Kaum auf die Besprechungsanfrage mit Aussicht auf ein Vinylbemusterungsexemplar mit starkem Interesse geantwortet, kam auch schon ein paar Tage später das gute Stück ins Haus geflattert. Die 12inch ist auf den Labels Modern Illusion Records aus Ulm (ganz in meiner Nähe) und Passion Means Struggle aus Plauen erschienen. Und die Labels samt Band haben sich für das Debutalbum der Band aus Süddeutschland richtig ins Zeug gelegt und haben in das Ding ihr ganzes Herzblut reingepumpt, DIY to the maxx! Das dystopische Albumartwork wurde von Gitarrist Martin Hofmann entworfen. Passend zum Albumtitel starren zwei Skelette in militärischer Uniform auf einen Funkturm. Vielleicht findet sich in den Texten ein Hinweis, was es damit auf sich hat. Das Albumcover ist auf starken Karton gedruckt, aus dem Inneren purzelt ein Downloadkärtchen, ein paar Aufkleber und ein schön gefaltetes Textblatt, in dem alle Lyrics und Live-Photos der Bandmitglieder abgedruckt sind. Zudem erfährt man hier auch, dass die Band von der Aufnahme bis zum Mastering alles größtenteils selbst in die Hand genommen hat, ein paar unterstützende Hände aus der Unity waren aber auch mit von der Partie. Die 12inch selbst rutscht schön sanft aus der gefütterten Innenhülle. Und da kommt schon das nächste wow! Mein Exemplar kommt in marbled grey und sieht auf dem Plattenteller richtig klasse aus. Es gibt aber auch noch Exemplare in marbled green oder marbled blue.
Es ist immer wieder schön, wenn man in neuen Bands Leute sieht, die sich schon jahrelang in der Szene tummeln und deren frühere Bands mit ihren Releases immer noch in der eigenen Musiksammlung einen festen Platz haben, die man damals sogar live erlebt hat, tatsächlich alle drei! Ich spreche von den Bands Driving The Salt, Red Tape Parade und Brigdes Left Burning, denn aus diesen Bands wirken bei der bayerischen Band Farewell Signs Ex-Bandmembers mit. Und dieser Spirit, den diese Bands damals mit ihrem Sound Anfang der Nuller herum versprüht haben, ist immer noch ein fester Bestandteil bei Farewell Signs. Hier kann man aus jedem Ton die Spielfreude, die Leidenschaft und das Herzblut hören und spüren. Aber von vorn: Farewell Signs haben sich im Jahr 2022 gegründet und die elf Songs des Debutalbums wurden zwischen April 2022 bis Mai 2023 häppchenweise in Form von drei digitalen EPs releast (1. EP Dead, 2. EP Body, 3. EP Language). Wenn man mal das Artwork der drei EPs betrachtet, bemerkt man, dass alle Motive aus modernen Kommunikationsmitteln bestehen. Die zwei auf dem Albumcover miteinander quatschenden Skelette sehen zwar auf einen Funkmast, befinden sich aber in einer idyllischen Umgebung. Dazu später mehr!
Die A-Seite beginnt leise, es baut sich langsam Spannung auf, Gitarre, Bass und Drums kommen immer mehr in Fahrt, dazu ein Sänger, der sich die Angst und den Frust von der Seele schreit, dabei auch ziemlich viel Emotion mit reinpackt. Der Song wirkt wie ein schleppendes Intro, denn die nachfolgenden Stücke gehen straighter nach vorn. Hier gibt es eine explosive Mischug aus Hardcore, Melodic Hardcore, Modern Hardcore, Punk, Metalcore und Rock auf die Ohren. Die Songarrangements sind stimmig und man ist definitiv am Kopfnicken, wenn man das Album gerade hört, zwischendurch schnellt auch mal eine Faust unkontrolliert in die Höhe. Mal wird Gas gegeben, dann mosht es derbe und im Midtempo (While They Betray), dann geht es rasant und treibend zur Sache (The Match, The Spark), hier und da ein Breakdown, dort ein paar Chöre oder ein grooviger Abgeh-Part, also sprich richtig abwechslungsreich und stimmig. Und natürlich auch richtig emotional! Immer wieder dringt ein melodisches Gitarrenriff oder ein catchy Refrain an die Oberfläche, Death Ceremony z.B., ein ziemlich geiler Song, bei dem ich schon die empor gestreckten Fäuste im Pit vor mir sehe! Die Meute dreht durch! Und auch die B-Seite bringt einen Hammersong nach dem nächsten. Die Jungs brennen echt lichterloh! Überhaupt ist der Band eine tolle Symbiose aus dem Spirit der Nuller und modernem Soundgewand gelungen! Die Produktion hört sich schön fett an! Musikalische Vorbilder sind sicherlich Bands wie die frühen Ignite, Comeback Kid, Just Went Black oder Day Of Contempt.
Ach ja, und jetzt noch schnell zu den ebenfalls durchdachten Lyrics, die schön tiefgründig gehen. Neben gesellschaftlichen Missständen in einer immer roher werdenden Welt kommen auch Alltagsängste zur Sprache, Entfremdung, der von kapitalistisch orientierten Konzernen diktierte Alltagstrott, der uns zu seelenlosen Zombies macht und die wichtige Bedeutung von Freundschaft und Zusammenhalt sind ebenfalls Themen. Ein wesentliches Problem unserer Gesellschaft wird auch thematisiert, und da kommen wir wieder auf den Albumtitel und das Albumartwork zurück und hören den Groschen fallen: all das oben genannte Leid könnte sich verbessern, wenn nicht so viel negative Kommunikation in modernen Medien stattfinden würde. Man denke da nur an die vielen Troll- und Hass-Kommentare in irgendwelchen Social Media-Kanälen, an belanglose Sprachnachrichten mit nicht relevantem Inhalt. Oder auch Chats mit etlichen Tipp- und Grammatikfehlern und verschwundenen Satzzeichen, KI-Autokorrektur-Unsinn ist ebenfalls eine Plage. Hier also mein Interpretationsversuch des Albumcovers: die fehlende Fähigkeit der „echten“ Kommunikation von Angesicht zu Angesicht steht im Kontrast zur modernen, seelenlosen Kommunikation, die uns immer mehr in den Abgrund treibt. Starkes Debut, wahrscheinlich nicht nur für mich eines der besten Hardcorealben aus Deutschland im Jahr 2023! Müsst ihr unbedingt anchecken!
10/10
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