Bandsalat: Aesthetics Across The Color Line, Trafaret, An Horse, Brausepöter, Clowns, Fortuna Ehrenfeld, Get Up Kids, Trigger Cut, Winter Dust

Aesthetics Across The Color Line & Trafaret – „Split“ (DIY) [Name Your Price Download]
Im Rahmen des Bandcamp-Specials mit russischen Bands wurde Aesthetics Across The Color Line ja schon gebührend abgefeiert, nun gibt es neuen Stoff der Emo-Band, diesmal in Form einer Split EP mit der ebenfalls aus Russland stammenden Band Trafaret. Beide Bands spielen frickeligen und verspielten Emo an der Schwelle zum Punk. Wer auf Bands wie Snowing, Algernon Cadwallader oder I Love Your Lifestyle steht, dem sollte das hier ebenfalls munden. Beide Bands liefern jeweils zwei Eigenkompositionen ab, zudem covern beide den Song Caitlyn der US-Emo-Band JANK, wobei mir die AATCL-Coverversion irgendwie mehr zusagt.


An Horse – „Modern Air“ (Grand Hotel van Cleef) [Stream]
Wußtet ihr, dass der Bandname An Horse durch einen Grammatikstreit zwischen Sängerin und Gitarristin Kate Cooper und ihrem Nachbar entstanden ist? Hab ich gerade beim Wikipedia-Eintrag über das australische Duo nachgelesen. Richtig würde es natürlich A Horse heißen, aber der Nachbar war so überzeugt von seiner „Version“, dass er sogar einen Pullover mit der Aufschrift An Horse für sie anfertigte. Solche Geschichten liebe ich ja! Nun, An Horse sind mir mit einzelnen Songperlen wie Camp Out oder Postcards schon noch im Gedächtnis, aber richtig verfolgt habe ich das bisherige Schaffen der Band nie. Zudem hat sich das Duo die letzten Jahre, genauer gesagt nach dem Ende der letzten Tour etwas rar gemacht, auch aufgrund ständiger Touraktivitäten und drohendem Burnout. Ganze sechs Jahre später hat das Duo also nun doch wieder an Songideen gearbeitet, so dass auf Modern Air insgesamt elf Songs zu hören sind. Weiterhin ist hier gitarrenlastiger, etwas sperriger Indierock zu hören, der ein paar Durchläufe braucht, bis man die Melodien mitsummen kann. Man hat sofort Bands wie Nada Surf, Idlewild, Lemuria oder Mates of State im Ohr. Als Anspieltipp empfehle ich mal das knödelige Live Well, das eingängige Get Out Somehow oder das einfühlsame Started A Fire.


Brausepöter – „Nerven geschädigt“ (Tumbleweed Records) [Video]
Man lernt doch nie aus! Bei Brausepöter handelt es sich um eine der ersten deutschen Punkbands, die Punk mit New Wave und deutschen Texten kombinierten und somit den Weg für die Neue Deutsche Welle ebneten. Brausepöters Debut-Veröffentlichung liegt tatsächlich 40 Jahre zurück! Auch wenn ich Mitte bis Ende der 80er eine starke Deutschpunkphase durchgemacht habe, ist mir die Band bisher nicht bekannt gewesen. Nun, damals gab es noch kein Internet, zudem hat sich die Band im Jahr 1982 aufgrund der Kommerzialisierung und der aufkeimenden NDW-Hysterie aufgelöst. Selbst ihr bekanntester Song Bundeswehr fand sich auf keinem der vielen im oberschwäbischen Freundeskreis kursierenden Mixtapes wieder und aufgrund dieser Unkenntnis ging auch die Reunion in Originalbesetzung im Jahr 2011 und die zwei vor dem aktuellen Album erschienen Releases spurlos an mir vorbei. Tja, das ist dann wohl richtiger Underground, haha. Brausepöter klingen im Jahr 2019 nicht mehr so roh wie 1980, den Sound der Band aus Rietberg/NRW kann man so grob in die Schublade Post-Punk, New Wave und Indie-Punk einordnen. Das Trio scheint es gern reduziert zu haben, das zeigt schon das unspektakuläre Albumartwork, das ich irgendwie nicht interpretieren kann. Erinnert irgendwie an das Spiel „Vier gewinnt“. Die persönlichen Texte kommen nachdenklich rüber, eine gewisse Melancholie zieht sich wie ein roter Faden durch knapp vierzig Minuten Spielzeit und 13 Songs. Die markantesten Soundmerkmale sind schrammelige Gitarren, eigensinnige Bassläufe und wehleidiger Gesang. Hier wird man mal an die Nerven, Das Neue Nichts oder die Fehlfarben erinnert, da hat man poppigeres Zeug wie Kettcar oder die Sterne im Ohr, selbst Ami-Bands wie die Dead Kennedys oder Sonic Youth kommen in den Sinn. Neben dem Titelstück Nerven geschädigt empfehle ich mal die Songs Seele, Ganzer Körper brennt und Dies ist nicht meine Welt, um sich ein ungefähres Bild zu machen.


Clowns – „Nature / Nurture“ (Fat Wreck Chords) [Stream]
Okay, spätestens jetzt dürften die Konzerte der Band aus Australien bald in größeren Läden stattfinden, die Clowns sind mit ihrem vierten Album bei Fat Wreck gelandet. Der Band sei es gegönnt, die haben sich das hier hart erarbeitet und jeder, der die Truppe schonmal live gesehen hat, kann das sicher unter Eid bestätigen. War Lucid Again ja schon ’ne große Nummer, wird Nature/Nurture noch mehr Anklang in der Szene erlangen. Denn das Ding mit seinen elf Songs ist echt knackig geworden. In 36 Minuten zerlegen die Australier mal eben kurz Deine Bude und pfeffern Dir ihren rotzigen, aber dennoch melodischen Hardcore-Punk um die Ohren, dazu gesellt sich eine dreckige Rock’N’Roll-Attitude, Leidenschaft, pure Energie und massig Spielfreude dürfen ebensowenig nicht fehlen. Wahnsinn, wie dicht und ausgefeilt das alles klingt, zudem hat man bereits jetzt schon die ausgeflippte Bühnenshow rund um Sänger und Dynamitstange Stevie Williams vor Augen. Songs wie Soul For Sale oder Freezing In The Sun werden mit Sicherheit zu neuen Gassenhauern werden, während die experimentelle Seite der Band für Verblüffung sorgen wird. Auf dem letzten Stück Nurture gibt’s sogar Sitar-Klänge zu hören, zudem sticht hier ein satter Alternative-Grunge-Sound aus den Lautsprechern. Und was mich persönlich freut: das tolle Albumcover wurde von Rodrigo Almanegra gezeichnet, dessen Werke hier im Rahmen anderer Releases bereits desöfteren in den höchsten Tönen gelobt wurden.


Fortuna Ehrenfeld – „Helm ab zum Gebet“ (Grand Hotel van Cleef) [Video]
Konnte mit Fortuna Ehrenfeld bisher eigentlich gar nicht so viel anfangen, ehrlich gesagt hab ich mich auch noch nie wirklich tief mit der Band beschäftigt. Obwohl, eine Band war das bisher ja wohl noch nie so richtig, die bisherigen Alben sind alle im Alleingang Martin Bechlers entstanden, erst mit diesem Album ist das Ding zum Trio gewachsen. Jedenfalls haben mich die zu Promozwecken zugesandten Videos auch nie wirklich von den Socken gehauen. Ich meine, der Typ tritt zwar auf jeglichen Geschmack scheißend obercool im Pyjama und mit Bärentatzenschuhen auf, aber eigentlich ist das heutzutage auch keinen Aufschrei mehr wert. Dementsprechend überrascht war ich, als ich von den ersten drei Songs vom mittlerweile dritten Album, die ich über Kopfhörer lauschte, total geflasht wurde. Wow, Heiliges Fernweh beginnt mit dieser wahnsinnig melancholischen Pianomelodie, die gesprochenen und fast gegrummelten Vocals schlagen mit ihrer ausgefeilten Poesie in die gleiche Kerbe. Und jetzt tanz mit mir Du Sau! Das alles mit einem schönen Beat hinterlegt, auf in die Indie-Disco! Ach, hab ich da gerade rollende Augen bei irgendjemand von euch entdeckt? Wie wär’s dann damit: Hör endlich auf zu jammern. Das ist der Songtitel des zweiten Stücks, der sich mit einem minimalistischen Beat und moogigen Klängen langsam in Dein Herz stampft, bis eine tolle Gitarrenmelodie für Abwechslung sorgt. Beim dritten Song, der gleichzeitig das Titelstück ist, stehen wieder diese poetischen Gedankengänge im Vordergrund, dazu gibt es ein Gesangsduett zwischen Sänger/Gitarrist Martin Bechler und Keyboarderin Jenny Thiele. Insgesamt 13 Songs nehmen Dich also mit auf eine poetische Reise, die ganz ohne Kitsch auskommt und selten laut wird, Ausnahme stellt hier der Song Das ist Punk, das raffst Du nie. Und das klingt wie eine Mischung aus den NDW-lern von Trio und den Deutschpunks von Pisse. Insgesamt gefallen mir die mit dezenter Elektronik ausgestatteten Songs aber weitaus besser, als die reinen Balladen. Ach ja, hab ich’s schon erwähnt? Die ersten drei Songs sind meine absoluten Favoriten!


Get Up Kids, The – „Problems“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Schon die 2018er EP Kicker zeigte, dass man alte Helden niemals abschreiben sollte. Nach der eher schwachen Comeback-EP Simple Science schien die Band wieder zu alter Kraft gefunden zu haben, so dass man aufgrund der Ankündigung des neuen Longplayers namens Problems vorfreudig gespannt war, ob der Funke auch wieder auf Albumlänge überspringen würde. Die erste Single Satellite klang bereits vielversprechend und nach mehrmaligem Hörgenuss des mittlerweilen sechsten Studioalbums kann ich nur freudig sagen, dass auch die restlichen Songs in die gleiche Kerbe schlagen. Es gibt ja mehrere Faktoren, die ein gutes Album ausmachen: das ist zum einen die technische Begabung, die Instrumente zu beherrschen, zum anderen gehört aber auch ausgetüfteltes und in sich stimmiges Songwriting dazu. Das alleine genügt aber noch nicht, den Songs sollte auch noch das gewisse „Leben“ eingehaucht werden. Und das ist den Get Up Kids auf Problems ohne Probleme gelungen. Die stets präsente Melancholie ist in allen Bereichen spürbar, seien es die gefühlvoll gespielten Gitarrenriffs oder der liebevoll gegenspielende Bass und natürlich die durchdringende und viel Emotionen tragende Stimme von Matt Pryor. Was dem Album natürlich zugute kommt und viel Authentizität vermittelt, sind die persönlichen Inhalte direkt aus dem Leben, die hier dargestellt werden. Während sich die Texte der frühen Get Up Kids um die alltäglichen Probleme im Leben eines Twens drehten, beschäftigt sich die Band auf dem aktuellen Album ihrem Alter entsprechend mit den Gefühlen und Gedanken eines Forty-Somethings, den in diesem Lebensabschnitt auftretenden Sorgen und Ängste. Dass diese Dinge von anderer Natur sind, kann wahrscheinlich jeder von euch Senioren aus eigener Erfahrung bestätigen. Jedenfalls verpacken die Get Up Kids diese persönlichen Textinhalte in die so geschätzten hymnischen Refrains, dazu kommen diese wundervollen Gitarren und die großartigen Singalong-Melodien, die man mit jedem weiteren Durchlauf nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Hört doch nur mal das Gitarrenriff bei Now Or Never, die Gesangs- und Basslinie bei Lou Barlow oder das emotionale Common Ground an. Und zwölf Songs und knapp vierzig Minuten später ist man froh, dass das alles so unverbraucht, frisch und vor allem so vertraut klingt!


Trigger Cut – „Buster“ (Token Records) [Stream]
Aus der Asche der großartigen Buzz Rodeo sind Trigger Cut aus Stuttgart und München hervor gegangen. Im Prinzip formierte sich eine neue Band um Gitarrist und Sänger Ralph, mit von der Partie ist unter anderem der Drummer der Münchener Band Haikkonen. Soundtechnisch ist das Ganze nochmal ’nen kleinen Ticken knackiger geworden. Soll heißen, dass durch die Rhythmusmaschine aus extrem fuzzigem Bass und kraftvoll geknallten Drums gepaart mit dreckigen Gitarrenriffs und dem wütenden und am Rande des Nervenzusammenbruchs bewegenden Geschreis eines irren, manischen Psychopathen ordentlich Druck aufgebaut wird. Es dröhnt und pumpt gewaltig und mächtig an allen Ecken und Enden. Schlagzeug, Bass und Noise-Gitarre bilden das stabile Grundgerüst, hinzu kommen angeschrägte und etwas dissonante Gitarren, die schön noisig auf die Kacke hauen. Natürlich geht das nicht ganz ohne Rückkopplungsgeräusche und das ein oder andere schmissige Gitarrenriff über die Bühne. Die zehn Songs erinnern aufgrund des rohen und knackigen Sounds und der Intensität natürlich unweigerlich an 90er-Bands wie z.B. The Jesus Lizard, Drive Like Jehu, Shellac, frühe Lack oder aber auch an deutsche Noise-Bands wie Craving oder eben Buzz Rodeo. Wer auf diese Art Musik steht, kommt hier voll auf seine Kosten!


Winter Dust – „Sense By Erosion“ (time as a color u.a.) [Name Your Price Download]
Die italienische Band Winter Dust konnte letztes Jahr auch schon ihr zehnjähriges Bandjubiläum feiern. So begaben sich die sechs Herren aus Padova in ihrem Jubiläumsjahr für drei Tage ins Tonstudio, um die in den letzten drei Jahren entstandenen Songs aufzunehmen, so dass nach einer EP und zwei Alben mit Sense By Erosion Album Nummer drei das Licht der Welt erblickte. Das Ding ist in Zusammenarbeit der Labels Time As A Color, Dingleberry Records, Dreamingorilla Records, È Un Brutto Posto Dove Vivere, Voice Of The Unheard, la speranza records, Dischi Sotterranei und Backwater Transmission zum einen als Doppelvinyl und zum anderen als Digipack erschienen. Anhand des mir vorliegenden Digipacks und der Fotos der Vinylausgabe kann nur vermutet werden, dass die Doppelvinylversion im Gatefoldcover mit goldenem oder schwarzem Vinyl ziemlich schick und edel aussieht. Das mystisch angehauchte Artwork gefällt mir zumindest bereits auf Digipack-Größe enorm gut. Es gibt insgesamt acht Songs zu hören, bei einer Albumspielzeit von knapp 50 Minuten pendeln die Songlängen eher im oberen Bereich zwischen sechs und neuneinhalb Minuten. Und ja, ganz genau, Winter Dust machen epischen Post-Rock, dabei schwappen immer wieder auch Post-Hardcore, Screamo und Post-Metal-Einflüsse an die Oberfläche. Ich stell mir es übrigens echt mal voll kompliziert vor, zu sechst solche vielschichtigen Songarrangements abzusprechen, zumal auch noch vier der sechs Bandmitglieder mit Vornamen Marco heißen und die Jungs räumlich weit verstreut leben. Aber erstaunlicherweise klingt das Resultat sehr dicht und ausgklügelt, die Jungs sind bestens aufeinander eingespielt. Obwohl fünf der acht Songs mit Lyrics ausgestattet sind, ist die Band größtenteils instrumental unterwegs. Textlich beschäftigt man sich mit persönlichem Kram, die räumliche Trennung von geliebten Menschen spielt auch ein zentrales Thema. Unterstrichen wird das ganze von melancholischen, ruhigen Melodien, die sich überwiegend leise und sanft aufbauen, langsam zu Soundwänden anwachsen, bis es mit Tremolo-Gitarren im Rücken zu einem spannungsgeladenen Ausbruch kommt, inklusive gequältem Schreigesang. Dürfte ein gefundenes Fressen für Leute sein, die Bands wie z.B. Caspian, Explosions In The Sky oder Moving Moutains zu ihren Faves zählen.


 

Solitone – „Lame De Fond“ (Dingleberry Records u.a.)

Beim Albumcover muss man gleich zweimal hinsehen und überlegen, ob man es hier eventuell mit einer Fotomontage zu tun hat. Im Vordergrund sieht man die schäumenden Stromschnellen eines reißenden Flusses, der wohl in einen anderen Fluss oder ein ruhigeres Gewässer mündet. Die naturgewaltige Idylle und die fließende Landschaft wird durch die im Hintergrund auftauchenden und bedrohlich wirkenden Fabrikschlote regelrecht verschandelt und gestört. Grau in Grau zeigt dieses Foto ein sehr düsteres Bild. Passend zum Foto und zum Bandname fällt mir ein, dass Soliton ein Begriff aus der Mathematik bzw. Physik ist und irgendwas mit Wellenbewegungen zu tun hat. Auf dem Backcover und dem Label der A-Seite ist obendrein eine Art Bandlogo zu sehen, das wohl eine Welle und eine Wolke darstellt. Von der B-Seite grinst ein schwarz-weißer Siebdruck, von dessen Motiv ich noch nicht ganz schlau werde. Aber je länger ich das Ding drehe und wende, umso überzeugter bin ich, dass der Druck einen mächtig riesigen Wellenbrecher darstellt. Jedenfalls sieht das alles schonmal rein optisch ziemlich gut aus. Neben Dingleberry Records sind übrigens mal wieder ein paar andere Labels am Release beteiligt, nämlich A Fond D’cale, Hardcore For The Losers, Voice Of The Unheard, Dreamingorilla Rec und Backwater Transmission.

Ich hatte die Band Solitone aus Bordeaux/Frankreich jedenfalls bisher noch nicht auf dem Schirm, so lange scheinen die vier Jungs auch noch gar nicht zusammen zu sein. Bisher erschien lediglich eine 7inch im Jahr 2017. Okay, sobald die Nadel aufsetzt, wird klar, dass die Franzosen soundtechnisch ähnlich düster unterwegs sind, wie es ja das Coverartwork bereits prophezeit hat. Die Mischung aus Screamo, Post-Hardcore und etwas Blackened Hardcore bahnt sich dann auch -ähnlich wie ein reißender Fluss oder ein mächtiger Wellenbrecher – ihren Weg, dabei wird auf der einen Seite tosend gebolzt, während auf der anderen Seite auch mal wieder gemäßigterer und schleppend fließender Sound an die Ohrmuschel gespült wird. Vertrackte Rhythmen, mäandernde Bassläufe, fließende Gitarren und ein gequälter Sänger machen die Sache nicht fröhlicher, Schwermut und Tristesse stehen im Vordergrund. Und trotzdem lassen sich nach ein paar Durchläufen melodische Momente entdecken, die anfänglich verspürte Dissonanz schwindet allmählich. Es gibt jedenfalls viel zu entdecken, man muss die Lautstärkeregler nur ordentlich aufreißen! Geil find ich diesen gegenspielenden und eigenwilligen Bass, der an alte Emo-Bands erinnert.

8/10

Facebook / Bandcamp / Dingleberry Records


 

Drei Affen – „Selftitled 12inch“ (lifeisafunnything/Dingleberry Records u.a.)

Lange hab ich überlegt, ob der Bandname Drei Affen deshalb gewählt wurde, weil sich die Band aus drei Menschen zusammensetzt, oder ob zusätzlich eine tiefere Bedeutung dahinter steckt. Betrachtet man das von Rodrigo Almanegra entworfene Albumartwork  genauer – und das sollte man unbedingt tun, denn auch hier liefert der Künstler erstklassig ab – dann rätselt man zuerst, was diese drei Zeichnungen wohl darstellen mögen. Das in der Mitte ist zweifelsohne ein Ohr, Nummer 1 sieht aus wie ein Mund und Nummer 3 könnte ziemlich sicher ein Auge sein. Zusammen mit den drei Symbolen auf der Rückseite und dem Wissen, dass es ein japanisches Sprichwort gibt, das bildhaft für drei Affen steht und das übersetzt so viel bedeutet wie „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ schließt sich der Kreis. Moment mal: die Discharge-Platte „Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing“  hab ich auch im Schrank stehen. Interessant wird es dann, wenn man den Begriff bei Wikipedia eingibt und dort erfährt, dass das Sprichwort in Japan eine andere Bedeutung als in der westlichen Welt hat. Während man in Japan die Worte im Zusammenhang benutzt, um über etwas schlechtes weise hinwegzusehen,  kommt die Redewendung  in Europa häufig zum Einsatz, wenn man schlechtes nicht wahr haben will. Aber bevor ich jetzt gnadenlosen Frontalunterricht mache, komme ich lieber mal zum Inhalt dieses wunderbaren Releases. Beim Auflegen der Platte musste ich mich sehr beherrschen, dass ich nicht vor rasender Begeisterung auf das herrlich aussehende und durchsichtige Vinyl sabberte, das ebenfalls mit einer Zeichnung von Rodrigo Almanegra besiebdruckt ist. Boah, alleine das hier ist den Besitz dieses Releases wert.

Die Latte an Labels, die diese Veröffentlichung ermöglicht hat, ist sehr lang. Und auch, wenn ihr diesen Part der Reviews immer schnell überfliegt (ich hoffe insgeheim, dass ihr wenigstens den Rest lest und nicht nur auf den Bandcamp-Link klickt), sollten diese Labels gebührend erwähnt werden. Die Arbeit, das Herzblut, die Liebe…hier steckt einfach alles und noch viel mehr davon drin. Das wird auch nochmals deutlich, wenn man die Thankslist auf dem Textblatt liest und weiß, dass der rote Faden noch weiter gespinnt wird, weil im Zuge dieser Veröffentlichung Zines darüber berichten werden, Leute Shows auf die Beine stellen usw…aber ihr kennt das Spiel ja. Die spanischen Texte plus englische Übersetzung liegen praktischerweise auch bei. Ups, jetzt schnell noch die Labels: lifeisafunnything (schon wieder fett ins Schwarze getroffen!), Dingleberry Records, Arkan, Blessed Hands, Discos Finu, Don’t Care, Hydrogen Man, Krimskramz, Pure Heart, Monte Calvario, Pifia, Rakkerpak, Rubaiyat, Screamore, Unlock Yourself, Voice Of The Unheard und Zegema Beach. Wow, alles klasse Labels, die ihr unbedingt anchecken solltet. Unterstützt das mal.

Oje, jetzt hab ich den Fehler gemacht, der mir bei Deutschaufsätzen in der Schule immer sehr schlechte Noten und ein Affentheater zuhause einbrachte. Erstmal ewig drauflosschwafeln und dann schauen, dass man noch zwei Sätze zum eigentlichen Thema aufs leere Blatt rotzt. Glücklicherweise ist es bei der Musik von Drei Affen genau anders, denn die fallen gleich mit der Tür ins Haus und zünden direkt beim ersten Song mehrere Pointen, und das mit einem Affenzahn. Und auch bei den nachfolgenden Songs werden keine Gefangenen gemacht. Voll intensiv permanent auf die zwölf, dazu sogar noch mit einer melancholischen und hochemotionalen Ader. Hab lange überlegt, wie man die Energie dieser Band in Worte fassen könnte, was eigentlich fast nicht möglich ist. Obwohl…es gibt da diesen neuen Ausdruck, der zum deutschen Jugendwort 2016 gekürt wurde und der soviel wie „besonders abgehen“ bedeuten soll. „Fly sein“ heißt der. Auch wenn es sich mir nicht erschließt, wie man das dann in einen Satz packen kann, versuch ich mich mal als jungebliebener Intellektueller in Pädagogen-Jugendsprache: Hey Alter, Drei Affen sind so fly!!! Pfff, zu meiner Zeit sagte man so altbackenes Zeug wie: Affenstark, wa? oder auch noch affengeil, hier würde das ja dann auch passen.

Zwei Mitglieder der Band aus Torrelavega/Spanien kennt man übrigens bereits von der Band Osoluna (Elsa und Eloy), deshalb dachte ich mir bereits vor dem Aufsetzen der Nadel, dass das hier bestimmt kein Schuss in den Ofen wird. Und wie bereits angedeutet, werden beim Hören des Sounds bestimmte Gehirnfelder besonders stimuliert, so dass man sich im Jungbrunnen wähnt und mit von der Presse ermittelten Jugendwörtern um sich wirft, obwohl man eigentlich nur high von der Musik ist. Was das Trio da für ein wuchtiges Brett fährt, ist einfach unglaublich. Grob kann man das zwischen Screamo, Crust, Post-Hardcore und Emo-Powergrind einordnen. Die Gitarren fetzen alles weg, dazu kommen immer wieder diese unterschwelligen Melodien hinzu, das leidende Geschrei von Bassistin und Sängerin Elsa geht ebenfalls durch Mark und Bein. Auf der einen Seite wird rasend schnell mit einem Affentempo nach vorne geknüppelt, dann kommen aber auch immer wieder langsamere Parts zum Zug, die Dich mit ihrer Schwere auf den Boden drücken und wie einen Gorilla auf die Brust klopfen lassen. Knapp 20 Minuten dauert das Feuerwerk mit Inferno-Wucht, danach fällt es leicht, den Plattenarm wieder an den Anfang zu setzen und bei einem weiteren Durchlauf der sechs Songs völlig auszuflippen.

10/10

Facebook / Bandcamp / lifeisafunnything / Dingleberry Records


 

Past – „Cliffhanger“ (Dingleberry Records u.a.)

Diese Wellenoptik auf Albumcovern ist mir in letzter Zeit ähnlich häufig unter die Augen gekommen, wie einst die Totenschädel-Thematik bei Metalbands. Naja, im Falle von Past muss man sagen, dass der Kontrast der düster wirkenden Fotoaufnahme der Wellen auch ein paar helle Einblicke preis gibt. Zudem erinnert mich das Ding auch ein wenig an eine Ultraschall-Aufnahme, wie man sie von auf Facebook geposteten Fotos frisch entstandener Embryonen her kennt. Ich komme aber nochmal auf die Wellenoptik zurück, denn dieses Wellending passt bildlich hervorragend zum Sound des Trios aus Bordeaux. Denn dieser kommt unberechenbar, wie die See mal tobend, mal bedächtig und dann wieder stürmisch aus den Lautsprechern gekrochen. Krass, wenn man die Nadel aufgelegt und das Zeug auf den Ohren hat, dann würde man eher annehmen, dass man es mindestens mit fünf Leuten in der Band zu tun hätte. Denn Past lassen keinen Stein auf dem anderen und zerlegen die Bude mit ihrem mächtigen Sound in Nullkommanix.

Und falls ihr jetzt diesen typischen Franzosen-Screamo erwartet, dann muss ich euch enttäuschen. Denn die Jungs machen einen ziemlich spannungsgeladenen Mischmasch aus Screamo, Post-Hardcore, Post-Rock und düsterem Hardcore, dazu gesellt sich etwas emotional Hardcore. Dass die Energie hörbar aus den Lautsprechern hüpft, ist sicher auch der Liveaufnahme und der fetten Produktion der elf Songs zu verdanken. Zudem legen die Franzosen eine Spielfreude an den Tag, die ich mir unbedingt mal gern live anschauen würde. Supergenial finde ich, dass jeder in der Band mal ins Mikro schreien darf, so dass es nicht nur vom Gesang her schön abwechslungsreich bleibt. Auch die Gitarren zaubern das ein oder andere geniale Riff aus dem Ärmel, dazu passt natürlich der gegenspielende und satt abgemischte Bass genauso ins Bild wie die druckvoll gespielten Drums. Die raffinierten Songarrangements sorgen ebenso für Spannung, zudem strotzen die Songs vor Dynamik. An einigen wenigen Stellen wird auch mal das Tempo gedrosselt, was natürlich die nachfolgenden Passagen noch mächtiger erscheinen lassen.

Past machen auch textlich ihrem Namen alle Ehre. Die Lyrics kommen rückschauend und ultra-persönlich daher und behandeln Themen aus dem alltäglichen Leben, der emotionale Blick auf das menschliche Dasein steht im Vordergrund. Dabei überwiegen die traurigen Ereignissen wie z.B. das Ende einer Beziehung oder der Tod einer geliebten Person, auch Verzweiflung, Wut und Angst sind Inhalte. Sehr aufwühlend und nachvollziehbar das Ganze, keine Frage. Seinen Platz in dieser Gesellschaft zu finden, ist gar nicht so einfach. 35 Minuten geht die spannende Reise, dabei gibt es insgesamt elf Songs (darunter zwei instrumentale Interludes) auf die Ohren. Wer sich eine Mischung aus Birds In Row, We Never Learned To Live, State Faults und Cult Of Luna vorstellen kann, sollte das Ding hier unbedingt antesten. Erscheint als Co-Release, neben Dingleberry Records sind noch die Labels Unlock Yourself, Voice Of The Unheard und Desertion Records beteiligt. Eine Hammerplatte, die mit jedem weitern Durchlauf noch mehr wächst! Zulegen, Leute!

8/10

Facebook / Bandcamp / Dingleberry Records


Regarde & Pastel & Saudade & Marmore – „4-Way-Split 12inch“ (lifeisafunnything u.a.)

Bei diesem Release sind insgesamt 14 Labels beteiligt, wenn ich mich nicht verzählt habe. Dingleberry Records, Allende Records, Unlock Yourself Records, Voice Of The Unheard, Koepfen, Cheap Talks, lifeisafunnything, time as a color, glass of spit, dreamingorilla Records, Monday Morning Records, Vollmer Industries, Upwind Productions, Entes Anomicos. Das im Graphic Novel-Stil gezeichnete Artwork stammt übrigens von Micha/Schwarzer Rand, dessen Arbeiten man schon bei etlichen anderen Bands bewundern konnte. Neben dem obligatorischen Downloadcode liegt dem königsblau schimmernden Vinyl ein zitronengelbes Textblatt bei. Übrigens kommen alle beteiligten Bands aus der DIY-Szene Italiens, so dass dieses Release eine super Gelegenheit darstellt, vier doch etwas unterschiedliche Bands kennenzulernen (mir persönlich waren bisher nur Regarde bekannt).

Völlig weggeblasen war ich von der ersten 7inch der italienischen Band Regarde (aus Vicenza), die ich euch neben diesem Release hier sehr ans Herz lege. Regarde dürfen die A-Seite eröffnen, die zwei aktuellen Songs der 12inch sind zwar enorm stark, aber irgendwie vermisse ich die rotzige Kante vom ersten Release ein wenig. Dafür dominiert hier Melodie und 2000er-Emo-Punkrock, beim zweiten Song wird es sogar aufgrund des mehrstimmigen Backgroundgesangs fast etwas hymnisch, zudem verliebt man sich direkt in die gefühlvoll gespielten Gitarren, gerade Fed By Lust gefällt mir daher außerordentlich gut. Klingt nach alten Hot Water Music mit ein paar Midwest-Emo-Tendenzen und etwas Samiam, zudem erinnern die Gang-Backgroundvocals gegen Ende ein wenig an diesen einen Donots-Song, mit dem diese einst die Pop-Charts stürmten und dessen Titel mir partout nicht einfallen will.

Laut den Infos auf Facebook handelt es sich bei Pastel um ein Duo aus Bari, das sich dem instrumentalen Post-Punk verschrieben hat. Moment mal, die beiden Songs haben zwar längere instrumentale Passagen, sind aber mit italienischen Lyrics ausgestattet, welche übrigens in englischer Übersetzung beiliegen. Der Sound ist treibend, verschachtelt und ein wenig vertrackt, zudem klingen die Gitarren äußerst dreckig. Wo sich andere Bands mit zwei Songideen pro Song zufrieden geben, verdreifachen die Jungs mal lässig, so dass sich hin und wieder auch noch schöne Emo-Riffs einschleichen, die sich langsam ins Gehör bohren.

Auf der B-Seite wird es dann erstmal krachiger, dort eröffnen Saudade aus Neapel mit hektischem und angepunktem Screamo. Das fast viereinhalbminütige Footsteps weist neben derbe gekreischten Vocals auch einen verspielten Mittelteil vor, bei dem es etwas postrockiger zugeht und ein wenig das Tempo rausgenommen wird, nur um anschließend wieder die Sau (dade) rauszulassen. Was auch geil kommt, sind die verzerrten und leiernden Shoegazer-Gitarren, die dem Quartett eine gewisse Eigenständigkeit verleihen. Schöner Chaos-Shoegaze-Core, der definitiv Lust auf mehr macht.

Zum Finale dürfen Marmore aus Turin und Verona ran. Das Trio steuert zwei instrumentale Stücke bei, die sich zwischen verspieltem Math-Rock und etwas Post-Hardcore bewegen. Die Gitarren zaubern das ein oder andere Mal reizende Melodien aus dem Ärmel, während sich der Schlagzeuger in Extase trommelt. Irgendwo zwischen Pelican, Maserati, verzerrten Kaki King und Mogwai gehen die Jungs mit aufgekrempelten Ärmeln an die Sache ran. So dringen immer wieder tolle Gitarrenmelodien aus dem vielschichtigen Sound heraus ans Ohr, langgezogene unnötig wirkende Parts hat man einfach gleich weggelassen, was auch den Songlängen zugute kommt, die in diesem Genre gerne mal die 5-Minuten-Marke knacken.

7/10

Regarde BC / Pastel BC / Saudade BC / Marmore BC / Stream lifeisafunnything


Another Five Minutes – „Half Empty“ (lifeisafunnything)

Déjà vu á la lifeisafunnything: Half Empty wurde hier doch bereits besprochen, oder etwa nicht? Ja genau, richtig aufgepasst: das war neulich keine 12inch, sondern eine 7inch, zudem horchte die Band auf den Namen The Caulfield Cult. Oh mann, das ist vielleicht verwirrend, zumal die beiden gleichbetitelten Releases auch noch vom Erscheinungsdatum dicht beieinander liegen. Nun, während The Caulfield Cult hauptsächlich im Emopunk zuhause sind, widmen sich Another Five Minutes eher dem melodischen Hardcore, Emotionalität spielt dabei aber auch eine größere Rolle. Wie beim The Caulfield Cult-Release sind auch hier mehrere Labels beteiligt, ich liste einfach mal auf. Und als Zwangsneurotiker verlinke ich die Labels trotzdem, obwohl von euch  Leserinnen und Lesern selten bis gar nie auf einen Label-Link geklickt wird. Don’t Trust The Hype, Voice Of The Unheard, Il Pleut Records, Maroufle Recordz, Crapoulet, Ratta-Tat-Tat, BG Records, Ours Records, Saddestsong Records, lifeisafunnything und Tadzio Records.

Nun denn, rein äußerlich kommt die Platte sehr geheimnisvoll rüber, denn das Front-Plattencover verrät unter keinen Umständen den Titel oder Bandname. Stattdessen findet man ein banknotenähnliches Kunstwerk vor, das an manchen Stellen an einen vergrößerten Fingerabdruck erinnert und bestimmt fälschungssicher ist. Auch auf der Rückseite, die ebenfalls von Wasserzeichen-Geldscheinmustern dominiert wird, erkennt der Laie nicht, welche Band auf der Platte zu hören sein wird. Erst der Blick auf den Rücken offenbart EP-Titel und Band. Nimmt man den Inhalt des Plattenkartons heraus (Textblatt + eingehüllte Platte im leckeren durchsichtigen Vinyl, der Download-Code fällt wie immer in den hintersten Winkel auf den Boden), dann ergibt sich eine Art Sonnenfinsternis-Schauspiel, vorausgesetzt ihr haltet beides vor eine Lichtquelle. Denn dann zeichnet sich der Labelkreis von der Plattencover-Rückseite im Kontrast dazu ab. Keine Ahnung, ob das so gewollt ist, ich find’s abgefahren.  Und der Nirvana-Nevermind-Schriftstil im Textblatt passt irgendwie auch zur Wellenoptik des Covers. Aber nun endlich zur Musik…denn sobald man die Platte von ihrer Hülle befreit, offenbart sich auf dem Label auch schon Bandname und Albumtitel.

Bei Another Five Minutes wirken vier Leute mit, die Band existiert seit 2012 und Half Empty ist das laut Presseinfo zweite Release der Straßburger, auch wenn auf der Bandcamp-Seite der Band drei Releases abrufbar sind. Und auch in Frankreich hat man mitbekommen, dass es irgendwo in San Francisco einen gewissen Jack Shirley gibt, der ein großartiges Studio namens Atomic Garden betreibt und genau weiß, an welchen Knöpfchen er drehen muss, damit aus einer sowieso schon starken Aufnahme noch mehr rausgekitzelt werden kann. Insgesamt sechs Songs sind auf Half Empty enthalten, gerecht verteilt à drei Songs pro Seite. Bei Vinyl kristallisiert sich ja irgendwann ’ne Lieblingsseite raus, die man -auch aus Faulheit- nicht mehr umdreht, aber bei dieser Platte ist das keineswegs der  Fall. Mächtig melodisch marschiert gleich der erste Song As Cold As My Heart mit satten und sauber gespielten Riffs  und einem leidenden Sänger los, bis es eine kleine Verschnaufpause gibt, sich langsam wieder eine Spannung aufbaut und es mit diesem geilen ins Ohr schraubenden Riff fäusteschwingend weitergeht. Was ein geiler Song! Und nahtlos geht es ins zweite Stück weiter, so dass sich langsam aber sicher die Begeisterung breit macht, mal wieder eine intensive Platte sein eigen nennen zu dürfen. Denn die restlichen Songs schlagen in diesselbe Kerbe, es bleibt emotional, diese Band spielt sich die Schmerzen förmlich aus dem Leib, dabei werden textlich dazu passend Themen wie Verlust, Enttäuschung, Seelen- und Herzschmerz behandelt. Immer wieder geil, wenn die Band das Tempo ein wenig drosselt und bedächtige Passagen mit Spoken Words eingeschleust werden. Out Of The World  ist so ein Beispiel für das eben beschriebene, dazu erinnert mich die Band hier ein wenig an At The Drive-In, diese göttlichen Gitarren gegen Schluß hin verzaubern mich. Und dann ist auch schon die A-Seite zu Ende. Auf der B-Seite gibt’s dann noch ein kleines Interlude, das einen ein bisschen traurig stimmt, da die Platte nun ins Finale geht und auch nach den folgenden zwei kurzen Songs leider schon wieder zu Ende ist. Wer auf emotionalen, melodischen Hardcore steht, kommt an dieser Band nicht vorbei!

9/10

Facebook / Bandcamp / lifeisafunnything


teːrs – „Selftitled“ (Dingleberry Records u.a.)

Kleine Vorgeschichte: neulich so beim Bandcamp-Surfen, ließ ich mich – durch das düstere Coverartwork neugierig geworden – dazu verleiten, mal wieder auf den Play-Button einer Band zu klicken, die ich bis dato nicht kannte. Nach einem stürmischen Beginn und einer schönen anschließenden Emo-Klimperpassage dauerte es nicht lange, bis die sechs Songs durch die Datenautobahn auf den heimischen Rechner flirrten und ich drauf und dran war, für eine der nächsten Bandsalat-Runden ein kleines Review zu schreiben. Tja, und wie es der Teufel Zufall will, schneite ein paar Tage vor Weihnachten ein immenses Vinylpaket aus dem Hause Dingleberry Records bei mir zuhause rein. Neben der wundervollen, bereits besprochenen Soul Structure LP fand ich auch die schicke LP der Göttinger Band te:rs unter den vielen leckeren Scheibchen. Vielen Dank nochmal an dieser Stelle, Tim und Dingleberry Records! Übrigens handelt es sich hier um ein Co-Release, neben Dingleberry sind auch noch Tadzio Records, Saddest Song Records, Voice Of The Unheard und Theia Records beteiligt.

Und wie so oft der Fall, kommt das Ding auf Vinyl so viel geiler und lebendiger rüber, als in digitaler Form. Nur schade, dass kein Textblatt beiliegt, aber wer mag, kann die Texte auf der Bandcamp-Seite mitverfolgen. Nun, nach dem bereits schon erwähnten stürmischen Beginn geht mir beim geklimperten Part bei der Vinylversion direkt das Herz auf, Spoken Words wechseln sich mit manischen Schreiausbrüchen ab und die Gitarre schrammelt, was das Zeug hält, um im nächsten Moment so gefühlvoll und zerbrechlich as fuck eine todtraurige Melodie aus dem Ärmel zu zaubern. Da kriecht die Nadel sehr melancholisch über den Plattenteller. Auch das mit viel Crashbecken gespielte Schlagzeug kommt richtig super rüber, da der Drummer genau weiß, wann man sich zurückziehen muss und wie man dadurch die Spannung eines Songs effektiv steigern kann.

Lauscht man der verzweifelten Schreistimme, kommt man eigentlich nicht von selbst drauf, dass da eine Frau ins Mikro keift. Sängerin Nora hat obendrein auch das mit den gesprochenen Vocals gut drauf, zudem nimmt mich ihre gefühlvoll gespielte Gitarre gerade bei den ruhigeren Parts immer wieder tröstend in den Arm, hört euch nur z.B. das geniale Eyes, Words, Hands an. Die rauhe Produktion der Tonmeisterei weiß auch außerordentlich gut zu gefallen, da rumpelt es gewaltig bei den lauten Teilen, während bei den leisen Parts dieses emotionale Live-Feeling immer präsent bleibt. Da dürften Leute daran Gefallen finden, die Manku Kapak, Human Hands, June Paik, Indian Summer oder Daitro zu ihren Faves zählen.

8/10

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Marais & Auszenseiter – „Split 12inch“ (lifeisafunnything etc.)

marais&auszenseiterAls das erste Marais-Tape erschien, war ich einerseits von der Atmosphäre der Gitarren des Eröffnungsstücks ziemlich angetan, zudem imponierte es mir gewaltig, dass einige Tapes in handgehäkelten Hüllen verpackt waren, auch wenn ich damals keines bekommen habe. Haha, ich würde mir dieses wundervolle Vinyl-Release hier mit gehäkelter Hülle wünschen und stelle mir gerade Marcus von lifeisafunnything vor, wie er liebevoll ein paar Hüllen für das Album mit herausgestreckter Zunge häkelt (ich bin mir sicher, dass er das auf sich nehmen würde, denn er steckt sein ganzes Herzblut in sein Label). Ach ja, Unterstützung könnte er natürlich von den Labelbetreibern der an dem Release beteiligen Labels bekommen, die da wären: I.Corrupt Records, Voice Of The Unheard und Allende Records. Kollektives Häkeln rules!

Andererseits würde man zwangsläufig das klassische DIY-Albumartwork erst bewundern können, wenn man die Platte vom vermurksten Häkel-Wollpulli entwickelt hätte, hihi. Das Teil kommt nämlich in einem selbstgestalteten Klapp-Umschlag, der mit kunstvollem Siebdruck verziert ist. Es gibt zwei Varianten auf grauem Karton, eine mit orangem Siebdruck, meine Version ist lilafarben und sieht einfach nur super aus. Zudem riecht die Platte angenehm. Keine Ahnung, ob meine Kinder in irgendeinem unbeaufsichtigten Moment zuerst am Süssigkeitenschrank waren und anschließend mit schokoladenverklebten Griffeln mein Plattenregal geschändet haben, aber das Textblatt duftete anfangs irgendwie nach Schokolade, mittlerweile ist dieses Aroma aber flöten gegangen. Oh Mann, jetzt aber noch ein paar Worte zur Musik.

Schön finde ich, dass es auf dem Plattenlabel keine A oder B-Seite gibt. Entweder man legt die Auszenseiter- oder die Marais-Seite auf, beide Seiten sind eindeutig identifizierbar, auch wenn auf dem Backcover zuerst Marais aufgeführt sind. Ich gehöre ja zu den Alphabet-Fetischisten, daher berührte die Plattennadel zuerst die Auszenseiter-Seite. Zum Spoken Word-Intro, welches wohl dem Film „Die Beschissenheit der Dinge“ entliehen ist, blieb bei mir schonmal eine Textzeile kleben, die absolut ins Schwarze trifft: „Nichts verschafft einem einen ehrlicheren Eindruck von einem Land, als der Blick aus einem Zugfenster“. Gut gewählt. Auch sonst kommt die Band aus Nordrheinwestfalen ziemlich authentisch rüber, die deutschen Texte lassen Erinnerungen an Bremer Schule meets Punk, Crust und 90er-Screamo wach werden. Auszenseiter bieten vier explosive Songs zwischen Dissonanz und Aggression, dabei schwingen trotz der ganzen Negativität unterschwellig ein paar flächige Melodien mit, die die Wucht einer Lawine haben. Die Gitarren knarzen schön runtergestimmt bis matschig bzw. crustig, vom derben Gesamtsound her kommt eine schöne Weltuntergangsstimmung auf, das alles erinnert mich etwas an die Kollegen von Jungbluth. Mir läuft’s jedenfalls gut rein. Mein Lieblingssong der Auszenseiter-Seite ist das geniale Nur die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Stelle, an der nur der Bass vor sich hintuckert und im Hintergrund ein schöner Gangscreamo-Shout in Erscheinung tritt und sich alles zu einer Explosion hin entwickelt ist einfach geil.

Marais aus Köln gehen dann in eine ähnliche Richtung. Die fünf Songs sind im klassischen Screamo verankert, im Presseinfo werden Pg.99 und Saetia genannt, mir kommen auch direkt noch Vorbilder wie June Paik, Portraits Of Past, Do Androids Dream of Electric Sheep oder Das Plague in den Sinn. Aus den Songtiteln werde ich persönlich nicht so ganz schlau, obendrein lesen sie sich seltsam, aber die Texte sind kurz gehalten, man kommt gleich zum Punkt. Bis auf den Song Sumpfhumplerblues (übrigens mein Anspieltipp, weil mir der Part in der Songmitte so toll gefällt) sind alle Lyrics in deutsch, manchmal schleichen sich aber auch englische oder französische Zeilen in die Texte ein. Die Songs bewegen sich zwischen dissonanter Atmosphäre, schrammeliger Gitarrenarbeit, hektisch gespieltem Schlagzeug, leidend herausgekrächzten Vocals und abgeranzten Gekeife. Dabei ist aber immer wieder ein wenig Zeit für ein paar ruhigere Parts, die das kommende Gewitter nur noch intensiver erscheinen lassen. Kommt live bestimmt ganz schön krass rüber, ich find den Sound auf Platte jedenfalls verdammt intensiv. Ach so, von dem schmucken Teil gibt’s in den verschiedenen Cover-Farben jeweils 200 Stück, DL-Code liegt wie immer bei. Für Skramz-Fans eine lohnende Anschaffung!

8/10

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