Bandsalat: I Recover, Mr Godson, Neska Lagun, The Pink Eye And Grave Danger, P.O. Box, Va Fa Napoli

I Recover – „Until I Wake Again“ (I.Corrupt Records) [Name Your Price Download]
Nach zwei sagenhaften 7inches hat die Kölner Band I Recover endlich ihr Debut-Album am Start. Insgesamt 7 Songs sind darauf zu hören. Und wer Hardcore mit einer satten DC-Emocore-Kante mag, wird das hier lieben! Die Mitglieder haben sicherlich reichlich Dischord-Platten im Regal stehen und vergöttern höchstwahrscheinlich Bands wie Verbal Assault, Lock & Key, Fuel, Dag Nasty, Embrace, One Last Wish oder Bread & Circuits. Die Gitarren sind locker aus dem Ärmel gespielt, dazu kommt ein eigensinnig polternder Bass und auf den Punkt gespielte, treibende Drums. Und natürlich der emotionale, raue Gesang. Sehr geil alles! Die Songs klingen übrigens etwas entschleunigter als auf den beiden 7inches, was der Band aber gut zu Gesicht steht. Bei der farblichen Cover-Gestaltung ist diesmal aber ein Bruch zu erkennen. Bisher setzte man auf Brauntöne, diesmal ist Farbe mit drin. Und textlich gibt’s natürlich auch Food For Thought, hier sind sehr viel persönliche Gedanken verarbeitet. Gefällt auf ganzer Linie!


Mr Godson – „Drink My Words“ (Q-Sec) [Stream]
Spritzig und melodisch kommt der Emo-Punk der französischen Band Mr Godson auf der neuen EP des Quartetts rüber. Macht richtig gute Laune und erinnert an Bands wie The Marshes, The Anniversary (die manchmal eingesetzten Synthies), Bad Trip, Lungfish oder Brand New Unit. Die Gitarren haben immer schöne whiny Riffs am Start, der Sänger packt viel Gefühl in seine Stimme und überhaupt gefällt die raue, aber klare Produktion. Sechs leidenschaftliche und spielfreudige Hits, die auch gern um die Jahrtausendwende herum entstanden sein könnten.


Neska Lagun – „caos​:​calma“ (I.Corrupt Records) [Stream]
Das zweite Album der Berliner Band Neska Lagun setzt das fort, was schon auf dem 2019er-Debutalbum Fluchtpunkt faszinierte. Diesmal sind es neun Songs, die an Intensität, Atmosphäre, Schmerz, Dramatik, meterhohen Soundwänden, Poesie, Melancholie und unterschwelligen Melodien kaum zu toppen sind. Die Songarrangements sind stimmig, die Schreistimme verzweifelt und zerbricht am Schmerz dieser Welt. Die Lyrics werden wieder abwechselnd in deutscher und spanischer Sprache vorgetragen. Es lässt sich jedenfalls tief eintauchen und es gibt viel zu entdecken. Und wie immer gilt, solche Alben sollten immer am Stück angehört werden, denn da entfaltet sich die Wirkung am Besten! caos​:​calma dürfte für einige Post-Hardcore/Screamo-Fans ein gefundenes Fressen sein!


The Pink Eye And Grave Danger – „Guesstimate“ (DIY) [Name Your Price Download]
Ein bisschen Grunge, etwas Noise, eine Portion 90’s-Indie-Gitarrenrock und heruntergestimmte Desert-Rock-Gitarren, so in etwa sollte man sich den Sound der norwegischen Band The Pink Eye And Grave Danger in etwa vorstellen. Jedenfalls grooven der Bass und die Drums ordentlich und auch der Rest geht bestens klar. Nicht umsonst gibt die Band Einflüsse wie z.B. Smashing Pumpkins, Weezer, Dinosaur Jr., Soundgarden und Queens Of The Stone Age an, ich entdecke zudem Einflüsse wie die Melvins oder Alice In Chains. Insgesamt gibt’s zehn Songs auf die Ohren, hört doch mal rein!


P.O. Box – „Spaceavailable“ (KROD Records u.a.) [Stream]
Ska-Punk ist ja so ein Genre, mit dem man mich jagen kann. Umso überraschter war ich, als ich aufgrund der Besprechungsanfrage mal in das neue Album der französischen Band P.O. Box reinhörte und direkt kleben blieb. Aha, die sechs Franzosen sind auch bereits seit 22 Jahren mit ihrer Kapelle unterwegs und haben in der Zeit natürlich einiges an Touren durch alle möglichen Länder gespielt und sind daher logischerweise ein eingespieltes Team. Den vierzehn Songs merkt man jedenfalls die Spielfreude und die immer noch heiß lodernde Leidenschaft an. Die Songs sind melodisch und gehen direkt ins Ohr, dazu geht es schön rotzig nach vorn, ein bisschen Hardcorepunk ist hier ebenfalls mit von der Partie. Würde mich live wahrscheinlich zu einem Tänzchen überreden lassen! Mir gefallen auch die Chöre und die zweite Schreistimme, die immer mal wieder die nötige Portion Rotz mit reinbringt. Und ja, die Bläser sind sogar für mich zu ertragen! Also, gebt euch einen Ruck und hört da rein!


Va Fa Napoli – „Selftitled“ (DIY) [Name Your Price Download]
Die relativ neue Band Va Fa Napoli kommt aus Wien, klingt aber vom Sound her, als ob sie aus dem Mittleren Westen in den Mid90’s kämen, Bands wie Cap’n Jazz, Snowing, Algernon Cadwallader, Mineral oder Braid sind sicherlich große Einflüsse. Die vier Bandmitglieder tummeln sich auch schon länger in der Szene, Bands wie Lorraine oder Unable To Fully Embrace This Happiness machten sich bereits einen Namen, außerdem organisiert Bandmember Jonas mit seinem DIY-Label My Name Is Jonas schon seit Ewigkeiten DIY-Shows in Wien. Wenn ihr also straightem Midwest-Emo-Punk nicht abgeneigt seid, dann solltet ihr hier mal definitiv ein Ohr riskieren. Die Songs kommen ohne Schnörkel schön geradeaus, dabei sprudeln die Gitarren schrammelig vor sich hin, während der Rhythmus immer schön treibend ist und es größtenteils melodisch bleibt. Der Gesang ist teils mehrstimmig und in höherer Tonlage, was dem Ganzen noch zusätzlich Charme verleiht. Wenn ihr US-Bands wie Braid, Snowing oder europäische Bands wie Sport, Rollergirls, Riviera oder I Love Your Lifestyle mögt, dann ist Va Fa Napoli genau das Richtige für euch!


Bandsalat: El Mariachi, Fine And Great, Kid Dad, Masada, Rauchen, Suntile

El Mariachi – „Crux“ (Sabotage Records) [Stream]
Kurze Pause von irgendwas um die zwölf Jahre und weiter geht’s in voller Frische mit El Mariachi! Und ja, die Jungs haben es immer noch verdammt drauf, hier können sich alle deutschsprachigen Bands ’ne Scheibe von abschneiden! Diese genial verwobenen und freidrehenden Emopunk-Gitarren sind so schön emotional und locker aus dem Ärmel rausgespielt! Und diese tollen Texte, die die ganze momentane Misere mit wenigen intelligenten Worten auf den Punkt bringen! Bin verdammt verliebt. Das hier verbindet deutsche Bands wie Captain Planet oder Düsenjäger mit US-Emocore-Bands wie beispielsweise None Left Standing , Dag Nasty oder frühe Boy Sets Fire. Ich bin mit diesem Release wirklich sehr glücklich!


Fine And Great – „How To Survive By Getting By“ (Midsummer Records) [Stream]
Hey ho! Digi-Pop-Punx aufgepasst. Wenn ihr einen gesunden Hang zu lo-fi-Proberaumaufnahmen habt und den Music-Master-affinen Kumpels eurer Idole vertraut, dann kommt sowas wie hier dabei raus! Bei den fünf Songs der Band Fine And Great aus München hört man, dass das Trio enorm viel Spaß beim Vortragen seiner Musik hat, trotzdem ist die Produktion etwas trashig. Ich mag es gern, wenn mal was nicht ganz so glattgebügelt klingt. Die musikalischen Vorbilder reichen bei Fine And Great von den Get Up Kids über Iron Chick bis hin zu The Anniversary. Die hatten aber irgendwelche genialen Freaks an den Soundreglern sitzen. Egal! Genial kommen z.B. die gemischten female/male-Vocals rüber, das Demo-Proberaum-Mastering gefällt mir wie gesagt ebenso gut wie das emotionale Wechsel-Geschrei, Going Nowhere ist so intensiv, dass es einen Ehrenplatz auf meiner nächsten Friendz-Compilation bekommen wird!


Kid Dad – „Bloom“ (Long Branch Records) [Stream]
Kid Dads Debutalbum In A Box läuft ja bei mir immer noch von Zeit zu Zeit, deshalb freue ich mich natürlich umso mehr über neuen Stoff der Band, diesmal in Form einer fünf Songs starken EP. Auch wenn diese Songs den Post-Hardcore-Neo-Grunge-Faktor zugunsten des hohen Indie-Pop-Anteils zurückschrauben, holen sie mich direkt bei der ersten Hörrunde ab und lassen mich süchtig das Ding in Dauerschleife packen! Was man aus allen fünf Stücken heraus hört, sind von Selbstzweifel zerfressene Gefühlsausbrüche, der Emo-Anteil ist enorm hoch. Locker und leichtfüßig klingende Gitarren werden mit Synths und tollen Basslines untermalt, die Drums sind an den druckvollen Stellen kräftig gebolzt, an den leisen Stellen nehmen sie sich taktvoll zurück. Und dann dieser sehnsüchtig wehleidige Gesang! Ich finde, diese im Vergleich zum Debut etwas softere Grundstimmung steht den Jungs sehr gut zu Gesicht! Bin gespannt, was da noch so alles kommt!


Masada – „II“ (i.corrupt Records) [Name Your Price Download]
Ist das Masada-Debut-Album für mich immer noch präsent? Au Backe, verdammt ja! Und die Band aus Erlangen kann mich auch mit dem zweiten Longplayer abholen, auch wenn ich diesmal nur digital bemustert wurde! Auf Vinyl klingt das sicher um Längen besser, Screamo-Fans werden sich das Ding eh sichern. Oder es steht sowieso schon im Regal! Das Artwork überspring ich jetzt mal, digital kann ich da eher nix fühlen. Dann also zum Sound: Beim ersten Hördurchlauf blieb ich direkt beim Song To Rest stecken: erst erinnerte das emotionale Riff in der Mitte an ’nen Appleseed Cast-Song (Marigold?), dann kamen die Pixies um die Ecke. Appleseed Cast sind auch noch bei anderen Songs ein Thema für mich. Und mit dem Rest der Songs geht es mir gleich! Überall sind Musik-Fetzen aus meinem bisherigen Leben zu hören, das sehr viel im Emo/Post-Hardcore/Screamo verankert ist. Sehr schönes und kurzweiliges Album!


Rauchen – „Nein“ (Zeitstrafe) [Stream]
Ich versuch’s mal in etwa zu erklären: Die Hamburger Band Rauchen hat einige (genau genommen zwölf Songs) aufgenommen, die auf drei EP’s erscheinen und letztlich eigentlich ein ganzes Album sind. Hä? Eigentlich einfach: Zwölf durch vier ergibt halt drei! Trotzdem ungewöhnlich! Noch verstörender und wie ein fieser Drogentraum wirkend sind die Songs an sich. Die ersten vier Songs gehen in Richtung Noise, Post-Punk und etwas New Wave. Übersteuerte, tief gestimmte und grimmige Bassriffs bilden zusammen mit böse dröhnenden Drums das kalte Grundgerüst, dissonante und verloren wirkende Gitarren schwirren wie entweichende Seelen aus gerade sterbenden Junkie-Körpern durch die Lüfte. Um es noch düsterer und frostiger zu gestalten, kommen monoton gesprochene female Vocals zwischen Bands wie den grungigen Hole und den NDW-mässigen Ideal zum Einsatz. Bei den nächsten vier Songs kommt ein kleiner Stilwechsel, hier werden die schnarchnasigen New Wave-Gothics mit ihrem bück-Dich-nach-dem-Pfennigstück-Tanz brutal von der Tanzfläche gepogt! Vier Powerviolence-getränkte Songs smashen Dich mit blutiger Nase und inneren Verletzungen vom Dancefloor! Scheiße, vier Songs in etwas über fünf Minuten! Die vier Songs danach gehen wieder in die wavige Post-Punk-Richtung! Ich liebe diese Band! Diese spooky Sounds bei Schlüsselkind sind echt der Wahnsinn! Da kriegste echt mal Angst! Obendrein sind die in deutscher Sprache vorgetragenen Texte der absolute Hammer, hier wird der Nagel so präzise auf den Kopf getroffen. So geht wohl deutscher Punk anno 2021, würd ich mal so nebenbei anmerken!


Suntile – „In A Dream“ (Know Hope Records) [Stream]
Nach einer EP steht das Debut-Album der Band aus New Jersey, Pennsylvania in den Startlöchern. Geboten wird zehn Mal fetziger Neogrunge/Emo mit ordentlichen Hooks, v.a. die dicken und spacigen Gitarren und die präzise und kraftvoll gespielten Drums und dem vorantreibenden Bass reißen hier einiges! Natürlich geht auch der Gesang gut ins Ohr, es wird an keiner Stelle langweilig! Auch textlich geht es sehr emotional zur Sache, ein Thema ist beispielsweise der Verlust eines geliebten Menschen. Wenn ihr Zeugs wie Citizen, Turnover oder Basement mögt, dann sind Suntile genau das Richtige für euch!


Bandsalat: Donots, Eleanora, Less Than Jake, Minerva Superduty, One Dying Wish, Red City Radio, Under Glass, We Too Will Fade

Donots – „Birthday Slams Live“ (Solitary Man Records) [Video]
Live-Alben machen hin und wieder doch Sinn, ich erinnere an das letztens besprochene Live-Tape der Band Kalt, das zwar einen rauen Sound hat, aber sehr viel Emotion und Energie rüberkommen lässt. Der Sound auf dem Doppel-Live-Album der Donots kommt im Vergleich dazu natürlich um einiges fetter und sauberer abgemischt rüber, aber dennoch hört man den Aufnahmen den Schweiß, die Freude und den Spaß an dem, was vor, auf und hinter der Bühne passiert, ganz genau an. Eigentlich kaum zu glauben, dass eine der umtriebigsten Live-Bands Deutschlands erst nach 25 Jahren ein Live-Album veröffentlicht. Eigentlich auch von der Idee her absolut stimmig, wurde das Ding bewusst in einer Zeit rausgehauen, in der ungewiss ist, wann mal wieder ein echtes Konzert stattfinden kann. Parallel zum Album läuft übrigens eine Crew-Support-Aktion für die Leute hinter den Kulissen, die in diesen Zeiten um ihre Existenz bangen. Tolle Sache! Ich muss zugeben, dass sich meine Live-Erlebnisse mit den Donots auf die ersten Bandjahre beschränken. Hab gerade im persönlichen Flyer-Archiv gespickelt und dabei ein paar Shows entdeckt, die von der Größenordnung noch in einem wesentlich kleineren Rahmen stattgefunden haben. Damals spielten die Jungs im Vorprogramm von Bands wie Samiam, Beatsteaks oder Errortype:11, heutzutage füllen sie alleine ganze Hallen. Von der Soundauswahl werden hier natürlich alle großen Hits geboten. Was mir an den Donots bisher nie aufgefallen ist, ist der leicht nasale Gesang an manchen Stellen. Mir liegt die fette und signierte Digi-Pack-Doppel-CD vor, es gibt aber verschiedene Varianten, u.a. eine Dreifach-Vinyl-Box-Set. Schön wäre es natürlich gewesen, wenn man neben dem Ton noch Videomaterial mitbekommen hätte. Trotzdem ist das hier ein sympathisches Release, das nicht nur eingefleischten Fans gefallen dürfte.


Eleanora – „Mere“ (Consouling Sounds) [Stream]
Schon auf dem Debutalbum der belgischen Band attestierte ich den Jungs eine apokalyptische Brachialität, vier Jahre später schieben die Jungs das zweite Album nach. Und das passt vom düsteren Sound hervorragend in die momentan herrschende Katastrophe. Die Mischung aus Hardcore, Screamo, Post-Hardcore, Sludge und Doom hat auf der einen Seite diese unbändige Power, auf der anderen Seite ist aber eine tiefe emotionale Seite zu spüren. Das kommt zum einen von den flirrenden und unterschwellig melodischen Gitarren, zum anderen transportiert das durchdringenden Geschrei des Sängers die pure Verzweiflung und massig Seelenschmerz. Wer auf Bands wie Amenra, Converge, Children Of Fall/Serene, Envy oder Cult Of Luna abfährt, könnte auch an Eleanora Gefallen finden.


Less Tank Jake – „Silver Linings“ (Pure Noise Records) [Stream]
Obwohl ich mich nicht zu den Fans der 1992 gegründeten Band aus Gainesville zähle und auch keinen einzigen Tonträger der Jungs besitze (außer diesen hier jetzt), konnte ich mich bereits mehrfach von den hervorragenden Live-Qualitäten der Jungs überzeugen. Nun denn, auch wenn man wie ich Ska-Punk eher skeptischer gegenüber steht, sollte man Silver Linings unbedingt eine Chance geben. Mich hat das Album direkt beim ersten Durchlauf in eine sonnige Laune versetzt. Man holt sich echt den Sommer in die Bude und vergisst für 36 Minuten mal kurz den ganzen Wahnsinn da draußen, wirklich wahr! Die Band klingt auf ihre alten Tage frisch und knackig, dabei wird mit zahlreichen catchy Parts nur so um sich geschmissen. Mal geht es flott zur Sache, mal wird schön im Midtempo gegroovt und irgendwie klingt alles extrem gut durchdacht und stimmig, langweilig wird es jedenfalls nie. Und immer wieder ertappt man sich dabei, wie ein Füßchen mitwippt. Die Bläser setzen an den richtigen Stellen ein, die Refrains gehen gut ins Ohr und der neue Drummer macht seine Sache auch perfekt. Soll das Gebilde auf dem Cover eigentlich ein Komet sein? Zum Albumtitel würde es ja ganz gut passen. Naja, egal! Jedenfalls merke ich mit jedem weiteren Durchlauf, dass dieses Album immer noch ein bisschen einen drauf setzt und wächst. Und was super ist: die gute Laune geht trotzdem nicht flöten! Dieser Stimmungsaufheller wird in den nächsten Monaten sicher noch öfters seinen Weg in den CD-Schacht finden!


Minerva Superduty – „In Public“ (Yetagain u.a.) [Stream]
Seit 2011 ist die Band aus Griechenland unterwegs, mittlerweile leben die Bandmitglieder in verschiedenen Teilen Griechenlands. Das dritte Album wurde daher in Athen und Kalamata aufgenommen und erschien in Zusammenarbeit der Labels Yetagain, Body Blows records, Sweetohm recordings, Bright Future, Vault Relics und 5FeetUnder Records. Und es ist ein richtig geiles Ding geworden. Grob kann man das Album unter Post-Hardcore einordnen, dazu gesellen sich Screamo, Chaos-Core und Melodic Hardcore. Mal geht es straight nach vorne, dann gibt es pfefferscharfe Riffs zu hören, die einfach nur alles wegblasen, dissonante Gitarrenspuren sind auch zu hören, dazu gibt es eine emotionale Tiefe zu spüren. Und dann dieser Schlagzeuger, ein wilder Hund! Mich erinnert der Sound ein bisschen an eine Mischung aus At The Drive In, Converge, United Nations, Touché Amore und frühe Stretch Arm Strong. Von der Intensität und Spielfreude her ist das Album ein richtiger Kracher mit acht saustarken Songs in 22 Minuten! Nach der 12inch muss ich unbedingt Ausschau halten!


One Dying Wish – „Origami“ (I.Corrupt.Records) [Name Your Price Download]
Die aus Turin/Italien stammende Band One Dying Wish kommt mit ihrem zweiten Release um die Ecke und lässt mir die Spucke wegbleiben! Oh ja, ich könnte mich in den Sound förmlich reinsetzen! Insgesamt sechs Songs sind auf Origami enthalten und es geht in Richtung Screamo/Post-Hardcore. Wundervolle Gitarren, mal stark verzerrt, mal nicht so verzerrt, manchmal auch clean treffen auf hektisches Getrommel, dazu gibt es gescreamte und gesprochene Vocals in italienischer Sprache, alles sehr intensiv und stimmig arrangiert. Fans von Bands wie Raein, La Quite, Ojne oder Serene/Children Of Fall werden hier voll auf ihre Kosten kommen! Ich liebe das hier!


Red City Radio – „Paradise“ (Pure Noise Records) [Stream]
Den HWM-lastigen und nach vorne gehenden Punkrock der ersten Jahre hat die Band aus Oklahoma größtenteils hinter sich gelassen, das war mein erster Höreindruck des neuen und mittlerweile vierten Albums. Das Ganze ist ziemlich massentauglich geworden. Neben Punkrock gibt’s haufenweise oldschool Rock’n’Roll und sogar etwas Stadion-Rock zu hören. Vieles geht direkt ins Ohr, 100.000 Candles ist beispielsweise so ein Kandidat. Mitgröhl-Hymnen finden sich jedenfalls einige, zudem kommt die melancholische Seite auch nicht zu kurz. Irgendwie bekommt man im Verlauf des Albums den Eindruck, dass die Jungs viel leichtfüßiger und fröhlicher wirken, den Spaß an der Sache kann man jedenfalls deutlich hören. Die Palette an Bandvergleichen reicht dabei von Zeugs wie Tom Petty, Bruce Springsteen, Thin Lizzy bis hin zu Samiam oder den Beatsteaks. Textlich beschäftigen sich die Jungs mit persönlichem Seelenkram, dazu passt auch das im meditativen New Age-Stil daherkommende und äußerst symbolreiche Albumartwork. Neben dem mir vorliegenden handlichen Digipack gibt’s das Album natürlich auch auf Vinyl. Also, mir gefällt dieser neue Stil zwar nicht so gut wie das Zeug aus der Anfangsphase, aber es wirkt sehr viel lebendiger und pfiffiger als die letzten Sachen der Band und klingt dadurch einen ganzen Ticken interessanter. Also, ich mag’s!


Under Glass – „Collapse This Path Of Existence“ (Middle Man Records) [Name Your Price Download]
Sobald die dissonant angehauchten Gitarren zusammen mit dem polternden Bass und den pfeffernden Drums ertönen, werde ich hellhörig! Der ruppige und raue Sound wird durch fiese, extrem Angst machende Schrei- und Kreischvocals vervollständigt. Die Mischung aus Hardcore, Emocore, Emoviolence und Screamo klingt jedenfalls schön abgefuckt und dystopisch und dürfte Leuten gefallen, die knifflige Mathe-Aufgaben bei einer Geräuschkulisse von Bands wie Usurp Synapse, Majority Rule, Combatwoundedveteran oder Jeromes Dream mit Bravour lösen. Fünf böse Songs!


We Too, Will Fade – „Everything Falls Apart As It Should“ (Midsummer Records) [Stream]
Der Sound der Münchener Band konnte mich bereits auf ihrer im letzten Jahr erschienenen Debut-EP überzeugen. Jetzt legen die Jungs ihre zweite EP vor. Es sind zwar nur drei Songs, diese bringen es aber auf eine Spielzeit von zehn Minuten. Und sie machen extrem hungrig auf mehr Stoff. Denn geboten wird eine mitreißende Melange aus Post-Hardcore, Melodic Hardcore, Post-Rock und gar etwas Black-Metal. Jedenfalls passiert im Verlauf der zehn Minuten so einiges, was mich zufrieden grinsen lässt. Messerscharfe Gitarren treffen auf wuchtig groovende Drums, eine gewisse Melancholie und Verzweiflung ist dem Sound ebenfalls anzuhören. Und das nicht nur in seinen ruhigen oder atmosphärischen Momenten. Die Songarrangements sind ausgeklügelt und sitzen perfekt, die unterschwelligen Melodien passen genauso wie die Vertracktheit an manchen Stellen. Und betrachtet man die drei Songs in ihrer Gesamtheit, dann klingen sie so, als ob sie miteinander verwoben wären. Vom zwischen der Debut EP und dieser hier stattfindenden Line-Up-Wechsel hätte ich jetzt gar nicht Notiz genommen, wenn ich nicht noch kurz in den Pressezettel gespickelt hätte. Fans von Bands wie We Never Learned To Live, The Tidal Sleep oder State Faults sollten We Too, Will Fade mal schleunigst anchecken!


 

Shakers – „I Need You To Know“ (Konglomerat Kollektiv) [Name Your Price Download]

Nach der sagenhaften La Petite Mort/Little Death-12inch, die dank der doofen Corona-Krise und den dadurch fehlenden Distro-Kisten leider immer noch nicht meiner bescheidenen Plattensammlung beiwohnen darf, haut das ziemlich neue DIY-Label Konglomerat Kollektiv die zweite Hammer-Veröffentlichung in Folge raus, in Zusammenarbeit der Labels I.Corrupt.Records, La Agonia de Vivir, Saltamarges, La Soja und Unlock Yourself Records! Und irgendwie hab ich gerade das Gefühl, dass hier ein neues DIY-Label mit ganz viel Liebe und Herzblut am heranwachsen ist! Shakers? Aber Hallo! Die vier Songs der Debut-7inch der Wiesbadener Band, die über mein geliebtes Herzlabel lifeisafunnything erschien, brauchten ürigens drei Jahre, bis sie auf Vinyl gepresst wurden. Ich als alter Spinnebeinzähler kann mich täuschen, aber irgendwie hab ich im Hinterkopf, dass die Band damals in der Besprechungsanfrage versprach, dass die nächste Veröffentlichung nicht allzulange auf sich warten lassen würde. Naja, drei Jahre ist das jetzt her, ist ja eigentlich schon noch so halbwegs just in time, vielleicht arbeiten die Jungs auf einen konstanten 3-er-Veröffentlichungsrhythmus hin.

Und wenn das Ergebnis diese elf Songs sind, dann hat sich das Warten absolut gelohnt! Wie kann man jemandem beschreiben, was auf diesem Album passieren wird? Nun, es hat viel mit Gefühl, intensiver Spielfreude und menschlichem Gespür für ausgeklügelte und stimmige Songstrukturen zu tun, das werdet ihr alle schon nach ein paar Minuten des Hörens merken. Dass die Wiesbadener sicher einige Touché Amoré, Loma Prieta, Comadre oder frühe Pianos Become The Teeth-Platten im Schrank stehen haben, lässt sich wohl kaum bestreiten. Dennoch wäre es unfair zu behaupten, dass hier nur kopiert wurde. Denn Shakers reichern ihren screamolastigen Sound mit etlichen Stilelementen aus Post-Hardcore, Punk, Shoegaze und etwas Post-Rock an, zudem strotzt der Sound vor Energie und Intensität.

Wuselige Drums, knarzende Bass-Lines und locker aus dem Ärmel geschüttelte Gitarren bilden die Grundlage, dazu kommen schmerzerfüllte und leidende Vocals, auch die Texte mit persönlicher Note wissen zu überzeugen. Es brodelt an allen Ecken und Enden, permanent wird Spannung erzeugt, die sich in einem lauten Knall entlädt. Wunderschön gelungen sind auch die immer wieder unerwarteten Wendungen, die das Ganze noch spannender machen. Und bei all der Melancholie und den vielen Rhythmuswechseln darf natürlich auch die Melodie und die Eingängigkeit nicht fehlen. Diese elf Songs haben mein Herz im Sturm erobert! Zeitlos gut!

9/10

Facebook / Bandcamp / Konglomerat Kollektiv


 

Bandsalat: Albatros, Anorak., Auszenseiter, Carrion Spring, CLEARxCUT, Elle, Hundreds Of AU, Secret Smoker, Senza, State Faults

Albatros – „Futile“ (zilpzalp records u.a.) [Stream]
Die Band aus Quebec/Kanada überzeugte mich bereits mit ihren bisherigen Releases. Und ja, das im Juni erschienene Album hat mich auch vom ersten Ton an wieder am Kragen gepackt. Bei Albatros ist es einfach dieses unkontrollierbare Chaos, das ziemlich beeindruckend ist. Da werden messerscharfe Gitarren, verzweifeltes Geschrei, wildes Getrommel zusammen mit melodischen Bläsern gepaart. Ziemlich einzigartig, natürlich mit hohem Wiedererkennungswert. Das Ganze klingt wirklich so, als würde ’ne Screamo-Band zusammen mit ’ner Lumpen/Guggenkapelle musizieren.


Anorak. – „Sleep Well“ (Uncle M) [Video]
Beim zweiten Album der Kölner Band Anorak. lohnt es sich unbedingt, mal genauer hinzuhören. Beim ersten Durchlauf war ich noch nicht so richtig angefixt und nahm die Songs eher etwas oberflächlich wahr. Aber jede weitere Hörrunde öffnete mir mehr und mehr die Augen und ließ mich die wahre Schönheit dieser elf Songs erkennen. Anhand der bisherigen Releases kann man der Band jedenfalls eine gewisse Weiterentwicklung ihres Sounds attestieren, auf Sleep Well klingen die Kölner viel eigenständiger als noch auf ihrem Debut. Ausgeklügelte Songarrangements, tolle Melodien mit Hang zur Melancholie, experimentierfreudige Tonspielereien und die nötige Portion Herzblut machen das Album zu einem wahren Leckerbissen in Sachen Post-Hardcore, Emo, gediegenem Screamo und Post-Rock.


Auszenseiter – „Misère“ (I.Corrupt Records u.a.) [Name Your Price Download]
Irgendwie hab ich ja immer gehofft, dass mir das Debutalbum der Band aus Nordrhein-Westfalen von irgendjemandem zugespielt werden würde, weshalb ich eine Besprechung immer wieder nach hinten geschoben habe. Nun, länger sollte ich jetzt nicht mehr warten, denn dieses Album verdient Aufmerksamkeit! Auszenseiter konnten bei mir ja schon auf ihrem Split-Release mit Marais ordentlich punkten, mit Misère steigert die Band das nochmal um einige Bonuspunkte. Die zehn Songs dürften nämlich so ziemlich zum Besten gehören, was man im deutschsprachigen Hardcore-Punk, Screamo und Post-Hardcore-Bereich im Jahr 2019 zu hören bekommen hat. Was den Jungs sehr gut zu Gesicht steht, ist die ausgewogene Balance zwischen angepisstem, hemmungslosem Geballer und abgebremsten bis hin zu ruhigen Momenten reichenden Soundpassagen. Vertonte Verzweiflung könnte nicht besser klingen! Die raue und kantige Produktion (Tonmeisterei mal wieder) und die nachdenklich stimmenden Texte unterstreichen dies zusätzlich. Alles vom Feinsten hier!


Carrion Spring – „Selftitled“ (Zegema Beach Records) [Stream]
Ein richtig fieser Batzen Dreck wird euch mit dem neuesten Output der Band Carrion Spring ins Gesicht geschleudert! Falls ich das richtig verstanden habe, dann handelt es sich bei diesen dreizehn Songs um die finalen Aufnahmen der Band aus Portland, Oregon. Und die haben ordentlich Pfeffer im Hintern, wie schon erwähnt. Euch erwartet ein wahnsinniges Gebräu aus messerscharfen Gitarrenriffs, melancholischer Verzweiflung, charismatischen Schrei-Vocals und schierem Noise-Chaos. Und über all das legt sich dieser Killer-Groove drüber! Wenn ihr euch das Ding in voll aufgedrehter Lautstärke gebt, dann garantiere ich für nix! Dieses Album ist die absolute Wucht!


CLEARxCUT – „For The Wild At Heart Kept In Cages“ (Catalyst Records) [Name Your Price Download]
Irgendwann auf Bandcamp entdeckt und sofort begeistert hängen geblieben: CLEARxCUT aus München machen herrlich altmodischen Vegan Straight Edge Hardcore. Melodisch, mit wunderbar moshigen Gitarren geht der Sound schön treibend nach vorn. Ich steh total auf die Stimmen der zwei Damen, die sich die Gesangsparts aufteilen! Schön wütend und rau herausgepresst! Erinnert mich vom Sound her total an die österreichische Band Hope Dies Last, die waren um die Jahrtausendwende herum aktiv und zählen auch heute noch zu meinen Faves, Gather kommen auch noch in den Sinn. Wie zu erwarten lesen sich die Texte kämpferisch. Man könnte sich nur wünschen, dass sich mehr Menschen ähnliche Gedanken über den Zustand unserer Erde machen würden. Die angesprochenen Themen reichen von Gesellschaftskritik über Tierrechte, dem Kampf gegen das Patriarchat und Konsumkritik. Ach ja, meine kleine Internetrecherche hat ergeben, dass hier Leute von Heaven Shall Burn, King Apathy und Implore mit an Bord sind. In Sachen Straight Edge anno 2019 haben mich zusammen mit dieser EP nur noch die Releases der Bands Sunstroke und Remission ähnlich begeistert! Sehr geile EP!


Elle – „…“ (DIY/Zegema Beach Records) [Stream]
Fans von Beau Navire und Loma Prieta wissen sicher von der Band Elle, die eben Mitglieder beider Kapellen in ihren Reihen hat. Das Quartett steht für ziemlich emotionsgeladenen und intensiven Screamo, eben im Stil der bereits genannten Bands. Das aktuelle und im August erschienene Album ist jedoch alles andere, als nur eine Kopie des altbewährten Sounds. Hört euch nur mal den wahnsinnig intensiven Song Throes an, der ist einfach der absolute Hammer! Und auch der Rest ist nicht zu verachten: bei all der Verzweiflung und Dramatik werden immer wieder unterschwellige Melodien aus der Krachorgie herausgespült, zudem faszinieren die hypnotisch wirkenden leisen Passagen, teilweise kann man sogar ein Piano raushören. Für die wuchtige und dreckige Produktion durfte mal wieder Jack Shirley/Atomic Garden an den Knöpfchen drehen. Verdammt intensives Album, für emotive Screamo-Fans absolut zu empfehlen!


Hundreds Of AU – „Mission Priorities On Launch“ (zilpzalp records u.a.) [Name Your Price Download]
Aaaaaarrgggghhh! Ha, so wollte ich schon immer mal ’nen Text beginnen lassen! Passt jedenfalls bestens zum zweiten Album der Band aus New Jersey. Denn das perfekte Schlachtfeld hier eignet sich hervorragend dazu, solche Todesschreie auszustoßen. Die vier Jungs zünden hier nämlich ein atemberaubendes Feuerwerk und schlagen dabei mit riesigen Äxten morsche Zombie-Köpfe ein. Der Opener beginnt mit einer fiesen Rückkopplung und dann setzt auch schon das Massaker ein. Eine höllische Soundwand wird innerhalb weniger Sekunden hochgezogen. Auch wenn es irgendwie so aussieht, dass hier alles zusammengematscht ist, entdeckt man die eigentlich saubere und satte Produktion, zudem dringen immer wieder melodische Untertöne an die Oberfläche. Die Gitarren sind auch dann klar auszumachen, wenn sie fast vom wilden Getrommel und vom klagenden Geschrei übertönt werden. Die absolute Macht! Im Verlaufe der neun Songs kommen aber auch immer wieder „ruhigere“ Momente ins Spiel. Mission Priorities On Launch ist jedenfalls ein hoch emotionales und sehr intensives Werk, das man keinesfalls verpassen sollte. Schönes Artwork, sieht auf Vinyl sicher toll aus! Kommt man nicht dran vorbei, wenn man auf emotive Screamo mit Post-Hardcore-, Crust-und Emoviolence-Einflüssen steht. Unfassbar geiles Album!


Secret Smoker – „Dark Clouds“ (Belladonna Records) [Stream]
Schon Secret Smokers Debut Terminal Architecture gefiel mir ziemlich gut und auch die zweite Full Length der Band aus Baton Rouge, Louisiana kann ich allen da draußen empfehlen, die auf intensiven, oldschooligen 90’s Emocore/Post-Hardcore stehen. Insgesamt zwölf Songs sind darauf zu hören. Die Band hat es drauf, mit kreisenden Gitarren, dynamischen Drums und polternden Bassläufen zu hypnotisieren. Und über allem schwebt dieses verzweifelte und leidgeplagte Geschrei. Wenn ihr Bands wie z.B. Policy Of 3, City Of Caterpillar, Garden Variety oder Native Nod zu euren Faves zählt, dann könntet ihr auch an Secret Smoker Gefallen finden.


Senza – „Even a Worm Will Turn“ (Zegema Beach Records) [Name Your Price Download]
Wenn ihr auf richtig fiesen emotive Screamo mit Hang zu Emoviolence und Schnappschildkrötenvocals stehen solltet und Bands wie z.B. 60659-c oder Nayru was abgewinnen könnt, dann dürfte die erste Full Length der Band Senza ein gefundenes Fressen für euch sein. Hier geht es mit zwölf Songs richtig geil zur Sache, da wird die Bude klein gehackt, die Gitarren geschreddert, Rotz und Wasser geheult! Wildes, arhythmisches Getrommel trifft auf sägende Gitarren, mit leise/laut wird auch mal gespielt, der schiere Wahnsinn (z.B. bei Swarm) scheint hinter jeder Ecke zu lauern! Psychotischer Krach, der noch teuflischer als Blackmetal wirkt! Muss man gehört haben!


State Faults – „Clairvoyant“ (Dog Knights Productions u.a.) [Stream]
Was freute ich mich ein Loch in den Bauch, als State Faults nach einer sechsjährigen Pause zurück auf den Bildschirm kamen und dazu noch ein ganzes Album im Gepäck hatten. Die Platte erschien irgendwann im Sommer und irgendwie kam es so weit, dass der Stapel an physischen Bemusterungen immer größer wurde und ich kaum Zeit zu schreiben hatte. Deshalb blieben ein paar Releases auf der Strecke, von denen ich annahm, dass ihr sie sowieso auf dem Schirm habt. Außerdem ärgere ich mich jetzt noch, dass ich so ’ne Lusche bin und mich nicht zum Fluff Festival aufraffen konnte. Denn da legten State Faults laut Augenzeugenberichten und ein paar Youtube-Livevideos einen beeindruckenden Auftritt hin. Außerdem hab ich’s auch nicht auf die Reihe bekommen, mir das Album auf Vinyl zu besorgen. Eigentlich total daneben, denn Clairvoyant schafft es locker in die Jahresbestenliste. Das Ding ist eigentlich schon jetzt ein Meilenstein in Sachen Post-Hardcore/Screamo mit Post-Rock-Verweisen. Hier passt einfach alles: Intensiv, herzzerreißend, bittersüß, spirituell, beeindruckend, dazu stimmt auch noch die Message. Immer wieder wird man von den sich auftürmenden Gitarren und dem verzweifelten Schreigesang Jonny Andrews gefangen genommen. Falls irgendjemand von euch Post-Hardcore-Fans State Faults noch nicht kennen sollte, dann checkt das hier unbedingt an!


 

 

Jet Black – „L’Ère Du Vide“ (I.CORRUPT.RECORDS)

Als mich neulich eine Besprechungsanfrage zu diesem Album erreichte, musste ich erstmal die Äuglein reiben. Sind das etwa die legendären Jet Black aus Bremen, die da auf I.CORRUPT.RECORDS ein Reunion-Album am Start haben? Ha, reingefallen! Hätte rein von den bisher erschienen Releases des Labels ja schon sein können. Aber bei diesen Jet Black hier handelt es sich um ein seit 2008 bestehendes Quartett aus Québec, Kanada. Die Band ist auch in ganz anderen musikalischen Gefilden unterwegs und L’Ère du Vide ist mittlerweile das dritte Album der drei Jungs und der Frau am Bass/Mikro.

Jedenfalls packt mich das Gehörte bereits bei den ersten Klängen. Jet Black machen eine atmosphärische und verträumte Melange aus Indie-Rock, Post-Rock und Shoegaze, die starke Erinnerungen an die 90er wach werden lässt. Gerade bei den Gitarren und der Gesangsweise, sowohl bei der männlichen und ganz stark bei der weiblichen Stimme kommen mir direkt die ersten Sachen der Band Lush in den Sinn. Witzig, diese werden dann auch im Presseinfo neben den Bands Slowdive, My Bloody Valentine und Sonic Youth genannt. Die acht Songs sind liebevoll ausgearbeitet, man kann richtig in sie eintauchen und sich berieseln lassen. Die Spielzeit von etwas knapp über 37 Minuten verfliegt jedenfalls wie im Nu. Die Gitarren sind gespickt mit Ideenreichtum, sie kommen mal leicht verzerrt und dann wieder traumhaft clean um die Ecke, dazu passen die wabernden Bassmelodien und die mal kräftig und mal ruhiger gespielten Drums. Ganz stark wirken natürlich die warm klingenden Vocals! Unglaublich, wie leichtfüßig diese Songs zusammengebastelt sind, so dass das Ergebnis so stimmig wirkt. Da tauchen auf der einen Seite fast hymnische Parts mit eingängigen Refrains auf, während auf der anderen Seite komplexe und ausufernde Soundpassagen vorherrschen. Und aus allem hört man in sich eingekehrte Spielfreude und pure Leidenschaft heraus, von Langeweile keine Spur.

L’Ère Du Vide bedeutet in der Übersetzung soviel wie „Das Zeitalter der Leere“. Der Albumtitel wird auch in den Songtexten zum zentralen Thema gemacht. Obwohl in unserer kapitalistisch geprägten Zeit alles auf Knopfdruck verfügbar ist, durch Technik und Fortschritt ständig neue Gadgets entworfen werden, verblasst unsere Begeisterung darüber ziemlich rasant. Textlich beschäftigt sich die Band gerade mit solchen Themen. Wie entkommt man diesem Zeitalter, in dem alles im Überfluss vorhanden ist und alles nur auf kurzfristige Befriedigung ausgelegt ist? Was treibt die Menschen an, selbst kreativ zu sein und z.B. Musik zu erschaffen, obwohl das in der schier endlosen Angebotsflut unterzugehen droht? Wenn ihr den Antworten auf diese Fragen etwas näher kommen wollt, dann solltet ihr euch mit Haut und Haaren diesem Album verschreiben. Denn das ist mal wieder ein aus der Masse herausstechendes Release, in das man sich auf Anhieb verlieben kann.

9/10

Facebook / Bandcamp / I.CORRUPT.RECORDS


 

Dingleberry Records Film-Special: Bruised Willies, John Malkovitch!, Lost Boys

Bruised Willies – „John Malkovich Was Great As John Malkovich In Being John Malkovich“ (Dingleberry Records u.a.)
Mal wieder ein Tape aus dem Hause Dingleberry Records. Bandname und EP-Titel lassen vermuten, dass wir es hier mit irgendwelchen Filmnerds zu tun haben. Die Band Bruised Willies kommt aus Singapur und wurde bereits im Jahr 2012 gegründet. Wenn mich nicht alles täuscht, dann spielt hier jemand von den neulich aufgelösten The Caulfield Cult mit. Auf dem Tape bekommt ihr fünf Songs zu hören, die nach einigen Durchläufen zu richtigen Ohrwürmern werden. Das Trio macht nämlich eingängigen Emo-Punk, der mich hin und wieder an Bands wie Brand New Unit, Jawbreaker, Iron Chic oder The Marshes erinnert. Dabei gefällt es, dass die Jungs auch hin und wieder zum dominierenden und punklastigen Emo Elemente aus dem Skate-Punk oder Melodic Hardcore einstreuen, selbst eine flirrende Post-Hardcore/Post-Rock-Gitarre schleicht sich ein. Das Tape kommt mit einem aus dickem Karton gefalteten Cover, die Texte sind in akzeptabler Schriftgröße ebenfalls enthalten. Das Tape ist als Co-Release der Labels Dingleberry Records und Dangerous Goods erschienen. Da mein Tapedeck etwas eiert, habe ich nach zwei Durchläufen auf den Stream der Bandcampseite zugegriffen. Solltet ihr unbedingt anchecken!
Facebook / Bandcamp / Dingleberry Records


John Malkovitch! – „The Irresistible New Cult Of Selenium“ (Dingleberry Records u.a.)
Dieser schön gestaltete Digipack macht es einem rein äußerlich nicht ganz leicht, auf Anhieb Interpret und Titel zu entdecken. Auch mit den beteiligten Labels ist es nicht ganz einfach. Neben Dingleberry Records haben am Release die Labels I Dischi del Minollo, Edison Box und Mehr Licht Records mitgewirkt. Das alles sieht man erst wenn man das edle Stück aufklappt. Da entdeckt man, dass man es mit der Band John Malkovitch! aus Umbrien/Italien zu tun hat. Ganze vier Stücke sind auf The Irresistible New Cult Of Selenium enthalten. Da ich die Band bisher noch nicht auf dem Schirm hatte, dachte ich zuerst, dass es sich bei dem Tonträger aufgrund der Titelanzahl um eine EP handelt, aber John Malkovitch! machen astreinen instrumentalen Post-Rock mit ausufernden Ambient-Passagen und Stoner-Post-Metal-Elementen, so dass die vier Stücke auf eine Spielzeit von knapp 48 Minuten kommen. Die Musik ist dabei sehr vielschichtig und der Focus liegt auf sphärischen Klanglandschaften. Da kann es auch mal zwischendurch so richtig ruhig werden, so dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. V.a. die ruhigen Passagen mit den sich wiederholenden und eindrehenden Gitarren würden sich hervorragend für einen Soundtrack zu einem traurigen und tristen Film eignen. Überhaupt klingt das Ganze sehr düster und melancholisch. Hypnotisch baut sich nach einer ruhigeren Passage die Musik Schicht um Schicht wieder auf, bis eine Wand von Dampfwalze hereinbricht. Vom Ablauf her erinnert das an einen Menschen, der nach einem langen und erholsamen Schlaf langsam wach wird und sich plötzlich hellwach und voller Energie an das Tagesgeschäft macht. Die Rhythmuswechsel sind unberechenbar, so dass es spannend bleibt. Am besten, ihr hört diese Musik in einem abgedunkelten Raum mit brennender Kerze und laut aufgedreht über einen guten Kopfhörer an, dann ist die Gänsehaut garantiert. Jedenfalls hat man im halbdunklen Licht während des Hörens genügend Zeit, über das Covermotiv nachzudenken und die Schatten des schummrigen Kerzenlichts in die Phantasie mit einfließen zu lassen. Mich erinnert das irgendwie an ein Fabelwesen, ähnlich dem Drache Fuchur aus der unendlichen Geschichte. Gibt es wirklich einen unwiderstehlichen neuen Kult um Selen? Nicht zu verwechseln mit dem Seelenkult! Selen ist ein chemisches Element und wird soweit ich weiß gerne als Nahrungsergänzungsmittel verwendet, da es gut für’s Herz sein soll. Na dann, pfeift euch das hier mal rein!
Facebook / Bandcamp / Dingleberry Records


Lost Boys – „fun“ (Dingleberry Records)
Wenn man das farbenfrohe 12inch-Plattencover in der Hand hält, könnte man vermuten, dass man es hier mit einer Band aus den Achtzigern zu tun hat, die ein Aerobic-Album veröffentlicht. Da purzeln die bunten Gymnastik-Bälle neben den Fitnessstäben, durch die körpereigenen Endorphine beim Training wird alles so bunt wie auf einem LSD-Trip. Bis man die A-Seite auflegt und man binnen weniger Sekundenbruchteile nach dem Aufsetzen der Nadel merkt, dass die Rückschlüsse vom Albumartwork auf den Sound hier absolut daneben sind. Denn Lost Boys sind von sportlicher Disco-Musik so weit entfernt wie der hitzköpfige Bodybuilder von klaren Gedankengängen. Mit dem Aufsetzen der Nadel prasselt eher ein buntes Bällebad mit harten Cricketbällen auf Dich ein. Jeder Ball trifft Dich hart am Körper. Kaum zu glauben, dass dieses Brett von nur drei Menschen geschaffen ist. Da brezelt das Schlagzeug, so dass man förmlich den Wind der Crashbecken spürt. Dazu gesellen sich messerscharfe Gitarren, die an manchen Stellen durchaus melancholische Untertöne anschlagen. Aber das entdeckt man erst, wenn man sich durch das sperrige dissonante Noisegewitter wie durch dichtes Unterholz durchgeschlagen hat. Zu fasziniert ist man von dem schmerzvollen und leidgeplagten Geschrei des Sängers. Die Dissonanz nimmt an manchen Stellen gespenstische Züge an. Dieser Chor in Punk Singer z.B. kommt laut aufgedreht über Kopfhörer im dunklen Raum echt mal krass. Die Texte sind genauso angepisst wie die Musik. Da wird so manchem der Spiegel vorgehalten. Den Finger tief in die Wunde gesteckt und kräftig drin rumgebohrt wird da. In unsere technik-affinen Zeit, in der das Smartphone und Dein Status wichtiger sind als Dein gegenüber aus Fleisch und Blut, da braucht es wütende Texte wie diese, die dir direkt und unverblümt vor den Kopf geknallt werden. Erinnert gerade wegen den deutschen Lyrics stark an 90er Bremer Schule Hardcore á la Lebensreform und Loxiran, aber auch aktuelle Screamo Bands wie Masada oder Ojne oder Klassiker wie Orchid, Yage und Portaits Of Past dürften in vielen Kritiken als Referenz fallen. Ach so, die Labels: Dingleberry Records, i.corrupt Records, À Fond d’Cale, La Soj, Dont Care Records, Lost State Records, Rakkerpak Records und Désordre Ordonné.
Facebook / Bandcamp / Dingleberry Records


 

Coma Regalia-Special: Coma Regalia – „There’s Still Time“ 12inch & Tapestry & Coma Regalia – „Our Laughter Under Cerulean Skies“ 9inch

Coma Regalia – „There’s Still Time“ (Dingleberry Records u.a.)
Gefühlt vergeht eigentlich kaum ein Quartal, ohne dass ein Release von Coma Regalia erscheint. Wenn sich eine DIY-Band mit Haut, Haaren und Herz ihrem Sound widmet und zusätzlich noch dem gesplitteten 7inch-Format huldigt, dann kann es schonmal sein, dass man bei dieser Masse irgendwann den Überblick verliert. Auch die vielen Labels, die an solchen Releases beteiligt sind, muss man erstmal auf dem Schirm haben. There’s Still Time erscheint in Zusammenarbeit von elf Labels (Dingleberry Records, Time As A Color, i.corrupt Records, À Fond d’Cale, Adorno Records, Bad Break Records, Boslevan Records, Dasein Records, The Land In Between DIY, Lost State Records, Middle-Man Records). Ich musste doch nun wirklich gerade bei Discogs nachschlagen, nur um sicher zu gehen, dass diese 12inch nun das mittlerweile dritte Full-Length-Album der Band aus Lafayette, Indiana ist. Man denkt ja immer, dass es so Bands mit vielen Split-Veröffentlichungen eventuell nicht schaffen könnten, auf ganzer Albumlänge das hohe Niveau zu halten. Diesen Kritikern empfehle ich mal, sich die Mühe zu machen, alle Coma-Regalia-Split-Beiträge auf ein Tape aufzunehmen und hintereinander anzuhören. Ihr werdet dabei entdecken, dass es ein richtig abwechslungsreiches Tape ist, Coma Regalia klingen wirklich bei jedem Song etwas anders, die Ideen scheinen den Jungs jedenfalls niemals auszugehen. Eines meiner Lieblingsreleases der Band ist ja die Split mit What Of Us, bei der ich dieses Phänomen eigentlich erstmals bewusst wahrgenommen habe. Diese Vielseitigkeit im Sound lässt sich auch auf There’s Still Time entdecken. Neben den kurzen Smashern, die unter einer Minute einen Total-Abriss auf’s Parkett legen, kommen auch immer wieder diese warmen Bass-Spielereien zum Vorschein, daneben verzücken die mehrstimmigen Chöre, die unterschwelligen Melodien und der intensive Gesang. Dieser ist dann sowas wie ein Markenzeichen: von cleanen Vocals über gescreamten Heulgesang bis hin zum kläffenden Pitbull-Gekeife: da steckt einfach sehr viel Emotion, Herzblut, Verzweiflung, Schmerz und Wut drin. Da stört es auch nicht, dass sich die Gitarren bei In The Circle ein wenig kaputt anhören, für mich ist gerade dieser Song eines der Highlights auf der Platte. Weitere Höhepunkte: Curtain Call. Und dann noch die Überraschung zum Schluss: ein zwölfminütiges hypnotisches Stück, das trotz der immer wiederkehrenden Gitarrenschlaufe nicht langweilig wird und zum Ende hin nochmal richtig ausbricht. Faszinierend, meine Augen leuchten, während ich wie hypnotisiert die Platte umdrehe und den Tonarm an den Anfang setze. Wie der Albumtitel und das Artwork schon prophezeit, geht es in manchen Stücken um die Zeit, um die Vergänglichkeit. Wie und was genau gesungen/geschrien/gelitten wird, das könnt ihr auf dem schön gestalteten Textblatt nachlesen.
Facebook / Bandcamp / Dingleberry Records


Tapestry & Coma Regalia – „Our Laughter Under Cerulean Skies“ (Dingleberry Records u.a.)
Hach, hier haben wir mal wieder ein tolles DIY-Scheibchen im nicht alltäglichen 9inch-Format, das man sich gerne in den Plattenschrank stellt. Das Release ist schlicht in der Aufmachung, die Plattenhülle besteht aus einem besiebdruckten Papiermantel, ein Textblatt sucht man vergebens, auch zu den Bands gibt es keinerlei Infos, die Songtitel erfährt man erst, wenn man nach dem Release online gesucht hat und einen Stream aufgestöbert hat. Lediglich die am Release beteiligten Labels sind auf der Hülle abgedruckt (Dingleberry Records, Middle-Man Records, Canopus Distro, Pointless Forever Records). Da hat man also nur noch die Wahl, sich voll und ganz dem schwarzen Scheibchen zu widmen und die Musik beider Bands aufzusaugen, was sich auch ohne große Probleme oder gar Langeweile erledigen lässt. Tapestry kommen aus Singapur, bisher hatte ich diese Band leider noch nicht auf dem Schirm, obwohl die Band ihr erstes Release bereits 2012 veröffentlichte und dabei auch noch sagenhaften Midwest-Emocore fabriziert, der direkt ins Herz geht. Bei den beiden Songs der A-Seite hat man jedenfalls immer wieder das Gefühl, dass man hier auf verschollene Songs von Mineral, Sunny Day Real Estate, Ida oder Penfold gestoßen ist. Die Gitarren, der Rhythmus und der Gesang klingen total nach diesen Bands. Gleich mal den Backkatalog von Tapestry zum Name Your Price Download zippen! Okay, nun zu Coma Regalia. Wie zu erwarten war, steht der Sound der Screamo-Band im totalen Kontrast zum ruhigen, zerbrechlichen Emo von Tapestry. Coma Regalia schmettern direkt keifend los, der Song Day One beginnt mit einem groovigen Intro, das in hypnotisches Gitarrenklimper übergeht, bevor es mit den besten Emo-Gitarren ever richtig geil in astreines Screamo-Geknüppel gipfelt, die für die Band typischen unterschwelligen Melodien kommen auch wieder mal nicht zu kurz. Wer jetzt denkt, dass es das schon gewesen sein muss, dem werden im Verlauf des fünfminütigen Songs gründlich die Augen geöffnet. Das Ding hat so viele Parts, die aber alle zueinander passen, einfach genial! Day One ist dann auch für mich persönlich das absolute Highlight dieser 9inch. Das soll aber keineswegs heißen, dass der Rest absoluter Käse ist, ganz im Gegenteil. Der zweite Song Day Two verzückt ebenfalls, hier stechen v.a. die mehrstimmigen Backgroundchöre hervor. Mal wieder ein durchaus gelungener Song!
Bandcamp / Dingleberry Records


 

Shakers – „Selftitled 7inch“ (lifeisafunnything u.a)

Packpapier ist das neue Gold für Vinylfetischisten, die sich außer Vinyl nichts leisten können/wollen. Und wenn der goldene – eigentlich beige – Karton auch noch besiebdruckt ist, dann steigt der Liebhaber-Wert rapide an. Wenn dann jedes Exemplar auch noch etwas anders aussieht, dann freut sich das Sammlerherz umso mehr. Bei meiner Ausgabe wurde zuviel schwarze Farbe aufgetragen, so dass der Bandname nur erahnt werden kann. Das flaschenbiergrüne Vinyl sieht aber dufte aus. Die Texte der vier Songs sind leider nur auf einem CD-Cover-großen Blatt abgedruckt, dementsprechend klein sind die Buchstaben. Brillentragende Blogschreiber bleiben dadurch blöd. Aber dank Bandcamp kann man das Zeug auch so nebenher lesen, so dass man immer auf dem laufenden ist.

Alles aber egal, denn die Musik, die man beim Aufsetzen der Nadel auf die Ohren bekommt, packt einen von der ersten Sekunde an am Schlawittchen. Der Opener Heaving beginnt mit ’nem Drum-Intro, danach setzen schrammelige Gitarren ein und zur Krönung schreit sich der Sänger voller Leidenschaft den Hals blutig. Bis dann nach einer Minute des schieren Wahnsinns ganz andere Töne zeigen, dass die Band auch softer kann. Melancholisch gespielte Gitarren lockern das Szenario ein wenig auf. Mit diesem ersten Song steckt die Band gleich mal die Richtung ab, der Herschmerz dominiert gerade in Heaving immens, permanentes Bedauern inklusive. Auch die nachfolgenden drei Stücke lassen einen Blick in die Seele des Sängers erhaschen, die Texte sind sehr persönlich, zudem zaubern die sich duellierenden Gitarren ganze Gänsehaut-Autobahnen auf den Rücken. Die fünf Jungs haben es jedenfalls super drauf, Spannung zu erzeugen, gleichzeitig faszinieren diese plätschernden Midtempo-Passagen wie bei Shin, Shin, Shin. So lasse ich mir emotive Post-Hardcore gefallen, der Sound der Band läuft mir supergut rein.

Die Mitglieder der Band kommen übrigens aus Wiesbaden und Mainz und sind aus der Asche der Band Snakes And Lion entstanden, zudem ist noch ein Mitglied der Band Burke mit an Bord. Die vier Songs sind laut Textblatt bereits im Jahr 2014 aufgenommen und gemischt worden, zugleich verspricht die Band, dass das nächste Release nicht so lange auf sich warten lassen wird. Ja bitte, denn ich möchte schnell mal Nachschub! Wenn ihr auf Post-Hardcore der Marke Touché Amore, The Tidal Sleep oder La Dispute steht, dann solltet ihr dieses kleine Juwel schnell mal bei einem der am Release beteiligten Label (lifeisafunnything, Miss The Stars, I.Corrupt Records) bestellen.

8,5/10

Facebook / Bandcamp / lifeisafunnything


 

Bandsalat: Aleska, Alfred Quest, Departures, Eyelet, Faux, Grieving, The Reptilian, Trade Wind

Aleska – „Selftitled“ [Stream]
Mit ihren zwei EP’s und der 3-Way-Split mit Bears und Mariesena erfuhr die Band aus Frankreich bereits ergiebige Anerkennung, nun steht also das längst überfällige Album des All-Star-Quartetts an (die Jungs kennt man aus den Bands Shall Not Kill, Dead For A Minute und Esteban). Den sieben Songs hört man jedenfalls an, dass hier keine Grünschnäbel zu Gange sind. Der dichte Sound flasht total, das wird einigen Emocore/Jahrtausendwenden-Post-Hardcore-Fans die Nackenhärchen aufstellen. Nach diesem schön verspielten Intro wird man nach der Hälfte des ersten Songs schonmal ordentlich an die Wand gedrückt. Was für ’ne hammergeile Produktion. Dann, gleich beim zweiten Song Du Gris Au Noir ein göttliches Riff, das alles niederwalzt. Und so wird man sich im Verlauf der fast vierzigminütigen Reise desöfteren dabei ertappen, wie man debil grinsend vor der Stereoanlage sitzt und sich mit den Fäusten auf die Brust klopft. Da kommen Oldschool-Bands wie Shai Hulud, Envy, Kidcrash, A Case Of Grenada oder Earth Crisis genauso in den Sinn wie neuere Sachen a la Underoath, Hollow Earth oder We Never Learned To Live. Die pfiffigen Songarrangements tragen ebenfalls dazu bei, dass es nicht nur fetzt, sondern auch schön abwechslungsreich bleibt. Ach so, bis auf einen Song werden alle Texte in französischer Sprache herausgekeift. Würde mal sagen, dass dieses Album das Zeug zum Meilenstein hat, ich bin jedenfalls die letzten Wochen fast schon süchtig nach diesen sieben Songs geworden.


Alfred Quest – „Midlife Wellness“ (Analog Soul) [Stream]
Im Presseinfo zu Alfred Quests Debutalbum steht geschrieben: Ein Album für Sonntage, Abende am See, für den Start des Tages. Und ja, das kann dieses Album durchaus sein, denn die zehn Songs des Berliner Quartetts besitzen durchaus einen hohen Chillfaktor, jedoch mit hohem Anspruch. Rein instrumental bestehen die Songs aus elektronischen Spielereien, sonstigen Klangschnipseln und HipHop-Samples, Kontrabass, Streicher, Gitarren, Bässe und warmer Elektronika. Keine Ahnung, ob die Entspannung auch daher spürbar immer präsent ist, weil das Album komplett in der freien Natur – nämlich in den Staketenwälder des Havelberger Landes – aufgenommen wurde. Könnt ihr euch ruhig mal zwischen all dem Krach einklinken, den ihr sonst so hört.


Departures – „Death Touches Us, From The Moment We Begin To Live“ (Holy Roar Records) [Stream]
Die Band aus Glasgow hat sich in den Jahren ihres Bestehens einen festen Platz in der britischen Hardcore-Szene erkämpft, obwohl sie sich dem Zirkus der Musikindustrie niemals angepasst hat. Nun steht also das mittlerweile dritte Album der Jungs an und man kann sagen, dass die zehn Songs den bisherigen Veröffentlichungen nochmals eins draufsetzen. Melodic Hardcore mit emotionalen Schwingungen kann man kaum besser machen.  Diese Gitarren, dieser leidende Gesang, dieses vernichtende Schlagzeug. Das hier wird Fans von More Than Life, Defeater oder Shai Hulud die Freudentränen in die Augen treiben. Als Anspieltipp eignet sich z.B. das mächtige Broken.


Eyelet – „Nervewracker“ (Dingleberry Records u.a.) [Stream]
Erst vor ein paar Wochen stolperte ich bei meinen immer seltener werdenden Bandcamp-Surf-Eskapaden über dieses wahnsinnig geile Release der Band aus Baltimore/Maryland. Eyelet machen mitreißenden emotive Screamo mit Post-Hardcore und frickeligen Gitarren, die schön flächig daherkommen. Und der Sänger kreischt sich in Extase, hier wird gelitten was das Zeug hält. Dabei schleichen sich immer wieder unterschwellige Melodien in den Sound mit ein. In den ruhigeren Parts wird man deshalb immer wieder an Bands wie frühe Boy Sets Fire, At The Drive-In oder Thursday erinnert, aber auch Zeug wie State Faults oder Shai Hulud kommt in den Sinn. Unter den insgesamt zehn Songs ist wirklich kein Hänger dabei, es bleibt spannend bis zum Schluss. Diese Band ist vielleicht sowas wie ein Geheimtipp.


Faux – „Inhale“ (Through Love Records) [Stream]
Die letztjährige Debut-EP der Band aus Southhampton/UK ist gerade noch im Ohr, da folgt auch schon die zweite EP Inhale, diesmal auf dem Label Through Love Rec. Musikalisch hat sich nicht arg viel geändert, nach wie vor werden die satt produzierten Songs vom Gitarrenspiel und der markanten Stimme von Lee Male getragen. Die Songs sind insgesamt aber detaillierter und verschachtelter aufgebaut. Hinzu kommen druckvoll gespielte Drums und genehme Bassläufe wie z.B. bei Swimmingly. Ach ja, man sollte noch die eingängigen und hymnischen Chöre erwähnen, die jeden Song zu einem kleinen Highlight machen. Catchy as  fuck, wie man auf neudeutsch so schön sagt. Die Band bezeichnet ihren Stil selbst als Dirty Pop, ich würde noch etwas Emo-Rock der Nuller á la Jimmy Eat World, Favez oder neueren Sensefield hinzufügen. Auf der B-Seite der LP gibt es dann noch einen Bonus in Form von drei Songs der Patterns-EP. Ich hab so eine leise Ahnung, dass diese Band richtig groß werden könnte. So eine verdammte Ohrwurm-EP, die kommt genau richtig um noch ein bisschen Sonne zu tanken, bevor der triste Herbst Einzug nimmt.


Grieving – „Demonstrations“ (DIY) [Name Your Price Download]
Diese neue Band aus Cambridge/UK legt mit ihrer Debut-EP schonmal ordentlich vor. Insgesamt fünf Songs sind zu hören, dabei bewegt man sich gekonnt zwischen den Genres Post-Hardcore,  Emo – hier speziell gitarrenorientierter Midwest-Emo mit 90er-Einschlag – und etwas Indierock. Dabei kommen die Gitarren schön satt aus den Lautsprechern, auch der Schlagzeuger spielt sehr dynamisch und druckvoll. Der Sänger hat eher eine rauere Stimme, deshalb kommen Vergleiche mit Braid oder Jawbreaker in den Sinn, vom Instrumentalen her erinnert das verspielte etwas an Camber oder Leiah. Hört doch mal rein!


The Reptilian – „End Paths“ ( I.Corrupt.Records) [Stream]
Die bisherigen Releases des US-Math-Post-Punk-Trios sind auf Count Your Lucky Stars erschienen, deshalb staunte ich nicht schlecht, als eine Besprechungsanfrage vom  Kölner Label I.Corrupt.Records im Postfach landete, in welcher stolz verkündet wurde, das neue Album End Paths  veröffentlichen zu dürfen. Insgesamt acht Songs schrauben sich wie das Geflecht auf dem Albumcover in die Gehörgänge. Die Stücke kommen dynamisch, verschroben, verkopft, rasant, laid back, die Stimmung wandelt sich desöfteren. Zwischen Post-Hardcore  und Post-Punk á la Dischord mit massig Noise sind hier auch zahlreiche Querverweise auf Screamo, Punk, Indierock und Emocore zu sehen. Man stelle sich eine Mischung aus Perfect Future, Circle Takes The Square, This Town Needs Guns und Circus Lupus vor. Der Herbst kann kommen, mit dieser Platte seid ihr für die tristen Regenwettertage gewappnet.


Trade Wind – „You Make Everything Disappear“ (End Hits Records) [Stream]
Mal wieder so ’ne Allstar-Band mit Leuten von Stick To Your Guns, Stray From The Path und Structures, dazu veröffentlicht man auf dem Boysetsfire-Label End Hits Records. Klammert man diese Vorschusslorbeeren mal aus und konzentriert sich rein auf die Mucke, dann wird man schnell feststellen, dass hier gar nicht so arg viel Jahrhundertwenden-Emo/Rock bzw. Post-Hardcore drin steckt, wie vermutet. Natürlich hat man beim Opener Bands wie Thrice oder Thursday im Ohr, aber zu den anfangs flächig gespielten Gitarren gesellen sich beizeiten grungige Untertöne, wie man sie von Bands wie Citizen oder Turnover gewohnt ist. Dennoch überwiegen hier die poppigen Parts, wie z.B. beim Song Lowest Form oder beim fast schon kitschigen Tatiana (I Miss You So Much). Überhaupt muss man sagen, dass die Songs im Vergleich zu den Hauptbands der Beteiligten sehr viel softer und leiser ausgefallen sind, eigentlich könnte man sagen, dass hier ganz klar der Pop-Appeal im Vordergrund steht. Ein Song wie z.B. Grey Light würde sich auch im Radio gespielt zwischen Coldplay und  Kings Of Leon behaupten. Ich bin positiv überrascht!


 

Marais & Auszenseiter – „Split 12inch“ (lifeisafunnything etc.)

marais&auszenseiterAls das erste Marais-Tape erschien, war ich einerseits von der Atmosphäre der Gitarren des Eröffnungsstücks ziemlich angetan, zudem imponierte es mir gewaltig, dass einige Tapes in handgehäkelten Hüllen verpackt waren, auch wenn ich damals keines bekommen habe. Haha, ich würde mir dieses wundervolle Vinyl-Release hier mit gehäkelter Hülle wünschen und stelle mir gerade Marcus von lifeisafunnything vor, wie er liebevoll ein paar Hüllen für das Album mit herausgestreckter Zunge häkelt (ich bin mir sicher, dass er das auf sich nehmen würde, denn er steckt sein ganzes Herzblut in sein Label). Ach ja, Unterstützung könnte er natürlich von den Labelbetreibern der an dem Release beteiligen Labels bekommen, die da wären: I.Corrupt Records, Voice Of The Unheard und Allende Records. Kollektives Häkeln rules!

Andererseits würde man zwangsläufig das klassische DIY-Albumartwork erst bewundern können, wenn man die Platte vom vermurksten Häkel-Wollpulli entwickelt hätte, hihi. Das Teil kommt nämlich in einem selbstgestalteten Klapp-Umschlag, der mit kunstvollem Siebdruck verziert ist. Es gibt zwei Varianten auf grauem Karton, eine mit orangem Siebdruck, meine Version ist lilafarben und sieht einfach nur super aus. Zudem riecht die Platte angenehm. Keine Ahnung, ob meine Kinder in irgendeinem unbeaufsichtigten Moment zuerst am Süssigkeitenschrank waren und anschließend mit schokoladenverklebten Griffeln mein Plattenregal geschändet haben, aber das Textblatt duftete anfangs irgendwie nach Schokolade, mittlerweile ist dieses Aroma aber flöten gegangen. Oh Mann, jetzt aber noch ein paar Worte zur Musik.

Schön finde ich, dass es auf dem Plattenlabel keine A oder B-Seite gibt. Entweder man legt die Auszenseiter- oder die Marais-Seite auf, beide Seiten sind eindeutig identifizierbar, auch wenn auf dem Backcover zuerst Marais aufgeführt sind. Ich gehöre ja zu den Alphabet-Fetischisten, daher berührte die Plattennadel zuerst die Auszenseiter-Seite. Zum Spoken Word-Intro, welches wohl dem Film „Die Beschissenheit der Dinge“ entliehen ist, blieb bei mir schonmal eine Textzeile kleben, die absolut ins Schwarze trifft: „Nichts verschafft einem einen ehrlicheren Eindruck von einem Land, als der Blick aus einem Zugfenster“. Gut gewählt. Auch sonst kommt die Band aus Nordrheinwestfalen ziemlich authentisch rüber, die deutschen Texte lassen Erinnerungen an Bremer Schule meets Punk, Crust und 90er-Screamo wach werden. Auszenseiter bieten vier explosive Songs zwischen Dissonanz und Aggression, dabei schwingen trotz der ganzen Negativität unterschwellig ein paar flächige Melodien mit, die die Wucht einer Lawine haben. Die Gitarren knarzen schön runtergestimmt bis matschig bzw. crustig, vom derben Gesamtsound her kommt eine schöne Weltuntergangsstimmung auf, das alles erinnert mich etwas an die Kollegen von Jungbluth. Mir läuft’s jedenfalls gut rein. Mein Lieblingssong der Auszenseiter-Seite ist das geniale Nur die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Stelle, an der nur der Bass vor sich hintuckert und im Hintergrund ein schöner Gangscreamo-Shout in Erscheinung tritt und sich alles zu einer Explosion hin entwickelt ist einfach geil.

Marais aus Köln gehen dann in eine ähnliche Richtung. Die fünf Songs sind im klassischen Screamo verankert, im Presseinfo werden Pg.99 und Saetia genannt, mir kommen auch direkt noch Vorbilder wie June Paik, Portraits Of Past, Do Androids Dream of Electric Sheep oder Das Plague in den Sinn. Aus den Songtiteln werde ich persönlich nicht so ganz schlau, obendrein lesen sie sich seltsam, aber die Texte sind kurz gehalten, man kommt gleich zum Punkt. Bis auf den Song Sumpfhumplerblues (übrigens mein Anspieltipp, weil mir der Part in der Songmitte so toll gefällt) sind alle Lyrics in deutsch, manchmal schleichen sich aber auch englische oder französische Zeilen in die Texte ein. Die Songs bewegen sich zwischen dissonanter Atmosphäre, schrammeliger Gitarrenarbeit, hektisch gespieltem Schlagzeug, leidend herausgekrächzten Vocals und abgeranzten Gekeife. Dabei ist aber immer wieder ein wenig Zeit für ein paar ruhigere Parts, die das kommende Gewitter nur noch intensiver erscheinen lassen. Kommt live bestimmt ganz schön krass rüber, ich find den Sound auf Platte jedenfalls verdammt intensiv. Ach so, von dem schmucken Teil gibt’s in den verschiedenen Cover-Farben jeweils 200 Stück, DL-Code liegt wie immer bei. Für Skramz-Fans eine lohnende Anschaffung!

8/10

FB Auszenseiter / BC Auszenseiter / FB Marais / BC Marais / lifeisafunnything