Bandsalat: Goldzilla, I Like Young Girl, Knowhere, Maria Taylor, The Run Up, Stray From The Path, Stumfol, Turnover, White Crane

Goldzilla – „Goldzilla Vs. Robohitler“ (DIY) [Stream]
Was mir da nach erstem Mailkontakt in den Briefkasten geflattert kam, das gibt es auch nicht alle Tage! Ein wunderschönes, kleines Päckchen, nicht größer als eine ultrafette Digipack-CD. Mit goldener Farbe angesprüht, vorne drauf ein aufgeklebtes Polaroid-Foto. Ich mach jetzt einfach mal ein kleines Unboxing-Resumee: aus dem Paket purzelt ein in goldener Farbe angesprühtes Tape im Pappschuber, dazu gibt’s einen Anstecker aus Metall, ein paar nette Aufkleber und eine individuell für mich bedruckte und handbeschriebene Goldzilla-Postkarte. Wow, das ist wirklich ein Care-Paket der Extraklasse! DIY wird bei Goldzilla offenbar ganz groß geschrieben. Schaut euch mal das coole Video zum Song Dieter stolpert an, da kann jede Massenproduktions-Maschine gegen abstinken! Nun, den Anstecker mit dem von Pfeilen durchbohrten Hund hat sich natürlich gleich mein Töchterchen für’s Schülermäppchen unter den Nagel gerissen. Ist das eigentlich Blondi, des Führers geliebte Schäferhündin? Durchbohrt von den Pfeilen des mächtigen Goldzillas? Wahrscheinlich schon, denn als nächster steht ja laut EP-Titel Robohitler auf dem Speiseplan Goldzillas. Überhaupt, Goldzilla hat viele verhasste Gegner, die gnadenlos vernichtet werden sollten. Das erfährt man im liebevoll gestalteten Textblatt, in dem alle in deutscher Sprache verfassten Lyrics nochmals nachgeschlagen werden können. Aber eigentlich nur für den Fall, wenn man sich nicht sicher ist, was denn da gerade wütend rausgebrüllt wurde. Die sechs Songs kommen kämpferisch daher, musikalisch geht das eher in eine punkige Richtung, die Gitarren legen aber zwischendurch auch mal einen stark angefuzzten Tanz auf’s Parkett und klingen ein bisschen nach Stoner, der Bass knattert dabei schön Sludge-mässig rum. Melodische Punk-Gitarrenriffs wechseln sich mit dreckig-rauen und groovigen Passagen, passend dazu tanzt Patrick Swayze in bester Dirty-Dancing-Manier über die Karre von Chief Wiggum und Barbrady, nachzuhören im Song Cops oder Zahlen. Irgendwie kommen mir bei manchen Gitarrenpassagen der drei Berliner*innen auch die frühen Smashing Pumpkins in den Sinn, andere Referenzen wären Muff Potter, Captain Planet, Turbostaat und die frühen Deftones. Checkt das mal an, Goldzilla ist ein Guter!


I Like Young Girl & Knowhere – „Split“ (Rizkan Records) [Stream]
Zwei coole asiatische Bands könnt ihr auf diesem schnuckeligen Release kennenlernen. Beide Bands steuern jeweils zwei Songs im gegenseitigen Wechsel bei! Und die dürften allen gefallen, die auf melodischen Emo mit Indie und Punk-Einflüssen stehen. I Like Young Girl mögen einen etwas hinterfragungswürdigen Namen haben, können musikalisch aber auf ganzer Linie überzeugen. Wenn ich den Bandnamen mitsamt Herkunftsland Japan in eine Internetsuchmaschine eingebe, bekomme ich jedenfalls nur Erwachseneninhalte geliefert, wahrscheinlich bin ich dadurch sogar auf irgendeiner Fahndungsliste gelandet. Dankeschön, ihr Deppen! Okay, nachdem ich neulich das sagenhaft lustige und informative Buch The Tokyo Diaries von David Schumann gelesen habe und dadurch Einblicke in ein unbekanntes Japan der Subkulturen bekam, schau ich mal über den beknackten Namen weg. Gerade auch, weil die Mucke mich alten Sack echt mal bei den Eiern packt. Das Trio klingt so verdammt frisch und catchy! Da möchte man wirklich nochmal jung sein! Diese zuckersüßen aber dennoch melancholischen Schrammel-Gitarren, herrlich! Dazu gesellt sich einfühlsamer Gesang, so dass die zwei Songs eine ganz besondere Stimmung mit sich tragen. Knowhere aus Indonesien hauen musikalisch in eine ähnliche Kerbe. Wow! So frisch, so melancholisch, so melodisch und intensiv. Beim Song Dial N For Nonsense kommen dann noch Bläser dazu, so dass man an Bands wie z.B. Algernon Cadwallader erinnert wird. Tigers Jaw, Nada Surf, The Get Up Kids und I Love Your Lifestyle kommen ebenfalls in den Sinn. Das Ding hier müsst ihr unbedingt mal anchecken!


Maria Taylor – „Selftitled“ (Grand Hotel van Cleef) [Stream]
Es war die November-EP der Band Azure Ray, mit der ich erstmals auf die Musikerin Maria Taylor aufmerksam wurde. Obwohl diese EP bis heute immer wieder mal den Weg in die heimische Anlage fand -vorzugsweise im Herbst- verfolgte ich den weiteren künstlerischen Werdegang Maria Taylors nur so am Rand. Dass die Musikerin auch teilweise bei Bright Eyes mitwirkte und Azure Ray schon mal mit Moby kollaborierten, war mir bewusst und auch die Solokarriere nahm ich zur Kenntnis. Dass mit diesem selbstbetitelten Album hier bereits der siebte Longplayer erschienen ist, überrascht mich dann doch etwas. Da sieht man mal wieder, wie die Zeit vergeht! Mittlerweile hat Maria Taylor Familie und wohnt mit ihrem Ehemann Ryan Dwyer und ihren zwei Kindern in einem kleinen Häuschen in Los Angeles. Im dortigen Wohnzimmer entstanden auch in kuscheliger Homerecording-Atmosphäre die Aufnahmen zu den zehn Songs des neuen Albums. Obwohl Maria Taylor ja als Multiinstrumentalistin bekannt ist und die meisten Instrumente von ihr selbst eingespielt wurden, waren zahlreiche Gastmusiker am Entstehungsprozess beteiligt. Neben Ehemann Ryan Dwyer und langjährigem Freund Louis Schefano sind zahlreiche Familienangehörige und enge Freunde auf dem Album zu hören, selbst Taylors siebenjähriger Sohn steuerte die Grundidee eines Songs bei (Miley’s Song). Kennt man diese Hintergründe und beschäftigt man sich zudem mit den sehr persönlichen Lyrics, dann klingt die Musik umso tiefgründiger und intimer. Bereits der Opener strotzt vor Melancholie und die Vertrautheit setzt spätestens beim tollen Refrain ein. Manche Songs wirken reduziert, es schleichen sich aber immer wieder verspielte Instrumente im Hintergrund ein, so dass es viel zu entdecken gibt. Hört euch z.B. mal den Song New Love an, der hat so ’ne richtig melancholische Gitarrenmelodie. Diese Platte ist genau das Richtige, um es sich bei kaltem Regenwetter zu Hause gemütlich zu machen!


The Run Up – „In Motion“ (Gunner Records) [Stream]
Das zweite Album der Band aus Bristol/UK steckt voller catchy Punkrockhymnen! Soviel schonmal als Spoiler. Insgesamt zwölf Songs voller Leidenschaft sind darauf zu hören. Die Band war in den letzten zwei Jahren permanent auf Tour, hatte demnach genügend Zeit, sich dabei auf’s Detail genau einzuspielen. Und das kann man auf In Motion ohne Zweifel hören. Das tönt nach ungezwungener Leichtigkeit, hier passt jeder Ton, hier sitzt jedes Gefühl! Auch wenn die Melancholie stets zu spüren ist, geht der Band die Energie und Intensität zu keiner Sekunde flöten. Neben den stimmigen Songarrangements sind es v.a. die gefühlvoll aus dem Ärmel gezockten Gitarren, die treibenden Drums und der verletzliche Gesang, der die Platte so groß macht. Da wünscht man sich direkt vor die Bühne, um bei den zahlreichen Mitgröhlgranaten von Gänsehautschauern überwältigt zu werden. Geiles zweites Album mit massig Seele!


Stray From The Path – „Internal Atomics“ (UNFD) [Stream]
Auch wenn Stray From The Path aus New York mittlerweile schon seit 2001 unterwegs sind und seitdem zahlreiche Releases rausgehauen haben, hab ich bisher null Kenntnis von der Band. Schön, wenn man bei Null anfängt, und dann gleich mit so einem wuchtigen Album wie Internal Atomics getroffen wird! Stray From The Path machen eine groovelastige und arschtretende Mischung aus metallischem Hardcore und Hip-Hop. Bevor ihr jetzt abgeschreckt seid und mit Grausen an Bands wie z.B. H-Blockx denkt, dann kann ich euch beruhigen. Das hier klingt eher nach einer Mischung aus mächtigen Gitarrenriffs á la Converge, moshigen Boy Sets Fire und Zeugs wie Rage Against The Machine oder Downset, Fever 333 minus die melodischen Mitsing-Refrains passen eigentlich auch ganz gut als Vergleich. Die Rhythmusmaschine macht hier echt mal ordentlich Dampf, dazu kommen höllisch fette Riffs und Breakdowns am laufenden Band. Und der Sänger klingt an einigen Stellen wirklich mal wie ein extrem wütender Zach De La Rocha. Auch textlich werden permanent Erinnerungen an RATM wach, die Message wird unmissverständlich auf den Punkt gebracht. Stray From The Path behandeln vorwiegend gesellschaftspolitische Themen und regen dadurch hoffentlich ein bisschen zum Nachdenken an. In dreißig Minuten Spielzeit wird hier keine Verschnaufpause eingelegt, das Ding ballert also ordentlich!


Stumfol – „Long Story Short“ (Homebound Records) [Video]
Christian Stumfol verweilte vor ein paar Jährchen mal für einige Zeit in meinem Wohnort, weshalb ich bereits das Vergnügen hatte, den Musiker bei verschiedenen Live-Darbietungen zu erleben. Diese Auftritte sind mir eigentlich ganz gut in Erinnerung geblieben, hauptsächlich aufgrund der emotionalen Stimmung, die der Musiker auf der Bühne bzw. auf dem Floor so verbreitete. Und auch die bisherigen Veröffentlichungen schafften bereits den Weg in die heimische Anlage, obwohl man mich mit Singer/Songwriter-Geheul eher jagen kann. Jetzt kommt via Homebound Records also Album Nummer vier um die Ecke. Und auf den ersten Blick lässt sich sagen, dass es auf Long Story Short noch etwas ruhiger als bisher zugeht, die Rock-Anteile wurden deutlich reduziert. Hatte Stumfol auf Cold Brew noch eine Band im Nacken, ist er hier wieder mehr oder weniger im Alleingang unterwegs. Stumfol klingt wirklich noch amerikanischer, als bisher. Bruce Springsteen, Tom Petty und Konsorten lassen grüßen, ganz stark hat man auch so Zeugs wie Calexico im Ohr. Was den neun Songs auch zugute kommt, sind die kurzen Songlängen. So kommen die Songs schnell zum Punkt und Stumfol hat trotzdem noch einiges zu erzählen. Man hört dem warm klingenden Sound einfach an, dass der Herr für seine Sache brennt und viel Leidenschaft und Herzblut hier drin steckt.


Turnover – „Altogether“ (Run For Cover) [Stream]
Vom Sound ihrer Anfangstage hat sich die Band Turnover ja bereits auf dem Vorgänger Good Nature meilenweit entfernt. So ist die musikalische Fortführung, die man auf dem neuen Album des Trios zu hören bekommt, die logische Weiterentwicklung einer Band, die die besten Tunes aus den eigenen Musikvorlieben zu einer experimentierfreudigen Soundkollage zusammengetragen hat. Ich muss sagen, dass mich das Album beim erstmaligen Durchlauf noch nicht am Haken hatte. Im Nachhinein weiß ich auch, woran es lag. Die Lautsprecher meiner Anlage fielen auf einer Seite aus, so dass wohl manche Tonlagen verschluckt wurden, was ich aber erst zu spät bemerkte. Runde zwei erfolgte deshalb mit Kopfhörern. Und siehe da: plötzlich klang das Ganze nicht mehr so monoton. Im Gegenteil! Turnover schaffen es auf Altogether auf spannende Art und Weise, verschiedene Musikstile wie z.B. Jazz, Soul, Lounge, Pop, Funk und Disco in ihren verträumten Indie einzuflechten. Dabei entsteht dann so ein ganz persönlicher und intimer Turnover-Kosmos, in dem man sich sicher und geborgen einkuscheln kann. Der Bass schwebt schmetterlingsartig durch die Lüfte, die Gitarren flirren summend hinterher, die Drums takten weich. An manchen Stellen tauchen Keyboards und sogar Bläser auf. Über all dem schwebt die vertraute und smoothe Stimme von Austin Getz. Die Melodien von Hits wie z.B. Much After Feeling, Number On The Gate oder No Reply brennen sich bereits nach ein paar Runden tief in die Gehörgänge ein. Wenn ihr auf Zeugs wie The Whitest Boy Alive, Phoenix, Real Friends oder Zoot Woman steht, dann bekommt ihr mit Altogether ein Album geliefert, das bestens in die dunkle Jahreszeit passt und für etliche entspannte Stunden sorgen dürfte.


White Crane – „The Swaying Kids“ (DIY) [Stream]
Bei manchen Bands merkt man schon aufgrund einer Besprechungsanfrage, wie viel Herzblut in eine Sache gesteckt wird, wie z.B. im Fall der Münsteraner Band White Crane. Und im Verlauf einer weiteren Konversation stellt sich dann auch noch heraus, dass man es mit äußerst sympathischen Leuten zu tun hat, die einen ähnlichen Background zu haben scheinen, wie man selbst. Ebenso freut es mich natürlich unheimlich, dass das Netzwerk funktioniert, denn White Crane wurden durch die Band Tides auf Crossed Letters aufmerksam. Nun, auch wenn ich anfangs ein bisschen zu blöd war, den in der Mail beigefügten Download im unbekannten Dateiformat zu öffnen, hat es letztendlich doch noch geklappt, dass ich in den Genuss kam, die vier Songs der zweiten EP der Münsteraner zu hören. Und das, obwohl mein Gegenüber PC-technisch offenbar über ähnlich laienhafte Kenntnisse in Sachen PC verfügt. Nachdem diese erste Hürde überwunden war, kam mit der Musik des Quintetts die gebührende Entlohnung. Denn die Jungs machen eine wahnsinnig berührende Mischung aus Emorock und Indie. Herrlich altmodisch ist man irgendwo in den späten Neunzigern hängen geblieben. Aufgenommen wurde in der Tonmeisterei, so dass auch bei der Produktion keine Wünsche offen bleiben und sich jedes Instrument frei entfalten kann. Oh ja, diese Gitarren, der gegenspielende Bass, die Drums und der wehmütige Gesang! Da hört man einfach aus jedem Ton die Leidenschaft heraus. Traurig-dramatische Melodien voller Sehnsucht treffen auf ausgeklügelte Songarrangements, mehrstimmige Refrains runden das Ganze ab. Einziges Manko ist hier, dass nach vier Songs schon wieder alles vorbei ist. Wer die Band bisher noch nicht kannte, hat wenigstens noch die Option, die zwei bisher erschienenen EP’s der Jungs anzuchecken. Immerhin ist die Band ja schon seit 2012 unterwegs, da wäre ein ganzes Album natürlich endlich mal angesagt! Wer Bands wie The Promise Ring, Mineral, Reno Kid, Favez, Texas Is The Reason oder frühe Appleseed Cast mag, dürfte auch bei den vier Songs von White Crane zum schnurrenden Kätzchen werden. Ancheckpflicht!


 

Bandsalat: Caleya, Crumb, Dispassionate, Floating Woods, Flexing, Lagwagon, Mr. Linus, Norse, R.Josef

Caleya – „Lethe“ (Black Omega Recordings) [Stream]
Die Hamburger Post-Hardcore-Band Caleya hat jetzt auch schon wieder zehn Jahre auf dem Buckel. In dieser Zeit wurden natürlich zahlreiche Konzerte runtergezockt, auf einen schönen Backkatalog lässt sich mit einer Split-Veröffentlichung und drei Alben auch zurückblicken. Sechs Jahre sind seit dem letzten Album vergangen, so dass es endlich Zeit für Album Nummer vier wird. Lethe heißt das gute Stück, in Anlehnung an einen der angestaubten Flüsse aus der Unterwelt der griechischen Mythologie. Im alten Griechenland glaubte man, wer vom abgestandenen Wasser der Lethe trinken würde, würde seine kompletten Erinnerungen verlieren. Nun gut, was ihr auf Lethe zu hören bekommt, wird euch freudig jauchzen lassen, falls ihr auf gut durchdachten Post-Hardcore mit ausgeklügelten Songarrangements steht. Knapp 25 Minuten dauert die Reise durch die krassen Soundlandschaften der Hamburger. Fette Gitarrenwände türmen sich auf zu einer walzenden Planierraupe, leidendes Geschrei mit jeder Menge Herzblut lässt den ein oder anderen Schauer über’n Rücken jagen, es ist eine wahre Freude. Und dann schleichen sich immer wieder diese ruhigen, fast melancholischen Momente in den brachialen Sound ein und sorgen damit für Spannungsaufbau, so dass das nachfolgende Gewitter noch heftiger erscheint. Wehmütige Spoken Words, bei denen man erstmals merkt, dass überhaupt in deutscher Sprache gesungen wird, wechseln sich mit leidendem Schreigesang ab. Wenn man sich dazu die klischeefreien deutschen Lyrics mit Köpfchen und Poesie zu Gemüte führt, hat man obendrein noch was zum Sinnieren. Sehr geiles Album! Wenn ihr Zeugs wie frühe Envy, New Day Rising, We Never Learned To Live oder Oathbreaker mögt, dann seid ihr hier genau richtig! Schade, warum gibt’s das nicht auf Vinyl?


Crumb – „Jinx“ (DIY) [Stream]
Auf die New Yorker Band Crumb wurde ich in einer der anschauenswerten Umbaupausen der Band Leoniden aufmerksam. Die Leoniden haben immer so geile Umbaupausenmusik am Start, das muss aber auch mal gesagt werden! Dank einer Audioerkennungssoftware auf dem Smartphone meiner Liebsten kam ich also über den Song Vinta auf Crumb und dann über Bandcamp an die beiden EP’s der Band ran. Gleich voll hängen geblieben! Kann ich mal wirklich nur dick empfehlen! Und jetzt endlich der erste Longplayer! Crumb schlängeln sich wie auch schon auf den EP’s soundtechnisch durch chillige Beats und shoegazige Traumlandschaften, dennoch gibt es immer wieder diese fast noisigen Ausbrüche und diese mit reichlich Symbolik versehenen Lyrics. Nicht von dieser Welt, oder? Hört euch das mal an, zehn Songs voller Schönheit!


Dispassionate & Floating Woods – „Split“ (DIY) [Name Your Price Download]
Zwei junge Screamo-Bands teilen sich hier ein digitales Release, das später wohl auch noch als Tape erscheinen soll und man sich bis dahin zum Name Your Price-Download schon mal auf die Festplatte zippen kann. Nun, Dispassionate kommen aus Trier und machen schön nach vorne gehenden Screamo mit hektischem Getrommel und geilen schrammeligen Gitarren. Da passt natürlich heiseres und leidendes Geschrei wie die Faust auf’s Auge. Zwischendrin wird es immer wieder mal unterschwellig melodisch, so dass es schön abwechslungsreich bleibt. Zwei englischsprachige und ein Song mit deutschen Lyrics gibt’s von den vier Jungs auf die Ohren. Fetzt ganz ordentlich, gerade auch wegen der scheppernden und rauen Produktion. Das Screamo-Duo Floating Woods kommt aus Münster und wenn man sich den zerfahrenen Sound der beiden so anhört, denkt man, man hätte eine dieser zahlreichen neuen Bands auf Zegema Beach Records auf den Ohren. Und plötzlich merkt man, dass bei zwei der drei Songs in deutscher Sprache gekeift wird. Also, zippt euch das Ding schnell mal, wenn ihr auf chaotischen Screamo abfahrt, hier habt ihr zwei neue Bands, die den Ami-Skramz-Kollegen in nichts nachstehen!


Flexing – „Modern Discipline“ (Secret Pennies / Phat ’n‘ Phunky) [Stream]
Neulich beim Bandcampsurfen entdeckt und sofort hängen geblieben, gerade auch wegen dem tollen und ansprechenden Artwork: Flexing ist eine neue Band aus Corvallis, Oregon, die musikalisch im Hardcore/Punk zuhause ist, Einflüsse von Oldschool-Emo und Post-Punk sind ebenfalls vorhanden. Was ganz erfreulich ist, sind die Texte, die sich hauptsächlich mit politischen Themen beschäftigen, so wie sich das für HC/Punk eigentlich ja auch gehört. Faszinierend ist der rohe und knarzige Sound und das wütende Geschrei der Sängerin. Irgendwie hat das was von dem Zeug früher Dischord-Veröffentlichungen. Knarzender Bass, disharmonisches Gitarrengeschrammel, treibende Drums und vertrackte Passagen machen die neun Songs zu einem abwechslungsreichen Hörerlebnis. Checkt das mal an! Anspieltipp: A Display Of Force.


Lagwagon – „Railer“ (Fat Wreck Chords) [Stream]
Irgendwie hat es den Anschein, dass zur Zeit alle erfolgreichen Bands des 90er-Melodycore-Skatepunk-Booms daran arbeiten, eine Art Skatepunk-Revival auf die Beine zu stellen. Neben Good Riddance, Satanic Surfers, Pennywise und Konsorten haben nun auch Lagwagon ihre Instrumente abgestaubt, um das neunte Studioalbum aufzunehmen. Okay, ich muss zugeben, dass mir Lagwagon in den Neunzigern nie so richtig was bedeuteten, aber es gibt einige Leute im Freundeskreis, die die Kalifornier fast schon vergötterten und sich für neue Songs ’ne Hand abgehackt hätten. Und gerade die werden sich jetzt die Finger lecken, denn Railer hat alles, was das treudoofe Lagwagon-Herz begehrt. Das fängt eigentlich schon beim witzigen Cover und Backcover an, geht mit den zynisch-sarkastischen Texten weiter, dazu legen Lagwagon bis zum letzten der zwölf Songs eine Energie an den Tag, wie sie man sich für manch aufstrebende junge Band nur wünschen könnte. Die Gitarren zwirbeln Melodien am laufenden Band, dazu kommt dieser schön gegenknödelnde Bass, treibende Drums und natürlich Joey Capes unverwechselbarer Gesang. Die Band hat es jedenfalls nicht versäumt, Songs zu schreiben, die sofort im Ohr kleben bleiben und dazu noch eine melancholische Note besitzen. Hört z.B. mal The Suffering an, da wird das mehr als deutlich. Wenn ihr euch also das Album schön auf Tape überspielt habt und das Ding in euren alten Walkman klatscht, dann gebt fein acht, dass ihr euch im Skatepark nicht überschätzt und eure alten Knochen brecht. Ihr seid nicht mehr so jung, wie sich das anfühlen mag!


Mr. Linus – „Revue“ (DIY) [Stream]
Die zwei Damen der Band Mr. Linus kommen aus der Schweiz und irgendwie ärgere ich mich gerade, dass ich neulich nicht den Weg nach Ulm ins Hemperium geschafft hab. Verdammt! Also erstmal nur auf digitaler Konserve, hoffentlich auch bald auf Vinyl in irgendeiner Distrokiste. Denn die zwei Mädels haben’s richtig geil drauf und machen so ’ne Art neunzigerlastigen Emo-Math-Core mit wunderbar melancholischen Gitarren, gegenspielendem und eigenwilligem Bass und gnadenlos übersteuerten Drums. Dazu kommen tiefgehende deutsche Texte. Boah, das berührt mich so sehr, ich kann’s gar nicht in Worte fassen. Stellt euch vor, Monochrome und Dawnbreed würden mit Blue Water Boy und Karate Karussell fahren! Anspieltipps: lasst einfach die ganze EP mit ihren vier Songs durchlaufen! Ich brauche mehr davon!


Norse – „Selftitled“ (DIY) [Name Your Price Download]
Dieses relativ neue Trio aus dem Piemont macht auf seinen Debutaufnahmen eine ziemlich düstere und sphärische Mischung aus Screamo, Post-Hardcore und Post-Rock mit Einflüssen aus Noise und Punk. Norse stammen genauer gesagt aus Biella, einem malerischen Städtchen im Piemont am Fuß der Alpen. Mich wundert es ja immer wieder, wie man in einer so schönen Urlaubsregion so ultramies draufkommen kann. Die italienischen Lyrics stehen nämlich dem düsteren Sound des Trios in nichts nach, dementsprechend verbittert klingen die verzweifelten Todes-Schreie des Sängers. Dank einer Internetübersetzung würde ich mal sagen, dass die Texte obendrein reichlich Poesie mit im Gepäck haben. Erfreut euch an fünf dichten Stücken, die euch mit ihrem wuchtigen Sound und dem knarzenden Bass mit ins unendliche Verderben reißen. Die Stücke haben mit ihren über vierminütigen Spielzeiten aber auch reichlich Zeit, sich zum Monster zu entfalten. Als Einstieg in die düstere Welt Norses empfehle ich mal das vielschichtige Baratto, danach zippt ihr euch das Ding sowieso gleich auf die Festplatte!


R.Josef – „Panoptic“ (Bharal Tapes) [Stream]
Aus der Asche der Leipziger Band Oaken Heart ist die neue Formation R.Josef (Ranz Josef, wie geil!) entstanden. Mit Panoptic schleudern die Jungs ihre erste EP raus, und die kann sich absolut hören lassen. Die vier Songs sind schlicht mit römischen Zahlen betitelt, diese Kargheit ist im Sound der Band jedoch nicht zu finden. Denn in den nächsten 23 Minuten passiert so manches, das einen mit offen stehendem Mund dastehen lässt. Nach einem schönen Rückkopplungs-Intro mit darauffolgendem groovigen Übergang scheppert es treibend voran und man hat kaum eine Vorahnung, was in diesen ersten sieben Minuten noch alles passieren wird. Plötzlich wird es melodisch, dann wachsen meterhohe Soundwände mit dichter Atmosphäre, zudem schleichen sich Blackmetal-mäßige Parts mit ein! Was für eine Macht! Und es geht so weiter! Im achtminütigen Song Nr. II wird es noch düsterer und doomiger, auch die nachfolgenden zwei fast schon kurzen Songs bauen sich Schicht für Schicht auf, schleppen sich voran, bis alles wieder richtig geil zerbröselt. Hammermäßiges Debut, das unwahrscheinlich viel Appetit auf mehr macht! Für Fans von ISIS, AmenRa oder Hope Drone ein wahres Fest!


 

Bandsalat: Aesthetics Across The Color Line, Trafaret, An Horse, Brausepöter, Clowns, Fortuna Ehrenfeld, Get Up Kids, Trigger Cut, Winter Dust

Aesthetics Across The Color Line & Trafaret – „Split“ (DIY) [Name Your Price Download]
Im Rahmen des Bandcamp-Specials mit russischen Bands wurde Aesthetics Across The Color Line ja schon gebührend abgefeiert, nun gibt es neuen Stoff der Emo-Band, diesmal in Form einer Split EP mit der ebenfalls aus Russland stammenden Band Trafaret. Beide Bands spielen frickeligen und verspielten Emo an der Schwelle zum Punk. Wer auf Bands wie Snowing, Algernon Cadwallader oder I Love Your Lifestyle steht, dem sollte das hier ebenfalls munden. Beide Bands liefern jeweils zwei Eigenkompositionen ab, zudem covern beide den Song Caitlyn der US-Emo-Band JANK, wobei mir die AATCL-Coverversion irgendwie mehr zusagt.


An Horse – „Modern Air“ (Grand Hotel van Cleef) [Stream]
Wußtet ihr, dass der Bandname An Horse durch einen Grammatikstreit zwischen Sängerin und Gitarristin Kate Cooper und ihrem Nachbar entstanden ist? Hab ich gerade beim Wikipedia-Eintrag über das australische Duo nachgelesen. Richtig würde es natürlich A Horse heißen, aber der Nachbar war so überzeugt von seiner „Version“, dass er sogar einen Pullover mit der Aufschrift An Horse für sie anfertigte. Solche Geschichten liebe ich ja! Nun, An Horse sind mir mit einzelnen Songperlen wie Camp Out oder Postcards schon noch im Gedächtnis, aber richtig verfolgt habe ich das bisherige Schaffen der Band nie. Zudem hat sich das Duo die letzten Jahre, genauer gesagt nach dem Ende der letzten Tour etwas rar gemacht, auch aufgrund ständiger Touraktivitäten und drohendem Burnout. Ganze sechs Jahre später hat das Duo also nun doch wieder an Songideen gearbeitet, so dass auf Modern Air insgesamt elf Songs zu hören sind. Weiterhin ist hier gitarrenlastiger, etwas sperriger Indierock zu hören, der ein paar Durchläufe braucht, bis man die Melodien mitsummen kann. Man hat sofort Bands wie Nada Surf, Idlewild, Lemuria oder Mates of State im Ohr. Als Anspieltipp empfehle ich mal das knödelige Live Well, das eingängige Get Out Somehow oder das einfühlsame Started A Fire.


Brausepöter – „Nerven geschädigt“ (Tumbleweed Records) [Video]
Man lernt doch nie aus! Bei Brausepöter handelt es sich um eine der ersten deutschen Punkbands, die Punk mit New Wave und deutschen Texten kombinierten und somit den Weg für die Neue Deutsche Welle ebneten. Brausepöters Debut-Veröffentlichung liegt tatsächlich 40 Jahre zurück! Auch wenn ich Mitte bis Ende der 80er eine starke Deutschpunkphase durchgemacht habe, ist mir die Band bisher nicht bekannt gewesen. Nun, damals gab es noch kein Internet, zudem hat sich die Band im Jahr 1982 aufgrund der Kommerzialisierung und der aufkeimenden NDW-Hysterie aufgelöst. Selbst ihr bekanntester Song Bundeswehr fand sich auf keinem der vielen im oberschwäbischen Freundeskreis kursierenden Mixtapes wieder und aufgrund dieser Unkenntnis ging auch die Reunion in Originalbesetzung im Jahr 2011 und die zwei vor dem aktuellen Album erschienen Releases spurlos an mir vorbei. Tja, das ist dann wohl richtiger Underground, haha. Brausepöter klingen im Jahr 2019 nicht mehr so roh wie 1980, den Sound der Band aus Rietberg/NRW kann man so grob in die Schublade Post-Punk, New Wave und Indie-Punk einordnen. Das Trio scheint es gern reduziert zu haben, das zeigt schon das unspektakuläre Albumartwork, das ich irgendwie nicht interpretieren kann. Erinnert irgendwie an das Spiel „Vier gewinnt“. Die persönlichen Texte kommen nachdenklich rüber, eine gewisse Melancholie zieht sich wie ein roter Faden durch knapp vierzig Minuten Spielzeit und 13 Songs. Die markantesten Soundmerkmale sind schrammelige Gitarren, eigensinnige Bassläufe und wehleidiger Gesang. Hier wird man mal an die Nerven, Das Neue Nichts oder die Fehlfarben erinnert, da hat man poppigeres Zeug wie Kettcar oder die Sterne im Ohr, selbst Ami-Bands wie die Dead Kennedys oder Sonic Youth kommen in den Sinn. Neben dem Titelstück Nerven geschädigt empfehle ich mal die Songs Seele, Ganzer Körper brennt und Dies ist nicht meine Welt, um sich ein ungefähres Bild zu machen.


Clowns – „Nature / Nurture“ (Fat Wreck Chords) [Stream]
Okay, spätestens jetzt dürften die Konzerte der Band aus Australien bald in größeren Läden stattfinden, die Clowns sind mit ihrem vierten Album bei Fat Wreck gelandet. Der Band sei es gegönnt, die haben sich das hier hart erarbeitet und jeder, der die Truppe schonmal live gesehen hat, kann das sicher unter Eid bestätigen. War Lucid Again ja schon ’ne große Nummer, wird Nature/Nurture noch mehr Anklang in der Szene erlangen. Denn das Ding mit seinen elf Songs ist echt knackig geworden. In 36 Minuten zerlegen die Australier mal eben kurz Deine Bude und pfeffern Dir ihren rotzigen, aber dennoch melodischen Hardcore-Punk um die Ohren, dazu gesellt sich eine dreckige Rock’N’Roll-Attitude, Leidenschaft, pure Energie und massig Spielfreude dürfen ebensowenig nicht fehlen. Wahnsinn, wie dicht und ausgefeilt das alles klingt, zudem hat man bereits jetzt schon die ausgeflippte Bühnenshow rund um Sänger und Dynamitstange Stevie Williams vor Augen. Songs wie Soul For Sale oder Freezing In The Sun werden mit Sicherheit zu neuen Gassenhauern werden, während die experimentelle Seite der Band für Verblüffung sorgen wird. Auf dem letzten Stück Nurture gibt’s sogar Sitar-Klänge zu hören, zudem sticht hier ein satter Alternative-Grunge-Sound aus den Lautsprechern. Und was mich persönlich freut: das tolle Albumcover wurde von Rodrigo Almanegra gezeichnet, dessen Werke hier im Rahmen anderer Releases bereits desöfteren in den höchsten Tönen gelobt wurden.


Fortuna Ehrenfeld – „Helm ab zum Gebet“ (Grand Hotel van Cleef) [Video]
Konnte mit Fortuna Ehrenfeld bisher eigentlich gar nicht so viel anfangen, ehrlich gesagt hab ich mich auch noch nie wirklich tief mit der Band beschäftigt. Obwohl, eine Band war das bisher ja wohl noch nie so richtig, die bisherigen Alben sind alle im Alleingang Martin Bechlers entstanden, erst mit diesem Album ist das Ding zum Trio gewachsen. Jedenfalls haben mich die zu Promozwecken zugesandten Videos auch nie wirklich von den Socken gehauen. Ich meine, der Typ tritt zwar auf jeglichen Geschmack scheißend obercool im Pyjama und mit Bärentatzenschuhen auf, aber eigentlich ist das heutzutage auch keinen Aufschrei mehr wert. Dementsprechend überrascht war ich, als ich von den ersten drei Songs vom mittlerweile dritten Album, die ich über Kopfhörer lauschte, total geflasht wurde. Wow, Heiliges Fernweh beginnt mit dieser wahnsinnig melancholischen Pianomelodie, die gesprochenen und fast gegrummelten Vocals schlagen mit ihrer ausgefeilten Poesie in die gleiche Kerbe. Und jetzt tanz mit mir Du Sau! Das alles mit einem schönen Beat hinterlegt, auf in die Indie-Disco! Ach, hab ich da gerade rollende Augen bei irgendjemand von euch entdeckt? Wie wär’s dann damit: Hör endlich auf zu jammern. Das ist der Songtitel des zweiten Stücks, der sich mit einem minimalistischen Beat und moogigen Klängen langsam in Dein Herz stampft, bis eine tolle Gitarrenmelodie für Abwechslung sorgt. Beim dritten Song, der gleichzeitig das Titelstück ist, stehen wieder diese poetischen Gedankengänge im Vordergrund, dazu gibt es ein Gesangsduett zwischen Sänger/Gitarrist Martin Bechler und Keyboarderin Jenny Thiele. Insgesamt 13 Songs nehmen Dich also mit auf eine poetische Reise, die ganz ohne Kitsch auskommt und selten laut wird, Ausnahme stellt hier der Song Das ist Punk, das raffst Du nie. Und das klingt wie eine Mischung aus den NDW-lern von Trio und den Deutschpunks von Pisse. Insgesamt gefallen mir die mit dezenter Elektronik ausgestatteten Songs aber weitaus besser, als die reinen Balladen. Ach ja, hab ich’s schon erwähnt? Die ersten drei Songs sind meine absoluten Favoriten!


Get Up Kids, The – „Problems“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Schon die 2018er EP Kicker zeigte, dass man alte Helden niemals abschreiben sollte. Nach der eher schwachen Comeback-EP Simple Science schien die Band wieder zu alter Kraft gefunden zu haben, so dass man aufgrund der Ankündigung des neuen Longplayers namens Problems vorfreudig gespannt war, ob der Funke auch wieder auf Albumlänge überspringen würde. Die erste Single Satellite klang bereits vielversprechend und nach mehrmaligem Hörgenuss des mittlerweilen sechsten Studioalbums kann ich nur freudig sagen, dass auch die restlichen Songs in die gleiche Kerbe schlagen. Es gibt ja mehrere Faktoren, die ein gutes Album ausmachen: das ist zum einen die technische Begabung, die Instrumente zu beherrschen, zum anderen gehört aber auch ausgetüfteltes und in sich stimmiges Songwriting dazu. Das alleine genügt aber noch nicht, den Songs sollte auch noch das gewisse „Leben“ eingehaucht werden. Und das ist den Get Up Kids auf Problems ohne Probleme gelungen. Die stets präsente Melancholie ist in allen Bereichen spürbar, seien es die gefühlvoll gespielten Gitarrenriffs oder der liebevoll gegenspielende Bass und natürlich die durchdringende und viel Emotionen tragende Stimme von Matt Pryor. Was dem Album natürlich zugute kommt und viel Authentizität vermittelt, sind die persönlichen Inhalte direkt aus dem Leben, die hier dargestellt werden. Während sich die Texte der frühen Get Up Kids um die alltäglichen Probleme im Leben eines Twens drehten, beschäftigt sich die Band auf dem aktuellen Album ihrem Alter entsprechend mit den Gefühlen und Gedanken eines Forty-Somethings, den in diesem Lebensabschnitt auftretenden Sorgen und Ängste. Dass diese Dinge von anderer Natur sind, kann wahrscheinlich jeder von euch Senioren aus eigener Erfahrung bestätigen. Jedenfalls verpacken die Get Up Kids diese persönlichen Textinhalte in die so geschätzten hymnischen Refrains, dazu kommen diese wundervollen Gitarren und die großartigen Singalong-Melodien, die man mit jedem weiteren Durchlauf nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Hört doch nur mal das Gitarrenriff bei Now Or Never, die Gesangs- und Basslinie bei Lou Barlow oder das emotionale Common Ground an. Und zwölf Songs und knapp vierzig Minuten später ist man froh, dass das alles so unverbraucht, frisch und vor allem so vertraut klingt!


Trigger Cut – „Buster“ (Token Records) [Stream]
Aus der Asche der großartigen Buzz Rodeo sind Trigger Cut aus Stuttgart und München hervor gegangen. Im Prinzip formierte sich eine neue Band um Gitarrist und Sänger Ralph, mit von der Partie ist unter anderem der Drummer der Münchener Band Haikkonen. Soundtechnisch ist das Ganze nochmal ’nen kleinen Ticken knackiger geworden. Soll heißen, dass durch die Rhythmusmaschine aus extrem fuzzigem Bass und kraftvoll geknallten Drums gepaart mit dreckigen Gitarrenriffs und dem wütenden und am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegenden Geschreis eines irren, manischen Psychopathen ordentlich Druck aufgebaut wird. Es dröhnt und pumpt gewaltig und mächtig an allen Ecken und Enden. Schlagzeug, Bass und Noise-Gitarre bilden das stabile Grundgerüst, hinzu kommen angeschrägte und etwas dissonante Gitarren, die schön noisig auf die Kacke hauen. Natürlich geht das nicht ganz ohne Rückkopplungsgeräusche und das ein oder andere schmissige Gitarrenriff über die Bühne. Die zehn Songs erinnern aufgrund des rohen und knackigen Sounds und der Intensität natürlich unweigerlich an 90er-Bands wie z.B. The Jesus Lizard, Drive Like Jehu, Shellac, frühe Lack oder aber auch an deutsche Noise-Bands wie Craving oder eben Buzz Rodeo. Wer auf diese Art Musik steht, kommt hier voll auf seine Kosten!


Winter Dust – „Sense By Erosion“ (time as a color u.a.) [Name Your Price Download]
Die italienische Band Winter Dust konnte letztes Jahr auch schon ihr zehnjähriges Bandjubiläum feiern. So begaben sich die sechs Herren aus Padova in ihrem Jubiläumsjahr für drei Tage ins Tonstudio, um die in den letzten drei Jahren entstandenen Songs aufzunehmen, so dass nach einer EP und zwei Alben mit Sense By Erosion Album Nummer drei das Licht der Welt erblickte. Das Ding ist in Zusammenarbeit der Labels Time As A Color, Dingleberry Records, Dreamingorilla Records, È Un Brutto Posto Dove Vivere, Voice Of The Unheard, la speranza records, Dischi Sotterranei und Backwater Transmission zum einen als Doppelvinyl und zum anderen als Digipack erschienen. Anhand des mir vorliegenden Digipacks und der Fotos der Vinylausgabe kann nur vermutet werden, dass die Doppelvinylversion im Gatefoldcover mit goldenem oder schwarzem Vinyl ziemlich schick und edel aussieht. Das mystisch angehauchte Artwork gefällt mir zumindest bereits auf Digipack-Größe enorm gut. Es gibt insgesamt acht Songs zu hören, bei einer Albumspielzeit von knapp 50 Minuten pendeln die Songlängen eher im oberen Bereich zwischen sechs und neuneinhalb Minuten. Und ja, ganz genau, Winter Dust machen epischen Post-Rock, dabei schwappen immer wieder auch Post-Hardcore, Screamo und Post-Metal-Einflüsse an die Oberfläche. Ich stell mir es übrigens echt mal voll kompliziert vor, zu sechst solche vielschichtigen Songarrangements abzusprechen, zumal auch noch vier der sechs Bandmitglieder mit Vornamen Marco heißen und die Jungs räumlich weit verstreut leben. Aber erstaunlicherweise klingt das Resultat sehr dicht und ausgklügelt, die Jungs sind bestens aufeinander eingespielt. Obwohl fünf der acht Songs mit Lyrics ausgestattet sind, ist die Band größtenteils instrumental unterwegs. Textlich beschäftigt man sich mit persönlichem Kram, die räumliche Trennung von geliebten Menschen spielt auch ein zentrales Thema. Unterstrichen wird das ganze von melancholischen, ruhigen Melodien, die sich überwiegend leise und sanft aufbauen, langsam zu Soundwänden anwachsen, bis es mit Tremolo-Gitarren im Rücken zu einem spannungsgeladenen Ausbruch kommt, inklusive gequältem Schreigesang. Dürfte ein gefundenes Fressen für Leute sein, die Bands wie z.B. Caspian, Explosions In The Sky oder Moving Moutains zu ihren Faves zählen.


 

Bandsalat: Flowers And Shelters, Radura, Lafote, Loss & Ruin, ni., nulajednanulanula, Nuvolascura, Somewhere Underwater, Watch Me Rise

Flowers And Shelters & Radura – „Split“ (Non Ti Seguo Records u.a.) [Name Your Price Download]
Zwei italienische Screamo-Bands teilen sich dieses Release, jede Band steuert zwei Songs bei. Flowers And Shelters kommen aus Bozen und machen diesen typisch emotionalen Screamo, wie man ihn von Bands wie Raein, Loma Prieta oder Ojne gewohnt ist. Gesungen wird in der Landessprache, die Vocals kommen sehr intensiv und verzweifelt um die Ecke, da wird Rotz und Wasser geheult. Dazu wunderbare Gitarren und ein etwas schleppender, im Midtempo verorteter Sound. Radura kommen aus Mailand und schlagen musikalisch in die gleiche Kerbe, sind aber etwas melodischer unterwegs. Die italienischen Lyrics lassen sich auf der Bandcamp-Seite in der englischen Übersetzung nachlesen. Die Vocals klingen sehr sorgenvoll, überhaupt strotzen die zwei Songs nur so vor Melancholie, was im zweiten Song durch die gesprochenen Vocals und die bittersüße Gitarre besonders zur Geltung kommt. Spätestens jetzt wird es Zeit, mal den Backkatalog beider Bands zu checken. Dieses Release ist also wieder mal eine gute Gelegenheit, gleich zwei gute italienische Bands auf einen Schlag kennenzulernen!


Lafote – „Fin“ (Misitunes) [Stream]
Was will uns dieses Albumcover mit dem Frosch sagen? Wird es bald schöner Wetter, wenn der Frosch die grüne Leiter hochklettert? Verbessert sich die Gesamtsituation der Welt? Man weiß es nicht, aber vielleicht erschließt es sich im Verlauf des Albums. Lafote kommen aus Hamburg und haben deutsche Texte, die persönliche Alltagsgedanken in einer klar verständlichen Form wiedergeben, von verschlüsselten und kryptischen Verpackungen keine Spur, das wurde ja bereits mit dem Albumcover bedient. In der Bandbiografie erfährt man, dass das Trio bereits im Jahr 2013 gegründet wurde und dass es nach einer Tour mit Trümmer sogar erste Stimmen gab, die die Band als neue deutsche Post-Punk-Hoffnung abfeierten. Anstatt diese ersten Stimmen mit neuen Songs zu bedienen, ließen sich die Jungs lieber ein bisschen Zeit, so dass bis zum Erscheinen des Albums lediglich einige Konzerte gespielt wurden und eine Coverversion zu einer Die Sterne-Tribute-Compilation beigesteuert wurde. Gut so, ein bisschen mehr Entschleunigung würde uns allen mehr Lebensqualität bescheren! Nun, musikalisch wird feinster Post-Punk mit einer pumpenden Rhythmus-Maschine aus Bass und Schlagzeug geboten, die Gitarren und angespannten Vocals geben dem Sound noch die nötige Balance. Der Bass ist sehr eigenwillig und düster unterwegs, dennoch passt er sich gelegentlich den kurz eingestreuten Melodien an. Treibend und zappelnd, tanzbar und dissonant, krachig und melodiös. Auch wenn manche Passagen an die Sterne, Tocotronic oder Blumfeld erinnern mögen, klingen die elf Songs eher nach Washington DC oder New York, mir schwirrt da z.B. so Zeugs wie Antelope oder Fugazi im Kopf rum. Gerade auch deshalb, weil immer wieder melodische Momente mit eingebaut werden. Spannendes Ding, das solltet ihr mal anchecken!


Loss & Ruin – „Distance“ (DIY) [Name Your Price Download]
Bei Loss & Ruin handelt es sich um ein Duo, das in zwei räumlich doch stark voneinander entfernten Metropolen beheimatet ist, nämlich einerseits in Berlin und andererseits in London. Vermutlich wurde die Debut-EP auch deshalb auf den Namen Distance getauft. Nun, Loss & Ruin machen gefühlvollen Dreampop mit schönen reverblastigen Shoegaze-Gitarren und zuckersüßem Frauengesang. Die drei Songs plus die Remix Version des Hits Summer Is Over haben aufgrund ihrer melodischen Ausrichtung einen hohen Wiedererkennungswert. Für ein erstes Lebenszeichen schon recht ausgeklügelt. Erinnert ein bisschen an eine softere Version neuerer Turnover, auch die weiter unten vorgestellten Somewhere Underwater gehen in eine ähnliche Richtung. Was allerdings meiner Meinung nach ein Griff ins Klo war, ist der mit einem stumpfen Disco-Beat unterlegte Remix des eigentlich recht tollen Songs Summer Is Over, der damit richtig fies verunstaltet wurde. Dann schnell nochmal die Originalversion anhören!


ni. – „nOBLE iMPULSE. + nORMAL iNSANITY“ (tenzenmen) [Name Your Price Download]
Lange nicht mehr so’n schönes Gebolze mit überschnappenden Serienmörder-Vocals gehört? Dann hab ich was für euch. Das japanische Duo ni. lässt mit nOBLE iMPULSE. + nORMAL iNSANITY ein schönes Power/Emoviolence-Massaker von der Kette. Keifendes Straßenköter-Gebell trifft auf wild runtergezockte oldschool-Gitarren und heftiges Getrommel. Insgesamt 23 Songs in etwas knapp über acht Minuten sprechen für sich selbst. Wenn ich noch Skateboard fahren würde, dann wär das Ding hier mein ständiger Begleiter auf dem Walkman!


nulajednanulanula – „Mit Liebe aus Sudeten“ (DIY) [Name Your Price Download]
Nach einem emotionalen und eher ruhigeren Auftakt packt der darauffolgende Song gleich mal richtig heftig zu: wildes Geknüppel, leidendes Geschrei, tolle Gitarren und ein polternder Bass verschmelzen zu einem intensiven Gebräu aus Emoviolence, emotive Screamo, Emocore, Neocrust und Post-Hardcore, dabei kommen aber auch immer wieder ruhige instrumentale Parts zum Zug. Das laut/leise-Ding beherrscht das Quartett jedenfalls bis hin zur Perfektion. Insgesamt bekommt ihr neun Songs zu hören, die absolut in den Bann ziehen können. Die Band mit dem komplizierten Bandnamen kommt übrigens aus Prag/Tschechien, die Lyrics werden in der Landessprache gelitten und geheult. Die Musik strotzt von vorn bis hinten vor Melancholie, gleichzeitig kommt sie druckvoll und spannend um die Ecke. Der Schlagzeuger hat es echt drauf, der ist nach ’ner Live-Show sicher ganz schön fertig. Wahnsinn! Müsst ihr unbedingt anchecken!


Nuvolascura – „Selftitled“ (DIY/Zegema Beach Records) [Name Your Price Download]
Okay, darauf dürften manche von euch ziemlich gespannt gewartet haben. Die Band aus Los Angeles/Kalifornien startete ihren wilden Ritt unter dem Namen Vril, benannte sich dann irgendwann in Nuvolascura um und hat Mitglieder von SeeYouSpaceCowboy, Letters To Catalonia, Ghost Spirit, Heritage Unit und Curtains in den Reihen. Wenn man es genau nimmt, dann ist dieses Album hier das Debut unter neuem Namen. Elf Songs sind darauf zu hören, und die haben es in sich: intensiv, vertonte Verzweiflung, nervös bis zum Anschlag mit hektischen Drums, undurchschaubaren Songstrukturen, wilden Gitarrenrotationen und leidendem Frauengeschrei direkt aus dem Fegefeuer. Hinzu kommt eine satte Produktion (Jack Shirley mal wieder) und krasse Lyrics, denen die Verzweiflung der heutigen Lebensumstände ins Gesicht geschrieben stehen. Dieses Album ist ein unkontrollierbarer Ritt durch den Wahnsinn!


Somewhere Underwater – „Slowly & Safely“ (AdP Records) [Videos]
Die Spring Kills My Energy-7inch – im Jahr 2015 die erste Vinylveröffentlichung des Labels AdP Records – hat mich damals schon ziemlich beeindruckt. Hinter Somewhere Underwater steckte zu der Zeit der junge Franzose Julian Agot, der kurz vor den Aufnahmen zur 7inch von Bordeaux nach München zog und in seinem wahrscheinlich viel zu teuren 18qm-Apartment anfing, für sich selbst Musik zu machen. Wahrscheinlich hatte er damals auch aufgrund der überteuerten Miete auch einfach kein Geld mehr übrig, um mit der Münchner Schickeria um die Häuser zu ziehen und experimentierte deshalb lieber bei Brot und Wasser mit Noise, Dreampop und Shoegaze herum. Jedenfalls ist das ehemalige Soloprojekt mittlerweile zu einer vierköpfigen Band angewachsen und zur Schonung des Geldbeutels nach Nürnberg/Bamberg übergesiedelt. Mit Slowly & Safety folgt nun endlich das Debutalbum. Und das ist echt super geworden. Neun Songs in knapp 35 Minuten entführen Dich in eine laue Sommernacht, die Dir irgendwie vertraut vorkommt. Bittersüßer Dreampop mit viel Hall, shoegazigen Gitarren und 80er-New Wave-Synths treffen auf warmen Gesang und tolle Melodien, alles verpackt in ausgeklügelte Songarrangements. Es duftet nach abgemähten Sommerwiesen und Straßenstaub, der nach einem sommerlichen Gewitter durch den Regen aufgewirbelt wird. Ein sehr melancholisches Album, das ihr euch unbedingt mal anhören solltet!


Watch Me Rise – „Of Anxious Minds and Sleepless Nights“ (DIY) [Stream]
Wenn man mal etwas von der etwas dünnen Produktion absieht, dann hat die Debut-EP der Band Watch Me Rise durchaus ihren Reiz. Vier Jungs aus Frankfurt haben sich Ende 2017 zusammengetan, um mitreißenden Post-Hardcore zu machen. Und wie man anhand dieser ersten EP sieht, wurde dieses Vorhaben ganz passabel umgesetzt. Den fünf Songs hört man jedenfalls trotz der Nähe zu Bands wie z.B. Touché Amore oder La Dispute eine gewisse Eigenständigkeit an, was wohl am abwechslungsreichen und spannenden Songwriting liegt. Immer wieder wird man mit melancholischen Gitarrenriffs oder intensiven Refrains mit leidenschaftlich gescreamten Vocals überrascht, das Grundgefühl stimmt hier einfach und natürlich kommt dieser Stimmung die pure Spielfreude und Leidenschaft der Bandmitglieder zugute, die eigentlich vom ersten Ton an permanent zu spüren ist. Checkt das mal an und behaltet die Band mal im Auge!


 

Massa Nera/Thisismenotthinkingofyou/Yo Sbraito/Ef’il – „Split“ (Dingleberry Records u.a.)

Vier Bands aus unterschiedlichen Ländern und mit dem Schwerpunkt auf Screamo/Skramz teilen sich diese schwer in der Hand liegende 12inch, die obendrein in einem dicken Plattenkarton verpackt ist. Das Artwork ist eher reduziert gehalten, das beigelegte Blatt muss leider ohne Texte oder Infos zu den Bands auskommen. Am Release beteiligt sind neben Dingleberry Records noch Adorno Records, Dead Tank Records, Zegema Beach Records, Blessed Hands Records und Pundonor Records. Und wie immer sind solche Split-Releases eine gute Gelegenheit, auf neue, bisher nicht bekannte Bands zu stoßen.

So ergeht es mir direkt bei der ersten Band Massa Nera aus Linden/New Jersey, die hatte ich bisher noch nicht auf dem Schirm. Was sich mit diesen zwei vertretenen Songs jedoch ruckzuck ändert. Ich brauche SOFORT den ganzen Backkatalog – zwei EP’s und ein Album – des Quartetts! Denn Massa Nera machen hervorragenden Emotive Screamo/Post-Hardcore, der bei aller Intensität auch noch etwas Melodie mit einstreut. Beim Opener wird in spanischer Sprache gelitten und mir gefällt direkt, dass hier jedem Instrument seinen Raum gegönnt wird. Das klingt sehr lebendig, mir hat es v.a. dieses Zusammenspiel von Bass, Gitarre und Drums angetan! Und hört nur mal im Song Doing Nothing for Others is the Undoing of Ourselves diese eigenwilligen Bassläufe, die verspielten Gitarren, die druckvollen Drums und dazu diesen verzweifelten Gesang an. Unglaublich gut! Wenn ihr auf Bands wie Loma Prieta, City Of Caterpillar oder Raein steht, dann dürftet ihr auch nach Massa Nera lechzen!

Thisismenotthinkingofyou aus Derby/UK wurden an anderer Stelle mit ihrer 12inch Obstructive Sleep schon mal vorgestellt. Was mit sachten Gitarrenklängen harmlos beginnt, entwickelt sich innerhalb weniger Sekunden in ein chaotisches Skramz-Massaker mit dissonantem Charakter. Der Song Sonambulance I strotzt vor düsterer Atmosphäre, v.a. im letzten Drittel. In gewohnter Manier wird hier gelitten, gerotzt, geheult und zerstört! Eine Delay-Orgie mit verzerrten Vocals und übereinandergeschichtetem Krach. Für Thisismenotthinkingofyou-Verhältnisse sind die zwei Songs ungewöhnlich lange ausgefallen, so dass ihr insgesamt sechs Minuten neuen Stoff bekommt! Die A-Seite wird mit Sicherheit in Zukunft häufig bespielt werden!

Auch Yo Sbraito wurden schonmal an anderer Stelle vorgestellt. Die Band aus Ancona/Italien ist mit drei Songs vertreten. Diese sind aber mit knapp drei Minuten Spielzeit recht kurz ausgefallen. Yo Sbraito sind dementsprechend flott unterwegs, da ist auch ’ne Menge Hardcore-Punk mit dabei. Lediglich beim Song Rapina wird mal mit angezogener Handbremse im Slow-Motion-Modus gefahren. Die in italienischer Sprache vorgetragenen Vocals werden regelrecht rausgebellt, da könnte nach meinem Geschmack etwas mehr Abwechslung nicht schaden.

Die Band Ef’il ist mir persönlich zwar bereits namentlich schonmal aufgefallen, beschäftigt habe ich mich jedoch bisher noch nicht mit dem Trio aus Ipoh/Malaysia. Ef’il lassen sich mit ihren zwei Songs Zeit und kommen damit auf eine Spielzeit von knapp über 12 Minuten. Der kontrastreiche Sound lebt aus dem Zusammenspiel von Gitarre, Bass und Schlagzeug. Im einen Moment klimpert die Gitarre munter und clean vor sich hin, im nächsten Moment wird man von diesem brutal übersteuerten Bass an die Wand gequetscht. Über allem schwebt so ein gewisses Angstgefühl, die monoton herausgeheulten Vocals geben dann noch den Rest. An manchen Stellen hat man dann ein flächiges Distortion-Inferno, das nach derber Endzeit klingt. Und dann schleichen sich fast schon gespenstisch fiepende Post-Rock-Gitarren mit rein, eine melancholische Melodie darf auch nicht fehlen. Wirkt beim ersten Durchlauf alles etwas zusammengewürfelt, entwickelt aber mit jeder weiteren Runde seinen Reiz.

8/10

Bandcamp / Facebook


 

Bandsalat: Convince, Elm Tree Circle, Gouge Away, Ich bin Vbik, Jiyuna, Karina Kvist, Farbenflucht, Laura Jane Grace And The Devouring Mothers, Satelles

Convince – „Eden“ (Enrage Records) [Stream]
Die Band aus Moskau/Russland hat nun in den letzten Jahren schon zwei Mal Stopp bei mir um die Ecke im Jugendhaus Weingarten gemacht, und beide Male haben die Jungs den totalen Abriss hingelegt. Wahnsinn! Und dass sie überhaupt den weiten Weg hierher und auch noch viel weiter geschafft haben, das haben sie dem abgefuckten Tourbus zu verdanken, mit welchem schon viele russischen Bands durch die Gegend getuckert sind. Das Ding ist so berühmt, dass es auf den Namen Gazelle Of Death getauft wurde und es sogar einen Comic zu der Karre gibt, eine Film-Doku ist ebenfalls in der Mache. Jedenfalls bolzt die 2009 gegründete Band auch auf dem neuen Longplayer alles weg. Ihr bekommt eine schöne Walze mit einer ordentlichen Schippe Dreck geliefert. Da dürfte jedem Neo-Crustie und D-Beat-Fan die Augen leuchten. Zwischendurch gibt es auch noch schönes Black-Metal-Gehacke und Blackened Hardcore-Einflüsse, dabei bleiben die Gitarren immer schön melodisch. Die in russischer Sprache gegrunzten Vocals haben ebenso düstere Inhalte, auf Bandcamp lassen sich die Lyrics in der englischen Übersetzung nachlesen. Beim Song Der Tanz der Todesschwadron werden sogar ein paar Zeilen in deutscher Sprache gekeift. Also, falls die Band wieder auf Tour kommen sollte, dann lohnt sich absolut ein Besuch einer Show. Ich hoffe, dass die Gazelle Of Death auch bei der nächsten Tour bei uns im Dorf aufkreuzt!


Elm Tree Circle – „The Good Life“ (Krod Records) [Stream]
Ziemlich amerikanisch klingen Elm Tree Circle aus Iserlohn auf ihrem Debutalbum. Das vierzehn Songs starke Ding dockt auf Anhieb am Gehörgang an und hält Dich im Verlauf des Albums bei der Stange. Melancholische Gitarren treffen auf ebenso emotionalen Gesang, dabei geht es in den Texten um Herzensangelegenheiten, Liebe, Trennung, Schmerz und Wut. Bitte, lasst euch dadurch nicht abschrecken, denn Elm Tree Circle treten dabei nicht in den Schmalztopf, sondern bringen das Ganze mit viel Spielfreude und Leidenschaft rüber, so dass die Punkrock-Kante noch deutlich erkennbar ist. Das macht sich auch in den kurzen Songlängen bemerkbar. Wenn ihr auf Bands wie Modern Baseball, Citizen oder Tigers Jaw könnt, dann solltet ihr hier mal ein Ohr riskieren!


Gouge Away – „Burnt Sugar“ (Deathwish) [Stream]
Also, ich hatte die Band eigentlich etwas rasender in Erinnerung. Zumindest auf ihrem Debutalbum ,Dies pfefferten die drei Jungs und das Mädel am Mikro ein schnelles Hardcore-Brett nach dem anderen vor den Latz. Keine Angst, die Band hat durch das Drosseln des Tempos aber keinesfalls an Wucht, Angepisstheit und Wahnsinn verloren. Eher im Gegenteil! Bass und Schlagzeug bilden ein unvorhersehbares rhythmisches Grundgerüst, die Gitarren rotieren wie verrückt und Sängerin Christina Michelle fackelt auch nicht lange und keift ihren ganzen Ärger raus. Was dabei rauskommt, ist ein hochexplosiver Hardcore-Batzen, der dazu noch roh und räudig klingt und mit massig Noise, Grunge, Indie und Punk gewürzt ist. Muss man sich anhören, da kommt man nicht dran vorbei. Mal wieder grandios von Jack Shirley gemastert.


Ich bin Vbik – „Warten auf das letzte Jahr“ (DIY) [Stream]
Auf das Debutalbum dieser Band aus Koblenz bin ich mal wieder beim Bandcamp-Surfen gestoßen. Was unter „Vbik“ zu verstehen ist? Ich hab es nicht rausgefunden. Das Übersetzungsprogramm meint, dass dies russisch wäre und mit Wicking ins Deutsche übersetzt wird. Das Wort hab ich noch nie gehört. Ich bin Wicking? Ergibt irgendwie alles keinen Sinn. Anhand der deutschen Texte hab ich auch nix rausgefunden. Die Texte lesen sich jedenfalls sehr persönlich, hier geht es um das menschliche Leben mit all seinen melancholischen Begleiterscheinungen. Die Musik dazu ist dann passend zu den Texten ebenso intensiv. Zwischen krachigen Post-Hardcore, Screamo und Punk passen auch immer wieder ruhigere Post-Rock-Klänge, die die Melancholie und Verzweiflung noch unterstreichen. Die Band selbst gibt als Referenzen Turbostaat und Alexisonfire an, Turbostaat lässt sich meiner Meinung nach aber nirgends raushören, vielleicht sind da die deutschen und sehr guten Lyrics gemeint. Ich würde eher noch Fjort als Vergleich bringen. Für ein selbstreleastes Album ist das Niveau jedenfalls schon ziemlich hoch, gerade im Bezug auf das Songwriting kommt da bei den zehn Songs keinerlei Langeweile auf, obwohl manche Songs epische Songlängen haben. Einziger Kritikpunkt ist vielleicht die etwas lasche Produktion, mit einem Tacken mehr Schmackes wäre da noch einiges mehr rauszuholen. Ich bin Vbik muss man also im Auge behalten!


Jiyuna – „This Desolate Veil“ (IFB Records) [Stream]
Dieses Release hat bereits über ein viertel Jahrundert auf dem Buckel und erschien damals nur als holzvertäfelte CD, seit Kurzem gibt es den Leckerbissen auch auf Vinyl. Jiyuna kamen aus Florida und existierten ca. elf Jahre und machten intensiven, sehr emotionalen Screamo und waren von Bands wie Funeral Diner, Envy oder Reversal of Man beeinflusst. Tja, und das kann man auch deutlich hören. Die Gitarren und der eigenwillige Bass ergeben zusammen mit den dynamischen Drums und dem verzweifelten Schreigesang ein oldschooliges Feeling ab, dass es eine wahre Freude ist. Dazu noch die raue Produktion und ihr macht direkt eine Zeitreise zur Jahrtausendwende! Wer auf Bands wie Instil, Serene und eben die bereits genannten abfährt, dürfte auch Gefallen an Jiyuna finden!


Karina Kvist & Farbenflucht – „Split EP“ (DIY) [Name Your Price Download]
Hier bin ich vor einiger Zeit mal beim Bandcamp-Surfen drauf gestoßen, leider verschwand das abgelegte Lesezeichen zwecks geplanter kleiner Rezi im völlig unübersichtlichen Lesezeichenordner. Neulich dann glücklicherweise doch noch beim PC-Großputz drübergestolpert. Nun, mittlerweile ist diese Split ja schon einige Zeit erhältlich und einige von euch werden das Ding womöglich sogar bereits auf Vinyl besitzen, aber egal! Denn bei diesem Release sitzt das Herz am richtigen Fleck, zudem ist hier zeitlos gute Musik drin! Ich schreibe diese Zeilen anhand der digitalen Version, auf Vinyl ist diese Split sicher noch um einiges eindrucksvoller, da es sich um ein astreines DIY-Release handelt. Über Karina Kvists 2016er EP konntet ihr bereits an anderer Stelle etwas lesen. Die Band aus Bamberg hat vier Songs im Angebot, davon werden zwei in deutscher und zwei in englischer Sprache vorgetragen. Mit dem Song Kreis bekommt man sofort dieses Glitzern in die Augen: der Song beginnt mit einem wunderbaren Emocore-Bass, dann setzen fast gleichzeitig Gitarre und leidender Gesang ein. Das wechselseitige Geschrei steht dem Song gut zu Gesicht, das hier ist intensiver emotive Screamo, da denkt man gleich an Bands wie z.B. Manku Kapak. Beim zweiten Song kommen dann sogar noch hallige Delay-Post-Rock-Gitarren dazu, das laut/leise-Schema sorgt ebenfalls für reichlich Gänsehaut. Auch die nachfolgenden Songs überzeugen voll und ganz, Karina Kvist sollte man im Auge behalten! Bei Farbenflucht handelt es sich um eine Band aus Halle (Saale). Geboten wird deutschsprachiger emotive Screamo, der auch ein paar Knüppelparts mit an Bord hat. Gefällt außerordentlich gut, was die vier Jungs da machen. Die drei Songs preschen gut nach vorne, es gibt aber immer wieder Verschnaufpausen mit schönen Rückkopplungen und wabernden Gitarren. Diese Split müsst ihr euch unbedingt anhören!


Laura Jane Grace And The Devouring Mothers – „Bought To Rot“ (Bloodshot Records) [Stream]
Mein erster Gedanke war: ach nee, bitte nicht noch eine weitere Frontperson einer erfolgreichen Punkband – im diesem Fall Laura Jane Grace von Against Me – mit einer lahmen Soloplatte, womöglich noch mit Brechreiz erzeugenden Country-Verweisen. Nun, letzteres lässt sich wohl nicht ganz vermeiden, dennoch ist Bought To Rot alles andere als lahm ausgefallen. Anhand des witzigen Albumartworks mit eingebundener Social Media-Konversation lässt sich bereits vermuten, dass sich Laura Jane Grace zumindest optisch etwas anderes als das typische Punk-Layout ihrer Hauptband vorstellte. Auch musikalisch und textlich werden andere Wege eingeschlagen, deshalb ist das Ganze ja auch keine Against Me-Platte, obwohl es manchmal stark danach klingt. Dass mein erster Gedanke völlig neben der Spur lag, wird gleich beim Opener China Beach klar, denn dieser eröffnet das Album mit Radau und fetzigen Gitarren. Die Backing-Band The Devouring Mothers setzt sich übrigens aus Against Me Schlagzeuger Atom Willard und dem langjährigen Against Me-Produzenten Marc Jacob Hudson zusammen. Die 14 Songs sind wohl alle auf den Roadtrips der Band im Tourbus, im Hotel und teilweise auch zuhause in Chicago entstanden. Gerade, wenn man unterwegs ist, ist man seinen Gedanken gnadenlos ausgesetzt und hat Zeit, in sich zu kehren. Liegt der Schwerpunkt der Texte von Against Me eher in anprangerndem politischem Aktivismus, so lesen sich diese Texte um einiges milder. Auffallend ist hier diese schonungslos ehrliche, sehr intime und persönliche Note, die Texte wirken so als ob durch das ‚von-der-Seele-schreiben‘ etwas abgestreift wurde, ähnlich der gehäuteten Schlangenhülle auf dem Backcover. Die Gitarren haben diesen rotzigen Indierock-Klang drauf, der Rock-Charakter steht im Vordergrund. Wer gern tiefgehende Lyrik in Kombination mit rockig-bluesigem Indie und einem Schuss Punk mag, der ist hier goldrichtig. Und mit Reality Bites ist dann auch noch eine astreine Punk-Hymne mit von der Partie.


Satelles – „Some Got Saved“ (Pongo Pongo Collective) [Stream]
Yep, das hier ist mal wieder genau der Sound, den ich um die Jahrtausendwende herum stark abgefeiert habe. Satelles kommen aus Budapest/Ungarn und haben mich bereits in der Vergangenheit mit ihren Releases begeistern können. Some Got Saved handelt vom Leben der post-sowjetischen Generation nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Vom Sound her erinnert das stark an Bands wie Newborn oder Bridge To Solace, die Jungs kommen ja auch aus demselben Umfeld. Schön melodisch wird hier runtergebrezelt was das Zeug hält. So muss melodischer Hardcore klingen, immer mit diesem melancholischen Unterton in den Gitarrenriffs. Wenn ihr Bands wie eben Newborn, Bridge To Solace oder den ersten beiden Stretch Arm Strong-Releases nachtrauert und Kapellen wie Shai Hulud verehrt, dann solltet ihr bei den Klängen der Band Satelles breit grinsend die Arme in die Höhe strecken. Geiles Ding, kann man in Endlosschleife packen!


 

Bandsalat: Cassus, Empowerment, Exploding Head Syndrome, Futbolín, Ghost Spirit & Frail Hands, Revaira, Sans Visage, Whiteriver

Cassus – „Separation Anxiety“ (Dog Knights Productions) [Stream]
Manche Juwelen verschwinden auf der Festplatte und werden erst wieder beim lange auf die Bank geschobenen Ausmisten entdeckt. Obwohl mir die This Is Dead Art; This Is Dead Time; But We May Still Live Yet sehr gut im Gedächtnis geblieben ist und auch ’ne IFB Records-Anfrage zu diesem Release im Postfach landete, fand ich für dieses Album bisher irgendwie kein Gehör. Verdammte Hacke, das ist echt mal traurig! Da draußen sind sicher so viel geile unterstützenswerte Bands, die man leider aufgrund permanenten Zeitmangels weder selbst entdeckt noch an interessierte Leute weiterempfehlen kann. Jahre später hörte ich also erstmals in Separation Anxiety rein und war sofort hin und weg! Die Gitarren schwurbeln, plinkeln, drehen durch und schneiden scharfe Schnitte in die Landschaft, dazu gesellen sich arhythmmische Drums, wildes Geschrei und oft auch cleane, fast gesprochene Passagen. Wenn sich dann auch noch der Bass seine Bahn spurt und im nächsten Moment ein Blackmetal-Part losbricht, dann gibt es kein Halten mehr. Allerfeinster Screamo mit ’nem fetten Emocore-Touch! Ancheckpflicht, am Besten natürlich auf Vinyl (um das ich mich auch mal schnell kümmern sollte).


Empowerment – „Bengalo“ (End Hits Records) [Stream]
Falls ihr mal die Möglichkeit haben solltet, Empowerment irgendwo in Stuttgart live zu sehen, dann versteht ihr, warum die Schwabenmetropole auch vielerorts als Kessel bekannt ist. Die Live-Shows sind schweißtreibend, meistens knäueln sich mehrere verschwitzte Leiber irgendwo rund ums Mikro von Sänger Jogges, der in der durchdrehenden Meute all seine Wut und Frustration raus lässt. Was mit der Band Sidekick einst begann und wuchs, wird jetzt bei Empowerment intensiviert. Stu York-Hardcore vom Feinsten! Die Typen leben das wirklich, was sie da singen und haben über die Jahre eine feste Szene aufgebaut, die ohne Freundschaft und Zusammenhalt längst nicht mehr existieren würde. Zudem haben die Jungs ihren eigenen Kopf und sagen auch direkt raus, was ihnen gegen den Strich geht, da brauchen sie keine Social Media-Kanäle dafür. Die Message kommt auch so an! Das für kompromisslosen Hardcore-Punk unübliche Coverartwork weckt Erinnerungen an ein x-beliebiges 90er-Pop-Album. Aber Bengalo ist mit seinen 13 Songs alles andere als Pop, wenn man mal das Hip Hop-Stück Mensch ist Mensch außen vor lässt. Das Album gleicht eher einem Hass-Batzen, der direkt aus der Gosse kommt, sich brachial und ehrlich gegen alles abgrenzt, was im Hardcore und auch anderswo absolut nichts zu suchen hat. Das ist nicht nur ein allgemeines Gesellschaftsproblem, denn auch in der Hardcore-Szene ist es viel zu selten geworden, dass unmissverständlich klar gemacht wird, dass Faschismus, Rassismus, Diskriminierung oder anderweitige Ausgrenzungen nicht geduldet werden. Vom Sound her bewegen sich die Stuttgarter auf altbewährten New York-HC-Pfaden. Die Cro-Mags waren ja schon zu Sidekick-Zeiten ein großer Einfluss, Merauders Master Killer-Album scheint es den Jungs auch enorm angetan zu haben. Neben den walzenden fetten Gitarren kommen auch die manchmal eingestreuten melodischen Gitarren wie z.B. bei 161 oder Nichts als Instinkt  ziemlich geil. Ach ja, im Digipack-Textheftchen ist es ein bisschen störend, dass die Reihenfolge der Songs ein wenig durcheinander ist, aber mit ein wenig Logik packt man das schon! Übrigens: dass der Zusammenhalt und die Freundschaft unendlich groß ist, zeigen auch die vielen Gastbeiträge (z.B. Marcel/ABFUKK und Sniffing Glue, Matti/NASTY, Florian/AYS). Fettes Album, macht mal wieder Lust, die Jungs live zu sehen!


Exploding Head Syndrome – „Everyone’s A Target“ (Big Day Records) [Stream]
Hier kommt mal wieder ein Hardcore-Leckerbissen aus Norwegen, genauer gesagt aus Oslo. Wow, zwei Songs, die großen Appetit auf mehr machen! Die Gitarren kommen so scharf um die Ecke, mal dissonant, mal melodisch, die Drums prügeln sich den Weg frei und der Sänger hat genau den Dreh zwischen Wut und Melodie raus. Dazu kommen diese melodischen Momente, die man auch bei anderen norwegischen Bands wie z.B. den großartigen Amulet zu schätzen wusste. Überhaupt, Amulet dürften sicherlich zu einem der Haupteinflüsse des Quintetts zählen. Obwohl die Band schon seit 2010 unterwegs ist und bereits zwei Alben und eine EP erschienen ist, brauchte es doch den Schlag mit dem Hammer in Form einer Besprechungsanfrage, um auf die Band aufmerksam zu werden. Bumm, Exploding Head Syndrome sind ab sofort gespeichert, bin sehr gespannt, was man von den Norwegern nach dieser EP zu hören bekommt!


Futbolín – „Shy Guys, Malmo Days“ (diNotte Records) [Name Your Price Download]
Das farbenfrohe Pop-Art-Cover springt direkt ins Auge und wenn man die durchdrehenden und etwas dissonanten Gitarrenläufe des Openers hört, dann glitzern erstmal die Äuglein auf. Nach den wilden Gitarren vom Anfang bleibt es spannend, ein abgedrehtes Keyboard gesellt sich zum Zappelsound, keifender Gesang und treibende Gitarren dürfen auch nicht fehlen. Ganz schön groovig und tanzbar, geht sofort ins Ohr. Obwohl die Songlängen der fünf Songs zwischen eineinhalb und zweieinhalb Minuten liegen, verwurstet die Band in einem Song mehrere Ideen, so dass es wirklich ein sehr kurzweiliger Spaß ist. Twinkle Gitarren dürfen natürlich auch nicht fehlen und dann immer wieder diese experimentellen Keyboardeinschübe. Und immer wieder regiert Noise und Chaos, trotzdem bleibt es eingängig wie Sau. Knapp zehn Minuten Spielzeit sind in diesem Fall natürlich viel zu wenig, von dieser Band will man noch viel mehr zu hören bekommen. Also, schaut mal bei Youtube ein paar Videos an, live brennt da wahrscheinlich die Bude. Kaum zu glauben, das nur drei Jungs so eine Energie freisetzen! Also erstmal vom Name Your Price Download Gebrauch machen und dann hoffen, dass man irgendwie an die sicher geil aussehende 10inch der Band aus Verona ran kommt!


Ghost Spirit & Frail Hands – „Split“ (Twelve Gauge Records & Blue Swan Records) [Name Your Price Download]
Wenn ihr mal wieder zwei interessante Bands aus dem emotive Screamo-Bereich entdecken wollt, dann solltet ihr euch dieses Split-Album hier mal reinziehen. Mir blieb jedenfalls beim Antesten des Downloadlinks der Anfragemail erstmal die Spucke weg! Beide Bands haben schon vor der Split jeweils ein Album veröffentlicht. Nun, Ghost Spirit kommen aus Los Angeles und zünden mit sechs Songs ein richtig emotionales Feuerwerk. Die Bandmitglieder haben jedenfalls schon reichlich Erfahrungen in anderen Combos gesammelt (Lord Snow, Tower of Silence, Seeing Means More und Letters to Catalonia), das erklärt einiges. Dieses leidende und fast flehende Geschrei, dazu diese zauberhaften Gitarren, das arhythmische Getrommel und die tollen Basslines. Intensiv, melancholisch, spannungsgeladen, ein Sturm! Frail Hands aus Halifax/Kanada bringen ebenso die Äuglein zum Leuchten. Auch hier haben die Bandmitglieder schon Band-Erfahrung (King’s Girls und Heisse). Die matschigen Gitarren, das hektische Getrommel mit viel Crashbecken, die leidende Sängerin am Mikro schreit sich den Hals blutig! Heftig geil! Frail Hands sind ein wenig krasser unterwegs, kommen aber nicht minder überzeugend rüber. Ein richtiges Fest ist das hier! Eine Wucht von Split, die hätte ich gerne auf Vinyl!


Revaira – „In Between“ (Redfield Digital) [Video]
Obwohl die Band aus Hamburg auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat, war mir Revaira bis zum Zeitpunkt der Redfield Digital-Besprechungsanfrage bisher kein Begriff. Also, kurz mal reingehorcht und direkt hängengeblieben. Revaira machen ziemlich fetten Metalcore, auf der einen Seite regiert das Brett, auf der anderen Seite werden immer wieder melodische Momente und atmosphärische Parts mit eingebaut. Vom Songwriting her bleibt das Ganze schön abwechslungsreich. Dort ein Break, da ein paar fette Grooves, als Kontrast zum bösen Gegrowle immer wieder cleane Vocals, die mit Leidenschaft gesungen werden. Auch textlich hat sich die Band Gedanken gemacht, es geht um die Höhen und Tiefen im Leben, wobei der erste und der letzte Song die Höhen und die Tiefen verkörpern und alle Songs dazwischen das symbolisieren, was zwischendrin läuft. Hier wären wir wieder beim Albumtitel In Between angekommen. Verschachtelt, ausgeklügelt im Sound und den Lyrics, dazu eine oberfette Produktion. Das ist so ziemlich das spannendste, was ich in dem Genre in den letzten Jahren von einer deutschen Band gehört habe, das kann locker international mithalten!


Sans Visage – „Moments“ (Zegema Beach Records) [Stream]
Nach zwei Demos, zwei Splits und diversen Samplerbeiträgen kommt nun das Debutalbum der Band aus Tokio. Insgesamt elf Songs hat das Trio in den letzten drei Jahren geschaffen. Und die dürften jeden Screamo-Fan begeistern, denn hier ist alles drin, was das zerbrochene Herz begehrt. Der Gitarrensound hat diese 2000-er Nostalgie und lässt an Bands wie Loma Prieta, Battle Of Wolf 359 oder La Quiete denken. Zwischen chaotischen Ausbrüchen mit wildem, arhythmischem Getrommel und gekreischten Vocals wird auch immer mal mit Cleangesang gearbeitet und das Tempo rausgenommen, so dass die Gitarren interludeartige Parts von der Rippe brechen. Das sind dann die besonderen melancholischen Momente. Wer auf intensiven, emotionsgeladenen Screamo abfährt, wird mit diesem Album glücklich werden!


Whiteriver – „Warmth“ (Redfield Digital) [Stream]
Die Band aus Siegen hatte wohl nach dem Release des 2016er Debutalbums einige Besetzungswechsel inklusive zweifachem Sängeraustausch zu verkraften. Praktisch ist es ja eigentlich schon, dass sich im Melodic Hardcore fast alle Sänger ähnlich anhören und einfach mal kurz ausgewechselt werden können. Jedenfalls ist so eine Bandlaufbahn natürlich extrem frustrierend. Wenn man das beim Anhören der insgesamt zwölf Songs im Hinterkopf behält, dann kann man sich an der Hartnäckigkeit der Jungs freuen, viele Bands werfen schon nach dem ersten Mal entnervt hin und lassen die Songs vergammeln. Whiteriver klingen auf Warmth trotz der Besetzungsprobleme erstaunlich frisch. Der Melodic Hardcore schielt auch hin und wieder Richtung Ambient, wird atmosphärisch und geht Experimente ein, wirkt fast schon progressiv. Dadurch kommt reichlich Abwechslung in die Sache. Auch textlich haben sich die Jungs Gedanken gemacht, hinter Warmth steckt eine Art Konzept. Die Songs Vesna, Lato, Fall und Hiver spiegeln die vier Jahreszeiten wieder, durch die bildhafte Sprache wird Bezug auf Gesellschaftskritik, Rache, Reue, Orientierungslosigkeit und Sehnsucht nach Freiheit hergestellt. In einer Spielzeit von 41 Minuten wird es jedenfalls selten langweilig, durch die oben beschriebenen Stilelemente sind die Songverläufe nicht vorhersehbar. Ach ja, und die Gitarren haben ein schönes Spektrum drauf, von ruhig bis episch bis hin zur zerstörenden Gitarrenwand! Hört da doch mal rein, die Band hat da viel Arbeit reingesteckt!


 

They Sleep We Live & Piri Reis – „Split 7inch“ (Dingleberry Records u.a.)

So langsam erkenne ich von Weitem, wenn Rodrigo Almanegras Tuschefeder mal wieder dazu beigetragen hat, dass man ein schön bedrucktes Coverartwork vor sich hat. Nach ausgiebiger Betrachtung von Front- und Backcover versichere ich mich kurz und hole das aufklappbare Cover aus der Hülle…und ja, da steht’s geschrieben, mal wieder ein Volltreffer. Müsste ich das Kunstwerk auf dem Frontcover unter der Berücksichtigung des Backcovers interpretieren, dann würde mir als erstes das Sprichwort „frei wie ein Vogel“ in den Sinn kommen. Der Schlüssel, das Käfig, die zwei frei flatternden Vögel. Auch wenn das Sprichwort häufig eingesetzt wird, um das Gefühl „frei und unabhängig sein“ auszudrücken, hat das Adjektiv „vogelfrei“ auch eine andere Bedeutung. Wer früher als vogelfrei deklariert wurde, war rechtlos und geächtet und durfte sogar straflos umgebracht werden. Ob diese Doppeldeutigkeit eines Ausdrucks hinter dem Coverartwork steht? Könnte sein. Die andere Sache, die mir als zweites in den Sinn kam, ist die zeichnerische Darstellung des deutschen Volkslieds „Die Vogelhochzeit“, das von der Vermählung einer männlichen Drossel und einer weiblichen Amsel handelt. Die Drossel steht symbolisch für Piri Reis, die Amsel für They Sleep We Live. Oder andersrum. Je länger ich das Cover betrachte, umso mehr abgedrehteres Zeug fällt mir ein.

Also klatsche ich erstmal die 7inch auf den Plattenteller. Scheiße, die falsche Seite erwischt, denn das Ding ist wirklich nur einseitig gepresst. Verdammt, das bedeutet auch, dass es ziemlich kurz werden wird. Und gerade, weil man beide Bands schon kennt und weiß, dass in beiden Fällen optimal abgeliefert wird, ist man deshalb etwas angepisst. Aber hilft ja alles nix, also richtige Seite aufgeklatscht und Textblatt in die Pfoten. Entgegen der Erwartungen vom Cover (They Sleep We Live wurden ja eigentlich zuerst genannt), pfeffern Piri Reis mit ihrem pfiffigen und hochemotionalen Screamo direkt los. Scheiße, ist das geil! Das erste Stück Lend Me Your Life, Mine Is Kaput ist so schnell vorbei, wie es angefangen hat. Da hat man gar keine Zeit, sich drauf einzustellen. Könnte deshalb abkotzen, aber ich frage mich irgendwie gleichzeitig (gerade auch weil ich den Song geil finde), warum ich mich darüber künstlich aufrege. Schließlich ist der Songtitel ’ne ernst gemeinte Aussage. Aber wahrscheinlich ist es das fortgeschrittene Alter, das mich so rasend macht. Klar, als Kind empfand man die Schulferien unendlich lange, aber als Jugendlicher hatte man schon bei zweisekündigen Napalm Death Songs das Gefühl, dass man während des Hörens schon um Jahre gealtert ist. Mit dem anschließenden Song Meranduk Ke Laut, Merekah Ke Danau krieg ich dann doch noch mein Piri Reis-Erlebnis der Extraklasse. Die herzzerreißend leidenden Vocals der Sängerin, die melancholisch und hochemotional runtergezockten Gitarrenriffs und das lebendige Drumming, das alles kann man eigentlich gar nicht beschreiben. Hört das an! Hoffentlich kann ich das irgendwann live sehen.

They Sleep We Live sind leider schon wieder Geschichte, dennoch freue ich mich wie ein Schneekönig über diesen letzten verbliebenen Song, der so intensiv und stürmisch an den Gehörknospen nagt und gleichzeitig zeigt, was wir in Zukunft von dieser Band noch zu hören bekommen hätten, wenn sie doch nur weitergemacht hätten! Naja, manchmal ist es halt so. Man kann ja froh sein, dass die Jungs wieder mit neuen und vielversprechenden Bands am Start sind und dieses letzte Vermächtnis auf Vinyl archiviert wurde. Der Song wischt jedenfalls in etwas knapp über zwei Minuten einmal komplett Deine Wohnung durch! Was für eine Intensität! Ich bin sprachlos. Die Linernotes tun ihr übriges, gerade auch deshalb, weil ich darin viele Parallelen zu bereits erlebten Zeiten Ende der Achtziger erkenne. Traurig, aber absolut wahr! Und diese Orgel, die passt da sehr gut rein, ist mal was anderes. Ach so, die Labels: Dingleberry Records, Pike Records, Time As A Color, Koepfen, React With Protest, Don’t Care Records, Zegema Beach Records, Framecode Records. Dieses Scheibchen hat das Zeug zum zukünftigen Klassiker!

9,5/10

Bandcamp / Piri Reis / They Sleep We Live / Dingleberry Records


 

Splitstorm: Aureole Of Ash & Jøtnarr 7inch, .Gif From God & Vein 7inch, Eaglehaslanded & Left To Starve 12inch

Aureole Of Ash & Jøtnarr – „Split 7inch“ (Dingleberry Records u.a.)
Na, bei diesem Coverartwork ist es unschwer zu erraten, was die beiden Bands wohl für ’nen Sound fabrizieren. Grindcore, Powerviolence, Emocrust, Powergrind yeah! Die 7inch erscheint in Zusammenarbeit der Labels Dingleberry Records, React With Protest und ifb records. So ’nen Sound höre ich ja mit Vorliebe live, umringt von Nieten und Spikes, das gibt immer so ein schönes Gefühl in den Bauch, da beamt man sich gerne in Zeiten zurück, als Bands wie ABC Diabolo, Concrete Sox oder Chronical Diarrhoea die Juzes auf den Dörfern zum Brodeln brachten. Jedenfalls ist es für mich eine kleine Herausforderung, die Vinylseiten aufgrund der blanken Labels den richtigen Bands zuzuordnen. Aufgrund der Anzahl der Songs gelingt das dann doch, Aureole Of Ash bolzen nämlich vier Songs runter, während es Jøtnarr gerade mal auf zwei Stücke bringen. Aber beginnen wir mit Aureole Of Ash. Dieses Trio stammt aus Münster und die Sängerin klingt wie Mille Petrozza von Kreator zu Pleasure To Kill-Zeiten. Diese Ähnlichkeit ist mir jetzt aber nur wegen der ebenfalls an die Pleasure To Kill-Ära erinnernde Gitarrenarbeit vom Opener aufgefallen. Denn insgesamt fahren die Münsteraner ein schön sattes Powergrind-Brett, das keine Verschnaufpausen lässt. Die paar Rückkopplungspausen zählen nicht wirklich! Hier wird gehackt, eine wahre Freude! Textlich wird auf die Festung Europa abgehasst, das kapitalistische System und Religion erfahren auch die unbändige Wut des Trios. Ach ja, die vier Songs sind eigentlich remasterte Demoaufnahmen. Jøtnarr kommen aus Colchester/UK und klingen etwas, nun ja, sperriger. Hier dürften neben Neocrust und Grindcore auch Einflüsse aus Sludge und Blackmetal dabei sein. Nichtsdestrotrotz überzeugen die zwei Stücke mit einer sagenhaften Dichte. Hier wird wie wahnsinnig die Keule geschwungen, ziemlich fett. Nach ein paar Runden hat man die Songs dann trotz der Sperrigkeit auf dem Schirm und würde sich diese Wucht auch gern mal live reinziehen. Die zwei Songs erschienen wohl bereits als Tape und CD im Jahr 2013, aber mir taugt so ein Sound auf Vinyl natürlich tausendmal mehr.
Stream / Dingleberry Records


.Gif From God & Vein – „Split 7inch“ (Dingleberry Records)
Dieses kleine Scheibchen sieht rein äußerlich schon ganz schön mysteriös aus, man vermutet zuerst ein Industrial-Release, bis man entdeckt, dass sich hier zwei Bands die Ehre geben. Zum einen sind das Dotgif Fromgod, bisher eher geläufig als .Gif From God, zum anderen ist das die Band Vein. Jedenfalls tut man sich aufgrund des Coverartworks etwas schwer, dies auf Anhieb zu erkennen. Also einfach mal Scheibchen rauskramen und auf den Plattenteller klatschen, die Plattenlabels sprechen eine deutlichere Sprache, hier erkennt man sofort, mit welcher Band man es zu tun hat. Übrigens flattert aus der Hülle noch ein kleines Zettelchen raus, auf dem man erfährt, dass es sich um ein Co-Release der Labels Dingleberry Records, Zegema Beach Records, Longrail Records, Structures//Agony und Contrition Records handelt. Nun, den Anfang machen .Gif From God, die mit einer auf dem Plattenlabel aufgedruckten Kreissäge gleich mal vorwarnen, was man gleich zu hören bekommt. Die Band aus Richmond/Virginia verschaffte sich mit ihrem ersten offziellen Release .​.​.​Defragmented​.​.​.​Reformatted schon reichlich Aufmerksamkeit, es hagelte Vergleiche mit Orchid, Converge, Jerome’s Dream oder Combatwoundedveteran. Und in der Tat, die zwei dargebotenen Songs haben eine unglaubliche Power, die der der genannten Bands nicht unähnlich ist. Die Gitarren sägen und kreiseln, der Schlagzeuger kann alles zwischen Highspeed, Clapping und arhythmischem Chaos, beim Gesang wird ebenfalls gewütet und gerotzt. Störgeräusche und Elektronikspielereien machen das Ganze etwas spooky, die Texte tun ihr übriges. Leider liegt kein Textblatt bei, aber auf Bandcamp sind die Lyrics verfügbar (auch die von Vein). Knapp über fünf Minuten Spielzeit, totaler Abriss! Vein aus Boston schlagen musikalisch in die gleiche Kerbe, was man unschwer an der auf der B-Seite aufgedruckten Keule (ist das Lucille?) unter dem Bandschriftzug erkennt. Die Jungs treiben ja auch schon seit ein paar Jährchen ihr Unwesen, nach zwei EP’s gibt es hier vier Songs zu hören, die übrigens auch noch als eigenständige 7inch unter dem Titel Self Destruct beim Label Closed Casket Activities erschienen sind. Vein klingen schön frickelig und erinnern dabei an Bands wie The Locust, Botch oder auch neueren Bands wie Code Orange Kids. Schon witzig, beide Bands sind voll in diesem 90er-chuggachugga-Genre verwurzelt, das man zu dieser Zeit als HC-Kid eher dem Metalcore zuordnete. Heutzutage fühlt es sich aber gerade wieder umgekehrt an, wahrscheinlich gerade auch, weil beide Bands einen spürbaren Punk/HC-Background haben. Schöne Walze, solltet ihr euch mal reinpfeifen!
Stream / Dingleberry Records


Eaglehaslanded & Left To Starve – „Split 12inch“ (Dingleberry u.a.)
Auf diesem feinen DIY-Release teilen sich Eaglehaslanded aus St. Petersburg/Russland und Left To Starve aus Karlovac/Kroatien ein 250 Gramm schweres, schwarzes Vinylscheibchen. Das Cover besteht aus einem schwarzem, halb gefalteten Karton, der auf der Frontseite mit silbernen Blumen (Silberdisteln?) und auf dem Backcover mit den Bandnamen und den jeweiligen Songtiteln ebenfalls in silber besiebdruckt ist. Im Inneren findet sich ein handliches Textblatt, die kroatischen Lyrics der Band Left To Starve liegen praktischerweise in der englischen Übersetzung vor. Am Release beteiligt sind neben Dingleberry Records die Labels Mosh Potatoes, Mad Schnauzer, HC4Losers und Summercide. Eaglehaslanded eröffnen die A-Seite mit nervigem Nintendo-Gedudel, als Intro ist das für meine Ohren gerade noch erträglich. Entschädigung erhält man im direkt darauffolgenden Song. Hier covern die Jungs einen Song der Band Phoenix Bodies und bleiben dabei ziemlich nahe am Original. Bevor es mit einer weiteren Coverversion weitergeht, malträtieren Fabrikhallen-Störgeräusche die Ohren. Dafür fetzt das Pixies-Cover vom Song Something Against You umso besser durch, das hat was Ministry-mäßiges, v.a. die Gitarren rotieren hier ordentlich. Das folgende Füllmaterial stört dann ausnahmsweise mal nicht und leitet perfekt in das stürmische Judgement Day über. Zieht man die ganzen Interludes ab, bekommt man hier also drei geile Songs geboten. Left To Starve kannte ich bisher nicht, die Band ist ziemlich düster unterwegs. Die drei Songs werden von kläffendem und tiefergelegten Growl-Gegrunze begleitet, so dass man gar nicht wahrnimmt, dass die Jungs kroatische Texte haben. Die englische Übersetzung zeigt, dass die Textinhalte ebenfalls dunkel und abgründig sind. Klingt sehr heavy und ist musikalisch irgendwo zwischen Grind, Crust, Sludge, Hardcore, Punk und Screamo einzuordnen. So, aber jetzt muß ich mal wieder die Surfer Rosa von den Pixies anhören, lange nicht mehr gehört.
Stream Eaglehaslanded / Stream Left To Starve


 

Coma Regalia-Special: Coma Regalia – „There’s Still Time“ 12inch & Tapestry & Coma Regalia – „Our Laughter Under Cerulean Skies“ 9inch

Coma Regalia – „There’s Still Time“ (Dingleberry Records u.a.)
Gefühlt vergeht eigentlich kaum ein Quartal, ohne dass ein Release von Coma Regalia erscheint. Wenn sich eine DIY-Band mit Haut, Haaren und Herz ihrem Sound widmet und zusätzlich noch dem gesplitteten 7inch-Format huldigt, dann kann es schonmal sein, dass man bei dieser Masse irgendwann den Überblick verliert. Auch die vielen Labels, die an solchen Releases beteiligt sind, muss man erstmal auf dem Schirm haben. There’s Still Time erscheint in Zusammenarbeit von elf Labels (Dingleberry Records, Time As A Color, i.corrupt Records, À Fond d’Cale, Adorno Records, Bad Break Records, Boslevan Records, Dasein Records, The Land In Between DIY, Lost State Records, Middle-Man Records). Ich musste doch nun wirklich gerade bei Discogs nachschlagen, nur um sicher zu gehen, dass diese 12inch nun das mittlerweile dritte Full-Length-Album der Band aus Lafayette, Indiana ist. Man denkt ja immer, dass es so Bands mit vielen Split-Veröffentlichungen eventuell nicht schaffen könnten, auf ganzer Albumlänge das hohe Niveau zu halten. Diesen Kritikern empfehle ich mal, sich die Mühe zu machen, alle Coma-Regalia-Split-Beiträge auf ein Tape aufzunehmen und hintereinander anzuhören. Ihr werdet dabei entdecken, dass es ein richtig abwechslungsreiches Tape ist, Coma Regalia klingen wirklich bei jedem Song etwas anders, die Ideen scheinen den Jungs jedenfalls niemals auszugehen. Eines meiner Lieblingsreleases der Band ist ja die Split mit What Of Us, bei der ich dieses Phänomen eigentlich erstmals bewusst wahrgenommen habe. Diese Vielseitigkeit im Sound lässt sich auch auf There’s Still Time entdecken. Neben den kurzen Smashern, die unter einer Minute einen Total-Abriss auf’s Parkett legen, kommen auch immer wieder diese warmen Bass-Spielereien zum Vorschein, daneben verzücken die mehrstimmigen Chöre, die unterschwelligen Melodien und der intensive Gesang. Dieser ist dann sowas wie ein Markenzeichen: von cleanen Vocals über gescreamten Heulgesang bis hin zum kläffenden Pitbull-Gekeife: da steckt einfach sehr viel Emotion, Herzblut, Verzweiflung, Schmerz und Wut drin. Da stört es auch nicht, dass sich die Gitarren bei In The Circle ein wenig kaputt anhören, für mich ist gerade dieser Song eines der Highlights auf der Platte. Weitere Höhepunkte: Curtain Call. Und dann noch die Überraschung zum Schluss: ein zwölfminütiges hypnotisches Stück, das trotz der immer wiederkehrenden Gitarrenschlaufe nicht langweilig wird und zum Ende hin nochmal richtig ausbricht. Faszinierend, meine Augen leuchten, während ich wie hypnotisiert die Platte umdrehe und den Tonarm an den Anfang setze. Wie der Albumtitel und das Artwork schon prophezeit, geht es in manchen Stücken um die Zeit, um die Vergänglichkeit. Wie und was genau gesungen/geschrien/gelitten wird, das könnt ihr auf dem schön gestalteten Textblatt nachlesen.
Facebook / Bandcamp / Dingleberry Records


Tapestry & Coma Regalia – „Our Laughter Under Cerulean Skies“ (Dingleberry Records u.a.)
Hach, hier haben wir mal wieder ein tolles DIY-Scheibchen im nicht alltäglichen 9inch-Format, das man sich gerne in den Plattenschrank stellt. Das Release ist schlicht in der Aufmachung, die Plattenhülle besteht aus einem besiebdruckten Papiermantel, ein Textblatt sucht man vergebens, auch zu den Bands gibt es keinerlei Infos, die Songtitel erfährt man erst, wenn man nach dem Release online gesucht hat und einen Stream aufgestöbert hat. Lediglich die am Release beteiligten Labels sind auf der Hülle abgedruckt (Dingleberry Records, Middle-Man Records, Canopus Distro, Pointless Forever Records). Da hat man also nur noch die Wahl, sich voll und ganz dem schwarzen Scheibchen zu widmen und die Musik beider Bands aufzusaugen, was sich auch ohne große Probleme oder gar Langeweile erledigen lässt. Tapestry kommen aus Singapur, bisher hatte ich diese Band leider noch nicht auf dem Schirm, obwohl die Band ihr erstes Release bereits 2012 veröffentlichte und dabei auch noch sagenhaften Midwest-Emocore fabriziert, der direkt ins Herz geht. Bei den beiden Songs der A-Seite hat man jedenfalls immer wieder das Gefühl, dass man hier auf verschollene Songs von Mineral, Sunny Day Real Estate, Ida oder Penfold gestoßen ist. Die Gitarren, der Rhythmus und der Gesang klingen total nach diesen Bands. Gleich mal den Backkatalog von Tapestry zum Name Your Price Download zippen! Okay, nun zu Coma Regalia. Wie zu erwarten war, steht der Sound der Screamo-Band im totalen Kontrast zum ruhigen, zerbrechlichen Emo von Tapestry. Coma Regalia schmettern direkt keifend los, der Song Day One beginnt mit einem groovigen Intro, das in hypnotisches Gitarrenklimper übergeht, bevor es mit den besten Emo-Gitarren ever richtig geil in astreines Screamo-Geknüppel gipfelt, die für die Band typischen unterschwelligen Melodien kommen auch wieder mal nicht zu kurz. Wer jetzt denkt, dass es das schon gewesen sein muss, dem werden im Verlauf des fünfminütigen Songs gründlich die Augen geöffnet. Das Ding hat so viele Parts, die aber alle zueinander passen, einfach genial! Day One ist dann auch für mich persönlich das absolute Highlight dieser 9inch. Das soll aber keineswegs heißen, dass der Rest absoluter Käse ist, ganz im Gegenteil. Der zweite Song Day Two verzückt ebenfalls, hier stechen v.a. die mehrstimmigen Backgroundchöre hervor. Mal wieder ein durchaus gelungener Song!
Bandcamp / Dingleberry Records


 

Piri Reis & Coma Regalia – „Split 10inch“ (Miss The Stars Records u.a.)

Neulich hab ich euch noch völlig begeistert im Rahmen einer Asien-Special-Bandsalatrunde vom letztjährigen Piri Reis-Demo vorgeschwärmt, das mich seit der Entdeckung auf Bandcamp in den letzten Monaten so weggeblasen hat. Da wusste ich noch gar nicht, dass es bereits neuen Stoff der Band aus Malaysia gibt, denn auf deren Bandcamp-Profil ist lediglich die Demo verfügbar. Deshalb freute ich mich riesig, als vor kurzem ein kleines Plattenpaket aus dem Hause Miss The Stars Records bei mir abgegeben wurde und nach der üblichen tattergreisigen Zitterpartie beim gierigen Öffnen des selbigen diese wundervolle Split 10inch ans Tageslicht kam. Und mit Coma Regalia ist dazu noch eine weitere Band mit von der Partie, die ich total gern mag. Luftsprung <3.

Nun, die 10inch ist als Co-Release erschienen, neben Miss The Stars Records sind noch Framecode Records und Middle Man Records mit an Bord. Dass mir schön gemachte DIY-Releases ans Herz gewachsen sind, das habt ihr hier schon öfters lesen können und auch im Fall dieser Split 10inch bekommt man DIY-Ästhetik satt geliefert. Zu doof, dass etliche Exemplare beim Verschippern beschädigt wurden, das ist natürlich bei liebevoll selbst zusammengebastelten Platten zehnfach ärgerlich. Nun, fangen wir beim gefalteten knallgelben Karton an, der mit schwarzer Farbe und einem schönen wirrwarr-Motiv besiebdruckt ist, das hier auf dem rechts oben abgebildeten Cover etwas mehr Wirkung zeigt, da ein weißer Hintergrund für solche Drucke bessere Kontraste liefert. Dazu muss ich aber auch sagen, dass mir das erst aufgefallen ist, als ich dieses Review im Editor fertigstellte und zu faul war, selbst das Cover zu fotografieren und lieber das bequeme Exemplar auf der Miss The Stars-Bandcampseite verwendete. Denn die gelbe Coverfarbe passt hervorragend zu der kanarienvogelgelben Vinylfarbe, die ebenfalls mit ein paar schwarzen Sprengseln verziert ist, zudem sind die knallgelben Labels ebenfalls mit schwarz besiebdruckt. Ein Traum in gelb sozusagen. Und innen findet man gleich zwei besiebdruckte Textblätter, jede Band hat ihr eigenes Lyric Sheet, zudem erfährt man, dass die Zeichnungen von einer Künstlerin namens Olivia Henry stammen. Betrachtet man die auf der Rückseite der Textblätter abgedruckten Zeichnungen, dann macht es langsam „klick“ und man hat die Verbindung zum Motiv des Albumcovers erkannt, wodurch sich weitere Fragen auftun und beliebig viele Theorien möglich wären. Ein Roboter in der Kindheit, vom Leben verschaukelt, Glück in der Liebe, bis die Natur sich an der Technik rächt.

Die Piri Reis-Seite beginnt gnadenlos geil mit dem Song When Life Hand You Grenade, den ich auch schon auf der Demo herausragend fand. Diese rohe Energie, in der gleichzeitig so viel Emotion mitschwingt. Emotive Screamo muss genau so und nicht anders klingen. Ich erwähnte es bereits im Asien-Special, dass die Spoken Words am Ende von When Life Hand You Grenade, aus dem Gedicht We Teach Life, Sir! von Rafeef Ziadah stammen. Nun, nach diesem sensationellen Auftakt folgen drei mir noch unbekannte Songs, die das Zeug dazu haben, das Blut in den Adern kochen zu lassen, obwohl sich gleichzeitig ’ne dicke Gänsehaut über den Rücken breit macht, weil man total von diesen scharf gespielten Gitarren gepackt wird und das verzweifelt rausgekeifte Geschrei der Sängerin angenehm an den Haaren zieht. Die vier Songs ziehen so schnell an Dir vorbei, wie ein zerstörendes Unwetter, nämlich in kurzweiligen 10 Minuten. Zudem sind die Songs schön roh, aber trotzdem wuchtig produziert. Das rasende Schlagzeug mit viel Crashbeckenspiel ist natürlich der Hammer, aber auch wenn es wie gegen Ende hin mal grooviger wird, vermittelt das mächtig Power. Bei Piri Reis spielen übrigens Leute der Band Quantis mit, die ebenfalls schon mal eine Split mit Coma Regalia veröffentlicht hat. Der Sound ist so irre, das ist wie vor der Kurve Vollgas zu geben, obwohl man gerade per Verkehrszeichen auf eine Ölspur hingewiesen wurde. Was für eine geile Band!

Coma Regalia aus Lafayette, Indiana legen hier sieben neue Songs vor, dabei schwingt noch das letzte Album Ours Is The Cause Most Noble kräftig im Ohr. Sieben Songs, die innerhalb von acht Minuten runtergezockt werden, sprechen eine deutliche Sprache. Gewohnt krachig, schön vertrackt, aber immer mit unterschwelligen Melodien oder wie im Fall von Longing ein mehrstimmiger Emo-Chor, der sogar im Ohr hängen bleibt. Und dieses typisch schmerzverzerrte Geschrei, das dem ganzen die nötige Tiefe gibt. Fans von klassischem Screamo á la Funeral Diner, Who Calls So Loud und Hot Cross lieben die Band sowieso schon. Und das völlig zurecht, denn diese Band hat keinerlei Ausfälle. Diese 10inch hat das Zeug dazu, die Spitze in etlichen Screamo-Jahrescharts anzuführen.

10/10

Piri Reis Bandcamp / Coma Regalia Bandcamp / Stream / Miss The Stars Records


Duct Hearts & Laube – Split 7inch (time as a color/Stereo Dasein)

Bei time as a color-Releases finde ich immer wieder gut, dass ohne Rücksicht auf irgendwelche Schubladen veröffentlicht wird, was einfach gefällt. Dabei entstehen dann solche Split 7inches wie diese hier, bei der zwei völlig verschiedene Bands miteinander verschmolzen werden, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber trotzdem eines gemeinsam haben: die Leidenschaft zu emotionaler Musik. Und dabei wird auch keine Rücksicht genommen, ob das nun Punk-kompatibel ist, oder eben nicht. Zudem ist mit diesem Release ein lang ersehnter Wunsch von Labelmacher und Duct Hearts-Kopf Daniel Becker wahr geworden, denn bei Laube handelt es sich um die Band seines Vaters und damit ist dieses gemeinsame Release auch ein sehr persönliches.

Die Verpackung dieser 7inch ist natürlich wieder gewohnt liebevoll gestaltet, die Hülle besteht aus schwarzer Pappe, die frontseitig offen ist und das Textblatt preisgibt, das auf der Vorderseite von einer Flurkarte des Heimatorts der beiden geschmückt ist. Mensch Maier, in meiner Lehre als Vermessungstechniker hab ich die Dinger massenweise mit Tuschefüller per Hand angefertigt, das ist wirklich ’ne halbe Ewigkeit her. Kann mich noch genau dran erinnern, wie ich am Tag nach ’nem hammergeilen SFA-Konzert meine technische Zwischenprüfung mit zittrigen Fingern gnadenlos in den Sand gesetzt habe. Ach so, zudem liegt ein Downloadcode bei, der zusätzlich zu den zwei Songs der 7inch noch weitere drei Songs von Laube zugänglich macht. Neben time as a color ist übrigens auch noch Stereo Dasein an der Split 7inch beteiligt.

Duct Hearts steuern einen sehr ruhigen Song bei, der gewohnt intensiv mit glasklaren Gitarren und eindringlichem Gesang ausgestattet ist. Die Gitarrenmelodie schraubt sich mit jedem weiteren Durchlauf immer tiefer ins Gehör und entwickelt dabei eine sehr melancholische Stimmung, die zudem durch den sehr persönlichen Songtext noch dick unterstrichen wird. Erinnert mich ein wenig an das Zeug von Ariel Kill Him.

Laube dürften die wenigsten von euch kennen, es sei denn, ihr gehört zu Daniels engerem Freundeskreis. Die Blockflöte am Anfang ist jetzt nicht so meins, aber durch die CDs meiner Kinder und das Flötenspiel meiner Tochter bin ich abgehärtet. Nicht nur den Kindern gefällt der Song Bleib! sehr gut, auch bei mir lässt sich beobachten, dass die Flöte nach und nach gar nicht mehr stört, ich ertappe mich sogar beim Summen der Melodie. Die im Folk verwurzelten Akustik-Gitarren kommen schön gefühlvoll und verspielt daher und auch der zweistimmige Gesang hat was. Gesungen wird in deutscher Sprache/Mundart und wie beim Duct Hearts-Stück ist auch hier der Text sehr persönlich. Schönes DIY-Release!

7,5/10

Duct Hearts Facebook / Stream / time as a color


I Saw Daylight & Deceits – „Split 7inch“ (lifeisafunnything)

Immer wenn Post aus dem beschaulichen Städtchen Hof ins Haus flattert, dann weiß ich eigentlich im Grunde genommen schon vor dem aufgeregten Öffnen des Pakets, dass das darin befindliche Stück Vinyl zu 90 Prozent meinem Geschmack entspricht. Beim aktuellen Tonträger aus dem Hause lifeisafunnything kommt noch eine Art Bonus dazu, denn eine Vinylhälfte des leckeren Scheibchens wird von der sympathischen Band I Saw Daylight in Beschlag  genommen, deren letzte EP Cœur Solitaire immer noch gut in den Ohren hängt, obwohl ich es bisher noch nicht geschafft habe, mir das gute Stück auf Vinyl zu leisten. Aber bevor ich zum musikalischen Inhalt übergehe, muss ich erstmal die optische Schönheit dieses feinen Scheibchens hervorheben. Das Artwork mit der anschaulichen Zeichnung stammt aus der Feder von I Saw Daylight Gitarristin Jessica, die auch schon das geniale Cover der letzten EP  Cœur Solitaire zeichnete. Nachdem ich das  grau marmorierte Vinyl auf den Plattenteller bugsiert hatte und es mir mit dem schicken Falt-Textblatt in den Griffeln gemütlich machen wollte, überlegte ich erstmal krampfhaft, ob die Version in pinkem Vinyl vielleicht noch edler ausschauen würde?

Diese Gedanken verdünnen sich aber beim Hören der I Saw Daylight-Seite innerhalb der ersten 30 Sekunden, denn die Ulmer Band läuft auch hier zur gewohnten Höchstform auf und begeistert auf ganzer Linie, da kann man den Vinylschnickschnack ruhig mal ausblenden. Diese zwei Songs hätten auch locker noch auf die letzte EP gepasst, musikalisch wie inhaltlich, denn textlich bewegt man sich erneut auf bereits gewohntem Terrain, die zerbrochene Liebe und die damit zusammenhängenden Gefühle scheinen ein unerschöpfliches Thema der Ulmer zu sein. Das passt dann auch hervorragend zur Musik, denn I Saw Daylights melodischer Post-Hardcore klingt sehr verzweifelt, man merkt den zwei Songs die Alltagsangst, die Unsicherheit, die Wut über das eigene Versagen und die unendliche Trauer über die zerbrochene Liebe förmlich an. Neben den gefühlvoll gespielten Gitarren gefallen mir v.a. die heiser rausgebrüllten Vocals von Sänger Eugen.  Stellt euch ’ne metallischere Mischung aus Children Of Fall oder More Than Life mit einem Schuss Pestilence vor, dann habt ihr vielleicht eine Ahnung, wie I Saw Daylights Melodic Hardcore mit viel Schmerz und Seele klingen könnte. I Saw Daylight solltet ihr auch unbedingt mal live antesten, falls noch nicht geschehen, es lohnt sich.

Deceits aus Herne/Bochum machen es dem Hörer auf der B-Seite dann nicht ganz so einfach, im direkten Vergleich zu I Saw Daylight klingt der schleppende und düstere Sound fast gar unbequem. Aber für sich alleine betrachtet sieht es dann doch wieder ganz anders aus.  Obwohl viele dissonanten Elemente auszumachen sind, werden die zwei Songs mit jedem Durchlauf zugänglicher, letztendlich packt einen der Sound dann doch erst nach ein paar Runden so richtig am Schopf, so dass man wieder und wieder die Nadel in die Anfangsrille gleiten lässt.  Screamo trifft auf Post-Rock mit delaylastigen Gitarren, dazu gibt’s noch etwas moderneren Post-Hardcore mit selbstkritischen Texten, die sich ebenfalls mit Alltagsängsten und diversen anderen Rotweingedanken beschäftigen. Erinnert mich entfernt an Bands wie z.B. We Never Learned To Live oder Continents, zumindest instrumental. Im Vergleich zur Circs-EP, die ich mir mittlerweile auch mal angehört habe, sind die beiden Songs um Längen besser produziert. Zudem fällt auf, dass beide Bands vom Sound her gleich gut abgemischt sind, was sicherlich daran liegt, dass für’s Mastering ein und diesselbe Person verantwortlich war.

Die 7inch erscheint übrigens als Co-Release, neben lifeisafunnything sind die DIY Labels Beyond Hope Records, Last Novel Records und White Russian Records beteiligt. Ach ja, ein DL-Link liegt bei, 150 Scheibchen gibt’s in pink, 350 in marmoriertem schwarz-weiß Vinyl. Hoppla, da kommen wieder diese eingangs erwähnten rosa Gedanken…ach zur Hölle!

8,5/10

FB ISD / BC ISD / FB Deceits / BC Deceits / Stream / lifeisafunnything


 

Tante Timbuktu & (Fucking) Trent – „Präsentiert Lösungen/Stuck And Glued With No Hopes Left Split“ (DIY)

Eigentlich witzig, wie klein die Bloglandschaft doch ist. Als ich vor ein paar Jahren meine ersten Schreibversuche unternahm und auf meinem damaligen Blog auf das Demo der Zürcher Band Morgen aufmerksam machte, die Leute der Bands Mr. Willis of Ohio, Dying in Motion und The Rabbit Theory in ihren Reihen hat, erreichte mich ein paar Tage später die Demo-Besprechungsanfrage der damals noch jungen Band Tante Timbuktu, die ebenfalls aus Zürich stammte und deren Mitglieder teilweise auch bei der Band Morgen mitwirkten. Das ist jetzt fast zweieinhalb Jahre her. Vor ein paar Wochen dann rasselte über Borderline Fuckup die Review-Anfrage zur Split herein, bei der nach anchecken der Tante Timbuktu-Songs nicht lange mit einer Review-Zusage gezögert wurde, so dass ein physisches Exemplar auf den Weg geschickt werden konnte. Durch die lange Versendezeit aus der Schweiz und einen kurzen Poststreik kam das Ding aber leider erst bei mir an, nachdem wir das Ende von Borderline Fuckup besiegelt hatten, so dass das gute Stück jetzt eben auf Crossed Letters besprochen wird. Was für ’ne Odyssee.

Nun, die Split-LP wurde in Eigenregie der Bands ohne ein Label im Rücken veröffentlicht, DIY in Reinkultur sozusagen. Die Platte kommt im schweren und stabilen Pappkarton, ein Textblatt mit allen Texten und im Falle von Tante Timbuktu sogar zusätzlich mit englischer Übersetzung ist ebenfalls dabei. Das Vinyl selbst liegt schwer in der Hand und sieht in weißer Farbe und mit schwarzem Label schön edel aus, das Coverartwork mit dem Landschaftsbild ist eher schlicht ausgefallen.

Die Tante Timbuktu-Seite nimmt euch mit einer Spielzeit von etwas über 17 Minuten und vier deutschsprachigen Songs auf eine Reise mit, bei der es einiges zu entdecken gibt. Aufgenommen wurde übrigens im eigenen Proberaum, für’s final Mastering war die Tonmeisterei verantwortlich. Zum einen weiß diese rohe und raue Produktion zu gefallen, v.a. die Gitarren haben es mir angetan, auch die Bassparts an den ruhigeren Stellen machen Stimmung. Zum anderen kriechen Gefühle wie Wut, Verzweiflung, Angst, Trauer und Resignation aus den Lautsprechern, der emotionale Gesang leistet hier enorme Überzeugungsarbeit, die dazwischen eingespeisten Spoken Words und Samples zeigen ebenfalls Wirkung. Diese Emotionalität wird natürlich durch die Texte unterstrichen, die teils anprangernd und teils sehr persönlich gehalten sind. Gleich der erste Song Leid  sorgt für eine gewaltige Gänsehaut, wenn man mit den Textzeilen der dritten Strophe konfrontiert wird und dabei eine leise Ahnung hat, dass diese Worte dem im September 2013 verstorbenen Nino Kühnis gewidmet sind. Alessandro berichtete damals auf Borderline Fuckup über das tragische und viel zu frühe Ableben von Nino, der Teil der Schweizer Post-Punk-Band The Rabbit Theory war und sich auch sonst enorm in der Szene engagierte. Leid  regt durch diesen starken Text sehr zum Nachdenken an und erinnert daran, wie schnell alles vorbei sein kann. Danach wird man beim Song Caramboulage  von einem tollen Refrain überrascht und wäre das noch nicht genug des Guten, fließen hin und wieder Post-Rock-artige Klangbilder in den Sound mit ein, so entsteht eine wohlschmeckende Melange zwischen rohem Screamo, emotive HC, Post-Hardcore, Post-Rock und ’ner ordentlichen Portion Punk. Die ganze Bandbreite des Trios lässt sich ganz gut am Song Friedensfahrer  erkunden, bei dem sogar ein Glockenspiel zum Einsatz kommt. Auf der Bandcamp-Seite gibt’s dann noch ’nen Bonussong, der auf der Vinylversion nicht enthalten ist. Insgesamt gesehen tritt bei Tante Timbuktu dieser alte HC/Punk-Spirit in den Vordergrund, den man bei manch anderer Band aus dem Genre vergeblich sucht. Wer Vergleiche braucht: Fans von Kapellen wie z.B. Mr. Willis of Ohio, June Paik oder Manku Kapak könnten daran Gefallen finden.

Auf der B-Seite darf sich dann die italienische Band (Fucking) Trent austoben, die auch schon 14 Jährchen und einige Releases auf dem Buckel hat, von welcher ich aber auch erst jetzt durch dieses Split-Release erfahren habe. Im Netz lässt sich auch nicht allzuviel Information von der Band aus Mirano finden, daher fasse ich mich kurz: die fünf aus der Skatecore-Szene stammenden Jungs gehen in eine etwas andere Richtung als Tante Timbuktu. Geboten wird melodischer HC/Punk, der schön nach vorne geht und seine Vorbilder in Bands wie z.B. Comeback Kid, Alexisonfire, A Wilhelm Scream oder Modern Life Is War hat. Die sechs Songs gefallen mir dabei recht gut, die satte Produktion hat trotzdem noch eine rotzige Kante. An manchen Stellen klingt der Gesang etwas schräg, meist dann, wenn versucht wird, etwas melodischer und cleaner zu singen. Kann aber auch gewollt sein, bin mir nicht so sicher. Auch bei (Fucking) Trent ist die Leidenschaft und Energie spürbar, die dieses Split-Release auszeichnet.

8/10

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