V.A. – „Youth Crew 2022 7inch“ (Seven Oaks Records u.a.)

Die Youth Crew-Compilation-Reihe startete im Jahr 2008, die einzelnen Veröffentlichungen erschienen im Zwei-Jahres-Rhythmus. Somit handelt es sich bei der 2022-er Version um den mittlerweile achten Teil der Reihe. Und nachdem das Ding im wellensittichfarbenen und durchsichtigen gelben Vinyl (es gibt auch noch eine Magenta-Version) einige Runden auf dem Plattenteller hinter sich hat, würden mich natürlich die bisher erschienen Teile ebenfalls interessieren.

Denn das kleine Scheibchen hat insgesamt acht Bands aus unterschiedlichen Ländern zu bieten, neben Stations aus Deutschland sind mir dank des auf Seven Oaks Records erschienenen Split-Tapes nur Last Gasp aus Ohio bekannt und das Niveau ist ziemlich hoch, soll heißen: das Ding ballert ordentlich und man hat mit einem Schlag acht Bands entdeckt, die genauer unter die Lupe genommen werden sollten! Aber so soll es ja auch sein, das ist die Funktionsweise einer Compilation: neue, oder auch alte Bands kennenzulernen, die einen äußerst freshen Sound auffahren! Und das tun alle der acht Bands, obwohl die Beteiligten womöglich weit entfernt von ihren jugendlichen Jahren sind. Ich muss ja zugeben, dass ich aus der Youth Crew- und Posi-HC-Szene ziemlich herausgewachsen bin, dennoch gab es in meiner HC/Punk-Sozialisation eine Phase, in der ich jedes Release förmlich aufgesogen hätte, wenn es zu der Zeit schon Internet-Streaming-Plattformen gegeben hätte. Anstatt dessen wurden bei einschlägigen Mailordern eben Compilation-7inches bestellt. Okay, aber Opa erzählt vom Krieg, also wieder volle Konzentration auf die vorliegende 7inch!

Das Ding ist in Zusammenarbeit der Labels Seven Oaks Records (D), Patient Zero Records (US) und Youth Authority Records (F) erschienen, und beim deutschen Label sind die Scheibchen auf 50 Stück (gelb/magenta) limitiert, also ist ranhalten angesagt! Ein Textblatt/Wendeposter mit Youth-Crew-typischem Artwork liegt ebenso wie ein Download-Code bei, Full Service also! Auf der A-Seite legt die argentinische Band xDistantex mit einem Smasher unter einer Minute los und ich bin direkt angefixt und finde mich Sekunden später schon auf der Bandcamp-Seite der Band wieder. Wütende female Vocals treffen auf explodierenden Oldschool-HC á la Uniform Choice, geil! Danach sind Urgent Kill aus den Niederlanden dran, der Vergleich zu Man Lifting Banner liegt nicht nur geographisch auf der Hand. VAXXX sind aus Kalifornien und auch in der Straight-Edge-Szene hat Corona Spuren hinterlassen, wie man anhand des Broken Edge-Texts erfährt. Stations beenden die A-Seite mit ihrem Highspeed-Hardcore, den Song kennt man bereits vom Split-Tape. Die B-Seite wird von Iron Deficiency aus Frankreich eröffnet. Dystopischer Hardcore, schön übersteuert, mit überschlagenden, keifenden female Vocals! One Step At A Time aus Belgien kommen dann mit melodischem US-Hardcore á la Champion, Ignite, Uniform Choice und Co um die Ecke. Ich mag den knödelnden Bass! Last Gasp aus den Staaten dann mit US-Oldschool-Sound im Stil von Count Me Out, Nerve Agents, In My Eyes oder Betrayed, da hüpft das sXe-Herz! Abschließend gibt es einen gnadenlos übersteuerten und oldschoolig anmutenden Song der österreichischen Band Alive Inside. Erinnert mich an die Proberaum-Aufnahmen und Konzerte befreundeter Bands in den frühen Neunzigern. Also, ihr seht schon, das hier ist eine äußerst gut gelungene Compilation!

Bandcamp / Seven Oaks Records


Tape-Duo: Feale & Letterbombs + Portrëit

Feale – „Cryaletti“ (Seven Oaks Records) [Stream]
Kennt ihr das Gefühl, wenn der Endless Summer plötzlich und ohne Vorwarnung abrupt endet und das Thermometer von heute auf morgen um ganze 25 Grad weniger anzeigt? Für zwei Wochen herrscht herbstlich-winterliches Wetter und plötzlich lässt sich doch noch mal der Spätsommer blicken! Genauso ein Gefühl schleicht sich bei den Klängen der Cryaletti-EP der Dresdner Band Feale ein. Mir war die Band vor dem Erhalt des bunt aufgemachten Tapes noch nicht bekannt, zuvor erschien eine erste EP. Das Tape ist der 12. Streich des DIY-Labels Seven Oaks Records. Auch das Artwork bringt mit der Orange und dem Coffee-Maker eine gewisse Urlaubs-und Sommerromantik mit. Im Tapecover finden sich alle Texte und ein handschriftlich eingetragener Downloadcode, sympathisch! Und auch ganz praktisch, wenn der Walkman mal wieder den Geist aufgegeben hat. Mit dem Opener Sun Benedetto geht zugleich auch die Sonne auf. Nach einem kleinen, etwas grungig angehauchten Intro geht es auch schon mit verträumten Gitarren und treibenden Drums melodisch nach vorne, die female Vocals gefallen mir dabei ganz besonders. Da ist insgesamt sehr viel Melancholie zu spüren, die textlich noch unterstrichen wird. Die Mischung aus Midwest-Emo und Punk lässt trotz der schmerzlichen Lyrics die Sonne scheinen, das nennt sich dann wohl bittersweet! Insgesamt fünf Songs gibt es zu hören. Neben Bands wie Tigers Jaw oder Turnover dürften auch Bands wie die Misfits oder Algernon Cadwallader große Einflüsse des Quartetts sein. Bin jedenfalls auf weiteres Material der Band sehr gespannt, das Tape solltet ihr unbedingt mal abchecken!


Letterbombs & Portrëit – „Split“ (Dingleberry Records u.a.) [Name Your Price Download]
Auf diesem Co-Release der Labels Dingleberry Records & Zegema Beach Records gibt’s gleich zwei geile Bands zu hören, die euch mit ihrem Sound ruckzuck den Kopf verdrehen, vorausgesetzt ihr mögt es etwas ruppiger Richtung Screamo & Emoviolence. Letterbombs aus Finnland sind mit vier Songs am Start. Die Gitarren drehen frei, manchmal aber auch schön melodisch, der Sänger kreischt intensiv, die Drums klingen ebenso verrückt zwischen Stop’N’Go und Highspeed-Geknüppel, der Bass knarzt wie Hölle. Gescreamt wird teils in englischer und auch in finnischer Sprache. Portrëit aus Giessen wurden ja bereits mit ihrem tollen 2017er-Demo angepriesen, jetzt gibt es endlich neuen Stoff der Band, die sich übrigens aus Leuten der Bands Faltre und Knife Trade zusammensetzt. Aus den vier eigenen Songs und einer Comadre-Coverversion hört man die langjährige Banderfahrung deutlich raus. Geboten wird intensiver emotive Screamo, der immer wieder mit stürmischen Ausbrüchen für Chaos und Gänsehaut sorgt. Diese höllisch geilen Gitarren und das leidende Geschrei in Kombination mit den unvorhersehbaren Richtungswechseln und einem Drummer, der mit Haut und Haaren mit seinem Drumkit verschmilzt, zaubern mir ein fettes Grinsen ins Gesicht. Hier spürt man die Leidenschaft und das Herzblut!


Tape-Duo: Last Gasp & Stations (Seven Oaks Records)

Last Gasp – „The Storied Weight of it All“ (Seven Oaks Records) [Stream]
Hach, das Paket aus dem Hause Seven Oaks Records kam gerade richtig kurz vor Weihnachten! Und das auch noch unangekündigt und völlig überraschend! Sehr geil, zwei Tapes von mir bisher unbekannten Bands. Die eine hier ist Last Gasp aus Cleveland, Ohio. Und die blasen mich mit zwar altbekanntem oldschooligen, aber sehr frischem und nach vorne gehenden Hardcore fast vom Stuhl! Das Tape-Cover erinnert mich schonmal irgendwie an alte HC-Artworks wie z.B. Uniform Choice, Circle Jerks oder Black Flag. Musikalisch gibt’s dann 88er-Posi-Youth-Crew-HC auf die Ohren. Vom Spirit her sind das dann so Bands wie Count Me Out, Nerve Agents, In My Eyes, Betrayed, Bane, Ensign, Champion oder Eyeball, vom Groove her geht es auch mal Richtung Shutdown oder frühe Snapcase, aber eher mit durchgedrücktem Gaspedal. Ich spür den Druck der Holzperlenkette förmlich am Hals! Ich war übrigens in meiner Jugend auch mal ein wie im Opener beschriebener Teenage Maniac, manchmal bin ich das auch noch heute! So treffend und zusammen mit der Musik auf den Punkt kann man diesen Zustand wohl kaum besser beschreiben! Zwar bin ich mit mittlerweile knapp 50 echt zu alt für den Scheiß, aber hier hätte ich – wenn es Covid19 nicht gäbe – tierisch Bock auf ’nen schwitzigen HC-Pit, bei dem sich alle auf den Sänger stürzen und sich die Zähne am Mikro ausschlagen wollen. Der hyperventilierende Sänger hat ’ne richtige Emo-Power, da spritzt das Herzblut förmlich raus! Und wäre jeder Bass so gut abgemischt, wie der Rest der Instrumente, dann würde es niemals wieder unzufriedene Bassist*innen geben! Auch wenn mein altes Tape-Deck wieder funzt und ich das Format Tape echt gern habe, hab ich letztendlich vom beiliegenden Download-Code Gebrauch gemacht. Und bei der Gelegenheit hab ich mir auf der Bandcamp-Seite der Jungs auch gleich die Textpassagen reingezogen, die ich aufgrund des Geschreis und der leider unleserlichen Schrift der Lyrics im Booklet nicht entziffern konnte. Und jetzt hüpf ich bei laut aufgedrehter Anlage rum und hoffe, dass ich mich nicht an irgendeiner Möbelkante verletze.


Stations – „Livewire“ (Seven Oaks Records) [Name Your Price Download]
Oh wie lang ist’s her, als ich mal in Dresden war…Definitiv war das vor der Geburt der Band Stations, die irgendwann im Jahr 2016 gegründet wurde. Bisher gab es ’ne EP und ’ne Split. Und jetzt bekomm ich völlig überraschend, siehe oben, ein Tape zugeschickt! Die Farbe des Tapes: grün. Das erinnert mich an mein erstes AC/DC-Tape (Hells Bells), das mir mein großer Bruder auf ein eben grünes BASF-Tape aufgenommen hat. Naja, AC/DC waren zwar damals die Einstiegsdroge für mich, aber das ist ewig lang her (1980?). Und eigentlich tut das hier echt mal gar nichts zur Sache. Obendrein will ich lieber darüber sinnieren, warum mir der Sound von Stations ganz gut reinläuft. Deshalb wieder zurück zum Tape, das auch optisch mit diesem Labyrinth-Artwork gewaltig rockt! Super auch, dass alle Texte abgedruckt sind! Und dann schließt sich der Kreis, als ich im schön gefalteten Tape-Booklet lese, dass beim Song Potato Stomp Daniel von 20 Liter Joghurt mit an Bord ist. Übrigens ist auch noch ein Download-Code handschriftlich beigefügt, ganz große Liebe! Musikalisch gibt’s dazu auch noch schön auf die Fresse: Rotzigen Highspeed-Hardcore mit Biss im Stil von Obtrusive, Krombacher Kellerkinder, Miozän oder Highscore. Wahrscheinlich sind die Vorbilder aber auch ganz frühe Agnostic Front, DRI, Chronical Diarrhoea und Madball mit dem damals noch kleinen Buben mit den abstehenden Ohren am Mikro. Und natürlich auch noch The First Step, die auch gleich noch gecovert werden. Ach ja, trotz der Schnelligkeit ist hier ’ne große Portion Melodie mit an Bord, dazu stimmt auch noch die Message! Oh wie gern würd ich die mal im Proberaum besuchen! Mit Gasmaske? Oder im kleinen Gewölbekeller mit der Birne an die Decke klatschen!


Tape-Duo: Joe Astray & V.A. – Play Fast Ride Easy

Joe Astray – „Reconstruction“ (Intersphere Records)
Nach etlichen Umzügen ist Joe Astray vor einiger Zeit in Hamburg gestrandet, vorherige Stationen waren Sydney, Karlsruhe und Freiburg. Was bei all den Umzügen immer geblieben ist und ein fester Anker im Leben von Joe Astray ist, ist die Musik. Was im Punk mit DIY-Spirit begonnen hat, hat sich nun zum Indie-Singer-Songwriter-Sound gewandelt. Nach zwei EPs hat er zusammen mit den Produzenten Gregor Henning (Studio Nord Bremen) und Valentin Hebel (Monako) insgesamt neun Songs für sein Debutalbum eingespielt. Und das Ergebnis ist wirklich sehr schön geworden, die Songs besitzen allesamt eine melancholische Ader, zudem klingen die Songs sehr intim. Dadurch, dass nicht immer die Folk-Gitarre und der Gesang im Vordergrund steht und auch öfters mal Elektronik und Keyboards zum Einsatz kommen, entstehen oftmals atmosphärische Momente. Dass eine Punk-Vergangenheit besteht, merkt man höchstens im letzten Song At The River By The Bridge, bei dem es auch mal etwas wilder wird. Bei den Songs Pirate und Sleepless Nights kam mir sofort die Band Athlete in den Sinn, ich sehe auch Parallelen zu Zeugs wie Bright Eyes, Death Cab For Cutie, Damien Jurado oder Surfjan Stevens. Ach ja, Reconstruction gibt’s neben der Tapeversion auf Intersphere Records auch noch in Vinylform bei Bekassine Records.

Bandcamp / Facebook / Intersphere Records


V.A. – Play Fast Ride Easy (Seven Oak Records)
Wenn man ohne die leiseste Ahnung zum Briefkasten schlendert und dort ein putzig kleines Umschlägchen entdeckt, dann weiß man eigentlich schon anhand der Form, dass da sicher ein Tape rauspurzeln wird. Und so ist es auch dann. Seven Oaks Records schickt das farbenfroh aufgemachte Tape mit dem radelnden Bike-Punk auf dem Frontcover. Faltet man das Tapecover auf, dann sieht man, wie sich der thrashige Bike-Punk schön fies auf die Fresse legt. Alk und Bike endet auf der Street…jedenfalls wird schon anhand der Zeichnungen und der Optik der Bandschriftzüge klar, in welche musikalische Richtung es gehen wird. Legt man das rote Tape mit den schwarzen Labels ins Tapedeck, wird man direkt bestätigt. Oldschooliger Crossover zwischen Thrash, Metal, Punk und Hardcore scheppert aus den Lautsprechern. Da wird man direkt in die Achtziger gebeamt. Übrigens haben wir es mit einem Split-Tape zu tun. Insgesamt gibt’s vier Bands aus Brasilien zu hören, jede Band steuert 3-4 Songs bei. Den Auftakt macht N.W.77, die mich ein bisschen an eine Mischung aus Ratos de Porao und frühen Sepultura erinnern. Geht gut nach vorn, ein paar Gitarrensolis lassen aufhorchen. Kommt jedenfalls schön satt abgemischt. HCG sind dann deutlich punkiger und krachiger unterwegs, klingt nach Proberaum-Mitschnitt mit ’nem billigen Kasi. D.F.C. kommen dann wieder etwas besser abgemischt rüber, sie sind auch etwas schneller unterwegs, es geht in Richtung Union13 und frühe Agnostic Front, die Gitarren moshen dabei in ähnlichen Sphären wie die frühen Anthrax. Zum Schluss kommen noch Life In Grave mit Thrash-Metal-lastigem Crust-Punk-Crossover dran. Ach ja, die Lyrics dieses Releases werden zum Teil in der Landessprache vorgetragen. Für Fans des Genres lohnt sich das Tape jedenfalls, denn man lernt vier Underground-Bands mit Exotenbonus auf einen Streich kennen! Ranhalten: die Auflage ist auf 50 Stück limitiert!

Stream / Seven Oaks Records


Lessoner – „Exzenter“ (Seven Oaks Records)

Schon geil: da stößt man beim Bandcamp-Surf-Ausflug auf ein Release, findet es klasse, entscheidet sich dazu, ein paar Zeilen drüber zu schreiben…und schwups, zwei Jahre später findet man eine 12inch besagter Band im Päckchen vom sympathischen DIY-Label Seven Oaks Records. Völlig überraschend, denn Lessoner verkündeten nach dem damals besprochenen Release, dass nach dem Weggang des Sängers Ersatz gesucht würde. Diesen Ersatz haben sie mittlerweile wohl gefunden, denn Exzenter ist mal definitiv keine Instrumental-EP geworden. Und so wie es aussieht, ist der Weg des geringsten Widerstands gegangen worden: aus dem einstigen Quartett ist ganz einfach ein Trio geworden, der Gesang wird jetzt vom Gitarrist und vom Bassist beigesteuert. Und was sich auf dem 2019er-Release schon abgezeichnet hat und der Band auch im damaligen Review ein paar Pluspunkte bescherte, war der letzte Song des Releases, der zeigte, dass die Musik von Lessoner auch mit deutschen Lyrics funktioniert.

Exzenter kommt dann gleich fast komplett deutschsprachig, lediglich beim Song La Sirima La Fronte sind ein paar Sätze in italienischer Sprache mit dabei. Insgesamt sieben Songs gibt das Trio auf der EP zum Besten. Was ähnlich zur Morgana-EP geblieben ist, sind die groovige Grundstimmung und die abwechslungsreichen und sehr lebhaften Songarrangements, die von üppigem Ideenreichtum geküsst sind. Die Jungs picken sich ihre Rosinen aus Post-Hardcore, Screamo, Noise, Punk, Emocore und etwas Melodic Hardcore heraus und basteln sich damit ein gelungenes Gebräu, das nach wenigen Durchläufen sofort im Ohr hängen bleibt. Wenn ihr alle Facetten der Band in einem Song zusammengefasst haben wollt, dann empfehle ich als Anspieltipp das vielseitige und groovende Arche, das auch die ruhige und melancholische Seite der Band gut einfängt. Hattet ihr eigentlich schonmal eine Vinylscheibe, die zu stark der Sonne ausgesetzt war und deshalb stark eierte, so Berg- und Talfahrt-mäßig? Falls ja, dann hilft dabei ein Exzenter-Gewicht, die Unwucht auszugleichen. Exzenter ist zwar ein Begriff aus der Astronomie und der Mechanik, als Exzentriker werden aber auch Leute bezeichnet, die bewusst von kulturellen und sozialen Normen abweichen. Der EP-Titel regt daher genauso wie die Texte zum Kopfkino-Grübeln an.

Die Texte sind übrigens in schöner Handschrift geschrieben auf dem aufklappbaren Textblatt abgedruckt. Aus dem Leben gegriffene Geschichten sorgen für reichlich Stoff zum Nachdenken, zudem steckt da sehr viel Intimität drin, schätzungsweise werden sogar persönliche Traumata verarbeitet. Das Lyric Sheet ist auch noch analog zum Albumcover mit Fotos aus längst vergangenen und vermeintlich glücklichen Kindheitstagen versehen, was dem ganzen noch eine persönliche Note obendraufsetzt. Anhand des Telefons auf dem Frontcover und der Blümchentapete sind diese wohl irgendwann in den 80ern entstanden. Wollte die EP ursprünglich eigentlich als Review-Duo mit der Band Schubsen online stellen, aber nur deshalb, weil auf beiden Albumcovern Fernsprechtischapparate abgebildet sind und beide Bands mit Sprache und Bildern an sich ganz gut umgehen können. Hab mich dann doch dagegen entschieden, der Entschleunigung wegen. Mein 12inch-Besprechungsexemplar schimmert übrigens in rotem, fast ins orange gehendem Vinyl, durch das man durchblicken kann. Es gibt aber auch noch eine Version in transparent-blauem Vinyl. Download-Code inklusive. Und neben Seven Oaks Records ist auch noch das DIY-Label Save The Scene Records am Release beteiligt. Geile Sache!

8/10

Bandcamp / Seven Oaks Records


20 Liter Yoghurt – „Always Trying To Fit “ (Seven Oaks Records/Underdog Records)

Dass Hardcore More Than Music ist, gerät in den letzten Jahren bei vielen Bands leider ein bisschen in den Hintergrund. Deshalb ist es immer wieder schön, auf Bands zu treffen, die dem ganzen Ding mit Haut und Haaren verfallen sind. Dieser erste Eindruck, der bereits bei der Mailkonversation im Zuge der Besprechungsanfrage entstand, bestätigte sich dann auch prompt beim Eintreffen des liebevoll geschnürten Plattenpakets mitsamt dem darin enthaltenen persönlichen Begleitbrief. Da wird mir persönlich immer ganz warm ums Herz! Nun, 20 Liter Yoghurt kommen aus der sächsischen Provinz – genauer gesagt aus Grimma, der Partnerstadt meines ebenfalls provinziellen schwäbischen Heimatorts – und existieren seit dem Jahr 2015. In dieser Zeit haben die vier Jungs zwei EP’s in Eigenregie veröffentlicht und natürlich etliche Konzerte gezockt. Mit der Unterstützung der beiden DIY-Labels Seven Oaks Records und Underdog Records hatten die Jungs jetzt also die Möglichkeit, ihr Debutalbum auf Vinyl zu veröffentlichen. Und das Resultat kann sich mehr als sehen lassen!

Auf dem hübsch anzusehenden Cover stelzt ein Flamingo majestätisch durch flaches, seichtes Wasser. Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte ich dank Klimawandel Flamingos in freier Wildbahn beobachten, diese koloniebildenden Tiere sind einfach faszinierend! Und irgendwie könnte man es fast schon als Tick bezeichnen: denn immer, wenn mir Flamingos vor Augen kommen, muss ich mit einer Mischung aus Entsetzen und Belustigung an John Waters kontroversen Film Pink Flamingos denken. Es ist jetzt vielleicht weit hergeholt, aber John Waters und auch speziell sein Charakterdarsteller Divine sind – beziehungsweise waren – Leute, die dem ständigen Versuch, sich der Gesellschaft anzupassen, ordentlich Paroli geboten haben. Ob hinter dem eigentlich schlichten aber wirkungsstarken Coverartwork von Druckwelle Design irgendeine Geschichte steckt? Dass 20 Liter Yoghurt eine Band ist, die sich sehr viele Gedanken macht, zeigt alleine das vierseitige Textblatt. Hier sind neben den englischen Texten zu jedem Song auch ausführliche Linernotes in deutscher und englischer Sprache enthalten. Sehr schön! Das findet man heutzutage wirklich selten! Dass die Texte sich dann im politischen und gesellschaftskritischen Bereich bewegen und auch mal ins persönliche gehen, rundet die ganze Sache ab! Die ganzen Hintergründe, Texte und linernotes sind auch für Leute ohne Plattenspieler  auf dieser Seite im Netz nachzulesen.

Und dann ist da ja auch noch die Musik, die vom ersten Ton an absolut mitreißen kann! 20 Liter Yoghurt vermischen Hardcore, Punk, Post-Hardcore, Melodic Hardcore und etwas Screamo und sogar Noise-Einflüsse zu einem stimmigen und lebhaften Gebräu, bei dem man merkt, dass es straight from the heart kommt. Und genau da trifft es mich dann auch gewaltig! Die Songs leben von unbändiger Spielfreude, man kann sich bildlich vorstellen, wie so ’ne 20 Lite Yoghurt-Bandprobe aussieht! Einer bringt völlig aus dem Häuschen ein Riff mit, das er schon seit Tagen in Dauerschleife spielt, die anderen stimmen drauf ein und bauen was drum herum, der Schlagzeuger haut auf die Felle und die Crashbecken, dass die Schädeldecke vibriert, alle grinsen wie blöde vor sich hin und am Ende kommt ein grooviger Song wie z.B. Everyone heraus. Diese Wildheit und das Kämpferische spürt man an allen Ecken und Enden, Glass Jars z.B. ist auch so eine Granate! Die Faust geht bei Songs wie beim nachfolgende Contradictions oder beim Tapping Your Shoulders automatisch in die Höhe, genial auch die immer wieder einsetzenden Background-Gangshouts! Was mir an den Aufnahmen gefällt, ist der raue Unterton und das energiegeladene Live-Feeling, das aus den Lautsprechern suppt. Für’s Mastering war mal wieder die Tonmeisterei zuständig. Always Trying To Fit wird auch nach mehrmaligen Durchläufen nicht langweilig, im Gegenteil! Das Album wächst jedesmal noch ein bisschen und der Appetit, die Band mal live zu sehen, wird mit jeder weiteren Runde größer. Müsst ihr unbedingt mal anchecken!

8/10

Facebook / Bandcamp