Tape-Duo: Ennolicious & V.A. Snacks Compilation

Ennolicious – „Social Breakdown“ (30 Kilo Fieber Records/Krachige Platten) [Stream]
Die Durmersheimer Band Ennolicious überzeugte mich bereits auf der 3-Fach-Split mit Krasser Fahrstil und pADDELNoHNEkANU mit ihrem rohen und krachigen Oldschool-Hardcore.
Und die fünf Songs auf dem Social Breakdown-Tape schlagen in die gleiche Kerbe! Das Tape ist sehr schlicht in kontrastreicher schwarz-weiß Optik gehalten. Schwarzes Cover, weiße Schrift, Texte sind innen abgedruckt. Das Tape ist weiß und ist mit einem von einer Klingelschild-Gravurmaschine gefertigten Aufkleber beklebt. Geil! Aus dem Inneren purzelt ein Download-Code. Nun, Ennolicious machen auch hier keine Gefangenen und sie lieben es kurz und knackig. Die Songlängen pendeln zwischen 50 Sekunden und allerhöchstens zweieinhalb Minuten. Die Aufnahme ist roh und ein bisschen dünn, klingt ein bisschen wie direkt im Proberaum live aufgenommen. Aber genau das macht den Charme aus! Das hier klingt roh und spannungsgeladen, die pure Energie! Die musikalischen Vorbilder liegen deutlich im US-Hardcore-Skatepunk. Bands wie beispielsweise Black Flag, Bad Brains, Minor Threat, frühe Pennywise, frühe NOFX oder deutsche Kapellen wie Skeezicks, Highscore, Sheridan, Ladget und Spermbirds sind hier zu nennen. Obendrein sind auch die Texte stark und behandeln politische, gesellschaftliche und auch persönliche Themen. Starkes Release, macht absolut Laune, sich mit dem Sound im Ohr auf’s Skateboard zu schwingen!


V.A. – „Snacks Compilation“ (Krachige Platten) [Stream]
Dieses Tape hat so etwas ähnliches wie ein Konzept: Joe/Jonathan, der ehemalige Gitarrist der Band Krasser Fahrstil hat insgesamt 28 Songs aufgenommen, teils mit verschiedenen Bandkonstellationen aus dem Raum Karlsruhe und Rastatt, teils hat er auch solo Sachen eingespielt. Die Tracks sind in den Jahren 2016 bis 2021 entstanden. Dabei ist ein breites Spektrum herausgekommen, von Punk über Hardcore, Singer-Songwriter, NDW, Ambient, Black/Death-Metal bis zu Doom und Wave ist da fast alles dabei. Dass die Songs allesamt schnell und spontan entstanden sind und dabei der Spaß und die Freude an erster Stelle stand, kann man jedenfalls deutlich spüren. Natürlich gibt es ein paar Songs, die mir ein bisschen den Nerv rauben, dennoch finde ich die Idee und die Umsetzung sehr gelungen und auch der subtile Humor weiß auch richtig gut zu gefallen! Geile Bandnamen und witzige Texte runden das Ganze ab. Bei manchen Songs musste ich richtig fies kichern! Bei Happy Cripples, R.A.G., Feine Nase und Der Gräber beispielsweise. Die schlichte Aufmachung des Tapes find ich auch gelungen. Von wegen „ich hab’s nicht hingekriegt„. Hab ich bereits erwähnt, dass an beiden Tapes der gute Felix (bekannt von pADDELNoHNEkANU, ProvinzPostille und Krachige Platten) beteiligt ist? Hört da unbedingt mal rein oder bestellt euch das Tape am besten gleich mit dem Ennolicious-Tape und der Provinzpostille mit!


You Could Be A Cop & Amid The Old Wounds – „Split 12inch“ (Time As A Color u.a.)

Wow, was kommt da mal wieder für ein schönes und liebevolles DIY-Release ins Haus geflattert? Rundum lassen sich einige schwarz-weiße Fotografien im Kollagen-Stil aus längst vergangenen Zeiten entdecken, vermutlich aus dem persönlichen Privat-Archiv. Für’s nostalgische Artwork ist übrigens – wie auch schon bei der Debut-12inch von You Could Be A Cop und den Human Hands-Releases – Chaz Hewitt verantwortlich. Im aufklappbaren Gatefoldcover sind innen die Texte abgedruckt, schön mit Schreibmaschine abgetippt und zusammengeschnipselt. Die 12inch selbst ist in einer schwarzen, gefütterten Hülle untergebracht, die weißen Labels sind nur mit den RPM-Geschwindigkeiten bestempelt. Mein Besprechungsexemplar hat schwarzes Vinyl, es gibt aber auch noch eine blaue Variante. Ach ja, selbstverständlich liegt ein Download-Kärtchen bei. Das Schmuckstück ist übrigens ein Co-Release, neben time as a color sind noch die Labels Adagio830, strictly no capital letters, slow down records, motorpool records und friend club records mit an Bord.

Wer mit der You Could Be A Cop-Seite beginnen möchte, sollte zuerst die Seite mit der aufgedruckten 33 auflegen. Wem die exzellente Debut-12inch der Band durch die Lappen gegangen sein sollte, wird nach dem Genuss der vier Songs der Split auch diese noch aufsaugen wollen wie ein durstiger Schwamm. Alle anderen haben wahrscheinlich eh schon ungeduldig auf neuen Stoff gewartet. Die Band setzt sich ja aus den beiden norwegischen Brüdern Morten und Marius und der Londoner Sängerin Natalie zusammen, zusätzlich mischen bei zwei Songs musikalische Gäste mit. Zum einen steuert Tonje Tafjord von Avind ihre Vocals zum Song Against The Bleeding Skyline bei, zum anderen wirkt Fighterpilot-Sänger Anders Kojen bei Still The Same mit. Jedenfalls kann man in den Sound der Band richtig eintauchen, zwanzig Minuten vergehen wie im Flug. Die Gitarren schwirren schwerelos durch die Lüfte, dazu gesellen sich verträumte male/female Wechselgesänge, fluffige Basslines und entspannte Drums und natürlich jede Menge traurige Melodien und auch textlich werden melancholische Momente verarbeitet. Sehr emotional und zerbrechlich klingt das! Irgendwo zwischen Emo und Indie passt auch noch eine grungig-punkige Note. Wer Zeugs wie Boys Life, Stars, Hidalgo, 125 Rue Montmartre oder SDRE mag, wird auch mit You Could Be A Cop bald Händchen halten! Ich bin jedenfalls schwer verliebt!

Für Amid The Old Wounds müsst ihr die Seite mit der aufgedruckten 45 wählen. Duct Hearts & Wishes On A Plane-Sänger Daniel hat nach seiner Debut-7inch vier Songs eingespielt, gemischt und gemastert wurden diese bei Koenichsound/Franz Kindermann. Dass Daniel von den Solosachen des Get Up Kids-Sängers beeinflusst ist, konnte man schon anhand des The New Amsterdams-Covers vom Song Every Double Life hören. Nur die Gitarre und die warme Stimme Daniels füllt den Raum und zieht sofort in den Bann. Die emotionale Grundstimmung wird auch textlich noch unterstrichen. Bei den beiden Songs A Friend In Need und You’ve Reached The End handelt es sich um Neukompositionen, der Song Anywhere stammt ursprünglich von Wishes On A Plane. Und dann gibt’s noch eine gelungene und noch akustischere Coverversion vom No Use For A Name Akustik-Song Let It Slide. Und nach knapp 12 Minuten ist leider auch diese Seite zu Ende! Und ja, diese 12inch wärmt mein Herz aus allen Richtungen!

9/10

Bandcamp / time as a color


Tape-Duo: Joe Astray & V.A. – Play Fast Ride Easy

Joe Astray – „Reconstruction“ (Intersphere Records)
Nach etlichen Umzügen ist Joe Astray vor einiger Zeit in Hamburg gestrandet, vorherige Stationen waren Sydney, Karlsruhe und Freiburg. Was bei all den Umzügen immer geblieben ist und ein fester Anker im Leben von Joe Astray ist, ist die Musik. Was im Punk mit DIY-Spirit begonnen hat, hat sich nun zum Indie-Singer-Songwriter-Sound gewandelt. Nach zwei EPs hat er zusammen mit den Produzenten Gregor Henning (Studio Nord Bremen) und Valentin Hebel (Monako) insgesamt neun Songs für sein Debutalbum eingespielt. Und das Ergebnis ist wirklich sehr schön geworden, die Songs besitzen allesamt eine melancholische Ader, zudem klingen die Songs sehr intim. Dadurch, dass nicht immer die Folk-Gitarre und der Gesang im Vordergrund steht und auch öfters mal Elektronik und Keyboards zum Einsatz kommen, entstehen oftmals atmosphärische Momente. Dass eine Punk-Vergangenheit besteht, merkt man höchstens im letzten Song At The River By The Bridge, bei dem es auch mal etwas wilder wird. Bei den Songs Pirate und Sleepless Nights kam mir sofort die Band Athlete in den Sinn, ich sehe auch Parallelen zu Zeugs wie Bright Eyes, Death Cab For Cutie, Damien Jurado oder Surfjan Stevens. Ach ja, Reconstruction gibt’s neben der Tapeversion auf Intersphere Records auch noch in Vinylform bei Bekassine Records.

Bandcamp / Facebook / Intersphere Records


V.A. – Play Fast Ride Easy (Seven Oak Records)
Wenn man ohne die leiseste Ahnung zum Briefkasten schlendert und dort ein putzig kleines Umschlägchen entdeckt, dann weiß man eigentlich schon anhand der Form, dass da sicher ein Tape rauspurzeln wird. Und so ist es auch dann. Seven Oaks Records schickt das farbenfroh aufgemachte Tape mit dem radelnden Bike-Punk auf dem Frontcover. Faltet man das Tapecover auf, dann sieht man, wie sich der thrashige Bike-Punk schön fies auf die Fresse legt. Alk und Bike endet auf der Street…jedenfalls wird schon anhand der Zeichnungen und der Optik der Bandschriftzüge klar, in welche musikalische Richtung es gehen wird. Legt man das rote Tape mit den schwarzen Labels ins Tapedeck, wird man direkt bestätigt. Oldschooliger Crossover zwischen Thrash, Metal, Punk und Hardcore scheppert aus den Lautsprechern. Da wird man direkt in die Achtziger gebeamt. Übrigens haben wir es mit einem Split-Tape zu tun. Insgesamt gibt’s vier Bands aus Brasilien zu hören, jede Band steuert 3-4 Songs bei. Den Auftakt macht N.W.77, die mich ein bisschen an eine Mischung aus Ratos de Porao und frühen Sepultura erinnern. Geht gut nach vorn, ein paar Gitarrensolis lassen aufhorchen. Kommt jedenfalls schön satt abgemischt. HCG sind dann deutlich punkiger und krachiger unterwegs, klingt nach Proberaum-Mitschnitt mit ’nem billigen Kasi. D.F.C. kommen dann wieder etwas besser abgemischt rüber, sie sind auch etwas schneller unterwegs, es geht in Richtung Union13 und frühe Agnostic Front, die Gitarren moshen dabei in ähnlichen Sphären wie die frühen Anthrax. Zum Schluss kommen noch Life In Grave mit Thrash-Metal-lastigem Crust-Punk-Crossover dran. Ach ja, die Lyrics dieses Releases werden zum Teil in der Landessprache vorgetragen. Für Fans des Genres lohnt sich das Tape jedenfalls, denn man lernt vier Underground-Bands mit Exotenbonus auf einen Streich kennen! Ranhalten: die Auflage ist auf 50 Stück limitiert!

Stream / Seven Oaks Records


Ghost Bag – „Palindrome“ (Adagio 830)

Nach dem eindrucksvollen Debut unter dem Titel Ghost Bag & Tine Fetz hat der niederländische Nick Jongen (Sleep Kit, I Am Oak, Baby Galaxy) sieben Songs aufgenommen, die jetzt als einseitig bespielte 12inch mit dem Titel Palindrome auf Adagio 830 erschienen ist. Die Fotos auf Front und Back-Cover und auf der Innenhülle wurden von Tine Fetz geschossen, auf der Innenhülle ist auch wieder eine kleine Geschichte von ihr im Graphic Novel/Comic-Stil zu bewundern. Ich habe lange in den Songtiteln, Texten und auf den Reklametafeln des 24-Stunden-Beerdigungsinstituts nach einem Palindrom gesucht, hab aber ums Verrecken keines gefunden. Ihr wisst ja sicher alle, was ein Palindrom ist, dennoch fasse ich es kurz zusammen: das kann ein Wort oder gar ein Satz sein, der von vorn und von hinten gelesen identisch ist (z.B. Rentner, Rentner ist eines meiner Lieblingspalindrome!), es gibt aber auch Palindrome, bei denen rückwärts eine andere Bedeutung rauskommt (z.B. Gras/Sarg, um im Bestattungswesen zu bleiben, auch sehr geil!). Außerdem gibt es auch Palindrome in Musikstücken, zudem fällt mir noch die Technik des Backward-Maskings ein. Mein Plattenspieler kann das zwar, aber mehr als einen Song hab ich jetzt doch nicht durchgehalten, trotz Zwangsneurose, das Palindrom zu finden. Mein Palindrom hab ich letztlich dennoch gefunden: ich bin mir sicher, dass auf Abbildung vier der Tine Fetz-Story ein Reliefpfeiler (!) abgebildet ist!

Auf dem Backcover erfährt man, dass Tine Fetz zusammen mit Nick Jongen vom Goethe-Institut nach Salvador/Brasilien eingeladen wurde. Die sieben Songs wurden während diesen Aufenthalts aufgenommen, vermutlich wie auch schon beim Debut in traditioneller Homerecording-Atmosphäre im eigenen Schlafzimmer. Gemischt wurden die Songs dann wieder von Nick Jongen daheim in Maastricht, für’s Mastering war diesmal Christian Bethge in Mannheim zuständig. Und so klingen die Songs sehr intim und warm, über gute Kopfhörer und bei geschlossenen Augen bekommt man fast das Gefühl, dass man im selben Raum mit dem Musiker wäre. Im Singer/Songwriter-Stil sind die Songs schön lo-fi gehalten. Außer der gezupften Gitarre und der emotionsgeladenen Stimme Nicks sind nur mal leise Synthies und Backing Vocals von Tine Fetz zu hören, zirpende Grillen gibt es auch noch zwischendurch. Und trotz der Reduziertheit in den Songs entwickelt sich in jedem der Stücke eine starke Atmosphäre, die fast schon hypnotisierende Wirkung hat.

Textlich werden unter anderem die Eindrücke des Aufenthalts in Brasilien verarbeitet, es werden mitunter sehr viel persönliche Erinnerungen und Erfahrungen thematisiert, das geht natürlich direkt unter die Haut. Wie auch schon auf dem Debut scheint die eigene Vergänglichkeit ein großes Thema zu sein. Vergangenes, die Gegenwart und die Sorge um die Zukunft im Hinblick auf die Tatsache des viel zu schnellen Erwachsenwerdens bzw. Alterns unterstützt natürlich zusätzlich die melancholische Note. Leute, die Singer/Songwriter-Stuff wie z.B. Elliott Smith, Surfjan Stevens, Owen oder Troy Von Balthazar mögen, werden auch hierbei voll auf ihre Kosten kommen. Palindrome ist jedenfalls eine tolle EP, die man unbedingt auf Vinyl genießen sollte!

8/10

Bandcamp / Adagio 830


Citizen Tim – „C Is For Chaos / Control“ (Midsummer Records)

Die Fotocollage, die auf dem Front- und Backcover in dunklen purpur-Farbtönen zu sehen ist, vermittelt mit ihren kahlen Bäumen und den kalten, vom Zerfall gezeichneten Wohnblöcken eine herbstliche und fast trostlose Atmosphäre. Schnappt man sich dann das Textblatt, sind darauf neben den Texten weitere Fotografien mit menschenleeren Plätzen einer ausgestorbenen Geisterstadt abgedruckt. Die Fotografien fangen diese durch Menschenhand geschaffene Tristesse sehr gut ein. Übrigens sind nicht alle Bilder verwaist, auf einem der Fotos ist nämlich Marco Kallenborn a.k.a. Citizen Tim abgebildet. Die Bildaufnahmen sind vermutlich in Saarbrücken entstanden, denn da ist Citizen Tim zuhause. Und wer weiß, vielleicht wurden die menschenleeren Plätze sogar inmitten der Pandemie während des (ersten) Lockdowns aufgenommen. C steht sozusagen auch für Corona/Covid19?

Jedenfalls ertönen beim Aufsetzen der Nadel auf das türkis schimmernde Vinyl meines Besprechungsexemplars sehr ruhige und nachdenklich machende Soundscapes, die diese Stimmung des Artworks treffend auffassen. Citizen Tim kehrt auch auf dem zweiten Album sein Seelenleben nach außen und erzählt seine Geschichten sehr offen und wehmütig. Seiner zerbrechlichen Stimme merkt man an, dass hier echte Gefühle mitschwingen und es da draußen jeden Tag von Neuem widrige Umstände gibt, die es zu bewältigen gilt. Der Albumname ist also Programm, auf C Is For Chaos / Control lässt sich jede Menge Trübsinn und Herbsttristesse finden. Es ist ja auch nicht einfach, wenn man sich einem künstlerischen und karrierefreien Leben verschrieben hat. Und da ist ja auch noch diese verheerende Pandemie, mit der wir alle irgendwie zu kämpfen haben und die uns immer weiter in die Isolation treibt. Der Ex-Frontmann der Band Road To Kansas beschäftigt sich neben diversen Gewissensbissen und inneren Dämonen u.a. auch mit dem Älterwerden, permanentes Scheitern ist auch ein immer wiederkehrendes Thema.

Musikalisch hat Citizen Tim seinen folkigen Gitarren diesmal auch ein bisschen lo-fi-Elektronik á la Notwist, The Stars, Bibio oder Postal Service spendiert. Auch wenn diese Elektroniksequencen nicht flächendeckend auftauchen, finde ich, dass diese experimentelle neue Seite Citizen Tim ziemlich gut zu Gesicht steht! Die zehn Songs wurden in DIY-Eigenregie im Heimstudio eingespielt und abgemischt. Da gibt es neben der leise gespielten Gitarre und der an Mike Kinsella erinnernden Stimme sphärische Töne, Klaviergeklimper, ein paar elektronische Beats, Synthie-Streicher, Vocal-Samples, lo-fi-cineastische Sequenzen zu hören. Das alles verschmilzt zu einem Album voller ergreifender Songs. Für mich absolute Highlights stellen Songs wie They Are Coming Closer, Sad Barrista Patterns, Harvest Season und das sich langsam entfaltende finale The Eight Color Of This Land. Wenn ihr also nach einer traurigen und tristen Herbst/Winterplatte gesucht habt, die dazu noch bittersüße Melodien und ergreifende Momente mit an Bord hat, dann ist C Is For Chaos / Control genau das Richtige für Euch!

8/10

Facebook / Bandcamp / Midsummer Records


 

Bandsalat: Among Familiar Faces, AUA, Coriky, Deadly Habit, Hard Strike, Leitkegel, Owen, Pabst

Among Familiar Faces – „Blank“ (DIY) [Stream]
Auf Among Familiar Faces aus Wolfsburg bin ich neulich bei Bandcamp gestoßen. Die aktuelle EP des Quintetts umfasst fünf Songs, die man zwischen den Pfeilern Melodic Hardcore, Post-Hardcore und Screamo einordnen kann. Sauber und emotive gespielte Gitarren treffen auf wuchtige Drums und leidend herausgekreischte Vocals, dabei steht die Melodie und das Drama im Vordergrund. Die Songarrangements sind jedenfalls passend aufeinander abgestimmt, hier wurde die Balance zwischen bitter, heftig und gefühlvoll gut getroffen. Die Vorbilder sind mit Bands wie Counterparts, More Than Life, Touché Amore und Landscape schnell zu verorten, Among Familiar Faces sind aber keine reine und herzlose Kopie dieser Bands. Dem Sound der Jungs merkt man das Herzblut, die Leidenschaft und die Spielfreude an, zudem suhlt man sich mit Haut und Haaren in Verzweiflung. Die Textinhalte strotzen nur so vor Verlustängsten, Auswegslosigkeit und anderen Themen aus der mentalen Befindlichkeit. Also, mir gefällt das ganz schön gut, Among Familiar Faces werde ich lieber mal im Auge behalten!


AUA – „I Don’t Want It Darker“ (Crazysane Records) [Stream]
Bei AUA handelt es sich um ein Duo, das sich aus zwei Mitgliedern der Instrumental-Band Radare zusammensetzt. Die acht Songs des Debutalbums gefallen mir ziemlich gut. Grob kann man das, was die zwei Jungs da machen, in Richtung Lo-Fi-Indietronic einordnen. Mal wabert eine Surf-Gitarre durch die Lüfte, mal kommen Synthies zum Einsatz, elektronische Beats, hypnotisch wirkende Loop–Sounds und andere Soundspielereien sind ebenfalls mit von der Partie. Dann ist da noch diese warme Stimme, die gleich so vertraut klingt. Hört euch mal nur den Song Coke Diet an, das ist doch ein richtig kleiner Hit! Und auch beim Rest kann man sich entspannt zurücklehnen und dem ausgetüftelten Sound des Duos lauschen und tief eintauchen. Auf Vinyl kommt das sicher nochmals einen Ticken intensiver um die Ecke. Wenn ihr neben dem ganzen Krach, den ihr sonst so hört auch auf Zeugs wie Caribou, Air oder Autolux steht, dann lohnt es sich, AUA mal anzuchecken!


Coriky – „Selftitled“ (Dischord) [Stream]
Mit Coriky ist das in etwa so wie mit einem sehr guten Wein. Nach fünfjähriger Reifungszeit ist nun endlich der erwünschte Reifungsprozess abgeschlossen und das Debutalbum der Band aus Washington D.C. erschienen. Und weil reifer Wein nicht besser wird, sollte man mit dem Trinken nicht länger warten! Hört da also unbedingt rein, wenn ihr das nicht eh schon längst aus eigenen Stücken gemacht habt. Das Trio, das sich aus Ian MacKaye, Joe Lally und Amy Farina zusammensetzt, hat elf abwechslungsreiche Stücke eingespielt, die bei mir seit Tagen in Dauerrotation laufen und bereits jetzt andeuten, dass das Ding das Zeug zum Meilenstein hat. Dass alle drei gleichberechtigt singen, macht die Geschichte noch abwechslungsreicher. Die hypnotisch wirkende Rhythmus-Symbiose aus laid back gespielten Drums und faszinierenden Bassmelodien bildet das Grundgerüst, dazu kommen tolle Gitarren und natürlich die mehr als vertrauten Stimmen der Bandmitglieder, verkopfte Lyrics verstehen sich von selbst. Insgesamt gesehen, ist Coriky eine ruhige Angelegenheit, auch wenn hier und da mal ein paar Soundausbrüche zu vernehmen sind. Die Einflüsse aus Punk, Hardcore, Emo und Post-Hardcore sind schon noch am Rand wahrzunehmen, dennoch würde ich das hier musikalisch eher irgendwo zwischen Indie, Jazz und Rock einordnen. Könnte mir vorstellen, dass es ein aufwühlendes Erlebnis wäre, Coriky in einer schummrig beleuchteten Bar live zu erleben. Fans von Fugazi können hier blind zugreifen, wer auf Karate steht, liegt ebenfalls nicht falsch.


Deadly Habit – „The Rule Of Ignorance“ (DIY) [Stream]
Pfiffigen Hardcore-Punk gibt es von Deadly Habit aus Berlin auf die Ohren. Insgesamt drei Songs gibt es auf The Rule Of Ignorance zu hören. Und die machen echt mal Lust auf mehr. Obwohl die Band auch schon wieder sechs Jahre auf dem Buckel hat, bin ich erst neulich beim Bandcamp-Ausflug auf die Jungs gestoßen und eigentlich sofort hängen geblieben. Auf der einen Seite klingen die Songs schön melodisch, auf der anderen Seite geht es aber auch kämpferisch und mit erhobener Faust flott nach vorne. Da schwappt die Spielfreude direkt aus den Lautsprechern! Wer auf Bands wie Strike Anywhere, Good Riddance, Miozän oder Great Collapse steht, sollte hier unbedingt mal reinhören.


Hard Strike – „The Conflict“ (Backbite Records) [Name Your Price Download]
Die Geschichte von Hard Strike ist schnell erzählt: zwei langjährige Freunde, die bisher bei Bands wie z.B. Baffdecks, Bone Idles, Blank und Null Art spielten, gründeten im Jahr 2019 die Band Hard Strike, Standort Köln. Nachdem zwei Songs geschrieben waren, wurden weitere Freunde kontaktiert. So fand man mit einem weiteren Bandmitglied der Bone Idles einen Schlagzeuger, zudem konnte ein Basser aufgetrieben werden, der bisher bei Punch und I Recover tätig war/ist. Außerdem konnte als zweiter Gitarrist kein geringerer als Ken Olden (Battery, Damnation A.D., Better Than A Thousand) gewonnen werden. Diese vier ersten Songs legen jedenfalls schon mal mit ordentlich Power los, die Gitarren klingen beim Opener sehr nach Joe D. Foster (Killing Flame, Ignite, Speak 714). Die Aufnahmen sind schön rotzig gehalten und haben ordentlich wumms, dazu kommt ein Sänger der sich wie ein wild gewordener Köter im Mikrofon verbeißt, erinnert ein wenig an den Nerve Agents-Sänger auf deren ersten Sachen. Ja, so geht oldschool-HC! Der Sound klingt ebenso kämpferisch wie die Texte! Ich hab jetzt schon den Moshpit vor Augen, auch wenn das mit Sicherheit noch ein Weilchen dauern wird, bis man wieder auf Vollkontakt gehen kann! Bis dahin wird halt das Wohnzimmer zum Moshpit. Lautstärkepegel nach oben und die Bude zerlegen, das klappt mit Hard Strike hervorragend!


Leitkegel – „Bis zum Ende“ (lala Schallplatten) [Stream]
Da legen Leitkegel aber mal blitzschnell nach. Das Album Wir sind für Dich da erschien Ende des letzten Jahres, nun war die Band für ein Wochenende im Februar – noch vor dem ganzen Lockdown-Gedöns – in den lala und Echolux Studios, um diese drei Songs einzuspielen. Und ja, die Jungs halten das hohe Niveau des Albums, textlich wie musikalisch liegt alles im grünen Bereich. Beim Song Bis zum Ende wirkt dann auch noch der Sänger der Erfurter Band Cortamaro mit. Jedenfalls beweisen Leitkegel innerhalb von drei Songs, dass sie sowohl leise als auch krachig und natürlich auch sprachlich einiges zu bieten haben. Die EP erscheint erstmal nur digital, einseitig bespieltes Vinyl in Form einer 12inch soll im November nachgeschoben werden.


Owen – „The Avalanche“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Der perfekte Soundtrack für ein verregnetes Herbstwochenende mit Lockdown-Stimmung kommt dieses Mal von Mike Kinsella und dessen Soloprojekt Owen. Neun Songs haben den Weg auf ein Album geschafft, das vor Melancholie nur so überläuft. Kinsellas warme Stimme, verspielte Gitarren, kleinere Lo-Fi-Soundspielereien, trauriges Pianogeklimper, verträumte Glockenspiele und atmosphärisch eingesetzte Streicher werden eigentlich sehr harmonisch miteinander kombiniert. Bisher kam mir der Sound Owens weitaus sperriger vor, bei The Avalanche klingt alles insgesamt sehr viel flüssiger und offener als bei den bisherigen Releases. Neben der Musik sind es auch die Texte, die zur düsteren Trauerstimmung beitragen, hier werden schmerzvolle Gefühlsmomente -hervorgerufen durch eine zerbrochene Ehe – verarbeitet. Der traurige Höhepunkt wird dann mit dem Song Mom And Dad erreicht. Intimer kann es eigentlich kaum noch werden! The Avalanche ist meiner Meinung nach das bisher beste Owen-Release! Und ja, das Ding wird im Herbst sicher desöfteren laufen, das hier ist ein richtiges Kopfhörer-Album, das man sich keinesfalls entgehen lassen sollte!


Pabst – „Deuce Ex Machina (Ketchup Tracks) [Videos]
Letztes Jahr im Sommer kam ich erstmals mit der Band Pabst in Berührung. Das war auf dem kleinen aber feinen U&D-Obstwiesenfestival. Die Sonne blechte gnadenlos und eigentlich hätte man sich mit einem Kaltgetränk irgendwo in den Schatten setzen sollen, aber ab den ersten Klängen hatte Pabst die volle Aufmerksamkeit der kleinen Meute vor der Bühne. Mit grungig fetten Gitarren boten die drei Jungs ein überzeugendes Live-Set, das Debutalbum Chlorine konnte bei mir danach ebenfalls punkten. Nun also das zweite Album. Und das kann das Debut meiner Meinung nach nochmals toppen! Die coolsten Gitarrenriffs dieser Erde treffen auf Groove, hymnische Refrains stoßen auf fuzzy Wüstenrock, zwischendurch kommen leiernde Grunge-Gitarren zum Einsatz, poppig ist das Ding obendrein. Die Band hat ein gutes Gespür für stimmiges Songwriting, zudem hört man hier einfach raus, dass die Jungs von Spaß und Spielfreude angetrieben werden. Auch wenn die Bandmitglieder noch blutjung sind, schwingt in den Aufnahmen ein gewaltiger 90er-Vibe mit, zudem blinzeln bei manchen Songs die Hives um die Ecke, gerade in Bezug auf den Rock- und Arschtret-Faktor der Songs. Schlussendlich ist Deuce Ex Machina ein abwechslungsreiches Album mit elf Stücken geworden, die allesamt richtig gut ins Ohr gehen. Und wenn ich jetzt gerade an den schönen Sommertag auf dem Obstwiesenfestival zurückdenke, dann wäre ich gerne einer der Crowdsurfer und würde mir zu den Klängen von Ibuprofen taube Ohren holen!


 

Amid The Old Wounds – „Vignette 7inch“ (time as a color)

Könnt ihr euch noch erinnern, was ihr während des Lockdowns im Frühjahr so alles gemacht habt? Also, ich war in dieser Zeit eher gelähmt und hab meine Zeit zum einen mit Komaglotzen von Videostreams verplempert, zum anderen hab ich meine nähere Umgebung zusammen mit den Kindern mit langen Spaziergängen erkundet und reichlich Bier verzehrt. Beim Versuch, mal wieder die Gitarre umzuschnallen und ein paar Riffs zu spielen, scheiterte ich kläglich und selbst das Schreiben geriet ein wenig in den Hintergrund. Glücklicherweise gibt es aber Leute, die diese Zeit sinnvoll genutzt haben. Es existieren ja etliche Belege dafür, dass der coronabedingte Lockdown richtige Kreativitätsschübe hervorgebracht hat. Einer dieser Belege ist diese 7inch!

Daniel Becker, den man von Bands wie Duct Hearts und Wishes On A Plane her kennt, schnappte sich während des Lockdowns mit ein paar Phrasen im Hinterkopf seine Gitarre und experimentierte mit ein paar Akkorden. Worte wurden hinzugefügt, Rhythmen in verschiedenen Varianten ausprobiert und plötzlich war da dieses Lied und die Idee einer Solo-Aufnahme. Vignette. Und wenn man das Endergebnis hört, dann stellen sich sofort die Nackenhärchen auf, sobald die Nadel die Rille streichelt. Es ist unglaublich, was für eine intensive Atmosphäre! Es sind eigentlich nur zwei Gitarren-Akkorde und diese warme, zerbrechliche Stimme zusammen mit den Worten, die das alles ausmachen. Ein Schlagzeug oder andere Begleitungen würden hier fehl am Platz sein. Vignette lebt von seiner unbändigen und losen Struktur und seinen unvorhersehbaren Stimmungsschwankungen. Dem Song kommt auch zugute, dass er quasi live in einem Take aufgenommen wurde, damit klingt die Aufnahme noch melancholischer und durchdringender. Und auch die Bedeutung des vielseitig verwendbaren Begriffs Vignette lässt einige Interpretationen offen. Das Wort wird in verschiedenen Bereichen verwendet, so wird es u.a. in der Literatur, der Fotografie, der Malerei, als Buchschmuck, im Film und selbst im Straßenverkehr eingesetzt.  Aber kommen wir wieder zur Musik: auf der B-Seite wird rein akustisch weitergemacht, der Song Great Expectations hat auch so eine gewisse Weite. Man hat direkt endlose Landschaften im Mittleren Westen der USA vor Augen und Bands wie Elliott, Jimmy Eat World oder Christie Front Drive im Ohr. Mit Instant Stars kommt dann leider schon das Finale. Dass es sich hierbei um eine Demo-Version handelt, muss direkt betont werden. Denn der Song hat bereits eine Geschichte, die schon fast 16 Jahre zurückliegt und die irgendwann in Zukunft noch weiter ausgebaut werden soll, am liebsten mit Streichern.

Die 7inch ist über time as a color erschienen und macht auch rein optisch was her. Das schlichte Cover ist mit dem „Bandnamen“ besiebdruckt, die Texte sind in einer Art Obi-Strip gefaltet und können an der Seite eingesteckt werden. Es gibt zwei Vinyl-Farben (purpur und schwarz). Wer zu faul ist, die 7inch ständig zu drehen, kann auf Bandcamp auch vom Download Gebrauch machen. Jedem DIY-Emo-Fan lege ich nur nahe, dieses Release zu holen und damit auch die kreativen Köpfe zu unterstützen, die auch aus einer Krise das Beste machen und euch mit Musik versorgen, die absolut von Herzen kommt!

9/10

time as a color / Facebook / Bandcamp


 

Bandsalat: Aches, …And Its Name Was Epyon, Blackup, Cadet Carter, Dv Hvnd, The Razorblades, The Sewer Rats, Tim Vantol

Aches – „Dead Youth“ (DIY) [Name Your Price Download]
Die 5-köpfige Band Aches kommt straight outta Mannheim und veröffentlicht mit Dead Youth ihre mittlerweile zweite EP in Eigenregie via Bandcamp & Co. Und ja, das was die Jungs da fabriziert haben, kann sich durchaus hören lassen! Insgesamt gibt es sieben Tracks auf die Ohren, die musikalischen Vorbilder sind mit Bands wie z.B. More Than Life, Modern Life Is War, Giver, Life Long Tragedy oder Landscapes schnell verortet. Geboten wird also melodischer Modern-Hardcore, der zudem eine emotionale Kante vorweisen kann, gleichzeitig aber auch genügend Pfeffer im Hintern hat. Auch wenn die Melodie im Vordergrund steht, ist eine düstere Grundstimmung zu erkennen, die dann im letzten und ruhigsten Stück Asleep gipfelt, hier bleiben die Jungs rein instrumental und außer ein paar Rückkopplungsgeräuschen fast schon unverzerrt. Meine beiden Songfavoriten sind das mit einem verdammt catchy Gitarrenriff ausgestattete Stuck und das nach vorne preschende Lethargy. Der Sound ist übrigens schön satt abgemischt. Aufgenommen wurde mit Christian Bethge (The Tidal Sleep, Spirit Crusher, Criminal Body), gemastert hat Lewis Johns (Canvas, Giver, Grieved, Svalbard, More Than Life). Also, schaut mal vorbei, das hier hat wirklich Potential und zudem hatten die Jungs mit ihrem Release-Termin im April 2020 nämlich wie so einige Bands vor, die EP live zu supporten, was bekanntermaßen nicht möglich war/ist.


…And Its Name Was Epyon – „Visit To A Grave“ (DIY/Larry Records) [Name Your Price Download]
Nachdem die kalifornische Screamo-Band …And Its Name Was Epyon mit ihrer Debut-EP in der einschlägigen Szene bereits etliche Lorbeeren eingesammelt hat, hat das Trio seit Herbst letzten Jahres nun die zweite EP am Start. Und ja, die ist richtig geil und intensiv geworden! Die Jungs sind total mit sich im Einklang und spielen sich innerhalb von vier Songs dermaßen in Extase, da richten sich permanent die Nackenhärchen auf! Geboten wird emotive Screamo der Extraklasse! Geheultes Herzschmerzgeschrei, melancholische Gitarren, abgefahrene Songstrukturen, vertrackte Rhythmen, unterschwellige Melodien und ein wenig Chaos machen diese EP zu einem intensiven Hörerlebnis! Hört mal in den Song Side 7 rein, da ist eigentlich die ganze Bandbreite der Band zusammengefasst!


Blackup – „Club Dorothee“ (Rookie Records) [Stream]
Da mir Blackup aus Ghent/Belgien total unbekannt waren, hab ich einfach mal geschaut, was die Jungs bisher so vorzuweisen haben. Ach herrje, ganze neun Jahre sind seit dem letzten Album vergangen! Zwischendurch erschien eine EP und eine Split. Und nun also das zweite Album. Darauf sind zwölf frisch klingende Songs enthalten, die man grob im melodischen Punkrock/Garage-Punk einordnen kann, ein paar Noise-Einflüsse schimmern auch noch durch. Wer Bands wie die Wipers, Hot Snakes oder Rocket From The Crypt verehrt, dürfte auch am knackigen Sound des Quartetts Gefallen finden. Könnte mir vorstellen, dass Blackup live sicher verdammt gut rüberkommen könnten, denn diese Aufnahmen klingen sehr lebendig und authentisch. Die Zutaten sind zwar einfach, die Wirkung aber umso größer. Hier dringen fantastisch melodische Gitarren an die Oberfläche, dort gibt es coole Refrains zu entdecken, die pumpende Rhythmusmaschine aus Bass und Drums gibt den treibenden Takt an und natürlich darf dazu der Gesang nicht fehlen, der zwischen rau, melancholisch und hymnisch pendelt. Ja, Blackup machen hier alles richtig!


Cadet Carter – „Perceptions“ (Uncle M) [Stream]
Mit ihrem Debut-Album legten die Münchener Jungs von Cadet Carter die Messlatte ziemlich hoch. Obwohl mir das Album so gut gefiel, hab ich es versäumt, die Band irgendwie über Social Media oder auf anderen Kanälen zu stalken. Mittlerweile erschien ohne mein Wissen ’ne 3-Song-EP und wenn die lieben Leute von Uncle M mich nicht regelmäßig mit physischen Releases per Post versorgen würden, hätte ich das zweite Album der Jungs vermutlich gar nie mitbekommen. Was doch echt mal extrem schade gewesen wäre! Denn Cadet Carter machen auch beim Nachfolger zum Debut alles richtig, wenn nicht gar perfekt! Fangen wir mal beim blaustichigen Albumcover an: die Fotografie könnte auch in der Corona-Krise entstanden sein, oder? Eine leere Flughafenhalle mit nur einem Typ drin, der hirnlos auf ein Handy-Display starrt. Oh Mann, ich würde mir wünschen, dass der Flugraum über Deutschland für immer so leer bleiben würde, wie er die letzten paar Monate war. Aber wahrscheinlich sind die Flughafenhallen bald wieder mit schlafenden und stümperhaften Mund-Nase-Schutz-tragenden Menschen besetzt, die unbedingt irgendwo hin wollen, wo man sie absolut nicht haben will. Okay, der Digipack lässt sich aufklappen, aber leider gibt es kein Textheftchen. Wir Neunziger-Nostalgie-Nichtsnutze können ohne solche selbstverständlichen Gimmicks mit CD-Digipacks nichts anfangen, aber eigentlich ist es nicht schlimm, man versteht die gesungenen Texte ohne Probleme. Und ich verzeihe angesichts der zwölf sagenhaft tollen Songs jeglichen anderen Fauxpas, der weitaus schlimmer wäre, wenn es ihn überhaupt gäbe. Und warum ist das Ganze hier so faszinierend? Unvorhersehbare Songstrukturen treffen auf eingängige Hooks, dazu gesellen sich Refrains, die sich erst nach mehrmaligem Hören einbrennen, aber dann für immer bleiben. Die mehrstimmigen Refrains dürften Jimmy Eat World-Fans etliche Tränen in die Augen treiben, Midwest-Emo- und 90’sEmo-Fans sollten hier auch auf ihre Kosten kommen!


Dv Hvnd – „Bollwerk“ (Last Exit Music) [Stream]
Meine Deutschpunk-Phase ist ja schon einige Jahrzehnte her, damals holte man sich die einschlägigen Infos aus Zines wie dem Plastic Bomb oder dem Pankerknacker. Momentan bin ich in dieser Szene nicht so wirklich verankert, daher war mir der Sound der Band aus Wiesbaden auch nicht geläufig, bis diese Digipack-CD in meinem Briefkasten landete. Dabei gibt es die Band jetzt auch schon wieder seit 2012. Nun, die abgedruckten deutschen Texte prophezeien schonmal, dass wir es hier nicht mit peinlichem Fun-Punk oder stumpfem Sauf-Punk zu tun haben. Gesellschafts- und Sozialkritik sind immer wiederkehrende Themen auf diesem Bollwerk. Melodische Gitarren an der Schwelle zum Skate-Melodypunk, treibende Drums und Hits am laufenden Band lassen die zehn Songs mit einer Spielzeit knapp über 20 Minuten verdammt kurzweilig erscheinen. Wenn ihr euch eine Mischung aus Supernichts, V-Mann Joe, But Alive, Helmut Cool, Knochenfabrik und NOFX vorstellen könnt, dann solltet ihr hier mal reinhören.


The Razorblades – „Howlin‘ At The Copycats“ (General Schallplatten) [Video]
Die etwas ungewöhnliche Aufmachung der CD passt vom Format her leider nicht in den CD-Schrank, das kleine Teil muss in die 7inch-Kiste gepackt werden. Aber vorerst wird das Album noch ein paar Runden im Player zurücklegen und dann brauch ich für unterwegs noch einen mp3-Rip. Denn The Razorblades machen arschcoolen Surf-Rock, der dazu noch super ins Ohr geht und Elemente von Punk und Powerpop mit an Bord hat. Insgesamt 16 Songs haben die Wiesbadener Urgesteine auf die CD gepackt. Die LP-Version kommt als Doppel-LP im Gatefold-Cover und ist sicher auch nicht zu verachten. Jedenfalls ist das Album mit einer Spielzeit von 47 Minuten zwar recht lang ausgefallen, dennoch kommt keinerlei Langeweile auf. Das liegt v.a. an den abwechslungsreichen Songstrukturen und den locker aus den Ärmeln gespielten Twang-Gitarren. Ein paar Lieblingssongs sind natürlich schnell gefunden, z.B. Smelling Like A Dog and Dancing Like A Chicken, I Wish You Wouldn’t Dance Away, King Of The Penguins oder Upside Down wären da zu nennen, aber auch die wenigen Songs mit Gesang sind erste Klasse! Eigentlich der perfekte Soundtrack für ein 70er-Kult-Roadmovie!


The Sewer Rats – „Magic Summer“ (Uncle M) [Stream]
Der Sommer kann kommen! Und zwar mit dem vierten Album der Kölner Jungs The Sewer Rats. Ab dem ersten Song scheint der Mucke die Sonne aus dem Arsch und man bekommt direkt Lust, das Skateboard aus dem Keller zu entstauben und die alten Knochen ernsthafter Gefahr auszusetzen. Vom Sound her wird hier dem Ami-Skate-Punk der 90er kräftig Tribut gezollt. Und das mit Leidenschaft und verdammt viel Spielfreude, so dass man gar nicht anders kann, als hibbelig im Takt mit allen Gliedmaßen mitzuwippen. Eine Hymne jagt die nächste, dazu gefällt der satte Sound, den man auf so manch einer 90er-Produktion einst vermisste. Die Jungs haben sicher einige Fat Wreck-Platten im Schrank stehen, man hat natürlich sofort Zeugs wie Satanic Surfers, Grey Area, Lagwagon, Propagandhi , Less Than Jake, Swingin‘ Utters und auch die Ramones im Ohr. Songs wie Rejuvenate, Quitting My Job oder Total Creep versprühen einfach diese jugendliche Frische, die sicher jeder Punkrockfan schon mal in irgendeiner Form erlebt hat, siehe z.B. Down For Life! Übrigens ist die Digipack-CD schön gestaltet, natürlich wieder mit den gezeichneten Ratten, die es auf die Straße zieht, um den einen, großen Magic Summer zu erleben! Also, holt euch fix den Sommer ins Haus und fahrt mit runtergekurbeltem Fenster und dem Sound der Sewer Rats voll aufgedreht durch eure Hood!


Tim Vantol – „Better Days“ (Eminor Seven Records) [Stream]
Von allen Solo-Punkrock-Singer-Songwritern ist mir neben Frank Turner Tim Vantol irgendwie der Liebste. Denn irgendwie merkt man seinen Songs die Leidenschaft und Energie an, auch das aktuelle Werk strotzt vor purer Spielfreude, zudem haben seine Songs alle eine schöne Punknote, lahmarschige Country-Lagerfeuermusik sucht man hier vergebens. Die zehn Songs strahlen eine lebensfreudige Stimmung aus, obwohl es dem gebürtigen Niederländer in den letzten Jahren mental nicht so rosig ging und sogar eine bereits aufgenommene EP mit düsterem Songmaterial wieder verworfen wurde. Den eigenen Dämonen wurde also der Kampf angesagt und Tim Vantol fand zu neuem Lebensmut, vielleicht war hier auch der liebesbedingte Umzug von der lauten Großstadt ins ländliche Berchtesgaden ein großer Pluspunkt für das Seelenleben des Musikers. Und all das ist auf Better Days wahrlich zu hören. Die Gitarren haben einige catchy Hooklines am Start, manchmal wird auch ein bisschen der Saft aufgedreht, dazu gesellen sich kräftig gespielte Drums, die Dich einmal ums Lagerfeuer jagen. Und natürlich darf Tim Vantols einfühlsame Stimme nicht fehlen, die immer den vollen Einsatz bringt und auch mal kraftvoll die Akkorde zu überschreien versucht. Die Texte behandeln logischerweise persönlichen Kram. Wenn ihr also zwischendurch mal ein rockiges Album mit Seele hören wollt, dann ist Better Days genau das richtige für euch!


 

Bandsalat: Goldzilla, I Like Young Girl, Knowhere, Maria Taylor, The Run Up, Stray From The Path, Stumfol, Turnover, White Crane

Goldzilla – „Goldzilla Vs. Robohitler“ (DIY) [Stream]
Was mir da nach erstem Mailkontakt in den Briefkasten geflattert kam, das gibt es auch nicht alle Tage! Ein wunderschönes, kleines Päckchen, nicht größer als eine ultrafette Digipack-CD. Mit goldener Farbe angesprüht, vorne drauf ein aufgeklebtes Polaroid-Foto. Ich mach jetzt einfach mal ein kleines Unboxing-Resumee: aus dem Paket purzelt ein in goldener Farbe angesprühtes Tape im Pappschuber, dazu gibt’s einen Anstecker aus Metall, ein paar nette Aufkleber und eine individuell für mich bedruckte und handbeschriebene Goldzilla-Postkarte. Wow, das ist wirklich ein Care-Paket der Extraklasse! DIY wird bei Goldzilla offenbar ganz groß geschrieben. Schaut euch mal das coole Video zum Song Dieter stolpert an, da kann jede Massenproduktions-Maschine gegen abstinken! Nun, den Anstecker mit dem von Pfeilen durchbohrten Hund hat sich natürlich gleich mein Töchterchen für’s Schülermäppchen unter den Nagel gerissen. Ist das eigentlich Blondi, des Führers geliebte Schäferhündin? Durchbohrt von den Pfeilen des mächtigen Goldzillas? Wahrscheinlich schon, denn als nächster steht ja laut EP-Titel Robohitler auf dem Speiseplan Goldzillas. Überhaupt, Goldzilla hat viele verhasste Gegner, die gnadenlos vernichtet werden sollten. Das erfährt man im liebevoll gestalteten Textblatt, in dem alle in deutscher Sprache verfassten Lyrics nochmals nachgeschlagen werden können. Aber eigentlich nur für den Fall, wenn man sich nicht sicher ist, was denn da gerade wütend rausgebrüllt wurde. Die sechs Songs kommen kämpferisch daher, musikalisch geht das eher in eine punkige Richtung, die Gitarren legen aber zwischendurch auch mal einen stark angefuzzten Tanz auf’s Parkett und klingen ein bisschen nach Stoner, der Bass knattert dabei schön Sludge-mässig rum. Melodische Punk-Gitarrenriffs wechseln sich mit dreckig-rauen und groovigen Passagen, passend dazu tanzt Patrick Swayze in bester Dirty-Dancing-Manier über die Karre von Chief Wiggum und Barbrady, nachzuhören im Song Cops oder Zahlen. Irgendwie kommen mir bei manchen Gitarrenpassagen der drei Berliner*innen auch die frühen Smashing Pumpkins in den Sinn, andere Referenzen wären Muff Potter, Captain Planet, Turbostaat und die frühen Deftones. Checkt das mal an, Goldzilla ist ein Guter!


I Like Young Girl & Knowhere – „Split“ (Rizkan Records) [Stream]
Zwei coole asiatische Bands könnt ihr auf diesem schnuckeligen Release kennenlernen. Beide Bands steuern jeweils zwei Songs im gegenseitigen Wechsel bei! Und die dürften allen gefallen, die auf melodischen Emo mit Indie und Punk-Einflüssen stehen. I Like Young Girl mögen einen etwas hinterfragungswürdigen Namen haben, können musikalisch aber auf ganzer Linie überzeugen. Wenn ich den Bandnamen mitsamt Herkunftsland Japan in eine Internetsuchmaschine eingebe, bekomme ich jedenfalls nur Erwachseneninhalte geliefert, wahrscheinlich bin ich dadurch sogar auf irgendeiner Fahndungsliste gelandet. Dankeschön, ihr Deppen! Okay, nachdem ich neulich das sagenhaft lustige und informative Buch The Tokyo Diaries von David Schumann gelesen habe und dadurch Einblicke in ein unbekanntes Japan der Subkulturen bekam, schau ich mal über den beknackten Namen weg. Gerade auch, weil die Mucke mich alten Sack echt mal bei den Eiern packt. Das Trio klingt so verdammt frisch und catchy! Da möchte man wirklich nochmal jung sein! Diese zuckersüßen aber dennoch melancholischen Schrammel-Gitarren, herrlich! Dazu gesellt sich einfühlsamer Gesang, so dass die zwei Songs eine ganz besondere Stimmung mit sich tragen. Knowhere aus Indonesien hauen musikalisch in eine ähnliche Kerbe. Wow! So frisch, so melancholisch, so melodisch und intensiv. Beim Song Dial N For Nonsense kommen dann noch Bläser dazu, so dass man an Bands wie z.B. Algernon Cadwallader erinnert wird. Tigers Jaw, Nada Surf, The Get Up Kids und I Love Your Lifestyle kommen ebenfalls in den Sinn. Das Ding hier müsst ihr unbedingt mal anchecken!


Maria Taylor – „Selftitled“ (Grand Hotel van Cleef) [Stream]
Es war die November-EP der Band Azure Ray, mit der ich erstmals auf die Musikerin Maria Taylor aufmerksam wurde. Obwohl diese EP bis heute immer wieder mal den Weg in die heimische Anlage fand -vorzugsweise im Herbst- verfolgte ich den weiteren künstlerischen Werdegang Maria Taylors nur so am Rand. Dass die Musikerin auch teilweise bei Bright Eyes mitwirkte und Azure Ray schon mal mit Moby kollaborierten, war mir bewusst und auch die Solokarriere nahm ich zur Kenntnis. Dass mit diesem selbstbetitelten Album hier bereits der siebte Longplayer erschienen ist, überrascht mich dann doch etwas. Da sieht man mal wieder, wie die Zeit vergeht! Mittlerweile hat Maria Taylor Familie und wohnt mit ihrem Ehemann Ryan Dwyer und ihren zwei Kindern in einem kleinen Häuschen in Los Angeles. Im dortigen Wohnzimmer entstanden auch in kuscheliger Homerecording-Atmosphäre die Aufnahmen zu den zehn Songs des neuen Albums. Obwohl Maria Taylor ja als Multiinstrumentalistin bekannt ist und die meisten Instrumente von ihr selbst eingespielt wurden, waren zahlreiche Gastmusiker am Entstehungsprozess beteiligt. Neben Ehemann Ryan Dwyer und langjährigem Freund Louis Schefano sind zahlreiche Familienangehörige und enge Freunde auf dem Album zu hören, selbst Taylors siebenjähriger Sohn steuerte die Grundidee eines Songs bei (Miley’s Song). Kennt man diese Hintergründe und beschäftigt man sich zudem mit den sehr persönlichen Lyrics, dann klingt die Musik umso tiefgründiger und intimer. Bereits der Opener strotzt vor Melancholie und die Vertrautheit setzt spätestens beim tollen Refrain ein. Manche Songs wirken reduziert, es schleichen sich aber immer wieder verspielte Instrumente im Hintergrund ein, so dass es viel zu entdecken gibt. Hört euch z.B. mal den Song New Love an, der hat so ’ne richtig melancholische Gitarrenmelodie. Diese Platte ist genau das Richtige, um es sich bei kaltem Regenwetter zu Hause gemütlich zu machen!


The Run Up – „In Motion“ (Gunner Records) [Stream]
Das zweite Album der Band aus Bristol/UK steckt voller catchy Punkrockhymnen! Soviel schonmal als Spoiler. Insgesamt zwölf Songs voller Leidenschaft sind darauf zu hören. Die Band war in den letzten zwei Jahren permanent auf Tour, hatte demnach genügend Zeit, sich dabei auf’s Detail genau einzuspielen. Und das kann man auf In Motion ohne Zweifel hören. Das tönt nach ungezwungener Leichtigkeit, hier passt jeder Ton, hier sitzt jedes Gefühl! Auch wenn die Melancholie stets zu spüren ist, geht der Band die Energie und Intensität zu keiner Sekunde flöten. Neben den stimmigen Songarrangements sind es v.a. die gefühlvoll aus dem Ärmel gezockten Gitarren, die treibenden Drums und der verletzliche Gesang, der die Platte so groß macht. Da wünscht man sich direkt vor die Bühne, um bei den zahlreichen Mitgröhlgranaten von Gänsehautschauern überwältigt zu werden. Geiles zweites Album mit massig Seele!


Stray From The Path – „Internal Atomics“ (UNFD) [Stream]
Auch wenn Stray From The Path aus New York mittlerweile schon seit 2001 unterwegs sind und seitdem zahlreiche Releases rausgehauen haben, hab ich bisher null Kenntnis von der Band. Schön, wenn man bei Null anfängt, und dann gleich mit so einem wuchtigen Album wie Internal Atomics getroffen wird! Stray From The Path machen eine groovelastige und arschtretende Mischung aus metallischem Hardcore und Hip-Hop. Bevor ihr jetzt abgeschreckt seid und mit Grausen an Bands wie z.B. H-Blockx denkt, dann kann ich euch beruhigen. Das hier klingt eher nach einer Mischung aus mächtigen Gitarrenriffs á la Converge, moshigen Boy Sets Fire und Zeugs wie Rage Against The Machine oder Downset, Fever 333 minus die melodischen Mitsing-Refrains passen eigentlich auch ganz gut als Vergleich. Die Rhythmusmaschine macht hier echt mal ordentlich Dampf, dazu kommen höllisch fette Riffs und Breakdowns am laufenden Band. Und der Sänger klingt an einigen Stellen wirklich mal wie ein extrem wütender Zach De La Rocha. Auch textlich werden permanent Erinnerungen an RATM wach, die Message wird unmissverständlich auf den Punkt gebracht. Stray From The Path behandeln vorwiegend gesellschaftspolitische Themen und regen dadurch hoffentlich ein bisschen zum Nachdenken an. In dreißig Minuten Spielzeit wird hier keine Verschnaufpause eingelegt, das Ding ballert also ordentlich!


Stumfol – „Long Story Short“ (Homebound Records) [Video]
Christian Stumfol verweilte vor ein paar Jährchen mal für einige Zeit in meinem Wohnort, weshalb ich bereits das Vergnügen hatte, den Musiker bei verschiedenen Live-Darbietungen zu erleben. Diese Auftritte sind mir eigentlich ganz gut in Erinnerung geblieben, hauptsächlich aufgrund der emotionalen Stimmung, die der Musiker auf der Bühne bzw. auf dem Floor so verbreitete. Und auch die bisherigen Veröffentlichungen schafften bereits den Weg in die heimische Anlage, obwohl man mich mit Singer/Songwriter-Geheul eher jagen kann. Jetzt kommt via Homebound Records also Album Nummer vier um die Ecke. Und auf den ersten Blick lässt sich sagen, dass es auf Long Story Short noch etwas ruhiger als bisher zugeht, die Rock-Anteile wurden deutlich reduziert. Hatte Stumfol auf Cold Brew noch eine Band im Nacken, ist er hier wieder mehr oder weniger im Alleingang unterwegs. Stumfol klingt wirklich noch amerikanischer, als bisher. Bruce Springsteen, Tom Petty und Konsorten lassen grüßen, ganz stark hat man auch so Zeugs wie Calexico im Ohr. Was den neun Songs auch zugute kommt, sind die kurzen Songlängen. So kommen die Songs schnell zum Punkt und Stumfol hat trotzdem noch einiges zu erzählen. Man hört dem warm klingenden Sound einfach an, dass der Herr für seine Sache brennt und viel Leidenschaft und Herzblut hier drin steckt.


Turnover – „Altogether“ (Run For Cover) [Stream]
Vom Sound ihrer Anfangstage hat sich die Band Turnover ja bereits auf dem Vorgänger Good Nature meilenweit entfernt. So ist die musikalische Fortführung, die man auf dem neuen Album des Trios zu hören bekommt, die logische Weiterentwicklung einer Band, die die besten Tunes aus den eigenen Musikvorlieben zu einer experimentierfreudigen Soundkollage zusammengetragen hat. Ich muss sagen, dass mich das Album beim erstmaligen Durchlauf noch nicht am Haken hatte. Im Nachhinein weiß ich auch, woran es lag. Die Lautsprecher meiner Anlage fielen auf einer Seite aus, so dass wohl manche Tonlagen verschluckt wurden, was ich aber erst zu spät bemerkte. Runde zwei erfolgte deshalb mit Kopfhörern. Und siehe da: plötzlich klang das Ganze nicht mehr so monoton. Im Gegenteil! Turnover schaffen es auf Altogether auf spannende Art und Weise, verschiedene Musikstile wie z.B. Jazz, Soul, Lounge, Pop, Funk und Disco in ihren verträumten Indie einzuflechten. Dabei entsteht dann so ein ganz persönlicher und intimer Turnover-Kosmos, in dem man sich sicher und geborgen einkuscheln kann. Der Bass schwebt schmetterlingsartig durch die Lüfte, die Gitarren flirren summend hinterher, die Drums takten weich. An manchen Stellen tauchen Keyboards und sogar Bläser auf. Über all dem schwebt die vertraute und smoothe Stimme von Austin Getz. Die Melodien von Hits wie z.B. Much After Feeling, Number On The Gate oder No Reply brennen sich bereits nach ein paar Runden tief in die Gehörgänge ein. Wenn ihr auf Zeugs wie The Whitest Boy Alive, Phoenix, Real Friends oder Zoot Woman steht, dann bekommt ihr mit Altogether ein Album geliefert, das bestens in die dunkle Jahreszeit passt und für etliche entspannte Stunden sorgen dürfte.


White Crane – „The Swaying Kids“ (DIY) [Stream]
Bei manchen Bands merkt man schon aufgrund einer Besprechungsanfrage, wie viel Herzblut in eine Sache gesteckt wird, wie z.B. im Fall der Münsteraner Band White Crane. Und im Verlauf einer weiteren Konversation stellt sich dann auch noch heraus, dass man es mit äußerst sympathischen Leuten zu tun hat, die einen ähnlichen Background zu haben scheinen, wie man selbst. Ebenso freut es mich natürlich unheimlich, dass das Netzwerk funktioniert, denn White Crane wurden durch die Band Tides auf Crossed Letters aufmerksam. Nun, auch wenn ich anfangs ein bisschen zu blöd war, den in der Mail beigefügten Download im unbekannten Dateiformat zu öffnen, hat es letztendlich doch noch geklappt, dass ich in den Genuss kam, die vier Songs der zweiten EP der Münsteraner zu hören. Und das, obwohl mein Gegenüber PC-technisch offenbar über ähnlich laienhafte Kenntnisse in Sachen PC verfügt. Nachdem diese erste Hürde überwunden war, kam mit der Musik des Quintetts die gebührende Entlohnung. Denn die Jungs machen eine wahnsinnig berührende Mischung aus Emorock und Indie. Herrlich altmodisch ist man irgendwo in den späten Neunzigern hängen geblieben. Aufgenommen wurde in der Tonmeisterei, so dass auch bei der Produktion keine Wünsche offen bleiben und sich jedes Instrument frei entfalten kann. Oh ja, diese Gitarren, der gegenspielende Bass, die Drums und der wehmütige Gesang! Da hört man einfach aus jedem Ton die Leidenschaft heraus. Traurig-dramatische Melodien voller Sehnsucht treffen auf ausgeklügelte Songarrangements, mehrstimmige Refrains runden das Ganze ab. Einziges Manko ist hier, dass nach vier Songs schon wieder alles vorbei ist. Wer die Band bisher noch nicht kannte, hat wenigstens noch die Option, die zwei bisher erschienenen EP’s der Jungs anzuchecken. Immerhin ist die Band ja schon seit 2012 unterwegs, da wäre ein ganzes Album natürlich endlich mal angesagt! Wer Bands wie The Promise Ring, Mineral, Reno Kid, Favez, Texas Is The Reason oder frühe Appleseed Cast mag, dürfte auch bei den vier Songs von White Crane zum schnurrenden Kätzchen werden. Ancheckpflicht!


 

Bandsalat: Eamon McGrath, Kora Winter, Lueam, Miss June, Mobina Galore, Nervus, Rauchen, Slutavverkning

Eamon McGrath – „Guts“ (Uncle M) [Stream]
Bin mir nicht sicher, aber beim Druck des Digipacks ist sicher ein Fehler unterlaufen, denn die Infos auf der Innenseite sind alle spiegelverkehrt abgedruckt. Naja, egal! Hab keine Ahnung, ob der Kanadier Eamon McGrath früher mal in einer Punkband gespielt hat und jetzt halt einfach mal sein Solo-Ding im Singer-Songwriter-Stil durchzieht, aber wenn Guts bereits das siebte Studioalbum ist, dann täusche ich mich in dieser Vermutung wahrscheinlich gewaltig. Musikalisch gesehen sind die acht Songs jedenfalls perfekt und leidenschaftlich umgesetzt. Nicht, dass die Songs komplett ruhig gehalten wären, es gibt durchaus auch Stücke, die aus sich raus gehen, hier wäre z.B. der Song City Of Glass zu nennen. Aber wenn ihr mal ein Album für etwas ruhigere Stunden sucht und Zeugs wie Frank Turner, Calexico oder Ben Kweller mögt, dann könnte das hier was für euch sein.


Kora Winter – „Bitter“ (DIY) [Stream]
Nach zwei EP’s hat die Berliner Band Kora Winter ihr erstes Album am Start. Wie auch schon bei den EP’s haben die Jungs die Sache selbst in die Hand genommen und das Ding einfach selbst releast. Herausgekommen ist ein schön dicker Digipack mit einem etwas kargen Albumcover. Auch wenn ich es sehr zu schätzen weiß, dass im Inneren alle Texte abgedruckt sind, muss ich doch anmerken, dass man von dieser kursiven Schriftart beim Lesen echt mal Augenprobleme (Schwindelanfälle u.ä.) bekommt. Das liegt v.a. auch daran, dass Kora Winters Texte inhaltlich sehr umfangreich sind und dadurch die Schriftgröße aufgrund Platzmangels verkleinert wurde. Andererseits versteht man die deutschen Texte sehr gut, obwohl größtenteils derbe geschrien wird. Kora Winter machen nämlich so ’ne Mischung aus Post-Metal, Metalcore, Mathcore, Sludge, Doom, Screamo und vielleicht sogar etwas Pop und Hip Hop, alles sehr progressiv umgesetzt. Die Texte zeichnen ein düsteres Bild unserer Gesellschaft, in der es immer schwieriger wird, sich selbst zu finden. Das menschliche Individuum gerät durch permanenten Leistungsdruck in Angstzustände, der Nährboden für Depressionen, Neid und teuflischen Gedankenkarussellen ist geschaffen. Dementsprechend wütend und frustriert wird gekeift, glücklicherweise ohne Phrasendreschereien. Musikalisch wird das Ganze mit dicken Gitarrenwänden, Double-Bass-Attacken und verrücktem Gitarrengeschwurbel präsentiert. Es ist aber zwischendurch immer mal wieder Zeit für einen schönen Chorus, so dass das Ganze sehr detailreich wirkt. Bei all der technischen Perfektion bleibt aber trotzdem noch viel Zeit für die nötige Portion Gefühl und Leidenschaft. Wenn ihr auf Bands wie The Dillinger Escape Plan, The Hirsch Effekt oder Der Weg einer Freiheit (deren Sänger war am Mastering beteiligt) könnt, dann dürftet ihr auch am Sound Kora Winters eure Freude haben.


Lueam – „Nummern“ (Bloodstream) [Video]
Aha, der nächste Sänger einer ehemaligen Punkband mit einem Soloprojekt, diesmal ist es Lueam (Ex-Findus). Wenn ihr jetzt Lagerfeuermusik erwartet, dann könnt ihr aufatmen. Lediglich Song 012 Friends kommt mit Gesang und Gitarre daher. Ansonsten gibt sich Lueam eher der Elektronik hin, seine Debut-EP besteht aus Beats, elektronischen Klangspielereien und Keyboard-Soundshapes, dazu gesellen sich nachdenkliche und gesellschaftskritische Texte mit persönlicher Note in deutscher Sprache. Den Songtiteln wurde übrigens passend zum EP-Titel die Entstehungsnummer beigegeben, so dass man sich dann doch irgendwann mal wundert, was aus den restlichen Songs geworden ist, da fehlen ja schon einige Nummern. Als Anspieltipp eignet sich am Besten 011 Mehr als Europa, das mit einem aussagekräftigen Zitat beginnt. Wenn ich was zu melden hätte, hätte ich ja Autotune schon längst gesetzlich verbieten lassen, aber auf dieser EP ist es gerade noch zu ertragen. Bin mal gespannt, was man von Lueam in der nächsten Zeit noch so zu hören bekommt.


Miss June – „Bad Luck Party“ (Frenchkiss Records) [Video]
Die Band aus der DIY-Szene in Auckland/Neuseeland war mir bisher gänzlich unbekannt, was sich mit dem Debutalbum des Quartetts um Frontfrau Annabel Liddell schleunigst geändert hat. Denn mit Bad Luck Party bin ich direkt warm geworden. Der sehr eigenständige Sound der Band ist irgendwo zwischen Grunge, Indie-Rock, Post-Punk und No Wave angelegt. Neben der melodischen Kante hat der Sound immer ordentlich Energie im Gepäck. Treibende Drums, wahnsinnig geiler Bass, rotierende, fuzzige Gitarren und der unberechenbare Gesang von Gitarristin und Sängerin Annabel Liddell machen das Album so großartig. Und immer wieder kommen diese wahnsinnig eingängigen Hooklines zum Einsatz! Insgesamt bekommt ihr in etwas knapp über 30 Minuten elf Songs auf die Ohren, eine Wucht von Album! Wenn ihr euch eine angeschrägte Mischung aus Nirvana, Sonic Youth, Lush, Q And Not U, Le Tigre, Pretty Girls Make Graves, Milk Teeth und Hole vorstellen könnt, dann solltet ihr Miss June eure volle Aufmerksamkeit schenken. Und die verfügbaren Live-Videos auf Youtube zeigen, dass die Band ganz schön viel Pfeffer im Arsch hat. Checkt das unbedingt an!


Mobina Galore – „Don’t Worry“ (Gunner Records) [Stream]
Das Punk-Duo aus Winnipeg, Kanada zieht nun auch schon seit ein paar Jährchen konsequent sein Ding durch, nun steht mit Don’t Worry das dritte Album in den Startlöchern. Und wie gewohnt, zaubern die beiden Damen melodischen Punkrock auf’s Parkett. Nur mit Gitarre, Drums und wechselseitigem Gesang könnte man annehmen, dass der Sound etwas dünner ausfallen könnte, aber weit gefehlt. Der Sound klingt schön satt und energiegeladen, eine Hookline jagt die nächste, so dass man in 35 Minuten insgesamt zwölf Ohrwürmer geboten bekommt. Beschäftigte sich die Band auf dem Vorgängeralbum Feeling Disconnected mit dem Thema Trennung, wird es auch auf Don’t Worry wieder extrem persönlich, das zentrale Thema ist Herzschmerz, der ja vorwiegend durch Trennung und unerfüllte Liebe entsteht. Musikalisch wird das ganze Seelenleid dann mit melancholischem Punkrock aufgearbeitet, dabei gibt es auch etliche wütende Passagen. Jedenfalls nehmen euch die Mädels auf eine intensive Reise in ihre innerste Gefühlswelt mit und bleiben bei all dem Gefühlschaos zuversichtlich. Was es mit dem Albumcover des Digipacks auf sich hat, dahinter bin ich leider nicht gekommen. Wer gern melodischen Punkrock á la Bambix oder Against Me mag, der dürfte am neuen Mobina Galore-Album ebenfalls Gefallen finden.


Nervus – „Tough Crowd“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Keine Ahnung, ob Lucinda Livingstone von der Band Cultdreams (ex-Kamikaze Girls) bereits bei den Aufnahmen zum mittlerweile dritten Album mitwirkte, denn seit ein paar Monaten gehört sie zum Lineup und bedient dort die Gitarre. Ist ja eigentlich auch egal. Am Sound der britischen Band hat sich jetzt keine gravierende Änderung ergeben. Geboten wird immer noch eingängiger und melodischer Indie-Punk mit teils geschrammelten Gitarren, zwischendurch wird aber auch mal das Tempo etwas runtergeschraubt, hier sticht z.B. das sagenhafte Engulf You besonders hervor. Neben den üblichen Instrumenten wie Gitarre, Bass und Schlagzeug kommen auch wieder desöfteren Keyboards zum Einsatz. Insgesamt gibt es zehn Songs in 35 Minuten zu hören, allesamt mit teils hymnischen Refrains, die sofort in Fleisch und Blut gehen. Auch inhaltlich hat die Band wieder etwas zu sagen. Ging es auf dem Vorgänger Everything Dies um die negativen Auswirkungen der Zivilisation auf die Umwelt, beschäftigt sich die Band diesmal mit der Zerstörung selbst, Politik und Zivilisationskrankheiten wie Depression und Desillusionierung sind zentrales Thema, dabei bleiben die Texte optimistisch. Als Anspieltipps eignen sich das fuzzige und catchy They Don’t und das bereits erwähnte Engulf You.


Rauchen – „Gartenzwerge unter die Erde“ (Zeitstrafe) [Stream]
Nach der genialen Tabakbörse-Debüt-EP füllt die Band aus Hamburg nun mit zehn Songs einen ganzen ersten Longplayer. Und der dauert gerade mal etwas knapp unter dreizehn Minuten. Um die durchschnittliche Songlänge auszurechnen, fehlen mir gerade etwas die Nerven. Denn Rauchen machen den von der Band gewohnten derben Krach, bei dem man sich eigentlich gar nicht richtig konzentrieren kann. Zudem muss man ohne Textblatt in den Pfoten echt mal aufpassen, dass man die in deutscher Sprache gekeiften Texte der Sängerin erfasst. Songtitel wie Gartenzwerge unter die Erde, Schwengelstrand Nordostdeutschland, Kartoffelstampf á la Mäusle und Bier ist okay, aber nicht im Bierzelt sprechen zwar schon eine deutliche Sprache und wie man hört, wird auch nicht lang gefackelt und gegen Spießertum, Mackertum und Staatsschutz gewettert. Dabei fuzzen die Gitarren schön retro-oldschool-hardcoremäßig, der Bass knödelt verzerrte Riffs, Rückkopplungen dürfen genau wie ein stumpf knüppelndes Schlagzeug auch nicht fehlen. Kurze Zusammenfassung für Leute, die keine Referenzbands brauchen: Yeah, Krach! Für die anderen: Punch treffen sich mit Hammerhead und schmeißen zusammen mit Mülltonnen.


Slutavverkning – „Arbetets Sorgemusik – Del II“ (Suicide Records) [Stream]
Das hier tritt gewaltig Arsch! Die vier Mitglieder der schwedischen Band Slutavverkning bretzeln euch hier einen deftigen Mischmasch aus Punk, Hardcore, Noise-Rock und Free-Jazz um die Ohren. Das hier ist bereits ihre zweite EP, die Debut-EP solltet ihr euch auch gleich mit anhören, die hat ebenso Pfeffer im Hintern. Die Jungs haben ihre musikalische Ausbildung bereits in Bands wie Dödsvarg, JH3 und Fire! Orchestra absolviert. Und das kann man deutlich hören! Geschrien wird übrigens in schwedischer Sprache, was dem Ganzen noch einen Exotenbonus gibt. Dürfte allen Fans von Bands wie Nomeansno, Refused oder Pissed Jeans ein Glitzern in die Augen zaubern!


 

Bandsalat: Deutsche Laichen, Field Medic, Fury, Horse Jumper Of Love, Jamie Lenman, Prince Daddy & The Hyena, Proper, Tausend Löwen Unter Feinden

Deutsche Laichen – „Selftitled“ (Zeitstrafe) [Stream]
Ha, der Name! Geil! Mit For A Start beginnt die Scheibe schön gediegen, man könnte fast meinen, dass man gleich eine wundervolle Emo-Platte zu erwarten hat, aber weit gefehlt: Deutsche Laichen machen astreinen Asi-Schrammelpunk und klingen ziemlich nach Ende Achtziger/Anfang Neunziger. Dabei teilt die Göttinger Queer-Punkband im Verlauf der elf Songs textlich ordentlich aus und pöbelt, was das Zeug hält, sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache, wobei mir die deutschen Texte viel besser gefallen. Die Sängerin rotzt ihre wutschnaubenden und feministischen Texte direkt raus, sich ausgekotzt wird gegen nerviges Mackertum, Polizeigewalt und Sexismus! Äußerst wichtig, gerade in den heutigen Zeiten! Die Textphrasen brennen sich schön ins Gehirn rein, so dass hoffentlich auch bald jeder besoffene Doofpunk endlich kapiert, wie man sich Frauen gegenüber zu verhalten hat. Auch wenn auf den ersten Blick alles ziemlich schrammelig und rotzig klingt, weiß die Band genau, wie sie richtige Ohrwürmer zustande bekommt. Manche Songs erinnern mich daher an Bands wie Knochenfabrik, Hans-A-Plast oder frühe Slime. Ist Du bist so schön, wenn Du hasst eigentlich eine Anspielung auf Tanz der Moleküle von MIA? Wer weiß das schon! Was jedoch absolut sicher ist: das hier ist eine sehr wichtige und gute Deutschpunkplatte, die ihr nicht verpassen solltet!


Field Medic – „Fade Into The Dawn“ (Run For Cover Records) [Stream]
Hinter dem Name Field Medic steht Kevin Patrick, ein Folk-Musiker aus Los Angeles. So Singer-Songwriter-Zeugs ist ja nicht unbedingt meine Lieblings-Musikrichtung. Jetzt hat der Digipack mich aber nun mal erreicht, so dass ich an einem lauen Sommerabend auf dem Balkon das Ding doch mal in den Player klatschte. Nach ein paar Durchläufen wird klar, dass die Musik Field Medics der abfälligen Bezeichnung als Musik für’s Lagerfeuer nicht gerecht wird. Die mit spärlichen Cleangitarrenklängen ausgestatteten Acoustic-Songs klingen v.a. aufgrund Kevins zerbrechlich wirkenden und warmen Stimme sehr melancholisch und intim. Hört man dazu noch auf die autobiographischen Textzeilen, dann wird einem wieder mal bewusst, was Musiker eigentlich tagtäglich für ihre Leidenschaft alles in Kauf nehmen müssen. In was für Schwierigkeiten man als Musiker auf Tour geraten kann, erfährt man in den häufig selbstironischen Lyrics, die mit reichlich schwarzem Humor gespickt sind. Wäre natürlich cool, wenn dem Digipack ein Textblatt beiliegen würde, aber da Kevin verständlich und klar singt, kann man auch so alles gut verstehen. Zehn Songs werden in einer halben Stunde dargeboten. Hach, und jetzt hab ich’s: an manchen Stellen klingt Kevins Stimme mit viel Phantasie etwas nach Matt Pryor mit seinem Solozeug.


Fury – „Failed Entertainment“ (Run For Cover Records) [Stream]
Das 2016er Debutalbum der Band aus Kalifornien war mal wieder nach langer Zeit eine Hardcoreplatte, die ganz gewaltig bei mir einschlug. Nun hat die Band ihrem einst so oldschooligen und rohen Sound noch eins draufgesetzt! Bereits der Opener Angels Over Berlin haut euch aus den Latschen! Sehr groovige Gitarren brechen über Deinem Kopf zusammen, es folgen Gitarrenriffs, die in bester Orange County-HC-Manier loszwirbeln. Auf der einen Seite dieser Groove, der an Bands wie Snapcase erinnert, auf der anderen Seite diese melodischen Gitarren, die an Zeugs wie frühe Ignite, Uniform Choice, Speak 714 und zig andere Bands, in denen Joe D. Foster die Gitarre zockte, erinnert. Voll und ganz überzeugt auch der äußerst druckvolle Sound, laut aufgedreht rockt das Ding wie Hölle! Insgesamt gibt es elf oldschoolige Hardcoregranaten zu hören, der Spuk ist in nichtmal ganz einer halben Stunde vorbei! Kurze knackige Songs, eingängige Melodien, ein wutschnaubender Sänger, schöne Gangvocals, was will man mehr! Was ein wenig schade ist: dem mit einem kunstvollen Artwork ausgestatteten Digipack liegen leider keine Texte bei, lediglich der Text zum Spoken Word-Stück New Years Days ist abgedruckt. Muss man halt auf Bandcamp ausweichen um zu erfahren, dass in den Texten sehr persönliche Erlebnisse und Eindrücke verarbeitet werden. Wenn man sich für das Leben eines Künstlers entschieden hat, kommen auch unweigerlich wieder existenzielle Fragen auf. Warum setzt man sich überhaupt dem ganzen Affenzirkus mit anstrengenden Touren, Erwartungsdruck der Fans und riskanten Fahrten in abgeranzten Bussen aus? Das sind schon grundlegende Fragen, die einen als Musiker beschäftigen. Im Fall von Fury dürften zumindest die Erwartungen der Fans mehr als erfüllt sein, denn Failed Entertainment dürfte der Anwärter auf eines der stärksten Hardcorealben des Jahres 2019 sein!


Horse Jumper Of Love – „So Divine“ (Run For Cover Records) [Stream]
Mit warmen lo-fi Gitarrenklängen und einer zerbrechlichen Stimme eröffnen die mir bisher gänzlich unbekannten Horse Jumper Of Love ihr mittlerweile zweites Album. Das Trio aus Boston entwickelt im Verlauf des ruhig beginnenden Openers ganz langsam eine noisige Gitarrenwand, die mit hypnotisch vor sich hinziehenden Drums hinterlegt wird. Auch im zweiten Song Volcano beginnt alles ganz ruhig und einlullend, bis es brodelt und ein grungiger Vulkanausbruch über einen hereinbricht. Im Verlauf der elf Songs kann man dieses Soundschema noch öfters entdecken. Manchmal wundert man sich, wie es die Band immer wieder schafft, sich so schleichend und fast heimlich an die noisigen Parts heranzupirschen. An den noisigen Stellen, die immer so ein wenig schleppend und träge wirken, fühlt man sich in die Neunziger zurückversetzt, als mathiger Slowcore hoch im Trend lag und Zeugs wie Slint, Codeine, Swans oder Shellac faszinierten. Mein Digipack-Besprechungsexemplar hat ein schönes Artwork. Backcover, Innenteil und Textblatt sind mit kritzeligen Bildern ausgestattet, wahrscheinlich sogar von Kinderhand gemalt, wenn man den Hintergrund zum Konzept des Albums kennt. Die Texte setzen sich nämlich aus kleinen Erinnerungen zusammen, die Gitarrist und Sänger Dimitri Giannopoulos irgendwie im Gedächtnis geblieben sind. So Divine mag vielleicht auf den ersten Blick etwas verworren und sperrig wirken, bleibt man aber dran, hat man mal wieder eine spannende Band entdeckt! Als Anspieltipps eignen sich die Songs Ur Real Life oder Nature.


Jamie Lenman – „Shuffle“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Schon Jamie Lenmans 2016er Album Devolver hat mich aufhorchen lassen, der Ex-Reuben-Frontmann zeigte hier bereits eine musikalisch breitgefächerte Vielfalt, die obendrein noch reichlich Ohrwurmqualitäten hat. Auf Shuffle erfährt man jetzt indirekt von den Einflüssen, die den Musiker zu seiner Kusnt inspiriert haben. Und diesen Einflüssen, seien es Lieblingsvideospiele, Filme, Bücher oder eben Musik, wird auf Shuffle ein Denkmal gesetzt. Hier sind z.B. Coverversionen in Form von Eigeninterpretationen zu hören, manchmal braucht es ein Weilchen, bis man auf den Originalsong kommt. Ganz geil finde ich z.B. Killer (im Original von Seal), die Popeye-Titelmelodie im Hardcore-Punk-Gewand, das jazzige Taxi Driver-Theme, den Beatles wird gleich zwei Mal ein Denkmal gesetzt, wobei die sludgige Version von Hey Jude echt mal abgefahren ist, Tomorrow Never Comes mit Noiserock-Indierock-Anstrich ist auch nicht ohne. Zwischendurch sind aber auch ein paar Tracks enthalten, die man sich bei weiteren Durchläufen auch sparen könnte, dazu zählen sicherlich die Spoken Word-Tracks. Übrigens hat jeder Song auf dem Albumcover ein eigenes Bildchen erhalten. Fazit: auch wenn man Coveralben generell skeptisch gegenübersteht: dieses Coveralbum ist anders, hört da unbedingt mal rein!


Prince Daddy & The Hyena – „Cosmic Thrill Seekers“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Man sollte vielleicht ein paar Dinge wissen, bevor man das neue Album des Quartetts aus Albany, New York angeht. Das Album ist in drei Abschnitte (The Heart, The Brain, The Roar) geteilt und behandelt die Nebenwirkungen eines Acid Trips, die Sänger Kory Gregory am eigenen Leib erfahren hat. Der Irrsinn zwischen mentaler Gesundheit, Selbstzerstörung, Erholung und Rückfall klingt dementsprechend aufrüttelnd. Musik ist halt immer noch die beste Therapie! Kory hat das Album quasi im Alleingang innerhalb der letzten vier Jahre geschrieben, so dass letztendlich 14 Songs dabei herauskamen, die sich äußerst durchdacht, stimmig und spannungsgeladen anhören. Da werden Punk, Indie, Pop, Garage und orchestrale Glam-Rock-Passagen munter miteinander vermischt und über allem schwebt Korys leidende Stimme. Dass sich so etwas so genial anhören kann, hätte ich niemals geglaubt. Dass hier sehr viel Leidenschaft und Gefühl drin steckt, merkt man jedenfalls an allen Ecken und Kanten! Korys Schrei-Stimme hat ein bisschen Ähnlichkeit mit dem Typen von Audio Karate, aber auch der Sänger von Kid Dynamite kommt ab und zu in den Sinn. Solltet ihr unbedingt mal antesten!


Proper – „I Spent The Winter Writing Songs About Getting Better“ (Big Scary Monsters) [Stream]
Früher hießen Proper mal Great Wight, welche mir aber genauso wenig bekannt sind. Das Trio kommt aus New York, Leadsänger und Gitarrist Erik Garlington ist aber irgendwo in den Südstaaten aufgewachsen, wo People Of Colour immer noch gewissen Problemen ausgesetzt sind. Und diese Eindrücke und Gefühle bezüglich Familie, Rasse und sexueller Identität werden auf I Spent The Winter Writing Songs About Getting Better textlich verarbeitet. Verpackt ist das ganze in eingängigem Emo-Pop-Punk, der mich an etlichen Stellen an die Band Say Anything erinnert. Schon beim zweiten Durchlauf gehen die Songs richtig gut ins Ohr. Mein persönlicher Favorit ist von Anfang an Bragging Rights gewesen. Hier liefern sich Sänger Erik und Willow Hawks von der Band The Sonder Bombs ein wunderbares Gesangsduell ab, das könnten die beiden ruhig öfters machen, da Eriks Stimme eher etwas nölig und nasal klingt, aber daran gewöhnt man sich schnell. Denn die Gitarren zwirbeln das ein und andere Zucker-Riff aus dem Ärmel, es ist eine wahre Wonne. Die Spielzeit von etwas über 45 Minuten und insgesamt 14 Songs wird jedenfalls kaum langweilig, man freut sich immer wieder an einzelnen Songpassagen und kommt sogar ins Schmunzeln, als irgendwo noch ein Abba-Hit (Dancing Queen) verbraten wird. Falls ihr also Say Anything hinterhertrauern solltet, dann könnte Proper für euch interessant sein, inhaltlich wie musikalisch.


Tausend Löwen Unter Feinden – „Zwischenwelt“ (Swell Creek Records) [Stream]
Meine ich das nur, oder haben Tausend Löwen Unter Feinden ihrem Sound, den man auf den bisherigen Veröffentlichungen zu hören bekam, eine ordentliche Stange Metal zugefügt? Unbedingt, behaupte ich! Die Hardcorepassagen sind deutlich weniger geworden, dafür fliegen euch massig mächtige Metalriffs um die Ohren. Beim Opener Stillstand z.B. walzt es bereits ordentlich im Midtempobereich los, dennoch schleicht sich eine zweite melodische Gitarre mit ein. Das gefällt schonmal bestens. Diese Vorgehensweise kann man im Verlauf des Albums immer wieder entdecken. Manche Parts erinnern etwas an die Jungs von Empowerment, was natürlich v.a. an den deutschen Texten liegt. Tausend Löwen unter Feinden verstehen es jedenfalls bestens, die Spannung zu halten und Druck zu machen, dabei bleiben die Songarrangements schön abwechslungsreich. Während man in den insgesamt 12 Songs in etwas knapp über einer halben Stunde ordentlich die Ohren durchgespült bekommt, hat man nebenbei noch genügend Zeit, das mit einem schönen aber düsteren und auf einem Gemälde von Carsten Luyckx basierende Albumartwork ausgestattete Digipack in Augenschein zu nehmen. Dieses greift das zentrale Thema des Albums auf, das nach Aussage der Band ein Konzeptalbum über die unvermeidbare Vergänglichkeit ist. Textlich gibt man sich gesellschaftskritisch, verzweifelt fast an den Zuständen, fühlt sich gefangen in einer Art Zwischenwelt, bleibt aber dabei trotzdem optimistisch und kämpferisch, bis man zum Ende erkennt, dass alles vergänglich ist. Und wenn dann beim letzten Song Freiheit diese emotionalen Gitarren ertönen, dann weiß man jetzt schon, dass man bei diesem Stück live sicher eine beachtliche Gänsehaut bekommen wird. Geiles Ding, müsst ihr mal antesten!


 

Bandsalat: Alex Mofa Gang, Chin Up, Ithaka, Norbert Buchmacher, Regarding Ambiguity, Surhysa, Tripsitter, We Too Will Fade

Alex Mofa Gang – „Ende offen“ (Redfield Records) [Stream]
Es war mir lange Zeit ein Rätsel: neulich lag ’ne Postkarte mit unbekanntem Absender in der Eingangspost, adressiert an Crossed Letters. Auf der Frontseite war ein uneingerichteter Raum zu sehen, auf dem Teppichboden lag ein Mofa-Helm. Im Text wurde (mit persönlicher Anrede) angekündigt, dass man mich mit auf eine Reise nehmen möchte, bei welcher das Ende offen stehen würde. Gruselig, gell? Jedenfalls checkte ich erst mit der Bemusterung des Digipacks der Band Alex Mofa Gang, dass ich die Postkarte im Zusammenhang mit dem neuen Album der Berliner erhalten habe. Puh, Glück gehabt, doch kein irrer Stalker! Den Helm kann man auf dem Albumcover zusammen mit anderen gepackten Habseligkeiten entdecken, zudem gibt es im echt mal dicken Booklet eine Fotostrecke, wie der Raum langsam leerer wird, bis im Mittelpunkt der CD nur noch der Helm übrig geblieben ist. Sehr coole Idee! Insgesamt sind auf dem dritten Album des Quintetts zwölf Songs zu hören. Da mir die ersten beiden Alben nicht geläufig sind, bin ich froh über die Info, dass Ende offen das Finale einer Trilogie über das Leben von Alex Mofa zum Inhalt hat. Musikalisch wird deutschsprachiger Indie-Pop mit Punkverweisen geboten, die Songs gehen ziemlich schnell ins Ohr und sind äußerst hymnenhaft. Songs wie Dieses Mal oder Erstmal für immer haben das Zeug zu erfolgreichen Radiohits, jedenfalls würde ich es der Band gönnen. Hat irgendwas von Clueso. Trotzdem gibt es auch zwischendurch etwas härtere Gitarrenriffs (Nacht aus Gold oder Düsenjäger z.B.). Also, wenn es schon deutschsprachige Indie-Pop-Musik mit Radiotauglichkeit sein muss, dann bitte so!


Chin Up – „To Whom It May Concern“ (Cat Life Records) [Stream]
Die zweite EP der Bonner Pop-Punker Chin Up kommt genau richtig zum Frühling/Sommer. Das Ding ist als Tape erschienen, so dass ihr euren Ghettoblaster mit an den Baggersee oder ins Freibad nehmen könnt. Fünf sonnige Hits sind auf To Whom It May Concern enthalten. Die Band ist sehr catchy unterwegs, die Gitarren haben immer ein schönes Riff am Start, während die Rhythmusmaschine aus Bass und Schlagzeug schön treibend vorangeht. Cool kommen auch die mehrstimmigen Refrains, die sofort ins Ohr gehen und die ab und an so ’nen gewissen Get Up Kids-Drive haben. Dass die Jungs mit ihrem Sound Spaß haben, kann man dieser EP jedenfalls deutlich anhören. Wenn ihr auf Sound steht, der seine Vorbilder im amerikanischen Punk/Emo der Jahrtausendwende hat, dann könnten Chin Up für euch interessant sein.


Ithaka – „The Language Of Injury“ (Holy Roar Records) [Stream]
Boah, was für ein fettes Monster von Album ist den Londonern denn da gelungen? Also, die 2015-er EP war ja schon ganz schön geil, aber das hier toppt das Ding um Längen. Ithaka bolzen hemmungslos drauf! Hardcore trifft auf Metalcore, ein bisschen Chaos darf natürlich auch nicht fehlen und ab und an gibt es sogar richtig melodische Momente. Rolo Tomassi treffen auf Converge , Meshuggah schauen auch noch vorbei, bis irgendwann noch Svalbard dazu stoßen. Geht gut ab!


Norbert Buchmacher – „Habitat einer Freiheit“ (End Hits Records) [Stream]
Bei den ganzen deutschen Liedermachern, die unter irgendeinem bürgerlich klingenden Namen im Radio ihre belanglosen Songs in Dauerrotation laufen lassen dürfen, kann man schonmal den Überblick verlieren. Die meisten dieser Hanswürste kommen direkt von der Popakademie und haben in ihrem Leben keinerlei musikalische Sozialisation erfahren. Wenn einer von denen mal am Wochenende in der Fußgängerzone bei Minusgraden seine Songs dargeboten hätte, wäre es ja fast schon ein außergewöhnlich harter Werdegang. Bei Norbert Buchmacher ist es irgendwie anders zu dem gekommen, was nun ist. Der Typ war mehr als zwei Jahrzehnte als Roadie unterwegs, spielte selbst in einer Hardcoreband (One On One) und war in diesen Jahren ständig unterwegs und nur selten in seiner Heimat in Ulm. Irgendwann kam er mit Alan Kassab (kennt man von Heartbreak Motel und Zero Mentality) in Kontakt und beide entdeckten einige Parallelen in ihrem Leben. Zudem bemerkten sie, dass sie ähnliche musikalische Ziele vor Augen hatten, so dass erste Demos entstanden. Es wurden neue Mitstreiter gefunden (Ex-Heartbreak Hotel und Final Prayer), die Band war komplett als Quintett. Von der Mucke her gibt es emotionalen Singer-Songwriter, der gern auch mal in Richtung Pop schielt. Ihr wisst schon, so Sachen wie der Boss oder Tom Waits, mit Texten, die aus dem Leben gegriffen sind. Vom Instrumentalen klingt das alles sehr ausgeklügelt und aufeinander abgestimmt. Die Stimme Buchmachers ist sehr dunkel und rauchig, erinnert manchmal gar an Herbert Grönemeyer, was nicht unbedingt auf begeisterte Ohren stoßen wird. Was man jedoch sagen kann: das hier klingt ehrlich, zudem gewöhnt man sich nach ein paar Durchläufen auch an das. Die CD kommt im Digipack mit einem schönen gemalten Albumartwork, ein Textheftchen ist auch dabei. Anspieltipps: Müssterium des Seins, O.M.F. oder Zeitspanner und Regenfäller.


Regarding Ambiguity – „Flayed“ (DIY) [Name Your Price Download]
Diese 12inch war im letzten Besprechungspaket aus dem Hause Dingleberry Records, das DIY-Label scheint aber am Release nicht direkt beteiligt zu sein. So wie es aussieht, wurde das Scheibchen in Eigenregie der Band veröffentlicht. Nun, Regarding Ambiguity kommen aus Kopenhagen/Dänemark und existieren noch nicht allzu lange, bei Flayed handelt es sich um die Debutaufnahmen der vier Jungs. Insgesamt sechs Songs in einer Spielzeit von knapp 21 Minuten sind auf Flayed enthalten. Der Bandname hat wohl etwas mit Mehrdeutigkeit zu tun, trotzdem erschließt sich mir kein Zusammenhang zwischen dem EP-Titel und dem auf dem Cover abgebildeten Vogel, vermutlich ein dicker Spatz. Obwohl, vielleicht soll es auch ein Grünfink oder ein Wellensittich sein. Wellensittich macht noch am meisten Sinn, denn diese haben es in Gefangenschaft wirklich nicht leicht und werden oft geschunden. Leider gibt es kein Textblatt, für die Lyrics muss man auf die Bandcamp-Seite ausweichen. Die Lyrics sind mit sehr persönlichen Gedankengängen ausgestattet, da steckt viel Melancholie und verzweifelte Auswegslosigkeit mit drin. Entsprechend emotional geht es soundtechnisch zu. Der Opener beginnt mit cleanen Gitarren, die allerdings in weniger als zwei Sekunden von wild rotierenden Gitarrenriffs und heftig nach vorne treibenden, fast Blast-Beat-artigen Drums abgelöst werden. Diese Drums, die mal langsam, zäh und mit viel Crashbecken ordentlich Druck machen, Spannung aufbauen und im nächsten Moment abgehen wie eine Rakete, bekommt man im Verlauf der sechs Songs noch öfter zu hören. Dazu schreit sich der Sänger die Schmerzen von der Seele. Auch wenn es manchmal etwas dissonant wird, lassen sich ein paar unterschwellige Melodien ausmachen. Hört euch bitte mal das die A-Seite schließende und extrem vielschichtige Arrows an, dann werdet ihr den Rest der EP sowieso gleich hören wollen! Auf der B-Seite geht es in dem Tempo weiter. Was mir an Regarding Ambiguity sehr gut gefällt, ist die Vielseitigkeit des Sounds. Da werden Post-Hardcore-Elemente mit Screamo/Skramz und Emocore gemischt, da wechseln sich harmonische Melodic Hardcore-Anteile mit delayartigen Post-Rock-Parts und Blast-Beat-Attacken. Das kommt zum einen insgesamt verdammt druckvoll rüber, zum anderen aber auch extrem melancholisch. Regarding Ambiguity sollte man jedenfalls sehr gut im Auge behalten, denn Flayed ist ein vielversprechendes Debut!


Surhysa – „Zaesur“ (DIY) [Name Your Price Download]
Als ich über Bandcamp auf Surhysa aufmerksam geworden bin, hatte sich die Band aus Regensburg bereits aufgelöst. Was bleibt, sind diese letzten Aufnahmen, die sozusagen zum Ende der Band hin aufgenommen wurden. Surhysa vermachen auf Zaesur insgesamt sechs Songs, die sich zwischen Post-Hardcore, Screamo, Hardcore und Punk bewegen. Gesungen bzw. geschrien wird in deutscher Sprache, die Texte (zwei Songs sind rein instrumental) sind außergewöhnlich gut und beherbergen Zitate von Fromm, Adorno, Tucholsky und anderen geistigen Größen. Erinnert teilweise ein bisschen an 90’er Zeugs á la Bremer Schule (Loxiran, Lebensreform), Bands wie z.B. Stagnations End oder Tidal kommen ebenso in den Sinn. Gefällt ziemlich gut!


Tripsitter – „The Other Side Of Sadness“ (Prosthetic Records) [Stream]
Aus der Gemeinde Navis im Bundesland Tirol kommen Tripsitter. Vielleicht könnt ihr euch noch dunkel erinnern, das Video zum Song Metamorphose wurde mal vor einiger Zeit auf diesen Seiten gepostet. Zu dieser Zeit fand man wenig Material der Österreicher im Netz, dafür tourten die Jungs fleißig. Und das viele Touren hat sich ausgezahlt, wie man auf dem Debütalbum des Quartetts deutlich hören kann. Das Album sei allen ans Herz gelegt, die etwas mit durchdachtem, in sich stimmigem Post-Hardcore anfangen können und auch die emotionale Seite zu schätzen wissen. Tripsitter haben zehn Songs am Start, die absolut überzeugen können. Die Gitarren kommen auf der einen Seite hart und melodisch, können aber auch ruhigere Töne anschlagen, während der Sänger leidend und verzweifelt schreit, als ob sein Leben davon abhängen würde. Eine gewaltige Portion Leidenschaft und Herzblut schwappt euch da entgegen! Wie Spannungsaufbau funktioniert, haben die Jungs auch raus, zudem lebt die Platte von den abwechslungsreichen und vielschichtigen Songarrangements und der knackigen Produktion, die aber trotzdem noch wütend, roh und ungeschliffen klingt. Ancheckpflicht für Fans von Kapellen wie z.B. We Never Learned To Live oder Svalbard!


We Too, Will Fade – „Enough“ (midsummer records) [Stream]
Die Band aus München startete einst im Jahr 2017 als Duo, jedoch dauerte es nicht lange, bis zwei weitere Leute mit von der Partie waren, so dass auch ausgiebig getourt werden konnte, sowohl im Inland als auch im Ausland. Die Debut-EP des Quartetts ist via midsummer records in digitaler Form erschienen. Die sechs Songs bringen es auf eine Spielzeit von 26 Minuten. Musikalisch wird mitreißender Post-Hardcore dargeboten, dabei schleichen sich immer wieder Einflüsse aus Melodic Hardcore bis hin zum Post-Rock mit in den Sound der Münchener. Die Gitarren haben tolle Riffs am Start und toben sich vom moshigen Sound bis hin zu ruhigeren und atmosphärischen Passagen auf einer breitgefächerten Spielwiese aus. Auf der einen Seite stehen fette Riffs, vertracktes Drumming und leidende Schrei-Vocals, auf der anderen Seite kommen immer wieder diese fast verträumten Passagen, cleane Vocals oder auch Spoken Words. Die Songarrangements sind ineinander stimmig und die fette und glasklare Produktion ist auch vom Feinsten, so dass im Verlauf der EP keine Ermüdungserscheinungen auftreten. Für eine Debut-EP hat die Band hier hervorragend abgeliefert, da kann man gespannt sein, was wir von den Münchenern in Zukunft noch zu hören bekommen werden. Ich empfehle mal den Titelsong als Anspieltipp, hier habt ihr das variantenreiche laut/leise-Spiel am eindrucksvollsten im Ohr, zudem weiß hier auch noch die engelsgleiche Frauenstimme im ruhigen Teil zu gefallen.


 

 

Bandsalat: City Kids Feel The Beat, Insert Coin, Lift, Living With Lions, Matze Rossi, Muncie Girls, Pagan, Slumb Party

City Kids Feel The Beat – „Cheeky Heart“ (Uncle M) [Stream]
Bandname, Albumtitel und das etwas kitschig wirkende Artwork dieses hübsch aussehenden Digi-Packs könnten übrigens ganz schön in die Irre führen und die Vermutung aufkommen lassen, dass wir es hier mit einer Boy-Band aus den Charts zu tun haben könnten. Wenn man dann noch das Textheftchen auffaltet und plötzlich ein Poster in der Hand hält, auf welchem man fünf Boys in weißen T-Shirts erblickt, dann ist man doch etwas überrascht, wenn man die CD einlegt und hymnischer Pop-Punk aus den Lautsprechern ertönt. Komischerweise ist mir die Band bisher gänzlich unbekannt gewesen, obwohl die Jungs schon seit sechs Jahren unterwegs sind und Ulm ja eigentlich fast schon in der Nachbarschaft liegt. Cheeky Heart ist also Album Nummer drei und ich muss sagen, dass einige Songs sofort ins Ohr gehen. Auch wenn auf den ersten Blick das poppige im Vordergrund steht, gibt es zwischendurch trotzdem immer wieder schöne Abgeh-Parts mit fetten Gitarrenriffs und Schreigesang (beispielsweise bei Rewrite oder Worst Date). Die glasklare Produktion, für die der Typ eingespannt wurde, der auch Cro und Casper schon einen guten Sound verlieh, passt natürlich auch bei dieser Art von Musik ganz gut. Die Vorbilder für den melodischen Pop-Punk, der munter mit hymnischem Collegerock gemischt wird, dürften klar in der kalifornischen Pop-Punkszene zu finden sein. Die Texte beschäftigen sich mit dem Wahnsinn, den man zwischen Jugend und Erwachsenwerden so durchlebt und stehen damit ein wenig im Kontrast zum sonnigen Sound. Wer also auf Ohrwurmmelodien steht, die wirklich hartnäckig im Gehör kleben bleiben, dürfte hiermit gut bedient sein! Übrigens, jetzt hab ich’s: Beim Song Coming Home weist die Gesangsmelodie im Refrain eine enorme Ähnlichkeit mit Nenas Nur Geträumt auf.


Insert Coin – „Way Out“ (Uncle M) [Stream]
Bei Insert Coin aus Recklinghausen scheint es richtig gut zu laufen. Im Jahr 2007 gegründet sind bereits zwei Alben und eine EP erschienen, zudem wurden etliche Shows quer durch Europa gespielt. Den wohl besten Coup landete die Band mit einem Soundbeitrag zu einem TV-Werbespot für irgend so ’n komisches hauptsächlich aus Zucker bestehendes Energygesöff, das sich hyperaktive Leute ins Hirn schütten, nur um sich dabei ein bisschen cool zu fühlen. Ob man als Band seine Musik für solch fragwürdige Produkte hergeben sollte? Ich meine schon, denn dadurch kommen potentielle Konsumenten dieser Plörre vielleicht beim Anhören der Musik auf andere Gedanken, denn das was Insert Coin machen, dürfte auch die müdeste Schlafmütze wieder aus dem Koma befördern, da braucht es keinen Energy-Drink mehr! Zudem kommen die Leute vielleicht besser drauf, wenn sie sich mit den teils persönlichen aber auch gesellschaftskritischen Texten der Band beschäftigen, die sich mit Themen wie Fake-News, gleichgeschlechtliche Ehe oder Depressionen (die übrigens auch von übermäßigem Konsum des beworbenen Energy-Drinks ausgelöst werden können) befassen. Musikalisch wird dazu melodischer, nach vorne gehender Skatepunkrock geboten, der seine Vorbilder in Bands wie Anti-Flag, Pennywise oder Red City Radio hat. Bevor ihr eure Münzen in den nächsten Getränkeautomaten werft, solltet ihr die hart ersparten Moneten an die nächste Jukebox verfüttern und das Album Way Out anwählen. Danach wollt ihr das Ding eh in eure Punkrock-Sammlung integrieren, also könnt ihr das Ding auch gleich kaufen.


Lift – „Harsh Light of the Truth“ (Dropping Bombs/DIY) [Name Your Price Download]
Neulich gab’s an anderer Stelle einen kurzen Beitrag zur Debut-EP dieser neuen Band aus Connecticut. Das Ding hat mich mit seinen Songs schwer begeistert, so dass man nach mehr lechzend eigentlich gar nicht arg so lange warten musste, denn mittlerweile ist die zweite EP mit drei Songs als Name Your Price Download verfügbar, zudem gibt es das Ding als 7inch. Nun, das Cover ist wieder schön gestaltet. Das Gemälde erinnert irgendwie an die ersten Artworks von Snapcase-Releases (Progression Through Unlearning z.B.) und auch der Sound, v.a. das Instrumentale, erinnert an diese großartige Band aus Buffalo. Weitere Einflüsse dürften neben Snapcase frühe Boy Sets Fire, Refused und With Honor sein. Hier passt jedenfalls von der fetten Produktion bis zum ausgefeilten Songwriting alles. Ganz schön groovig und mitreißend, so muss druckvoller Hardcore klingen! Ich warte gespannt auf weiteres Material!


Living With Lions – „Island“ (No Sleep Records) [Stream]
Der Digipack kommt komplett ohne Plastik aus – bis auf die CD selbst natürlich – und ist echt mal aufwendig und schön gestaltet. Die Fenster der Fassade sind alle ausgestanzt, so dass man auf dem im Inneren befindlichen Textheftchen in die einzelnen Wohnungen schauen kann und dort ein paar außergewöhnliche Szenen des menschlichen Lebens entdecken kann. Kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber eigentlich wiederholt sich ja in Albumartworks doch irgendwann alles mal, selbst im musikalischen Bereich wird das Rad oftmals nicht neu erfunden. Und auch die alltäglichen Szenen hinter den Fenstern können sicher auch außerhalb Kanadas hinter etlichen beleuchteten Fenstern erblickt werden. Zwölf Songs sind also auf dem dritten Album in einer Spielzeit von knapp 50 Minuten zu hören. Und obwohl man beim ersten Durchlauf eine Menge im dicken Textheftchen und den besagten Fenstern zu stöbern hat, will der musikalische Funke nicht auf Anhieb überspringen. Eben weil man – zugegebenermaßen – total übersättigt in diesem Mischmasch aus Alternative, melodischem Punkrock und etwas Emo ist. Schade eigentlich, denn eigentlich machen die fünf Kanadier alles richtig. Und nach ein paar Runden im Player kristallieren sich die Pfeiler heraus, die den Reiz des Albums ausmachen. Spielfreude, Emotionen, Melodien, Chöre, ein starker Schlagzeuger, der ordentlich Tempo macht und natürlich sauber gespielte Gitarren. Wenn das Album zwei Jahrzehnte vorher erschienen wäre, dann würden heutzutage sicher noch ein paar Menschen davon schwärmen. In der heutigen schnelllebigen Zeit haben solche Releases leider nur noch den absoluten Außenseiterstatus des absoluten Außenseiters. Oder man hört sie nicht, weil auf der einen Seite zu weichgespült für die Undergrounder und auf der anderen Seite zu unbekannt für die Mainstreamer. Doofe Situation. V.a., wenn man weiß, dass die Band kurz nach der Veröffentlichung des letzten Albums Holy Shit kurz vor der Auflösung stand, da der ehemalige Sänger das Weite suchte. Mittlerweile singt der ehemalige Gitarrist, dessen Posten wurde wiederum durch einen guten Freund der Band besetzt. Also, gebt den Jungs mal noch ’ne Chance, so ungeil ist das nicht!


Matze Rossi – „Musik ist der wärmste Mantel – Live im Audiolodge Studio“ (End Hits Records) [Stream]
Es ist ja immer so eine Sache mit Sängern, die mir früher in Punk/Hardcorebands gefielen und sich mittlerweile im Singer/Songwriter-Milieu austoben. Meist taugt mir persönlich das nicht so, weshalb der ganze Kram von mir gekonnt ignoriert wird. Tja, bis man kalt erwischt wird und ’ne Digipack-CD von Matze Rossi zwecks Besprechung im Briefkasten landet. Und dann handelt es sich bei dem Ding auch noch um ein Live-Album, diesem Medium begegne ich sowieso schon mit Skepsis. Okay, wenigstens bin ich völlig unvorbelastet, was die Songs von Matze Rossi betreffen, zudem zählen Tagtraum nicht zu den Bands, deren gesamter Backkatalog mir geläufig ist. Also, drücke ich auf Play, schnappe mir das Beiheftchen und lese bei den ersten Klängen den erklärenden Text zum Hintergrund des Releases. Mit dem Album erfüllt sich ein weiterer Lebenstraum Matze Rossis: die Musik zusammen mit einem tollen Publikum auf einem Tonträger festzuhalten. Nach 29 Bühnenjahren und über 2500 Konzerten durfte dem Live-Ereignis, das in zwei Aufnahmesessions im Audiologe Studio in Volkach abgehalten wurde, ein ausgewähltes Publikum von jeweils 30 Personen beiwohnen (die am Konzert teilnehmenden Menschen werden sogar im Booklet namentlich aufgeführt). Und gerade diese intime Konzertatmosphäre ist das, was mich dann bei aller Voreingenommenheit und Engstirnigkeit doch in den Bann zieht. Die sechzehn Songs werden mit viel Leidenschaft und Herz präsentiert, dabei jagen die aus dem Leben gegriffenen Texte zusammen mit dem warmen Klang den ein oder anderen Gänsehautschauer über den Rücken. Da mir die Studioaufnahmen der Songs nicht geläufig sind, kann ich nur mutmaßen, dass die Songs in dieser Liveaufnahme doch etwas anders klingen. Denn dem Sound kommt obendrein zugute, dass Matze Rossi von seinem Freund Martin Stumpf am Kontrabass, Klavier und anderer Percussion begleitet wird. Ein weiteres persönliches Highlight für Matze dürfte der gemeinsame Auftritt mit seiner Tochter sein, beim Song Und jetzt Licht, bitte! wird Papa kräftig beim Gesang unterstützt. Hmm, und ja, bisher hab ich Soloauftritte live nur bei Olli Schulz genossen, bei Matze Rossi könnte ich mir das aber – nachdem ich mich jetzt intensiv mit diesem Album beschäftigt habe – auch ganz gut vorstellen.


Muncie Girls – „Fixed Ideals“ (Specialist Subject Records u.a.) [Stream]
Das Sonne, Mond und Sterne-Cover des zweiten Longplayers der Band aus Exeter/UK ist jetzt zwar nicht so originell, dennoch macht es im 12inch-Format was her. Es gibt übrigens drei verschiedene Pressungen (blaues und gelbes Vinyl), mein Besprechungsexemplar ist durchsichtig und mit blauen und gelben Sprenkeln übersät. Sieht echt mal geil aus, die A-Seite ist durch eine Sonne auf dem Label verziert, von der B-Seite lacht dann logischerweise der Mond. Und natürlich sind auf der Innenhülle alle Texte abgedruckt. Am Release sind neben Specialist Subject Records auch noch die Labels Buzz Records und Lost Boy Records beteiligt. Insgesamt sind 13 Songs auf Fixed Ideals zu hören. Im Vergleich zum Debutalbum kommen die Songs um einiges glattpolierter um die Ecke, in manchen Songs schleicht sich sogar ein Glockenspiel ein, vermutlich in Anlehnung an das Sonne/Mond-Thema und an die vielen schlaflosen Nächte, die Sängerin Lande Hekt wach gelegen haben muss und ihr die Gedanken durch den Kopf gegangen sind, die sie zu den Texten inspiriert haben. Und diese sind wieder sehr persönlich ausgefallen und handeln von ernsten Themen wie z.B. Schlaflosigkeit, Angststörungen, Depressionen und natürlich vom unendlichen Kampf gegen den alltäglichen Wahnsinn. Negative Gefühle gedeihen im Dunkeln besonders, deshalb ist Ablenkung mit sonniger Musik ein gutes Mittel, der scheinbar auswegslosen Situation zu entfliehen. Songs wie z.B. High oder Picture Of Health bringen diese Sonne zum leuchten, dennoch liegt dieses Wechselspiel von Nervenzusammenbruch und Lebensfreude nah beieinander. Sehr gefühlvoll kommen dabei natürlich wieder die Vocals um die Ecke, aber auch instrumental sind einige melancholische Töne zu hören, gerade die ruhigeren Passagen berühren enorm. Und letztlich fügt sich alles zu einem tollen Album zusammen, das die richtige Balance zwischen einer guten Produktion, stimmigem Songwriting und intensivem Gefühlschaos hält. Hier kommen Emo-, Pop-Punk- und Indie-Fans gleichermaßen auf ihre Kosten!


Pagan – „Black Wash“ (EVP Recordings) [Stream]
Auf diese Band bin ich letztens beim Bandcamp-Surfen gestoßen. Und irgendwie hab ich mir beim Antesten nur so gedacht: wahrscheinlich wieder so ’ne weitere Band, die auf der aktuellen Blackmetalwelle mitsurfen will. Pfff, ein umgedrehtes Kreuz mit Kerzenflamme, eigentlich geht das doch heutzutage gar nicht mehr! Kann man nur hoffen, dass die Sängerin auf der Bühne keine Fledermausköpfe abbeißt. Zutrauen könnte man es ihr, so fies wie die Frau da rumbrüllt! Jedenfalls machen Pagan aus Melbourne/Australien ziemlich arschtretenden melodischen Post-Hardcore mit groovigen Gitarren, Einflüsse aus Blackmetal, Punk, Rock, Metal, Screamo und Hardcore sind ebenfalls vorhanden. Die Gitarren jagen ein Hammerriff nach dem anderen aus dem Ärmel, dazu dieser intensive aber dennoch melodische Schreigesang. Geht gut nach vorne, geht gut ins Ohr, jeder Song ist top arrangiert, so dass die elf Songs wie im Flug und ohne den geringsten Hänger abgehört sind und man danach nach einer weiteren Runde lechzt! Wahnsinn, dabei sehen die Bandmitglieder noch ganz schön jung aus, für ein Debutalbum in der Klasse hat die Band jedenfalls schonmal stark abgeliefert. Ob an der Entstehung des Albums etwa doch dunkle Mächte beteiligt waren? Womöglich, ich bin jedenfalls schon jetzt dem Pagan-Kult verfallen!


Slumb Party – „Selftitled“ (Erste Theke Tonträger) [Stream]
Auf diese Band bin ich eigentlich nur gestoßen, weil ausnahmsweise der Facebook-Flurfunk funktioniert hat und ich einem kleinen Hinweis der längst verblichenen Band Plaids nachgegangen bin. Nach der Auflösung von Plaids sind nämlich einige neue Bands entstanden, darunter Soul Structure und eben Slumb Party. Die Band aus Nottingham/UK setzt sich aus einer Frau und vier Typen zusammen und macht ’nen super catchy Mischmasch, der so in Richtung Post-Punk geht. Dabei ist sogar ein Saxophon mit an Bord, das sich hervorragend im Sound der Briten macht und dem ganzen einen eigenen Stempel aufdrückt. Verdammt, dieses Saxophon klingt so scharf wie eine frisch geschliffene Rasierklinge. Die fünf Songs erinnern dann desöfteren an Bands wie Fugazi (der Bass, die Gitarre, die Drums und der Gesang), The Robocop Kraus oder aber auch Gang Of Four. Eins ist sicher, auf dieser Party wird bestimmt nicht geschlummert. Diese wilde Mischung würd ich ganz gern mal live sehen, das ist bestimmt sehr tanzbar und abgefahren!


 

Ghost Bag & Tine Fetz – „Selftitled“ (Adagio 830)

Wenn ihr dieses schwere Kunstwerk von 12inch in euren Pfoten halten solltet, dann wird euch richtig warm ums Herz werden, während ihr gleichzeitig vor lauter Staunen den Mund nicht mehr zubekommt und ihr schwitzende Handinnenflächen plus gerötete Bäckchen haben werdet. Wahnsinn! Das Gatefoldcover an sich ist schon ein Blickfang, der schlichte weiße Karton ist mit einem schwarzen Siebdruck im Graphic Novel/Comic-Stil ausgestattet. Im Inneren kommt dann die nächste Überraschung ans Tageslicht: ein geheftetes vierundvierzigseitiges Zine, gedruckt auf dicke, weiße DIN A4-Pappseiten. Umschlag und Zine sind von der Berliner Illustratorin und Graphic Novel-Künstlerin Tine Fetz gestaltet. Schön finde ich, dass bei diesem Release Musiker plus Künstlerin auf gleicher Augenhöhe stehen und der Name der Illustratorin auf dem Plattencover genannt wird. Hinter dem Name Ghost Bag verbirgt sich übrigens der Niederländer Nick Jongen, den man auch von den Bands Sleep Kit, I Am Oak und Baby Galaxy her kennt. Die Songs wurden vorwiegend in traditioneller Homerecording-Atmosphäre in Nicks Schlafzimmer in Maastricht aufgenommen und gemischt, für’s Mastering war mal wieder Jack Shirley/Atomic Garden zuständig.

Die Seiten des Zines sind das Resultat einer Fernbeziehung der beiden Künstler und entstanden im Dialog. Auf der einen Seite sind die nachdenklichen Songtexte zu lesen, auf der anderen Seite sorgen die auf den ersten Blick an die Songtexte angelehnten teils düsteren schwarz-weiß-Illustrationen für reichlich Stoff zum Nachdenken. Stöbert man ein wenig im Klappcover, dann entdeckt man, dass die Zeichnungen zuerst angefertigt wurden und erst dann Musik und Songtext entstanden ist. Es werden sehr viel persönliche Erinnerungen und Erfahrungen thematisiert, das geht natürlich direkt unter die Haut. Die Vergänglichkeit scheint hier ein ebenso großes Thema zu sein, wie die Tatsache des viel zu schnellen Erwachsenwerdens bzw. Alterns, selbst ferne außerirdische Galxien werden in Betracht bezogen, vermutlich durch die Lektüre des Science Fiction-Romans Solaris von Stanislaw Lem. Auf dieses Detail stößt man, wenn man die Zeichnungen genau studiert. Die Texte leben von der Beobachtung der Umgebung, sie sind auf Details fokussiert, eben genau wie die Zeichnungen.

Diese intime Atmosphäre spiegelt sich auch im reduzierten und vor sich hinplätschernden Songwriting, das sich vor allem durch lose Strukturen kennzeichnet. Die elf Songs bewegen sich vorwiegend im langsamen Tempo und wirken hypnotisch, das Schlagzeug pumpert entspannt vor sich hin, während aus der Gitarre eine gefühlvolle Akkordfolge ertönt oder auch nur einzelne Saitenklänge im Raum schweben. Dazu dringt eine warme Stimme ans Ohr, die verträumt und gefühlvoll das fehlende Stückchen ertastet, das dem Ganzen noch mehr Raum und Atmosphäre verleiht. Die Tiefe der Songs entsteht gerade weil viele Stücke nicht unmittelbar ins Ohr gehen und sich dem gängigen Songwriting á la Anfang-Refrain-Schluss völlig quer stellen. Deshalb klingt der Sound dann auch so lebendig und unvorhersehbar, obwohl das Tempo sehr einseitig ist. Das hat auch schon bei anderen Bands sehr gut funktioniert, ich denke da an diverse Mike Kinsella-Projekte wie z.B. Owls oder Owen, es kommen mir aber auch viele 90er Indie-Bands wie Sea And Cake, Bedhead, Slint oder Troy Von Balthazar in den Sinn. Man kann sich entweder voll auf das Album mit all seinen Details konzentrieren, es funktioniert aber genauso gut als Soundtrack für ein gemütliches Sonntagsfrühstück. Auf Vinyl wirkt diese Art von Musik natürlich sehr lebendig, es ist ein wahrer Genuss!

8/10

Bandcamp / Adagio830


 

No Surprising News – „Kein Ende in Sicht“ (My Name Is Jonas)

Vom positiven äußeren Erscheinungsbild mit dem Bandwurmoptik-Siebdruck der 7inch hätte ich vom Sound her mal auf Hardcore/Punk, der im Emo verwurzelt ist getippt, so etwas wie z.B. We Had A Deal. Aber dann erinnerte ich mich dunkel an ein Review, das Alessandro auf Borderline Fuckup vor einiger Zeit zur Debut-EP der One-Man-Band aus Nordrhein-Westfalen veröffentlicht hatte. Schon lustig, wie sich der Kreis immer wieder schließt. Falls ihr also verzerrte Gitarren und fieses Geschrei erwartet, dann muss ich euch zum Teil enttäuschen, denn Robert schreit sich zwar intensiv durch die vier Songs, die Gitarre bleibt aber rein akustisch.

Wenn ihr jetzt meint, die Gitarre wird nur leise gezupft, dann täuscht ihr euch aber gewaltig. Denn die mit der Gesellschaft abrechnenden Texte werden wütend und mit ein wenig Resignation in der Stimme, aber voller Herzblut vorgetragen. Während so ’ner Lagerfeuer-Session braucht der Typ sicher neben ein paar Packungen Wick-Blau-Bonbons ’nen kompletten Satz neue Gitarrensaiten, denn die Gitarre wird so heftig bearbeitet, dass Robert bestimmt niemanden finden würde, der ihm freiwillig seine eigene geliebte Klampfe für ’nen Auftritt leihen würde. Naja, vielleicht aber auch doch. Denn live wird das, was man hier auf Vinyl hören kann, sicher noch um einiges gänsehautdominierender sein. Aufgenommen und gemischt in den lala Studios klingt die Aufnahme ziemlich lebendig, da hat man das Gefühl, dass man direkt mit dem klampfespielenden und schreienden Sänger in einem Raum steht. Die Texte versteht man zwar supergut, aber das handschriftlich gedruckte Textblatt gibt beim Hören noch emotional eins mit drauf. Zudem erfährt man dort, dass bei einem Song im Hintergrund auch noch der Willy Fog-Sänger mitschreien darf. Songwriter wie z.B. der Hot Water Music-Typ, dessen Name mir gerade nicht einfallen will, nerven mich ja eher. Typen wie Perfect Youth oder Tigeryouth taugen mir da schon mehr, deshalb finde ich auch das Zeug von No Surprising News einfach authentisch, da es in eine ähnliche Richtung läuft, ohne das große Ego raushängen zu lassen. Robert macht einfach sein Ding und zieht das so durch, wie es sich für ihn am Besten anfühlt. Und das Ergebnis ist sehr sympathisch, gerade auch weil solch außergewöhnliche Musiker ohne den grenzenlosen Support durch One-Man-DIY-Labels wie dem Wiener Label My Name Is Jonas komplett in der Versenkung untergehen würden.

7/10

Facebook / Bandcamp / My Name Is Jonas