Bandsalat: Atlanta Arrival, Coilguns, Drawbacks, Ghost Spirit, Hippie Trim, lowmeninyellowcoats, Lessoner, Smile And Burn

Atlanta Arrival – „A Tale Of Two Cities“ (Midsummer Records) [Youtube Stream]
Die Emo-Band The Satellite Year dürfte einigen von euch sicher noch bekannt sein, Atlanta Arrival sind aus der Asche eben jener hervorgegangen. Bei A Tale Of Two Cities handelt es sich um das Debutalbum der Band aus Saarbrooklyn. Und hinter diesem steckt eine tragische Geschichte: wenige Wochen nach den Schlagzeugaufnahmen zum Album verstarb Drummer Björn in Folge eines Hirntumors. Dass dieses Album trotzdem fertiggestellt wurde, macht dieses Release umso herzlicher! Die zehn Songs bewegen sich hauptsächlich zwischen den Pfeilern Emo, Pop und Alternative-Rock. Die Stücke leben von abwechslungsreichem Songwriting und leidenschaftlicher Spielfreude. Neben den rockigen Gitarren wird auch teilweise mit Synthies gearbeitet, was dem Sound nochmal einen zusätzlichen emotionalen Touch verleiht. Da kommen natürlich Bands wie The Juliana Theory (z.B. bei Colliding Stars oder Fiction, Once Again), Taking Back Sunday (z.B. Highwire Act), Thrice, Motion City Soundtrack oder frühe Thirty Seconds To Mars (z.B. Why) in den Sinn. Intensiv und aufwühlend!


Coilguns – „Watchwinders“ (Hummus Records) [Name Your Price Records]
Kennt ihr das? Ihr liegt nachts wach, die völlige Stille wird vom immer lauter werdenden Ticken der Wanduhr unterbrochen. Ihr entwickelt langsam aber sicher einen abgrundtiefen Hass und steigert euch rein, bis das Ticken sich fest und bedrohlich in eurem Kopf festgesetzt hat. So ein ähnlich beängstigendes Gefühl bekommt ihr vom Schweizer Uhrwerk Coilguns auf der mittlerweile dritten Full Length zu spüren. Die zwölf Songs mahlen sich langsam walzend in eure Gehörgänge, ein richtig aufbrausendes Noise-Gewitter am Rande des Wahnsinns habt ihr zu erwarten. Krachig und teils sperrig sind die Schweizer unterwegs, die Basis wird aus rituell hämmernden Drums, knarzendem Bass und durchdrehenden Gitarren gebildet, dazu kommen psychotisch wirkende Vocals, die mantra-artig vorgetragen werden. Der Schlagzeuger hat echt mal verrückte Moves drauf! Die Stücke brezeln ordentlich, hier regiert der Krach und das Chaos! Laut, unbequem und bedrohlich!


Drawbacks – „How We Feel“ (Pundonor Records) [Stream]
Jippiee! Endlich hat die Band aus Lille/Frankreich ihr langerwartetes Debutalbum draußen! Obwohl auch schon wieder seit 2012 in der Umlaufbahn, sind bisher nur zwei EP’s erschienen, wobei die Common Impairments-EP die Band gerade hierzulande durch die Mitbeteiligung der Labels Miss The Stars und Dingleberry Records etwas bekannter gemacht haben dürfte. Auf How We Feel bekommt ihr zehn mal die volle Melodic Hardcore-Breitseite ab. Wundervolle Gitarrenriffs treffen auf treibende Drums und leidenschfaftlich gebrüllte Vocals, dieser Sound hat das Zeug dazu, Dich mitsamt allem um Dich rum mitzureißen! Man merkt einfach, dass hier Leute am Start sind, die für ihren Sound brennen und mit Haut und Haaren darin aufgehen. Die Band aus Frankreich muss sich dabei keineswegs hinter den bekannteren Kapellen des Genres verstecken. Inspiration dürften sich die Jungs natürlich von Bands wie Verse, Comeback Kid, Modern Life Is War, Defeater oder Counterparts geholt haben, aber das hier ist viel mehr als eine reine Kopie. Dieses Album macht so verdammt viel Laune, da bekommt man direkt große Lust, sich mit empor gereckter Faust durch einen kleinen, familiären Moshpit zu jagen. Ein richtig intensives, emotionales Brett mit massig Groove an Bord!


Ghost Spirit – „Hourglass“ (Twelve Gauge Records) [Stream]
Das Ding hier zeigt eigentlich mal wieder deutlich, wie unsinnig Jahres-Best-Of-Listen sind. Im Oktober 2019 erschienen, bei mir erst Mitte Dezember angekommen. Da aber direkt und mit voller Wucht eingeschlagen, wie eine zentnerschwere Bombe! Zweifelsohne, diese Platte wäre in meiner Best Of 2019-Liste gelandet, hätte ich denn eine gemacht! Ghost Spirit aus Los Angeles sind mir letztens schon auf dem Split-Release mit Frail Hands äußerst positiv aufgefallen. Die Band setzt sich aus Leuten zusammen, die auch schon in Bands wie Lord Snow, Tower of Silence, Seeing Means More, Nuvuloscura, Calculator  und Letters to Catalonia in Erscheinung getreten sind. Aber was wichtiger ist: die vier Jungs brennen auf Hourglass mit insgesamt acht Songs alles nieder! Und plötzlich traut man seinen Ohren nicht mehr, nachdem die ersten vier Songs wie ein regelrechter Sturm mit wahnsinnig emotionalem und intensivem Screamo über einen hinweg gezogen ist und nur noch verbrannte Erde hinterlassen wird, kommt mit Desire Lies schon fast ein kleiner Stilbruch. Wie geil ist das denn? Richtig schön emopunkig und fluffig, mit verträumten Melodien. Diese Vorgehensweise rückt auch noch bei den Songs Look To The Stars und Remebering in den Vordergrund und macht ganz schön neugierig auf hoffentlich bald folgenden neuen Stoff des Quartetts. Wirklich ein mehr als gelungenes Album!


Hippie Trim – „Cult“ (Redfield Records) [Stream]
Was die fünf Jungs der Band Hippie Trim auf ihrem Debutalbum abziehen, gefällt mir richtig gut. Die Band aus Nordrhein-Westfalen wirkt eigentlich mit ihrem Mix aus Melodic Hardcore, Pop-Punk und etwas Screamo sehr amerikanisch. In der Tat klingt das dann wie eine spritzige Mischung aus alten Helden wie z.B. As Friends Rust, Grade oder Alexisonfire mit Pop-Punkern á la Title Fight, Such Gold oder The Story So Far. Herrlich frisch und unverbraucht wirbeln die zehn Songs an einem vorbei, so dass man sich nach knapp 25 Minuten Minuten wundert, dass das Ding schon wieder rum ist und man sich dabei ertappt per Tastendruck eine neue Runde anzufordern! Die Songs sind stimmig arrangiert und verdammt catchy, zudem strotzen sie vor unbändiger Spielfreude, auch der Doppelgesang weiß zu gefallen. Da wird man sofort mitgerissen, freut sich an den wundervollen Gitarrenriffs, die auch schon mal andeutungsweise shoegazige Untertöne anschlagen, wenn sie gerade mal nicht am brezeln sind. Man merkt hier einfach, dass bei den Jungs das Herz an der richtigen Stelle sitzt! Das wird sowohl durch ihr Auftreten und der Message in den Texten bestätigt. Bestens abgeliefert, da bekommt man direkt Appetit auf mehr!


lowmeninyellowcoats – „Selftitled“ (Zegema Beach Records) [Name Your Price Download]
Holy Shit! lowmeninyellowcoats kommen aus Akron, Ohio und zünden auf ihrem Debutalbum das volle Retro-Screamo/Emoviolence-Inferno! Das Trio umschreibt seinen Sound eigentlich ganz zutreffend: cathartic creatures composing cacophony! Und das tun sie mit viel Hingabe und Herzblut. Die Gitarren haben diesen melancholischen Drive drauf, dazu gesellen sich rasend schnelle Drums und sich überschlagendes, heiseres Verzweiflungs-Geheul. Hin und wieder kommen diese fast unverzerrten cleanen Gitarren durch, das hindert den Sänger jedoch keinesfalls, alles aus seinen Stimmbändern rauszuholen, was es nur rauszuholen gibt. Emotive Screamo vom Feinsten! Merchant Ships treffen auf Coma Regalia, Funeral Diner und Who Calls So Loud lassen ebenfalls grüßen. Saustarkes und hochintensives Debut!


Lessoner – „Morgana“ (Seven Oak Records) [Stream]
Auf die Leipziger Band Lessoner bin ich neulich bei einem meiner in letzter Zeit etwas sparsamen Bandcamp-Ausflügen gestoßen. Spannend und sehr groovig röhrt die Maschine beim Opener Motor los, im Verlauf des Songs merkt man bereits, dass es hier schön abwechslungsreich werden wird. Und fünf Songs später sieht man sich bestätigt. Die Band bewegt sich irgendwo im Post-Hardcore, Elemente aus Screamo, Noise, Melodic Hardcore, Punk und etwas Emo sind auch vorhanden. Die Rhythmusmaschine aus kraftvoll gespielten Drums und polterndem Bass liefert das Grundgerüst, die Gitarren bröseln größtenteils und türmen sich auf, sorgen aber auch clean gespielt für große Momente. An Ideenreichtum fehlt es den Jungs jedenfalls zu keiner Zeit. Positiv sticht übrigens die professionelle Produktion heraus, die Texte sind auch alles andere als oberflächlich. Beim Gesang reicht das Spektrum von clean gesungenen Passagen bis zum unkontrollierten Schreiausbruch. Beim letzten Song staunt man dann, dass das Ganze auch mit deutschen Texten funktioniert. Mittlerweile verkündete die Band übrigens den Ausstieg des Sängers, aber so wie es aussieht, wird derzeit nach Ersatz gesucht. Ich drück mal die Daumen, dass die Jungs jemanden finden, denn diese Band hat’s echt drauf!


Smile And Burn – „Morgen Anders“ (OMN Label Services) [Video]
Die Berliner Band hab ich eigentlich erst aufgrund einer Besprechungsanfrage zum 2017er-Album Get Better Get Worse kennen gelernt, dabei war das auch schon Album Nummer vier, zudem spielt sich die Band bereits seit 2008 permanent den Arsch ab. Bevor das fünfte Album erscheinen konnte, hatten die Jungs auch noch mit Mitgliederschwund zu kämpfen, so dass man anstelle eines Quintetts plötzlich nur noch ein Trio war. Wie man sehen und hören kann, hat letztendlich aber doch noch alles geklappt. Hinzu kommt, dass Smile And Burn auf ihrem fünften Album auch noch einen weiteren Schritt wagen: gesungen wird auf Morgen Anders in deutscher Sprache. Und was auch schon bei den Donots hervorragend geklappt hat, klingt auch bei Smile And Burn erstaunlich authentisch. Die klischeefreien Texte darf man ruhig mal loben, stimmen sie doch nachdenklich und melancholisch! Nach wie vor gefällt mir die Schreistimme irgendwie besser als die Singstimme, wobei sie meiner Meinung nach hierbei viel selbstsicherer rüberkommt. Dass hier nur noch drei Leute musizieren, hört man übrigens überhaupt nicht, irgendwie spürt man, dass die Spielfreude durch den Wegfall nicht getrübt wurde. Im Gegenteil, die Gitarren klingen fett und haben ’ne Menge an geilen Riffs am Start, dazu liefert die Rhythmus-Maschine aus Bass und Schlagzeug druckvoll und vorantreibend ab. Catchy Songwriting und hymnische Mitsing-Refrains runden das Ganze gebührend ab, beste Beispiele geben hier die Songs Leben lang oder Kalendersprüche ab. Gut gefallen mir auch die ruhigen Zwischentöne wie beispielsweise beim Titelstück oder bei Fühlt sich das nach Ende an. Und mit dem Song Weinschorle werden auch die Hardcorewurzeln nicht vergessen!