen euch die Mädels auf eine intensive Reise in ihre innerste Gefühlswelt mit und bleiben bei all dem Gefühlschaos zuversichtlich. Was es mit dem Albumcover des Digipacks auf sich hat, dahinter bin ich leider nicht gekommen. Wer gern melodischen Punkrock á la Bambix oder Against Me mag, der dürfte am neuen Mobina Galore-Album ebenfalls Gefallen finden.


Nervus – „Tough Crowd“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Keine Ahnung, ob Lucinda Livingstone von der Band Cultdreams (ex-Kamikaze Girls) bereits bei den Aufnahmen zum mittlerweile dritten Album mitwirkte, denn seit ein paar Monaten gehört sie zum Lineup und bedient dort die Gitarre. Ist ja eigentlich auch egal. Am Sound der britischen Band hat sich jetzt keine gravierende Änderung ergeben. Geboten wird immer noch eingängiger und melodischer Indie-Punk mit teils geschrammelten Gitarren, zwischendurch wird aber auch mal das Tempo etwas runtergeschraubt, hier sticht z.B. das sagenhafte Engulf You besonders hervor. Neben den üblichen Instrumenten wie Gitarre, Bass und Schlagzeug kommen auch wieder desöfteren Keyboards zum Einsatz. Insgesamt gibt es zehn Songs in 35 Minuten zu hören, allesamt mit teils hymnischen Refrains, die sofort in Fleisch und Blut gehen. Auch inhaltlich hat die Band wieder etwas zu sagen. Ging es auf dem Vorgänger Everything Dies um die negativen Auswirkungen der Zivilisation auf die Umwelt, beschäftigt sich die Band diesmal mit der Zerstörung selbst, Politik und Zivilisationskrankheiten wie Depression und Desillusionierung sind zentrales Thema, dabei bleiben die Texte optimistisch. Als Anspieltipps eignen sich das fuzzige und catchy They Don’t und das bereits erwähnte Engulf You.


Rauchen – „Gartenzwerge unter die Erde“ (Zeitstrafe) [Stream]
Nach der genialen Tabakbörse-Debüt-EP füllt die Band aus Hamburg nun mit zehn Songs einen ganzen ersten Longplayer. Und der dauert gerade mal etwas knapp unter dreizehn Minuten. Um die durchschnittliche Songlänge auszurechnen, fehlen mir gerade etwas die Nerven. Denn Rauchen machen den von der Band gewohnten derben Krach, bei dem man sich eigentlich gar nicht richtig konzentrieren kann. Zudem muss man ohne Textblatt in den Pfoten echt mal aufpassen, dass man die in deutscher Sprache gekeiften Texte der Sängerin erfasst. Songtitel wie Gartenzwerge unter die Erde, Schwengelstrand Nordostdeutschland, Kartoffelstampf á la Mäusle und Bier ist okay, aber nicht im Bierzelt sprechen zwar schon eine deutliche Sprache und wie man hört, wird auch nicht lang gefackelt und gegen Spießertum, Mackertum und Staatsschutz gewettert. Dabei fuzzen die Gitarren schön retro-oldschool-hardcoremäßig, der Bass knödelt verzerrte Riffs, Rückkopplungen dürfen genau wie ein stumpf knüppelndes Schlagzeug auch nicht fehlen. Kurze Zusammenfassung für Leute, die keine Referenzbands brauchen: Yeah, Krach! Für die anderen: Punch treffen sich mit Hammerhead und schmeißen zusammen mit Mülltonnen.


Slutavverkning – „Arbetets Sorgemusik – Del II“ (Suicide Records) [Stream]
Das hier tritt gewaltig Arsch! Die vier Mitglieder der schwedischen Band Slutavverkning bretzeln euch hier einen deftigen Mischmasch aus Punk, Hardcore, Noise-Rock und Free-Jazz um die Ohren. Das hier ist bereits ihre zweite EP, die Debut-EP solltet ihr euch auch gleich mit anhören, die hat ebenso Pfeffer im Hintern. Die Jungs haben ihre musikalische Ausbildung bereits in Bands wie Dödsvarg, JH3 und Fire! Orchestra absolviert. Und das kann man deutlich hören! Geschrien wird übrigens in schwedischer Sprache, was dem Ganzen noch einen Exotenbonus gibt. Dürfte allen Fans von Bands wie Nomeansno, Refused oder Pissed Jeans ein Glitzern in die Augen zaubern!


 

Bandsalat: Belitzki., Cape Light, Cultdreams, Gender Roles, Keele, Montreal, Slaughter Beach Dog, Yarostan

belitzki. – „Jetzt“ (DIY) [Name Your Price Download]
Dass die Kölner Band belitzki. sehr im DIY verankert ist, zeigt schon das lustige Foto im Innenteil des schön gestalteten und selbst releasten Digipacks: hier sind nämlich die zwei Damen und die beiden Herren der im Jahr 2017 gegründeten Band zu sehen, wie sie mit Farbklecksen übersät wahrscheinlich kurz zuvor das Albumcover gemalt und mit Wasserfarbenpfützen verziert haben. Scheint Spaß gemacht zu haben. Auf ihren Debutaufnahmen kann man diesen grundsätzlichen Spaß dann auch auditiv wahrnehmen. belitzki. machen grob gesagt deutschsprachigen Indie-Punk oder auch Indie-Rock, in den Texten zeigt sich das Quartett kämpferisch, politisch und kritisch, hier ist die Nähe zur linksalternativen DIY-Szene erkennbar. Wenn ihr jetzt stumpfe Parolen erwartet, dann muss ich euch enttäuschen, denn belitzki. gehen textlich poetisch und mit Köpfchen zur Sache. Der Gesang bewegt sich zwischen gesprochenen Passagen, gesungenen Teilen und herausgeschrienen Ausbrüchen, was das Ganze ziemlich unvorhersehbar macht. Die Gitarren sind schön verspielt, kommen mal clean mal deftig verzerrt um die Ecke, dazu bauen die Drums und der polternde Bass ein solides und rockiges Grundgerüst. Die Schreistimme und auch manch musikalische Begleitung klingt dann teilweise ein bisschen wie die Beatsteaks, andere Einflüsse dürften sicherlich Bands wie Ton Steine Scherben, Mando Diao, Von Wegen Lisbeth oder Gisbert zu Knyphausen sein. Zwischendurch gibt es aber auch mal völlig reduzierte Sounds wie z.B. bei Dienstag morgens auf dem Amt oder Fredas Song (Selbstgespräch), bei dem passenderweise dann auch Freda den Gesang übernimmt. Klingt etwas nach Judith Holofernes von Wir sind Helden. Ihr seht schon, das alles sorgt für die nötige Abwechslung. Spannungsaufbau mit Post-Rock-Referenzen gibt es z.B. beim sich hochsteigernden Song Brenn zu bewundern, zudem ist der Refrain schön hymnisch angelegt. Alles in allem bekommt ihr von einer sympathischen Band mit Leidenschaft und Herzblut neun Songs in etwas knapp über einer halben Stunde Spielzeit zu hören. Checkt das mal zum Spendenpreis an, ihr Indie-Rocker!


Cape Light – „A Discography“ (Zegema Beach Records) [Name Your Price Download]
Keine Ahnung, ob Cape Light aus Tokio/Japan noch aktiv sind, hier sind jedenfalls mal alle bisher aufgenommenen Songs der Band zu hören. Dabei handelt es sich um drei Songs der Debut-EP, drei Songs der Split-EP mit der Band 5000 und vier bisher unveröffentlichte Songs aus dem Jahr 2018. Cape Light machen ziemlich abgefahrenen zappelig-chaotischen Screamo mit unglaublich weirden Gitarrenläufen und hektischem, arhythmischen Getrommel. Obwohl es manchmal ziemlich zur Sache geht und sich der Sänger die Emotionen aus dem Leib kreischt, schleichen sich immer wieder unterschwellige Melodien ins Chaos mit ein. Für Fans von Bands wie Loma Prieta, Raein, La Quiete oder auch Beau Navire dürfte das hier sicher ein Festmahl darstellen!


Cultdreams – „Things That Hurt“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Viele von euch werden es wahrscheinlich sowieso wissen, aber ich trete das jetzt einfach trotzdem mal breit: Die Band Cultdreams startete im Jahr 2014 unter dem Namen Kamikaze Girls. Unter diesem Namen erschien eine EP (Sad) und ein Album (Seafoam), beide Releases wurden nicht nur in der britischen Heimat abgefeiert, das Duo wurde auch international wahrgenommen. Lange vor der MeToo-Kampagne machte Sängerin Lucinda Livingstone sexuelle Belästigung und alltägliche Frauenfeindlichkeit zum Thema, zudem konnten sich viele Menschen mit den aufwühlenden Lyrics über Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen identifizieren. Anfang 2019 entschloss sich die Band im Rahmen der Ankündigung zu Studioarbeiten eines zweiten Albums zur Umbenennung. Musikalisch ist jedoch alles beim alten geblieben: Auch auf Things That Hurt lässt die stimmige Mischung aus Post-Hardcore, Shoegaze, Post-Rock, Punk, Grunge und Indie-Rock aufhorchen! Die Songs wabern bewusst roh und kantig aus den Lautsprechern, dabei drängeln sich immer wieder eingängige Refrains und melancholische Momente in den Vordergrund, so dass man bereits bei der ersten Hörrunde meint, den Song aus einem früheren Leben zu kennen, z.B. gleich beim Opener Born An Underdog. Und auch textlich wird kein Blatt vor den Mund genommen. Die politische Entwicklung in Großbritannien und dem Rest der Welt versetzt Land und Leute in Aufruhr. Und nagt gewaltig am Nervenkostüm, was man den wiederum treffend formulierten Textpassagen anmerkt. Die Giftwolke (?) vom Albumcover steht vermutlich symbolisch für das vergiftete politische und gesellschaftliche Klima in diesen Zeiten. Dass diesmal auch wieder feministische Inhalte angesprochen werden, versteht sich bei einer Band wie Cultdreams von selbst! Musikalisch geht es mal ruhiger zu (Brain Daze, Don’t Let Them Tell You Otherwise, Statement), dann gibt es aber auch genügend wütende Passagen (Not My Generation, Rest/Reflection, Repent, Regress) bevor mit dem Schlusstitel Toxins gespenstisch wirkende Gitarren das tosende Finale einleiten und der Gesang sich schön ins Ohr einbettet. Geiles zweites Album!


Gender Roles – „Prang“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Auf die Band Gender Roles stieß ich letztes Jahr eher zufällig beim Bandcamp-Surfen. Der Song Plastic von der Debut-EP Lazer Rush blieb sofort im Ohr kleben und wanderte schnurstracks auf eine selbstgebastelte Compilation. Nun flattert hier also das Debutalbum der Briten in Form einer Promo-CD rein. Und bereits beim ersten Song bleibt einem die Spucke weg! Gender Roles klingen so frisch und unverbraucht, dazu schütteln sie Ohrwürmer am laufenden Band aus den Ärmeln! Die Produktion ist fett und glasklar, die Gitarren fuzzen unwahrscheinlich locker daher, man wünscht sich von der ersten Sekunde an direkt in einen Punkrock-Pogomob im bunten Bällebad! Man hört dem Sound des Trios den Spaß und die Spielfreude an, da wird Punkrock mit Indie, Grunge und Post-Punk gemischt und in eine hibbelige und energiegeladene Form gebracht, die dazu noch äußerst tanzbar und catchy ist. Wer von den neuen Foo Fighters-Sachen gelangweilt ist, frühen Blur hinterhertrauert und ab und an Bands wie Audio Karate sein Gehör schenkt, wird vom spannungsgeladenen Sound der Gender Roles begeistert sein! Ich feier die zehn Songs jedenfalls übelst ab!


Keele – „Kalte Wände“ (Rookie Records) [Stream]
Das Debutalbum der Band aus Hamburg hat jetzt auch schon wieder zwei Jährchen auf dem Buckel und schon jagen die Jungs ihr zweites Album hinterher. War das Debut schon schön glatt produziert, klingt der Nachfolger noch mal ’nen Zacken wuchtiger und flächiger. Auch vom Soundschema her gibt es ein paar neue Entwicklungen zu entdecken. Zum deutschsprachigen Punk der Marke Captain Planet, Turbostaat, Willy Fog und Muff Potter gesellen sich fast Post-Hardcore/Post-Rock-mäßige Passagen, was das Ganze schön abwechslungsreich macht. Gefällt mir persönlich sehr gut, dazu gehen alle Songs ziemlich gut ins Ohr und die Songarrangements sind auch stimmig. Die Texte sind völlig klischeefrei und spiegeln persönliche Geschichten aus dem Umfeld der Band wider. Musik war schon immer die beste Therapie, um ungewöhnliche und frustrierende Geschehnisse zu verarbeiten. So hat man mit Verlustängsten zu kämpfen, steckt in berufsbedingten Identitätskrisen und befindet sich dadurch ständig am Rande einer Depression. So hat die Band jedenfalls genügend inhaltlichen Stoff zusammengetragen, der für insgesamt elf Songs in einer Spielzeit von 35 Minuten reicht. Das Albumcover verstehe ich persönlich nicht so ganz, meiner Meinung nach ist dort eine halbe Hand zu sehen, die in einen Eimer mit schwarzer Farbe eingetaucht wurde, da wäre der Albumtitel Kalte Hände angebrachter gewesen, aber vielleicht ist dieses Wortspiel ja gerade gewollt. So verdrehte Wortspiele scheinen ein Steckenpferd der Jungs zu sein. Anspieltipps: das vielseitige Kalte Wände knallt ganz gut, wenn ihr es dissonanter liebt, dann wäre Einer von den Großen zu empfehlen. Sucht ihr ein emotionales Gitarrenriff mit schön gegenspielendem Bass, dann müsst ihr unbedingt Schwarze Decken anchecken. Fazit: dieses Album toppt das Debut um Längen!


Montreal – „Hier und heute nicht“ (Amigo Records) [Youtube]
Ha, witzig, das hatte ich schon lange nicht mehr! Mein mp3-Rip-Programm (Audiograbber) meint doch tatsächlich bei Einlage der Montreal-CD, dass es sich um das Album Friends, Lies and the End of the World von der Band Reach The Sky handelt. Online in der freeDB wird das Album von Montreal zum Zeitpunkt des Verfassen dieses Textes auch noch nicht gefunden, also muss irgendwas bei der CD-Pressung falsch gelaufen sein. Und witzigerweise liebe ich das Reach The Sky-Album ja noch immer! Montreal haben musikalisch nicht mal ansatzweise was mit Reach The Sky zu tun. Bisher hab ich mich mit der Band in den 15 Jahren ihres Bestehens auch gar nicht wirklich befasst, ich kann mich nur noch an einen ganz okayen Auftritt im Vorprogramm der 2007er Tour von Samiam erinnern, der mich aber nicht wirklich von den Socken gehauen hat. Bei Hier und heute nicht handelt es sich um das siebte Album und man muss sagen, der Sound klingt verdammt frisch. Dem deutschsprachigen Pop-Punkrock scheint vom ersten Ton die Sonne aus dem Arsch, eine Hookline jagt die nächste, hymnische Mitsingrefrains gehören wohl zur Grundausstattung des Trios, hierbei gefällt besonders der an vielen Stellen auftauchende Doppelgesang und die melodischen Gitarren. Die Band fackelt aber auch gar nicht lange und kommt direkt zur Sache, musikalisch wie auch textlich. Die Formel lautet: es sind knapp drei Minuten Zeit, die muss man voll und ganz ausnützen! Hinter dem Albumcover mit dem Blumenkübel und dem Albumtitel steckt übrigens ein Schlüsselerlebnis der Band, wie man im Text zum gleichnamigen Song erfährt. Vorsicht, kleiner Spoiler: alles nochmals gut ausgegangen! Die zwöf Songs gehen jedenfalls allesamt sofort ins Ohr, wer Bands wie die Ärzte, Adam Angst, Donots oder auch englischsprachigen Punkrock wie die Bouncing Souls oder Millencollin mag, sollte hier mal reinhören.


Slaughter Beach, Dog – „Safe And Also No Fear“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Hinter Slaughter Beach, Dog steckt Jake Ewald von Modern Baseball, was mir bis zum Erhalt eines Besprechungsexemplars des mittlerweile dritten Albums Safe And Also No Fear noch nicht bewusst war, ich wusste nicht mal von der Existenz der Band. Da mir die bisherigen Veröffentlichungen also gänzlich unbekannt sind und diese laut Presseinfo zugänglicher sein sollen, stört mich das daher nicht die Bohne. Denn die zehn Songs des aktuellen Albums nehmen mich ab dem ersten Ton gefangen und ich weiß bereits bei den ersten paar Durchläufen, dass das Ding während des Herbstes noch öfter laufen wird. Der Sound mag auf den ersten Blick etwas sperrig wirken, dennoch arbeiten sich immer wieder eingängige Hooklines heraus, begleitet von der warmen Stimme Jake Ewalds. Versucht man, diese Musik in Sparten einzuordnen, dann passt wahrscheinlich gitarrenorientierter Indie-Rock noch am ehesten, Ausflüge in Emo, Folk und Punk sind ab und an auch vorhanden. Von der Grundstimmung dominiert die Melancholie, diese wird zusätzlich durch die persönlichen Texte unterstrichen. Textlich geht es ziemlich düster und depressiv zur Sache. Mentale Zustände werden hinterfragt, es geht um Zerbrechlichkeit, Unsicherheit, Furcht und um die Flucht vor unangenehmen Gedanken. Am Besten hört man  das Album also in einer ruhigen Minute am Stück an und erfreut sich dabei an Highlights wie z.B. dem fast siebenminütigen Black Oak, der Gitarren-Hookline bei Tangerine oder dem schleichenden Map Of The Stars. Und entdeckt bei jedem weiteren Durchlauf, was für ein Grower dieses Album doch ist!


Yarostan – „Selftitled“ (Crapoulet Records u.a.) [Stream]
Auf die Band Yarostan bin ich eigentlich schon vor einiger Zeit über Bandcamp gestoßen. Jetzt hat Dave von Zegema Beach Records die Songs des selbstbetitelten Debuts zusammen mit dem neulich besprochenen Aleska-Album auf ein Split-Tape gepackt, weshalb mir die Band nun erneut ins Visier geriet. Yarostan kommen aus Marseille, haben sich nach einer Person aus dem 1976 erschienenen Buch Letters Of Insurgents von Fredy Perlman benannt und spielen diese typische Art französischen Screamo, den wir von Bands wie Daïtro oder Amanda Woodward so zu schätzen gelernt haben. Zwischen den emotionsgeladenen Screamo-Ausbrüchen bleibt aber auch immer wieder mal Zeit für bedächtige, ruhigere Momente, die auch schon mal in die Post-Rock-Ecke schielen, was dann im Finale beim Song Commencement in einer zwölfminütigen Session intensiviert wird. Yarostan solltet ihr unbedingt mal anchecken und anschließend im Auge behalten!


 

Bandsalat: Aesthetics Across The Color Line, Trafaret, An Horse, Brausepöter, Clowns, Fortuna Ehrenfeld, Get Up Kids, Trigger Cut, Winter Dust

Aesthetics Across The Color Line & Trafaret – „Split“ (DIY) [Name Your Price Download]
Im Rahmen des Bandcamp-Specials mit russischen Bands wurde Aesthetics Across The Color Line ja schon gebührend abgefeiert, nun gibt es neuen Stoff der Emo-Band, diesmal in Form einer Split EP mit der ebenfalls aus Russland stammenden Band Trafaret. Beide Bands spielen frickeligen und verspielten Emo an der Schwelle zum Punk. Wer auf Bands wie Snowing, Algernon Cadwallader oder I Love Your Lifestyle steht, dem sollte das hier ebenfalls munden. Beide Bands liefern jeweils zwei Eigenkompositionen ab, zudem covern beide den Song Caitlyn der US-Emo-Band JANK, wobei mir die AATCL-Coverversion irgendwie mehr zusagt.


An Horse – „Modern Air“ (Grand Hotel van Cleef) [Stream]
Wußtet ihr, dass der Bandname An Horse durch einen Grammatikstreit zwischen Sängerin und Gitarristin Kate Cooper und ihrem Nachbar entstanden ist? Hab ich gerade beim Wikipedia-Eintrag über das australische Duo nachgelesen. Richtig würde es natürlich A Horse heißen, aber der Nachbar war so überzeugt von seiner „Version“, dass er sogar einen Pullover mit der Aufschrift An Horse für sie anfertigte. Solche Geschichten liebe ich ja! Nun, An Horse sind mir mit einzelnen Songperlen wie Camp Out oder Postcards schon noch im Gedächtnis, aber richtig verfolgt habe ich das bisherige Schaffen der Band nie. Zudem hat sich das Duo die letzten Jahre, genauer gesagt nach dem Ende der letzten Tour etwas rar gemacht, auch aufgrund ständiger Touraktivitäten und drohendem Burnout. Ganze sechs Jahre später hat das Duo also nun doch wieder an Songideen gearbeitet, so dass auf Modern Air insgesamt elf Songs zu hören sind. Weiterhin ist hier gitarrenlastiger, etwas sperriger Indierock zu hören, der ein paar Durchläufe braucht, bis man die Melodien mitsummen kann. Man hat sofort Bands wie Nada Surf, Idlewild, Lemuria oder Mates of State im Ohr. Als Anspieltipp empfehle ich mal das knödelige Live Well, das eingängige Get Out Somehow oder das einfühlsame Started A Fire.


Brausepöter – „Nerven geschädigt“ (Tumbleweed Records) [Video]
Man lernt doch nie aus! Bei Brausepöter handelt es sich um eine der ersten deutschen Punkbands, die Punk mit New Wave und deutschen Texten kombinierten und somit den Weg für die Neue Deutsche Welle ebneten. Brausepöters Debut-Veröffentlichung liegt tatsächlich 40 Jahre zurück! Auch wenn ich Mitte bis Ende der 80er eine starke Deutschpunkphase durchgemacht habe, ist mir die Band bisher nicht bekannt gewesen. Nun, damals gab es noch kein Internet, zudem hat sich die Band im Jahr 1982 aufgrund der Kommerzialisierung und der aufkeimenden NDW-Hysterie aufgelöst. Selbst ihr bekanntester Song Bundeswehr fand sich auf keinem der vielen im oberschwäbischen Freundeskreis kursierenden Mixtapes wieder und aufgrund dieser Unkenntnis ging auch die Reunion in Originalbesetzung im Jahr 2011 und die zwei vor dem aktuellen Album erschienen Releases spurlos an mir vorbei. Tja, das ist dann wohl richtiger Underground, haha. Brausepöter klingen im Jahr 2019 nicht mehr so roh wie 1980, den Sound der Band aus Rietberg/NRW kann man so grob in die Schublade Post-Punk, New Wave und Indie-Punk einordnen. Das Trio scheint es gern reduziert zu haben, das zeigt schon das unspektakuläre Albumartwork, das ich irgendwie nicht interpretieren kann. Erinnert irgendwie an das Spiel „Vier gewinnt“. Die persönlichen Texte kommen nachdenklich rüber, eine gewisse Melancholie zieht sich wie ein roter Faden durch knapp vierzig Minuten Spielzeit und 13 Songs. Die markantesten Soundmerkmale sind schrammelige Gitarren, eigensinnige Bassläufe und wehleidiger Gesang. Hier wird man mal an die Nerven, Das Neue Nichts oder die Fehlfarben erinnert, da hat man poppigeres Zeug wie Kettcar oder die Sterne im Ohr, selbst Ami-Bands wie die Dead Kennedys oder Sonic Youth kommen in den Sinn. Neben dem Titelstück Nerven geschädigt empfehle ich mal die Songs Seele, Ganzer Körper brennt und Dies ist nicht meine Welt, um sich ein ungefähres Bild zu machen.


Clowns – „Nature / Nurture“ (Fat Wreck Chords) [Stream]
Okay, spätestens jetzt dürften die Konzerte der Band aus Australien bald in größeren Läden stattfinden, die Clowns sind mit ihrem vierten Album bei Fat Wreck gelandet. Der Band sei es gegönnt, die haben sich das hier hart erarbeitet und jeder, der die Truppe schonmal live gesehen hat, kann das sicher unter Eid bestätigen. War Lucid Again ja schon ’ne große Nummer, wird Nature/Nurture noch mehr Anklang in der Szene erlangen. Denn das Ding mit seinen elf Songs ist echt knackig geworden. In 36 Minuten zerlegen die Australier mal eben kurz Deine Bude und pfeffern Dir ihren rotzigen, aber dennoch melodischen Hardcore-Punk um die Ohren, dazu gesellt sich eine dreckige Rock’N’Roll-Attitude, Leidenschaft, pure Energie und massig Spielfreude dürfen ebensowenig nicht fehlen. Wahnsinn, wie dicht und ausgefeilt das alles klingt, zudem hat man bereits jetzt schon die ausgeflippte Bühnenshow rund um Sänger und Dynamitstange Stevie Williams vor Augen. Songs wie Soul For Sale oder Freezing In The Sun werden mit Sicherheit zu neuen Gassenhauern werden, während die experimentelle Seite der Band für Verblüffung sorgen wird. Auf dem letzten Stück Nurture gibt’s sogar Sitar-Klänge zu hören, zudem sticht hier ein satter Alternative-Grunge-Sound aus den Lautsprechern. Und was mich persönlich freut: das tolle Albumcover wurde von Rodrigo Almanegra gezeichnet, dessen Werke hier im Rahmen anderer Releases bereits desöfteren in den höchsten Tönen gelobt wurden.


Fortuna Ehrenfeld – „Helm ab zum Gebet“ (Grand Hotel van Cleef) [Video]
Konnte mit Fortuna Ehrenfeld bisher eigentlich gar nicht so viel anfangen, ehrlich gesagt hab ich mich auch noch nie wirklich tief mit der Band beschäftigt. Obwohl, eine Band war das bisher ja wohl noch nie so richtig, die bisherigen Alben sind alle im Alleingang Martin Bechlers entstanden, erst mit diesem Album ist das Ding zum Trio gewachsen. Jedenfalls haben mich die zu Promozwecken zugesandten Videos auch nie wirklich von den Socken gehauen. Ich meine, der Typ tritt zwar auf jeglichen Geschmack scheißend obercool im Pyjama und mit Bärentatzenschuhen auf, aber eigentlich ist das heutzutage auch keinen Aufschrei mehr wert. Dementsprechend überrascht war ich, als ich von den ersten drei Songs vom mittlerweile dritten Album, die ich über Kopfhörer lauschte, total geflasht wurde. Wow, Heiliges Fernweh beginnt mit dieser wahnsinnig melancholischen Pianomelodie, die gesprochenen und fast gegrummelten Vocals schlagen mit ihrer ausgefeilten Poesie in die gleiche Kerbe. Und jetzt tanz mit mir Du Sau! Das alles mit einem schönen Beat hinterlegt, auf in die Indie-Disco! Ach, hab ich da gerade rollende Augen bei irgendjemand von euch entdeckt? Wie wär’s dann damit: Hör endlich auf zu jammern. Das ist der Songtitel des zweiten Stücks, der sich mit einem minimalistischen Beat und moogigen Klängen langsam in Dein Herz stampft, bis eine tolle Gitarrenmelodie für Abwechslung sorgt. Beim dritten Song, der gleichzeitig das Titelstück ist, stehen wieder diese poetischen Gedankengänge im Vordergrund, dazu gibt es ein Gesangsduett zwischen Sänger/Gitarrist Martin Bechler und Keyboarderin Jenny Thiele. Insgesamt 13 Songs nehmen Dich also mit auf eine poetische Reise, die ganz ohne Kitsch auskommt und selten laut wird, Ausnahme stellt hier der Song Das ist Punk, das raffst Du nie. Und das klingt wie eine Mischung aus den NDW-lern von Trio und den Deutschpunks von Pisse. Insgesamt gefallen mir die mit dezenter Elektronik ausgestatteten Songs aber weitaus besser, als die reinen Balladen. Ach ja, hab ich’s schon erwähnt? Die ersten drei Songs sind meine absoluten Favoriten!


Get Up Kids, The – „Problems“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Schon die 2018er EP Kicker zeigte, dass man alte Helden niemals abschreiben sollte. Nach der eher schwachen Comeback-EP Simple Science schien die Band wieder zu alter Kraft gefunden zu haben, so dass man aufgrund der Ankündigung des neuen Longplayers namens Problems vorfreudig gespannt war, ob der Funke auch wieder auf Albumlänge überspringen würde. Die erste Single Satellite klang bereits vielversprechend und nach mehrmaligem Hörgenuss des mittlerweilen sechsten Studioalbums kann ich nur freudig sagen, dass auch die restlichen Songs in die gleiche Kerbe schlagen. Es gibt ja mehrere Faktoren, die ein gutes Album ausmachen: das ist zum einen die technische Begabung, die Instrumente zu beherrschen, zum anderen gehört aber auch ausgetüfteltes und in sich stimmiges Songwriting dazu. Das alleine genügt aber noch nicht, den Songs sollte auch noch das gewisse „Leben“ eingehaucht werden. Und das ist den Get Up Kids auf Problems ohne Probleme gelungen. Die stets präsente Melancholie ist in allen Bereichen spürbar, seien es die gefühlvoll gespielten Gitarrenriffs oder der liebevoll gegenspielende Bass und natürlich die durchdringende und viel Emotionen tragende Stimme von Matt Pryor. Was dem Album natürlich zugute kommt und viel Authentizität vermittelt, sind die persönlichen Inhalte direkt aus dem Leben, die hier dargestellt werden. Während sich die Texte der frühen Get Up Kids um die alltäglichen Probleme im Leben eines Twens drehten, beschäftigt sich die Band auf dem aktuellen Album ihrem Alter entsprechend mit den Gefühlen und Gedanken eines Forty-Somethings, den in diesem Lebensabschnitt auftretenden Sorgen und Ängste. Dass diese Dinge von anderer Natur sind, kann wahrscheinlich jeder von euch Senioren aus eigener Erfahrung bestätigen. Jedenfalls verpacken die Get Up Kids diese persönlichen Textinhalte in die so geschätzten hymnischen Refrains, dazu kommen diese wundervollen Gitarren und die großartigen Singalong-Melodien, die man mit jedem weiteren Durchlauf nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Hört doch nur mal das Gitarrenriff bei Now Or Never, die Gesangs- und Basslinie bei Lou Barlow oder das emotionale Common Ground an. Und zwölf Songs und knapp vierzig Minuten später ist man froh, dass das alles so unverbraucht, frisch und vor allem so vertraut klingt!


Trigger Cut – „Buster“ (Token Records) [Stream]
Aus der Asche der großartigen Buzz Rodeo sind Trigger Cut aus Stuttgart und München hervor gegangen. Im Prinzip formierte sich eine neue Band um Gitarrist und Sänger Ralph, mit von der Partie ist unter anderem der Drummer der Münchener Band Haikkonen. Soundtechnisch ist das Ganze nochmal ’nen kleinen Ticken knackiger geworden. Soll heißen, dass durch die Rhythmusmaschine aus extrem fuzzigem Bass und kraftvoll geknallten Drums gepaart mit dreckigen Gitarrenriffs und dem wütenden und am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegenden Geschreis eines irren, manischen Psychopathen ordentlich Druck aufgebaut wird. Es dröhnt und pumpt gewaltig und mächtig an allen Ecken und Enden. Schlagzeug, Bass und Noise-Gitarre bilden das stabile Grundgerüst, hinzu kommen angeschrägte und etwas dissonante Gitarren, die schön noisig auf die Kacke hauen. Natürlich geht das nicht ganz ohne Rückkopplungsgeräusche und das ein oder andere schmissige Gitarrenriff über die Bühne. Die zehn Songs erinnern aufgrund des rohen und knackigen Sounds und der Intensität natürlich unweigerlich an 90er-Bands wie z.B. The Jesus Lizard, Drive Like Jehu, Shellac, frühe Lack oder aber auch an deutsche Noise-Bands wie Craving oder eben Buzz Rodeo. Wer auf diese Art Musik steht, kommt hier voll auf seine Kosten!


Winter Dust – „Sense By Erosion“ (time as a color u.a.) [Name Your Price Download]
Die italienische Band Winter Dust konnte letztes Jahr auch schon ihr zehnjähriges Bandjubiläum feiern. So begaben sich die sechs Herren aus Padova in ihrem Jubiläumsjahr für drei Tage ins Tonstudio, um die in den letzten drei Jahren entstandenen Songs aufzunehmen, so dass nach einer EP und zwei Alben mit Sense By Erosion Album Nummer drei das Licht der Welt erblickte. Das Ding ist in Zusammenarbeit der Labels Time As A Color, Dingleberry Records, Dreamingorilla Records, È Un Brutto Posto Dove Vivere, Voice Of The Unheard, la speranza records, Dischi Sotterranei und Backwater Transmission zum einen als Doppelvinyl und zum anderen als Digipack erschienen. Anhand des mir vorliegenden Digipacks und der Fotos der Vinylausgabe kann nur vermutet werden, dass die Doppelvinylversion im Gatefoldcover mit goldenem oder schwarzem Vinyl ziemlich schick und edel aussieht. Das mystisch angehauchte Artwork gefällt mir zumindest bereits auf Digipack-Größe enorm gut. Es gibt insgesamt acht Songs zu hören, bei einer Albumspielzeit von knapp 50 Minuten pendeln die Songlängen eher im oberen Bereich zwischen sechs und neuneinhalb Minuten. Und ja, ganz genau, Winter Dust machen epischen Post-Rock, dabei schwappen immer wieder auch Post-Hardcore, Screamo und Post-Metal-Einflüsse an die Oberfläche. Ich stell mir es übrigens echt mal voll kompliziert vor, zu sechst solche vielschichtigen Songarrangements abzusprechen, zumal auch noch vier der sechs Bandmitglieder mit Vornamen Marco heißen und die Jungs räumlich weit verstreut leben. Aber erstaunlicherweise klingt das Resultat sehr dicht und ausgklügelt, die Jungs sind bestens aufeinander eingespielt. Obwohl fünf der acht Songs mit Lyrics ausgestattet sind, ist die Band größtenteils instrumental unterwegs. Textlich beschäftigt man sich mit persönlichem Kram, die räumliche Trennung von geliebten Menschen spielt auch ein zentrales Thema. Unterstrichen wird das ganze von melancholischen, ruhigen Melodien, die sich überwiegend leise und sanft aufbauen, langsam zu Soundwänden anwachsen, bis es mit Tremolo-Gitarren im Rücken zu einem spannungsgeladenen Ausbruch kommt, inklusive gequältem Schreigesang. Dürfte ein gefundenes Fressen für Leute sein, die Bands wie z.B. Caspian, Explosions In The Sky oder Moving Moutains zu ihren Faves zählen.


 

pADDELNoHNEkANU – „My Button Is Bigger Than Yours“ (30 Kilo Fieber Records u.a.)

Erstmals bekam ich von pADDELNoHNEkANU Wind, als mich eine Besprechungsanfrage zur 1+1 = 2fel-7inch erreichte und mir daraufhin selbige zugesandt und das Ding natürlich auch von mir besprochen wurde. Damals wusste ich zwar, dass die Bandmitglieder schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben und vermutlich zu einer ähnlichen Zeit wie ich selbst mit der DIY-Punk/Hardcore-Subkultur in Berührung kamen. Was mir aber erst jetzt – mit der physischen 12inch-Bemusterung des Albums My Button Is Bigger Than Yours – aus dem liebevoll zusammengetackerten DIN-A5-Textheftchen sowie aus dem Infozettel bekannt wird, ist für euch Nietengürtel-Szene-Punks sicher bereits ein alter Hut: das hier ist erst das zweite Album von pADDELNoHNEkANU, obwohl die Band schon seit 17 Jahren rumlärmt. Zudem schrumpfte die Band seit der letzten EP zum Trio, vorher war die Formation zu viert unterwegs. Und das kommt den Baden-Badenern zumindest schonmal optisch ganz gut in die Quere. Auf dem Backcover gibt’s nämlich eine Foto-Hommage an die Beastie Boys und deren Check Your Head-Albumcover. Und die Beastie Boys waren nun mal auch zu dritt. Aber wo sind denn die Songtitel abgeblieben? Das erfährt man nach kurzem Entziffern des Gekritzels auf dem Backcover: Leute, die die Platte besitzen, sollen die Songtitel selbst eintragen, vom Ergebnis ein Foto machen und das Ding per Mail an die Band schicken. Geil, den DIY-Spirit auf die Zuhör-Gemeinde abgewälzt, natürlich mit der Aussicht auf Gewinnchance eines lustigen Überraschungspakets für die schönste aller Zusendungen. Wenn man sich das Frontcover so anschaut, dann wird klar, dass man mit minimalem Aufwand, null Talent und fehlendem Geschmack bei der Anfertigung der Songtitelbeschriftung gute Chancen auf den Hauptgewinn haben könnte! Vielleicht ist das haarsträubend hässliche Albumcover ja sogar auch ein Ergebnis einer solchen Aktion. Jaja, der alte Affe Punk! Drück den Knopf, dann is gut, Alter!

Die Platte beginnt mit einem Radiosample, hier wird über das Demo von pADDELNoHNEkANU sinniert, von wegen schlechte Proberaumaufnahme aber erkennbar vorhandenes Potential. Und genauso scheppert der Song Willkommen im Vakuum los. Die Gitarre schrammelt, der Bass knödelt, dazu passt die raue Stimme und das mit viel Crashbecken und kraftvoll gespielte Schlagzeug. Vom Gesang her erinnert die Stimme von Sänger und Gitarrist Felix ein wenig an Rio Reiser. Erstaunlich ist, dass sich trotz der schrammeligen Dissonanz der Gitarre immer wieder eine einprägsame und melodische Hookline in die Hörgänge dreht. Songs wie z.B. Nicht hier, nicht jetzt, nicht Du oder Cybertronic Ultra Bot zählen zu meinen persönlichen Highlights. Gerade das Gitarrenriff von Cybertronic Ultra Bot hat sich schön tief im Ohr eingenistet, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass das von irgendwoher geklaut ist. Ich komm nur nicht drauf, an welche Band mich das erinnert. Ist aber auch egal, denn der Song ist der Hammer.

Und auch der Rest des Albums wächst einem nach mehreren Hörrunden ans Herz. Irgendwie liegt das auch an der melancholischen Stimmung, die permanent zu spüren ist. Und natürlich spielt auch die Leidenschaft der drei Musiker eine tragende Rolle. Diese lässt sich am einfachsten entdecken, wenn man – während die Platte läuft – im Textheftchen stöbert, obwohl man die deutschen Texte eigentlich ziemlich gut verstehen kann. Hier zeigt sich einfach der DIY-Charakter, der tief mit der Band verankert ist. Die sehr guten Texte regen obendrein zum Nachdenken an, zudem kann ich das Vorwort der Band voll und ganz unterschreiben. pADDELNoHNEkANU gefallen nicht nur, wenn sie vor sich hin schrammeln, auch die reduzierten Parts, in denen der Bass schön in den Vordergrund rückt, wirken in sich stimmig. Hört mal Harald Ewert I und II, dann wisst ihr, was ich meine. Diese ruhigeren Passagen erinnern mich igrendwie an die Band Sog, falls die noch jemand kennen sollte. Wenn wir schon bei vergleichbaren Bands sind, dann fällt mir so Zeugs wie Einleben, Hi Tereska, frühe Karate oder Tocotronic ein. Manchmal erinnert der Klang der Gitarre an so Sachen wie Dawnbreed, frühe Monochrome oder Van Pelt. Deutschpunk trifft auf Washington DC sozusagen. Auch wenn das Albumcover nicht gerade den Schönheitspreis gewinnt, solltet ihr euch die Musik von pADDELNoHNEkANU auf Vinyl zu Gemüte führen, denn da wirkt sie einfach am intensivsten! Erscheint übrigens als Co-Release der Labels 30 Kilo Fieber Records, Elfenart Records und auf dem bandeigenen Label krachige Platten.

8/10

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Bandsalat: American Football, Devil May Care, Martha, Modern Rifles, PKEW PKEW PKEW, Rowan Oak, Storyteller, Big Scary Monsters Labelsampler

American Football – „(LP3)“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Bei manchen Band-Reunions wünschte man sich, es hätte sie nie gegeben. Nicht so bei American Football, die man nicht mit American Nightmare verwechseln sollte, obwohl deren Reunion-Scheibe auch nicht ganz ohne ist. Bevor ich abschweife, muss man sich das nur nochmals vor Augen führen: mit nur einem Album im Rücken würden es heutzutage nur wenige Bands schaffen, in einer 15-jährigen Abwesenheitszeit einen gewissen Kultstatus zu entwickeln, oder? Umso mutiger, dass sich die Band für ein Comeback entschieden hat, da braucht es schon die sichere Gewissheit, dass das neue Songmaterial nicht abstinkt und auch alles andere stimmig ist. Auch wenn es beim 2016er Album kritische Stimmen gab, American Football würden halt wie American Football klingen und die Platte käme genau richtig zum 90’s-Emo-Revival, ist mir auch dieses Album richtig ans Herz gewachsen. Und – Vorsicht Spoiler – bei (LP3) ist dies bereits bei den ersten zwei Durchläufen geschehen. American Football klingen auch hier wie American Football, was natürlich in erster Linie an Mike Kinsellas zerbrechlicher Stimme liegt. Zudem ist der Klang der Gitarren und des manchmal auftauchenden Glockenspiels so vertraut, wie die Melodie einer an Kindheitstage erinnernden Spieluhr, die man zufällig auf dem Dachboden gefunden hat und man ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen hat, nachdem man die Aufziehschnur gezogen hat. Und trotzdem hat man von Anfang an das Gefühl, dass bei den acht Songs von (LP3) viel mehr Überlegungen drin steckten, wie das Ganze schlussendlich klingen sollte. Insgesamt kommen neben verträumt durch die Luft schwirrenden Gitarren unter anderem Flöten, Glockenspiele, Trompeten, Xylophon und vieles mehr zum Einsatz. Ausflüge in Post-Rock, Dreampop und Shoegaze sind neue Elemente, die hervorragend zum bisherigen Sound von American Football passen. Und das Ergebnis kann sich hören lassen, denn neben den experimentierfreudigen Songarrangements ist es v.a. die zarte, melancholische Grundstimmung, die das Album so besonders macht. Ehrlich gesagt standen mir die wenig verbliebenen Haare zu Berge, als ich von der Zusammenarbeit mit Paramore-Sängerin Hayley Williams las und schon das schlimmste befürchtete, aber irgendwie funktioniert der Song hervorragend, da er sehr zugänglich und einprägsam ist und Madame Haylee ihr Frontsau-Image gegen eine gehörige Portion Gefühl eingetauscht hat. Es gibt übrigens noch zwei weitere Songs mit weiblichen Gastbeiträgen, die weitaus authentischer klingen, zum einen von Slowdive-Sängerin Rachel Goswell und zum anderen von Land Of Talk-Frontfrau Elizabeth. Und der Rest? Einfach nur traumhaft schön!


Devil May Care – „Echoes“ (Uncle M) [Stream]
Wiedermal so eine Band, deren bisheriges Schaffen mir gänzlich unbekannt ist, obwohl die vier Jungs aus Würzburg auch schon seit 2012 unterwegs sind. Nun, der Digipack sieht jedenfalls schön edel aus, das Albumcover-Motiv sowie das Layout sprechen sofort an. Ein Textheftchen ist auch noch mit eingesteckt, so dass man hier satt bedient ist. Das Album ist dem verstorbenen Vater von Gitarrist und Sänger Tim Heberlein gewidmet, dementsprechend beschäftigen sich die Texte mit dem Verlust eines geliebten Familienmitglieds und den damit verbundenen Gefühlen. Insgesamt finden sich auf Echoes zwölf Songs und eine Art Interlude, die Spielzeit von knapp vierzig Minuten verfliegt wie im Nu, denn Devil May Care machen emotionsgeladenen Post-Hardcore mit Punk- und Hardcore-Verweisen, der v.a. durch melodische Gitarren und durch cleanen Gesang hervorsticht, dabei kommen auch immer mal wieder Schreiparts oder Chöre mit ins Spiel. Auch wenn das nix Neues ist, kann sich das Ergebnis sehen lassen, denn die Songarrangements sind in sich stimmig, die Songs haben hohen Wiedererkennungswert (Hollow Promises oder Our Hope z.B.) und laden live sicher schön zum Mitsingen ein. Der Sound kommt klar abgemischt und fett aus der Anlage, zudem gefallen neben der melodischen Kante der Gitarrenriffs auch die immer wieder mal eingestreuten groovigen Parts. Beim Titelstück Echoes wird es dann nochmals emotional, der Song besteht nur aus Gitarre und Gesang und symbolisiert den persönlichen Abschied vom Vater. Nach dieser Verschnaufpause geht das Album dann in die letzte Runde, die restlichen drei Songs ziehen vom Tempo her nochmals ein bisschen an. Als Anspieltipps empfehle ich mal das Midtempo-Stück L.I.A.R., wer es schneller und dennoch melodisch mag, der dürfte mit Hollow Promises gut bedient werden. Die Vorbilder für diesen Sound sind übrigens mit neueren Boy Sets Fire, Silverstein, Thrice oder Rise Against schnell verortet, so dass Fans dieser Bands auch Gefallen an Devil May Care finden werden.


Martha – „Love Keeps Kicking“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Das ist mal wieder so ein Sound, den ich mir eigentlich nur im Sommer bei runtergekurbeltem Fenster so richtig mit Haut und Haaren anhören kann. Haha, Spaß! Das geht natürlich auch bei winterlichen Temperaturen, voll aufgedrehter Heizung und halb runtergekurbeltem Fenster ganz gut! Martha machen nämlich melodischen Punkrock mit extrem zuckersüßen Melodien. Auch wenn man sich zuerst mit der höher gepitchten Ozzy-Stimme des Sängers etwas anfreunden muss, hat man spätestens bei Into This die Arme in der Höhe und freut sich wie Bolle, dass da endlich mal eine Frau diesen Typ da am Mikro ablöst. Im Verlauf des Albums ist diese Frauenstimme noch öfter zu hören und irgendwie wünscht man sich insgeheim, dass die Frauenstimme doch etwas mehr dominieren würde. Diesen Gedanken hatte ich beim ersten Durchlauf des Albums, bei allen weiteren merkt man eigentlich nur, dass die Songs angedockt sind und mit jeder weiteren Hörrunde richtig kicken! Stellt euch eine melodische Mischung aus Black Train Jack, den Get Up Kids und The Anniversary vor, zippt noch ein wenig Gefühl bei den Gitarren drauf, dann wisst ihr, warum ihr aus dem Grinsen nicht mehr raus kommt. Hab die Band aus Durham/UK bisher gekonnt ignoriert und muss mal wieder erfahren, dass das ein riesiger Fehler war. Müsst ihr unbedingt anchecken, geile Sommerplatte!


Modern Rifles – „LP + B​-​Sides“ (Zegema Beach Records) [Name Your Price Download]
Die Band Modern Rifles aus San Diego existierte seit dem Jahr 2006 für ein paar Jahre, in dieser Zeit wurde eine CD mit dem Titel I Was Young, It Was Dark veröffentlicht. Davon habe ich seinerzeit leider absolut gar nichts mitbekommen. Glücklicherweise erscheint diese nun als Re-Release, zusätzlich gibt es zu den Stücken des Albums noch drei weitere Songs. Yeah! Sehr geile Sache, denn Modern Rifles klingen hervorragend! Die Mischung aus Math, Emo, Post-Hardcore und Indie ist erstaunlich catchy und überrascht immer wieder mit pfiffigen Songarrangements. Die Einflüsse reichen von At The Drive-In und Jimmy Eat World über No Knife und Waxwing bis hin zu Pretty Girls Make Graves und Texas Is The Reason. Insgesamt bekommt ihr 14 Songs zu hören, die euch vom ersten Ton an ein Grinsen ins Gesicht zaubern werden!


PKEW PKEW PKEW – „Optimal Lifestyles“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Schon verrückt: bei der Mailanfrage schnell mal reingeklickt und kurz angehört, dann direkt gelöscht. Keine Ahnung, warum. Damals wahrscheinlich mit allem leicht überfordert gewesen. Aber dank hartnäckiger und charmanter Promotion erreichte mich dann per analoge Post doch noch das zweite Album der kanadischen Band PKEW PKEW PKEW, die mir bisher eigentlich gar nicht bekannt war. Und sobald die CD im Schacht vom Laser abgetastet wird und die ersten Töne erklingen, macht sich gute Laune breit. Melodischer US-Emo-Indierock mit deutlicher Punk-Kante schwappt aus den Lautsprechern. Stellt euch eine punkigere Mischung aus den Strokes und Gaslight Anthem vor, addiert noch ein wenig hymnischen Geist von Bands wie z.B. The Hold Steady (deren Frontmann an den Aufnahmen mitgewirkt hat), zuletzt kommt noch etwas Melancholie á la Get Up Kids und Samiam oben drauf, dann habt ihr’s ungefähr. Zudem lassen die persönlichen Texte aufhorchen, die sich mit dem alltäglichen Wahnsinn und den Lebensumständen in Toronto – stellvertretend für Städte überall auf der Welt – beschäftigen. Dabei kommen Dinge zur Sprache, die wahrscheinlich all jenen aus der Seele sprechen, welche sich ein Leben abseits des „Normalen“ ausgesucht haben. Was ist wohl der optimale Lifestyle? Geld scheffeln, sich bis zum Burn-Out abrackern und dabei eine Maske des schmierigen und verlogenen Lächelns aufsetzen? Oder eben, Spaß haben, in einer Punkband ein eben solches Verhalten kritisieren und sich den bösen Blicken der Nachbarn aussetzen? Wenn man sich die zunehmende soziale Kälte innerhalb der Gesellschaft, die fortschreitende Gentrifizierung und die nicht enden wollende Mietpreissteigerungen so anschaut, dann erkennt man klar, dass deutlich mehr Leute die Welt mit dem bereichern sollten, was eben nicht die große dicke Kohle bringt. Dadurch würde die Welt sicher ein kleines bisschen okayer werden. Genau das sind Themen, die auf Optimal Lifestyles angesprochen werden. Die Songs machen jedenfalls durchgehend Spaß: Mt. Alb eignet sich zum wild rumspringen, bei Point Break gibt’s ’n cooles Saxophon zu hören, mit Everything’s The Same gibt’s ’ne Klavierballade zum Entspannen und der Rest ist Punkrock mit emotionalem Einschlag, den man sich nicht entgehen lassen sollte.


Rowan Oak – „Hope And Ruin“ (Fond Of Life Records) [Stream]
Die zweite EP der Band Rowan Oak dürfte soundtechnisch bei so manchem Jahrtausendwenden-Emo-Fan das Glückshormonskarussell ankurbeln, zudem erscheint das Ding neben der digitalen Version als hübsch aufgemachte 12inch mit B-Seiten-Siebdruck. Nach der schon starken 2015er EP mit drei Songs kommt nun endlich neuer Stoff, diesmal noch einen kleinen Ticken druckvoller abgemischt. Mit diesen fünf neuen Songs zeigt das Quartett, dass Spielfreude und Leidenschaft noch längst nicht verflogen sind. Bereits der Opener Build/Burn zaubert mit seinen herrlichen Gitarren und dem kraftvollen und dennoch zerbrechlichen Gesang ein breites Grinsen ins Gesicht. Wenn die treibenden Drums und rotierenden Gitarren dann einen Gang runterschalten und alles etwas leiser wird, fällt einem erstmals der Bass auf, der schön gegenspielerisch sein eigenes Ding durchzieht. Die Anteile an Melancholie und Härte sind bestens aufeinander abgestimmt, an den Songarrangements gibt’s absolut nichts zu meckern. Und dann immer wieder diese stimmungsvollen leisen Passagen, wie z.B. beim Song Better Self oder am Anfang von Dead In The Water. Hinzu kommen eingängige Refrains, die sich live bestens zum Mirgrölen eignen. Die persönlichen und sehnsüchtigen Lyrics passen hier natürlich wie die Faust aufs Auge. Wer Bands wie Texas Is The Reason, Sensefield, Jimmy Eat World zu seinen Faves zählt, der wird nach diesen fünf Songs lechzen!


Storyteller – „Time Flies“ (Uncle M) [Stream]
Es war einmal vor langer Zeit eine wilde Epoche, in der jeder, der ein Instrument auch nur halbwegs in der Hand halten konnte, als talentierter Hofnarr galt. In einem Dorf im Sachsenland schlossen sich daher einige Hofnarren zusammen und musizierten nach Lust und Laune. Der dargebotene Krach der Hofnarren verursachte nur Chaos, zudem kam es, dass die Tiere des Waldes sehr verstört waren. Zum Unmut der Bevökerung trug auch bei, dass sich die Musiker nur selten wuschen und deshalb nach nassem Hund stanken. Niemand war deshalb im Dorf mehr so wirklich glücklich über die räudigen Gesellen. Darum befahl der tyrannische König eines Tages, dass die Hofnarren fortan unter grausamen Foltermethoden ihr Instrument zu erlernen hatten und täglich in Honigmilch gebadet werden sollten, damit das künftige Publikum vom Geruch und der Musik betört all seine Gulden in den Hut der Musiker werfen würde. Alsbald beherrschten die Musiker ihre Instrumente bis zur Perfektion. Der einstige Krach verwandelte sich wie durch Zauberhand in zuckersüße Lieder mit hohem Unterhaltungswert und Melodien, die bald im ganzen Land bekannt waren. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute, nur in einer anderen Form…Storytellers drittes Studioalbum ist was für alle Fans von glattgebügeltem Pop-Punk, der mit den Charts liebäugelt und fast schon einen Ticken zu überproduziert klingt. Geht alles ziemlich gut ins Ohr, zudem sind die Jungs mit massig Herzblut dabei! Hört da mal rein, das hat irgendwie schon was!


V.A. – Big Scary Monsters 2018 Sampler (Big Scary Monsters) [Name Your Price Order]
Ich glaub, mein Schwein pfeift! Wie geil ist das denn! Ein Label-Vinylsampler sozusagen für umme, dazu kommt das Ganze auf einer hübschen Picture-12inch. Da muss man einfach eine abgreifen! Zumal mit den zwölf Songs ein schöner Überblick der letzten Veröffentlichungen auf dem Label gegeben ist, obendrauf gibt es ein paar exklusive Stücke zu hören. Die Bands: Get Up Kids, Martha, Doe, Pedro The Lion, Kevin Devine, Jamie Lenman, American Football, Delta Sleep, mewithoutyou, We Were Promised Jetpacks, Cursive und Cassels. Bei der Zusammenstellung der Songs hat man sich Gedanken gemacht, so ergibt sich ein ausgewogener Indie-Emo-Mix, die Stücke wirken von der Reihenfolge stimmig. Die A-Seite ist in schwarz-weißer Optik eher schlicht gestaltet, während die B-Seite mit einem farbenfrohen Artwork richtig schön ins Auge sticht! Für Vinylfans ein Leckerbissen!


 

Bandsalat: Convince, Elm Tree Circle, Gouge Away, Ich bin Vbik, Jiyuna, Karina Kvist, Farbenflucht, Laura Jane Grace And The Devouring Mothers, Satelles

Convince – „Eden“ (Enrage Records) [Stream]
Die Band aus Moskau/Russland hat nun in den letzten Jahren schon zwei Mal Stopp bei mir um die Ecke im Jugendhaus Weingarten gemacht, und beide Male haben die Jungs den totalen Abriss hingelegt. Wahnsinn! Und dass sie überhaupt den weiten Weg hierher und auch noch viel weiter geschafft haben, das haben sie dem abgefuckten Tourbus zu verdanken, mit welchem schon viele russischen Bands durch die Gegend getuckert sind. Das Ding ist so berühmt, dass es auf den Namen Gazelle Of Death getauft wurde und es sogar einen Comic zu der Karre gibt, eine Film-Doku ist ebenfalls in der Mache. Jedenfalls bolzt die 2009 gegründete Band auch auf dem neuen Longplayer alles weg. Ihr bekommt eine schöne Walze mit einer ordentlichen Schippe Dreck geliefert. Da dürfte jedem Neo-Crustie und D-Beat-Fan die Augen leuchten. Zwischendurch gibt es auch noch schönes Black-Metal-Gehacke und Blackened Hardcore-Einflüsse, dabei bleiben die Gitarren immer schön melodisch. Die in russischer Sprache gegrunzten Vocals haben ebenso düstere Inhalte, auf Bandcamp lassen sich die Lyrics in der englischen Übersetzung nachlesen. Beim Song Der Tanz der Todesschwadron werden sogar ein paar Zeilen in deutscher Sprache gekeift. Also, falls die Band wieder auf Tour kommen sollte, dann lohnt sich absolut ein Besuch einer Show. Ich hoffe, dass die Gazelle Of Death auch bei der nächsten Tour bei uns im Dorf aufkreuzt!


Elm Tree Circle – „The Good Life“ (Krod Records) [Stream]
Ziemlich amerikanisch klingen Elm Tree Circle aus Iserlohn auf ihrem Debutalbum. Das vierzehn Songs starke Ding dockt auf Anhieb am Gehörgang an und hält Dich im Verlauf des Albums bei der Stange. Melancholische Gitarren treffen auf ebenso emotionalen Gesang, dabei geht es in den Texten um Herzensangelegenheiten, Liebe, Trennung, Schmerz und Wut. Bitte, lasst euch dadurch nicht abschrecken, denn Elm Tree Circle treten dabei nicht in den Schmalztopf, sondern bringen das Ganze mit viel Spielfreude und Leidenschaft rüber, so dass die Punkrock-Kante noch deutlich erkennbar ist. Das macht sich auch in den kurzen Songlängen bemerkbar. Wenn ihr auf Bands wie Modern Baseball, Citizen oder Tigers Jaw könnt, dann solltet ihr hier mal ein Ohr riskieren!


Gouge Away – „Burnt Sugar“ (Deathwish) [Stream]
Also, ich hatte die Band eigentlich etwas rasender in Erinnerung. Zumindest auf ihrem Debutalbum ,Dies pfefferten die drei Jungs und das Mädel am Mikro ein schnelles Hardcore-Brett nach dem anderen vor den Latz. Keine Angst, die Band hat durch das Drosseln des Tempos aber keinesfalls an Wucht, Angepisstheit und Wahnsinn verloren. Eher im Gegenteil! Bass und Schlagzeug bilden ein unvorhersehbares rhythmisches Grundgerüst, die Gitarren rotieren wie verrückt und Sängerin Christina Michelle fackelt auch nicht lange und keift ihren ganzen Ärger raus. Was dabei rauskommt, ist ein hochexplosiver Hardcore-Batzen, der dazu noch roh und räudig klingt und mit massig Noise, Grunge, Indie und Punk gewürzt ist. Muss man sich anhören, da kommt man nicht dran vorbei. Mal wieder grandios von Jack Shirley gemastert.


Ich bin Vbik – „Warten auf das letzte Jahr“ (DIY) [Stream]
Auf das Debutalbum dieser Band aus Koblenz bin ich mal wieder beim Bandcamp-Surfen gestoßen. Was unter „Vbik“ zu verstehen ist? Ich hab es nicht rausgefunden. Das Übersetzungsprogramm meint, dass dies russisch wäre und mit Wicking ins Deutsche übersetzt wird. Das Wort hab ich noch nie gehört. Ich bin Wicking? Ergibt irgendwie alles keinen Sinn. Anhand der deutschen Texte hab ich auch nix rausgefunden. Die Texte lesen sich jedenfalls sehr persönlich, hier geht es um das menschliche Leben mit all seinen melancholischen Begleiterscheinungen. Die Musik dazu ist dann passend zu den Texten ebenso intensiv. Zwischen krachigen Post-Hardcore, Screamo und Punk passen auch immer wieder ruhigere Post-Rock-Klänge, die die Melancholie und Verzweiflung noch unterstreichen. Die Band selbst gibt als Referenzen Turbostaat und Alexisonfire an, Turbostaat lässt sich meiner Meinung nach aber nirgends raushören, vielleicht sind da die deutschen und sehr guten Lyrics gemeint. Ich würde eher noch Fjort als Vergleich bringen. Für ein selbstreleastes Album ist das Niveau jedenfalls schon ziemlich hoch, gerade im Bezug auf das Songwriting kommt da bei den zehn Songs keinerlei Langeweile auf, obwohl manche Songs epische Songlängen haben. Einziger Kritikpunkt ist vielleicht die etwas lasche Produktion, mit einem Tacken mehr Schmackes wäre da noch einiges mehr rauszuholen. Ich bin Vbik muss man also im Auge behalten!


Jiyuna – „This Desolate Veil“ (IFB Records) [Stream]
Dieses Release hat bereits über ein viertel Jahrundert auf dem Buckel und erschien damals nur als holzvertäfelte CD, seit Kurzem gibt es den Leckerbissen auch auf Vinyl. Jiyuna kamen aus Florida und existierten ca. elf Jahre und machten intensiven, sehr emotionalen Screamo und waren von Bands wie Funeral Diner, Envy oder Reversal of Man beeinflusst. Tja, und das kann man auch deutlich hören. Die Gitarren und der eigenwillige Bass ergeben zusammen mit den dynamischen Drums und dem verzweifelten Schreigesang ein oldschooliges Feeling ab, dass es eine wahre Freude ist. Dazu noch die raue Produktion und ihr macht direkt eine Zeitreise zur Jahrtausendwende! Wer auf Bands wie Instil, Serene und eben die bereits genannten abfährt, dürfte auch Gefallen an Jiyuna finden!


Karina Kvist & Farbenflucht – „Split EP“ (DIY) [Name Your Price Download]
Hier bin ich vor einiger Zeit mal beim Bandcamp-Surfen drauf gestoßen, leider verschwand das abgelegte Lesezeichen zwecks geplanter kleiner Rezi im völlig unübersichtlichen Lesezeichenordner. Neulich dann glücklicherweise doch noch beim PC-Großputz drübergestolpert. Nun, mittlerweile ist diese Split ja schon einige Zeit erhältlich und einige von euch werden das Ding womöglich sogar bereits auf Vinyl besitzen, aber egal! Denn bei diesem Release sitzt das Herz am richtigen Fleck, zudem ist hier zeitlos gute Musik drin! Ich schreibe diese Zeilen anhand der digitalen Version, auf Vinyl ist diese Split sicher noch um einiges eindrucksvoller, da es sich um ein astreines DIY-Release handelt. Über Karina Kvists 2016er EP konntet ihr bereits an anderer Stelle etwas lesen. Die Band aus Bamberg hat vier Songs im Angebot, davon werden zwei in deutscher und zwei in englischer Sprache vorgetragen. Mit dem Song Kreis bekommt man sofort dieses Glitzern in die Augen: der Song beginnt mit einem wunderbaren Emocore-Bass, dann setzen fast gleichzeitig Gitarre und leidender Gesang ein. Das wechselseitige Geschrei steht dem Song gut zu Gesicht, das hier ist intensiver emotive Screamo, da denkt man gleich an Bands wie z.B. Manku Kapak. Beim zweiten Song kommen dann sogar noch hallige Delay-Post-Rock-Gitarren dazu, das laut/leise-Schema sorgt ebenfalls für reichlich Gänsehaut. Auch die nachfolgenden Songs überzeugen voll und ganz, Karina Kvist sollte man im Auge behalten! Bei Farbenflucht handelt es sich um eine Band aus Halle (Saale). Geboten wird deutschsprachiger emotive Screamo, der auch ein paar Knüppelparts mit an Bord hat. Gefällt außerordentlich gut, was die vier Jungs da machen. Die drei Songs preschen gut nach vorne, es gibt aber immer wieder Verschnaufpausen mit schönen Rückkopplungen und wabernden Gitarren. Diese Split müsst ihr euch unbedingt anhören!


Laura Jane Grace And The Devouring Mothers – „Bought To Rot“ (Bloodshot Records) [Stream]
Mein erster Gedanke war: ach nee, bitte nicht noch eine weitere Frontperson einer erfolgreichen Punkband – im diesem Fall Laura Jane Grace von Against Me – mit einer lahmen Soloplatte, womöglich noch mit Brechreiz erzeugenden Country-Verweisen. Nun, letzteres lässt sich wohl nicht ganz vermeiden, dennoch ist Bought To Rot alles andere als lahm ausgefallen. Anhand des witzigen Albumartworks mit eingebundener Social Media-Konversation lässt sich bereits vermuten, dass sich Laura Jane Grace zumindest optisch etwas anderes als das typische Punk-Layout ihrer Hauptband vorstellte. Auch musikalisch und textlich werden andere Wege eingeschlagen, deshalb ist das Ganze ja auch keine Against Me-Platte, obwohl es manchmal stark danach klingt. Dass mein erster Gedanke völlig neben der Spur lag, wird gleich beim Opener China Beach klar, denn dieser eröffnet das Album mit Radau und fetzigen Gitarren. Die Backing-Band The Devouring Mothers setzt sich übrigens aus Against Me Schlagzeuger Atom Willard und dem langjährigen Against Me-Produzenten Marc Jacob Hudson zusammen. Die 14 Songs sind wohl alle auf den Roadtrips der Band im Tourbus, im Hotel und teilweise auch zuhause in Chicago entstanden. Gerade, wenn man unterwegs ist, ist man seinen Gedanken gnadenlos ausgesetzt und hat Zeit, in sich zu kehren. Liegt der Schwerpunkt der Texte von Against Me eher in anprangerndem politischem Aktivismus, so lesen sich diese Texte um einiges milder. Auffallend ist hier diese schonungslos ehrliche, sehr intime und persönliche Note, die Texte wirken so als ob durch das ‚von-der-Seele-schreiben‘ etwas abgestreift wurde, ähnlich der gehäuteten Schlangenhülle auf dem Backcover. Die Gitarren haben diesen rotzigen Indierock-Klang drauf, der Rock-Charakter steht im Vordergrund. Wer gern tiefgehende Lyrik in Kombination mit rockig-bluesigem Indie und einem Schuss Punk mag, der ist hier goldrichtig. Und mit Reality Bites ist dann auch noch eine astreine Punk-Hymne mit von der Partie.


Satelles – „Some Got Saved“ (Pongo Pongo Collective) [Stream]
Yep, das hier ist mal wieder genau der Sound, den ich um die Jahrtausendwende herum stark abgefeiert habe. Satelles kommen aus Budapest/Ungarn und haben mich bereits in der Vergangenheit mit ihren Releases begeistern können. Some Got Saved handelt vom Leben der post-sowjetischen Generation nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Vom Sound her erinnert das stark an Bands wie Newborn oder Bridge To Solace, die Jungs kommen ja auch aus demselben Umfeld. Schön melodisch wird hier runtergebrezelt was das Zeug hält. So muss melodischer Hardcore klingen, immer mit diesem melancholischen Unterton in den Gitarrenriffs. Wenn ihr Bands wie eben Newborn, Bridge To Solace oder den ersten beiden Stretch Arm Strong-Releases nachtrauert und Kapellen wie Shai Hulud verehrt, dann solltet ihr bei den Klängen der Band Satelles breit grinsend die Arme in die Höhe strecken. Geiles Ding, kann man in Endlosschleife packen!


 

Bandsalat: City Kids Feel The Beat, Insert Coin, Lift, Living With Lions, Matze Rossi, Muncie Girls, Pagan, Slumb Party

City Kids Feel The Beat – „Cheeky Heart“ (Uncle M) [Stream]
Bandname, Albumtitel und das etwas kitschig wirkende Artwork dieses hübsch aussehenden Digi-Packs könnten übrigens ganz schön in die Irre führen und die Vermutung aufkommen lassen, dass wir es hier mit einer Boy-Band aus den Charts zu tun haben könnten. Wenn man dann noch das Textheftchen auffaltet und plötzlich ein Poster in der Hand hält, auf welchem man fünf Boys in weißen T-Shirts erblickt, dann ist man doch etwas überrascht, wenn man die CD einlegt und hymnischer Pop-Punk aus den Lautsprechern ertönt. Komischerweise ist mir die Band bisher gänzlich unbekannt gewesen, obwohl die Jungs schon seit sechs Jahren unterwegs sind und Ulm ja eigentlich fast schon in der Nachbarschaft liegt. Cheeky Heart ist also Album Nummer drei und ich muss sagen, dass einige Songs sofort ins Ohr gehen. Auch wenn auf den ersten Blick das poppige im Vordergrund steht, gibt es zwischendurch trotzdem immer wieder schöne Abgeh-Parts mit fetten Gitarrenriffs und Schreigesang (beispielsweise bei Rewrite oder Worst Date). Die glasklare Produktion, für die der Typ eingespannt wurde, der auch Cro und Casper schon einen guten Sound verlieh, passt natürlich auch bei dieser Art von Musik ganz gut. Die Vorbilder für den melodischen Pop-Punk, der munter mit hymnischem Collegerock gemischt wird, dürften klar in der kalifornischen Pop-Punkszene zu finden sein. Die Texte beschäftigen sich mit dem Wahnsinn, den man zwischen Jugend und Erwachsenwerden so durchlebt und stehen damit ein wenig im Kontrast zum sonnigen Sound. Wer also auf Ohrwurmmelodien steht, die wirklich hartnäckig im Gehör kleben bleiben, dürfte hiermit gut bedient sein! Übrigens, jetzt hab ich’s: Beim Song Coming Home weist die Gesangsmelodie im Refrain eine enorme Ähnlichkeit mit Nenas Nur Geträumt auf.


Insert Coin – „Way Out“ (Uncle M) [Stream]
Bei Insert Coin aus Recklinghausen scheint es richtig gut zu laufen. Im Jahr 2007 gegründet sind bereits zwei Alben und eine EP erschienen, zudem wurden etliche Shows quer durch Europa gespielt. Den wohl besten Coup landete die Band mit einem Soundbeitrag zu einem TV-Werbespot für irgend so ’n komisches hauptsächlich aus Zucker bestehendes Energygesöff, das sich hyperaktive Leute ins Hirn schütten, nur um sich dabei ein bisschen cool zu fühlen. Ob man als Band seine Musik für solch fragwürdige Produkte hergeben sollte? Ich meine schon, denn dadurch kommen potentielle Konsumenten dieser Plörre vielleicht beim Anhören der Musik auf andere Gedanken, denn das was Insert Coin machen, dürfte auch die müdeste Schlafmütze wieder aus dem Koma befördern, da braucht es keinen Energy-Drink mehr! Zudem kommen die Leute vielleicht besser drauf, wenn sie sich mit den teils persönlichen aber auch gesellschaftskritischen Texten der Band beschäftigen, die sich mit Themen wie Fake-News, gleichgeschlechtliche Ehe oder Depressionen (die übrigens auch von übermäßigem Konsum des beworbenen Energy-Drinks ausgelöst werden können) befassen. Musikalisch wird dazu melodischer, nach vorne gehender Skatepunkrock geboten, der seine Vorbilder in Bands wie Anti-Flag, Pennywise oder Red City Radio hat. Bevor ihr eure Münzen in den nächsten Getränkeautomaten werft, solltet ihr die hart ersparten Moneten an die nächste Jukebox verfüttern und das Album Way Out anwählen. Danach wollt ihr das Ding eh in eure Punkrock-Sammlung integrieren, also könnt ihr das Ding auch gleich kaufen.


Lift – „Harsh Light of the Truth“ (Dropping Bombs/DIY) [Name Your Price Download]
Neulich gab’s an anderer Stelle einen kurzen Beitrag zur Debut-EP dieser neuen Band aus Connecticut. Das Ding hat mich mit seinen Songs schwer begeistert, so dass man nach mehr lechzend eigentlich gar nicht arg so lange warten musste, denn mittlerweile ist die zweite EP mit drei Songs als Name Your Price Download verfügbar, zudem gibt es das Ding als 7inch. Nun, das Cover ist wieder schön gestaltet. Das Gemälde erinnert irgendwie an die ersten Artworks von Snapcase-Releases (Progression Through Unlearning z.B.) und auch der Sound, v.a. das Instrumentale, erinnert an diese großartige Band aus Buffalo. Weitere Einflüsse dürften neben Snapcase frühe Boy Sets Fire, Refused und With Honor sein. Hier passt jedenfalls von der fetten Produktion bis zum ausgefeilten Songwriting alles. Ganz schön groovig und mitreißend, so muss druckvoller Hardcore klingen! Ich warte gespannt auf weiteres Material!


Living With Lions – „Island“ (No Sleep Records) [Stream]
Der Digipack kommt komplett ohne Plastik aus – bis auf die CD selbst natürlich – und ist echt mal aufwendig und schön gestaltet. Die Fenster der Fassade sind alle ausgestanzt, so dass man auf dem im Inneren befindlichen Textheftchen in die einzelnen Wohnungen schauen kann und dort ein paar außergewöhnliche Szenen des menschlichen Lebens entdecken kann. Kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber eigentlich wiederholt sich ja in Albumartworks doch irgendwann alles mal, selbst im musikalischen Bereich wird das Rad oftmals nicht neu erfunden. Und auch die alltäglichen Szenen hinter den Fenstern können sicher auch außerhalb Kanadas hinter etlichen beleuchteten Fenstern erblickt werden. Zwölf Songs sind also auf dem dritten Album in einer Spielzeit von knapp 50 Minuten zu hören. Und obwohl man beim ersten Durchlauf eine Menge im dicken Textheftchen und den besagten Fenstern zu stöbern hat, will der musikalische Funke nicht auf Anhieb überspringen. Eben weil man – zugegebenermaßen – total übersättigt in diesem Mischmasch aus Alternative, melodischem Punkrock und etwas Emo ist. Schade eigentlich, denn eigentlich machen die fünf Kanadier alles richtig. Und nach ein paar Runden im Player kristallieren sich die Pfeiler heraus, die den Reiz des Albums ausmachen. Spielfreude, Emotionen, Melodien, Chöre, ein starker Schlagzeuger, der ordentlich Tempo macht und natürlich sauber gespielte Gitarren. Wenn das Album zwei Jahrzehnte vorher erschienen wäre, dann würden heutzutage sicher noch ein paar Menschen davon schwärmen. In der heutigen schnelllebigen Zeit haben solche Releases leider nur noch den absoluten Außenseiterstatus des absoluten Außenseiters. Oder man hört sie nicht, weil auf der einen Seite zu weichgespült für die Undergrounder und auf der anderen Seite zu unbekannt für die Mainstreamer. Doofe Situation. V.a., wenn man weiß, dass die Band kurz nach der Veröffentlichung des letzten Albums Holy Shit kurz vor der Auflösung stand, da der ehemalige Sänger das Weite suchte. Mittlerweile singt der ehemalige Gitarrist, dessen Posten wurde wiederum durch einen guten Freund der Band besetzt. Also, gebt den Jungs mal noch ’ne Chance, so ungeil ist das nicht!


Matze Rossi – „Musik ist der wärmste Mantel – Live im Audiolodge Studio“ (End Hits Records) [Stream]
Es ist ja immer so eine Sache mit Sängern, die mir früher in Punk/Hardcorebands gefielen und sich mittlerweile im Singer/Songwriter-Milieu austoben. Meist taugt mir persönlich das nicht so, weshalb der ganze Kram von mir gekonnt ignoriert wird. Tja, bis man kalt erwischt wird und ’ne Digipack-CD von Matze Rossi zwecks Besprechung im Briefkasten landet. Und dann handelt es sich bei dem Ding auch noch um ein Live-Album, diesem Medium begegne ich sowieso schon mit Skepsis. Okay, wenigstens bin ich völlig unvorbelastet, was die Songs von Matze Rossi betreffen, zudem zählen Tagtraum nicht zu den Bands, deren gesamter Backkatalog mir geläufig ist. Also, drücke ich auf Play, schnappe mir das Beiheftchen und lese bei den ersten Klängen den erklärenden Text zum Hintergrund des Releases. Mit dem Album erfüllt sich ein weiterer Lebenstraum Matze Rossis: die Musik zusammen mit einem tollen Publikum auf einem Tonträger festzuhalten. Nach 29 Bühnenjahren und über 2500 Konzerten durfte dem Live-Ereignis, das in zwei Aufnahmesessions im Audiologe Studio in Volkach abgehalten wurde, ein ausgewähltes Publikum von jeweils 30 Personen beiwohnen (die am Konzert teilnehmenden Menschen werden sogar im Booklet namentlich aufgeführt). Und gerade diese intime Konzertatmosphäre ist das, was mich dann bei aller Voreingenommenheit und Engstirnigkeit doch in den Bann zieht. Die sechzehn Songs werden mit viel Leidenschaft und Herz präsentiert, dabei jagen die aus dem Leben gegriffenen Texte zusammen mit dem warmen Klang den ein oder anderen Gänsehautschauer über den Rücken. Da mir die Studioaufnahmen der Songs nicht geläufig sind, kann ich nur mutmaßen, dass die Songs in dieser Liveaufnahme doch etwas anders klingen. Denn dem Sound kommt obendrein zugute, dass Matze Rossi von seinem Freund Martin Stumpf am Kontrabass, Klavier und anderer Percussion begleitet wird. Ein weiteres persönliches Highlight für Matze dürfte der gemeinsame Auftritt mit seiner Tochter sein, beim Song Und jetzt Licht, bitte! wird Papa kräftig beim Gesang unterstützt. Hmm, und ja, bisher hab ich Soloauftritte live nur bei Olli Schulz genossen, bei Matze Rossi könnte ich mir das aber – nachdem ich mich jetzt intensiv mit diesem Album beschäftigt habe – auch ganz gut vorstellen.


Muncie Girls – „Fixed Ideals“ (Specialist Subject Records u.a.) [Stream]
Das Sonne, Mond und Sterne-Cover des zweiten Longplayers der Band aus Exeter/UK ist jetzt zwar nicht so originell, dennoch macht es im 12inch-Format was her. Es gibt übrigens drei verschiedene Pressungen (blaues und gelbes Vinyl), mein Besprechungsexemplar ist durchsichtig und mit blauen und gelben Sprenkeln übersät. Sieht echt mal geil aus, die A-Seite ist durch eine Sonne auf dem Label verziert, von der B-Seite lacht dann logischerweise der Mond. Und natürlich sind auf der Innenhülle alle Texte abgedruckt. Am Release sind neben Specialist Subject Records auch noch die Labels Buzz Records und Lost Boy Records beteiligt. Insgesamt sind 13 Songs auf Fixed Ideals zu hören. Im Vergleich zum Debutalbum kommen die Songs um einiges glattpolierter um die Ecke, in manchen Songs schleicht sich sogar ein Glockenspiel ein, vermutlich in Anlehnung an das Sonne/Mond-Thema und an die vielen schlaflosen Nächte, die Sängerin Lande Hekt wach gelegen haben muss und ihr die Gedanken durch den Kopf gegangen sind, die sie zu den Texten inspiriert haben. Und diese sind wieder sehr persönlich ausgefallen und handeln von ernsten Themen wie z.B. Schlaflosigkeit, Angststörungen, Depressionen und natürlich vom unendlichen Kampf gegen den alltäglichen Wahnsinn. Negative Gefühle gedeihen im Dunkeln besonders, deshalb ist Ablenkung mit sonniger Musik ein gutes Mittel, der scheinbar auswegslosen Situation zu entfliehen. Songs wie z.B. High oder Picture Of Health bringen diese Sonne zum leuchten, dennoch liegt dieses Wechselspiel von Nervenzusammenbruch und Lebensfreude nah beieinander. Sehr gefühlvoll kommen dabei natürlich wieder die Vocals um die Ecke, aber auch instrumental sind einige melancholische Töne zu hören, gerade die ruhigeren Passagen berühren enorm. Und letztlich fügt sich alles zu einem tollen Album zusammen, das die richtige Balance zwischen einer guten Produktion, stimmigem Songwriting und intensivem Gefühlschaos hält. Hier kommen Emo-, Pop-Punk- und Indie-Fans gleichermaßen auf ihre Kosten!


Pagan – „Black Wash“ (EVP Recordings) [Stream]
Auf diese Band bin ich letztens beim Bandcamp-Surfen gestoßen. Und irgendwie hab ich mir beim Antesten nur so gedacht: wahrscheinlich wieder so ’ne weitere Band, die auf der aktuellen Blackmetalwelle mitsurfen will. Pfff, ein umgedrehtes Kreuz mit Kerzenflamme, eigentlich geht das doch heutzutage gar nicht mehr! Kann man nur hoffen, dass die Sängerin auf der Bühne keine Fledermausköpfe abbeißt. Zutrauen könnte man es ihr, so fies wie die Frau da rumbrüllt! Jedenfalls machen Pagan aus Melbourne/Australien ziemlich arschtretenden melodischen Post-Hardcore mit groovigen Gitarren, Einflüsse aus Blackmetal, Punk, Rock, Metal, Screamo und Hardcore sind ebenfalls vorhanden. Die Gitarren jagen ein Hammerriff nach dem anderen aus dem Ärmel, dazu dieser intensive aber dennoch melodische Schreigesang. Geht gut nach vorne, geht gut ins Ohr, jeder Song ist top arrangiert, so dass die elf Songs wie im Flug und ohne den geringsten Hänger abgehört sind und man danach nach einer weiteren Runde lechzt! Wahnsinn, dabei sehen die Bandmitglieder noch ganz schön jung aus, für ein Debutalbum in der Klasse hat die Band jedenfalls schonmal stark abgeliefert. Ob an der Entstehung des Albums etwa doch dunkle Mächte beteiligt waren? Womöglich, ich bin jedenfalls schon jetzt dem Pagan-Kult verfallen!


Slumb Party – „Selftitled“ (Erste Theke Tonträger) [Stream]
Auf diese Band bin ich eigentlich nur gestoßen, weil ausnahmsweise der Facebook-Flurfunk funktioniert hat und ich einem kleinen Hinweis der längst verblichenen Band Plaids nachgegangen bin. Nach der Auflösung von Plaids sind nämlich einige neue Bands entstanden, darunter Soul Structure und eben Slumb Party. Die Band aus Nottingham/UK setzt sich aus einer Frau und vier Typen zusammen und macht ’nen super catchy Mischmasch, der so in Richtung Post-Punk geht. Dabei ist sogar ein Saxophon mit an Bord, das sich hervorragend im Sound der Briten macht und dem ganzen einen eigenen Stempel aufdrückt. Verdammt, dieses Saxophon klingt so scharf wie eine frisch geschliffene Rasierklinge. Die fünf Songs erinnern dann desöfteren an Bands wie Fugazi (der Bass, die Gitarre, die Drums und der Gesang), The Robocop Kraus oder aber auch Gang Of Four. Eins ist sicher, auf dieser Party wird bestimmt nicht geschlummert. Diese wilde Mischung würd ich ganz gern mal live sehen, das ist bestimmt sehr tanzbar und abgefahren!